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Aus dem Wigwam – Die Sintflutsage der Tschoktah

Karl Knortz
Aus dem Wigwam
Uralte und neue Märchen und Sagen der nordamerikanischen Indianer
Otto Spamer Verlag. Leipzig. 1880

Vierzig Sagen
Mitgeteilt von Chingorikhoor

Die Sintflutsage der Tschoktah

ie Welt war noch jung. Die kleinen Bäche unter den Hügeln und Bergen murmelten lustig und die breiten Ströme zogen ihre gewohnten Bahnen durch friedliche Täler. Mond und Sterne hatten seit Langem den Nachthimmel verschönt und den Jäger durch die Wildnis geführt. Die Sonne, die der rote Mann die Glorie des Sommers nennt, war täglich erschienen. Viele Menschengeschlechter hatten gelebt und warnt hingegangen. Aber im Verlauf der Zeit hatte sich das Aussehen der Welt verändert. Bruder stritt mit Bruder, und große Kriege bedeckten häufig die Erbe mit Blut. Der Große Geist sah dies alles und war unzufrieden. Ein schrecklicher Wind fegte durch die Wildnis, und die Ok-la-ho-ma oder die roten Menschen wussten, dass sie Unrecht getan hatten; aber sie lebten, als ob es ihnen einerlei sei. Endlich erschien ein fremder Prophet unter ihnen und verbreitete in jedem Dorf die Kunde, dass das Menschengeschlecht zerstört werden würde. Niemand glaubte seinen Worten, und die Sommermonde kamen und gingen wieder. Es war nun der Herbst des Jahres. Manche wolkigen Tage waren gekommen, und dann kam gänzliche Finsternis über die Erde und die Sonne schien für immer geschieden zu sein. Es war sehr dunkel und sehr kalt. Die Menschen legten sich schlafen, wurden aber mit schweren Träumen geplagt. Sie standen auf, wenn sie glaubten, es sei Zeit zum Tagesanbruch; aber sie sahen nur, dass der Himmel noch von einer tieferen Schwärze verdunkelt war als die der schwersten Wolke. Mond und Sterne waren verschwunden, und rings um das Firmament rollte beständig der Donner. Die Menschen glaubten nun, dass die Sonne nie wiederkehren würde, und es war große Bestürzung durch das ganze Land. Die großen Männer der Tschoktahnation sprachen verzagt zu ihren Brüdern und sangen ihre Totenlieder, aber im Düster der Nacht vernahm man diese Lieder kaum. Männer besuchten sich einander mit Fackeln. Das Getreide und die Früchte des Landes verfaulten, und die wilden Tiere des Waldes wurden zahm und scharten sich um die Wachtfeuer der Dörfer und kamen sogar in ihre Dörfer.

Ein lauterer Donnerkrach, als man je vorher gehört hatte, widerhallte nun durch das Firmament, und im Norden wurde ein Licht sichtbar. Es war nicht das Licht der Sonne, sondern der Schimmer ferner Wasser. Diese machten ein mächtiges Getöse und wälzten sich in berghohen Wellen über die Erde. Sie ver­schlangen das ganze Menschengeschlecht und zerstörten alles auf der Erde. Nur ein Menschengeschöpf wurde gerettet, und das war der geheimnisvolle Prophet, der das Unglück verkündet hatte. Er hatte ein Floß aus Sassafrasstämmen gebaut, und auf diesem fuhr er über die Wasser. Ein großer schwarzer Vogel kam und flog in Kreisen um sein Haupt. Er rief ihn um Hilfe an, aber er schrie laut und flog fort und kam nicht wieder. Ein kleinerer Vogel von blauer Farbe mit roten Augen und rotem Schnabel kam nun und schwebte über dem Haupt des Propheten. Er sprach zu ihm und fragte, ob es einen Flecken trockenen Landes irgendwo in der Wasserwüste gebe. Er flatterte mit den Flügeln, stieß einen Klagelaut aus und flog in gerader Richtung zu jener Seite des Himmels, wo die neugeborene Sonne soeben in die Wogen sank. Nun erhob sich ein starker Wind, und das Floß des Propheten wurde rasch in diese Richtung getrieben. Mond und Sterne erschienen wieder, und der Prophet landete auf einem grünen Eiland, wo er sich niederließ. Hier genoss er einen langen, erquickenden Schlaf. Als der Morgen anbrach, fand er, dass das Eiland mit allen Arten von Tieren bedeckt, außer dem großen Shakarti oder Mammut, das zerstört worden war. Auch fand er Vögel in großer Fülle. Er erkannte den schwarzen Vogel, der ihn seinem Schicksal auf dem Wasser überlassen hatte. Und da es ein böser Vogel mit scharfen Klauen war, nannte er ihn Fulluh-chitto oder Vogel des Bösen. Auch fand er mit großer Freude den blauen Vogel, welcher veranlasst hatte, dass ihn der Wind zu der Insel geführt hatte. Wegen seiner Güte gegen ihn und wegen feiner Schönheit nannte er ihn Prech-che-you-sho-ba oder die Turteltaube. Die Wasser zogen sich endlich zurück, und im Verlauf der Zeit wurde dieser Vogel ein Weib und die Frau des Propheten. Von ihnen stammen nun alle auf Erben lebende Menschen ab.

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