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Jimmy Spider – Folge 5

Jimmy Spider und der Mann im Schatten

Ich befand mich in einem stillgelegten Abschnitt der U-Bahn-Tunnel von Manchester. Nicht genug damit, von Ratten, Schatten, Matten und … Ratten umgeben zu sein, nein, ich musste auch noch in eine ehemalige Bahnhofstoilette. Zu meinem Glück nicht, um dort eine Notdurft zu verrichten (wobei mich auch in einer normalen Bahnhofstoilette keine zehn mit Desinfektionsspray eingeriebenen Pferde dazu gebracht hätten), sondern, um mich mit einem Informanten zu treffen. Ein Kontaktmann der TCA hatte dieses Treffen arrangieren können. Angeblich wollte mein geheimnisvoller Informant mir wichtige Hinweise zu einer bevorstehenden Bedrohung der Weltsicherheit und der Zivilisation, wie wir sie kennen, zuspielen. Das Übliche eben.

Nach einem nicht enden wollenden Spaziergang durch riesige Spinnweben, umherliegendes Geröll und fiepende, erbärmlich stinkende Fellknäuel hatte ich endlich den Treffpunkt erreicht.

Flackernder Lichtschein zuckte mir entgegen. Eine noch intakte Glühbirne leuchtete alle paar Sekunden kurz auf, nur um danach wieder zu erlöschen.

Dank meiner Taschenlampe sah ich, dass sich über das Waschbecken und die Toiletten neben einer Schmutz- auch eine Moosschicht gelegt hatte. Ein echter Platz zum Wohlfühlen.

Als ich gerade den Lichtschalter entdeckt hatte und das Flackern abstellen wollte, hörte ich die flüsternde Stimme.

»Lassen Sie das, Mr. Spider! So ist es gerade richtig.«

Gelassen drehte ich mich in Richtung der Stehtoiletten, während ich meine Taschenlampe wegsteckte. In der schattigen Ecke des Raumes, gerade so von dem flackernden Lichtschein erreicht, hatte sich eine dunkle Gestalt aufgebaut. Der Mann musste einen lang auslaufenden schwarzen Hut und eine ebenso schwarze Jacke tragen, denn außer der Schwärze sah ich nichts als … Schwärze.

Kaum, dass ich ihn mir näher angeschaut hatte, sprach ich ihn an. »Sie wollten mich sprechen?«

Wieder hörte ich seine flüsternde Stimme. »Sie haben es erfasst. Ich freue mich, dass Sie sich entschlossen haben, diesem Treffen zuzusagen.«

»Nun, ich hatte gerade frei, und da mich niemand zum Essen eingeladen hatte …«

Der Mann vor mir zischte irgendetwas Unverständliches, bevor er antwortete. »Unwichtig. Wichtig ist, dass Sie mir zuhören. Ich habe Informationen für Sie, die für die Zukunft der uns bekannten Menschheit allergrößte Bedeutung haben. Hören sie genau zu, ich …«

»Entschuldigen sie, aber könnte ich nicht noch das Licht ausschalten? Dieses Geflacker …«

Der Schattenmann vor mir unterbrach mich und zischte mir wieder etwas entgegen, diesmal scheinbar verärgerter. »Seien Sie still!«

Er legte eine kurze Pause ein, bevor er fortfuhr. »Wie ich hörte, haben Sie vor Kurzem in Brasilien eine kleine, aber nicht unbedeutende Niederlage erlitten.«

»Sie sind gut informiert.«

»Und nicht nur das, Sie wurden auch von einem Fischer angegriffen, der Sie beinahe getötet hätte.«

Ich winkte ab. »Sie übertreiben. Ich war nie wirklich in Gefahr. Und schließlich hat sich dieser geheimnisvolle Fischer selbst zu seinen schuppigen Lieblingen gesellt.«

»Ja ja, ganz toll. Sehen wir einmal von ihren Heldentaten ab, haben Sie sich nicht gefragt, was diese Aktionen für einen Sinn hatten? Nun, ich werde Ihnen etwas verraten: Sie sind alle Teil eines großen Ganzen. Raymond Sterling, mit dem Sie bereits das Vergnügen hatten, hat nicht nur aus reiner Profitgier den goldenen Kater …«

»Sie meinen das Kätzchen?«

»Nein, den Kater!« Der Mann im Schatten machte einige fahrige Handbewegungen, bevor er unter dem flackernden Licht fortfuhr. »Wie dem auch sei, er hat den Kater nicht für sich geraubt, sondern für jemand anderen. Und der Fischer, der Ihnen danach vor der Küste aufgelauert ist, ist auch kein Zufallsangreifer gewesen. Genauso wenig wie der plötzliche Wetterumschwung Zufall war. Es war alles geplant, und der Fischer hatte den Auftrag, Sie zu töten. Vor allem aber hat …«

Ich unterbrach ihn wieder. »Nichts für ungut, aber dieses Geflacker hält doch kein normaler Mensch aus. Kann ich nicht doch…«

»Nein!« Er griff sich wütend an den Kopf und fuchtelte mit seinen Armen herum. »Nein, nein, nein! Halten Sie endlich den Mund. Ich versuche Ihnen hier überlebenswichtige Informationen mitzuteilen, und Sie reden immer nur über ihr dämliches Flackerlicht. Merken Sie nicht, wie wichtig das ist, was ich Ihnen gerade sage? Ich habe mein Leben riskiert, um mich mit Ihnen hier zu treffen. Gewisse Kreise sind mir bereits auf der Spur und trachten mir nach dem Leben!«

»Schon gut, schon gut. Entschuldigen Sie. Fahren Sie fort.« Ich setzte mir meine Spezial-Sonnenbrille auf, um dem Flackerschein zu entgehen. Stattdessen sah ich jetzt gar nichts mehr. Nur das Flackern erhellte die Dunkelheit vor mir.

»Also, wo war ich stehen geblieben? Ach so … nun, der Fischer, dem Sie begegnet sind, wollte verhindern, dass Sie irgendetwas von dem, was Sie innerhalb des Zuckerhutes erlebt haben, weiterleiten. Dieser Plan, der hinter dem Raub des goldenen Katers steht, ist für einige Leute enorm wichtig.« Er erhob, unbeobachtet von mir, seinen rechten Arm und streckte warnend seinen Zeigefinger in die Höhe. Ich dagegen sah nur das Geflacker.

»Und ich kann Ihnen sagen, dass dies erst der Anfang war. Weitere Diebstähle werden folgen. Schon in den nächsten Wochen wird …«

Ich musste ihn wieder unterbrechen. »Also, es tut mir ja wirklich außerordentlich leid, aber ich ertrage dieses Flackern einfach nicht. Ich muss das ausschalten.« Meine Finger tasteten bereits in die Richtung, in der ich den Lichtschalter vermutete.

Der Schattenmann vor mir schrie wütend auf. »Lassen Sie die Finger davon. Sie werden den Lichtschalter nicht berühren!«

Ohne, dass ich es sehen konnte, musste der Mann auf mich zugehen, denn ich hörte das Echo von Schritten, während sich meine Hand langsam auf den Lichtschalter legte. Endlich würde das nervige Geflacker ein Ende finden.

Mein Informant schrie mir etwas entgegen, dass sich wie ein »Neeein!« anhörte, doch es war bereits zu spät. Ich schaltete das Licht aus.

Vor und über mir war daraufhin Partyzeit. Mit einem gewaltigen Knall explodierte die Glühbirne wie ein Todesstern über dem Schattenmann. Funken sprühten in alle Ecken der Toilette, während gleichzeitig ein gewaltiger gleißender Blitz auf meinen Informanten niederging.

Ich stürzte zu Boden und hielt mir die Hände vor die Augen, um den unglaublich hellen Strahlen zu entgehen. Ohne meine Sonnenbrille wäre ich wahrscheinlich erblindet. Doch ich wollte sehen, was vor mir geschah und riss sie mir vom Gesicht.

Der Mann, den ich zuvor nur im Schatten gesehen hatte, hatte sich in eine gleißend helle, fluoreszierende menschliche Fackel verwandelt. Kurze Zeit hielt er sich noch auf den Beinen, dann musste irgendetwas in ihm zerstört worden sein, denn er brach förmlich in sich zusammen.

Augenblicklich erlosch das Licht, und ich sah nichts mehr als Schwärze. Doch zum Glück hatte ich noch meine Taschenlampe, mit der ich dorthin leuchtete, wo der Mann eben noch gestanden hatte.

Langsam richtete ich mich auf und ging auf ihn (oder vielmehr seine Reste) zu. Mehr als ein großer Haufen Asche war von meinem Informanten nicht übrig geblieben.

Nun ja, wenigstens hatte das Flackern jetzt ein Ende gefunden. Hätte der Mann früher auf mich gehört, wäre er wahrscheinlich nicht mit dem Flackerlicht ins Leuchtennirwana eingegangen.

Immerhin hatte ich einige wichtige Informationen erhalten. Das war für mich Grund genug, mir eine Erfolgszigarre anzuzünden, während ich mich auf dem Weg zurück machte.

Copyright © 2008 by Raphael Marques