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Oberhessisches Sagenbuch Teil 77

Oberhessisches Sagenbuch
Aus dem Volksmund gesammelt von Theodor Bindewald
Verlag von Heyder und Zimmer, Frankfurt a. M., 1873

Der Grenzreiter

Vor langer, langer Zeit waren einmal die beiden Gemeinden Bersrod und Reiskirchen wegen eines gemeinschaftlichen Waldes in einen sehr heftigen Streit geraten. Um denselben zu beenden, beschlossen sie denselben zu teilen, indem sie die Sache einem Gottesurteil anheimstellten. Zu diesem Behuf wurde von beiden Seiten ein bis dahin unbescholtener Mann aus einem Nachbardorf erwählt, der auf einem Schimmel mit verbundenen Augen mitten durch den Wald reiten und so die Grenze für Kind und Kindeskind feststellen sollte. Allein die Reiskirchener bestachen ihn hehlings mit einem großen Stück Geld, dass er ein Schelm wurde, trotz seines Eides das Tuch lüftete und es so zu veranstalten wusste, dass der größte Teil des Eselswaldes und vorab der wertvollste Schlag alter dicker Eichen ihnen zufiel, wodurch er die Bersröder in nicht geringen Unsput brachte. Dieser ungetreue Mann geht seit seinem Tod, nachts zwischen elf und zwölf, zu besonderer Zeit im Jahr, ruhelos um. Man sieht ihn noch heutigen Tages auf seinem gespenstischen Gaul den Weg im Wald daher trabe und die Grenze abreiten.

Andere aber legen die Sache anders aus. Sie sagen, es sei der wilde Jäger, der bald zu Fuß, bald zu Ross dort sein schauerliches Wesen treibe und mit einem ganzen Rudel Hunde unter höllischem Jauchzen, Gauzen und Getümmel alljährlich um die Sonnenwende vorübersause.

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