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Das Pfarrhaus von Borley

Über den vergessenen, verfallenen Gräbern und der kleinen Kirche wirft der Mond bizarre Lichtreflexe, die wie Geister aussehen, die sich im Takt zu lautloser Musik wiegen. Das einstige Pfarrhaus ist nur mehr ein Haufen Ziegel, von Moos und Unkraut überwuchert. Zwischen den Gräbern schweben Schatten, denen man nachts besser nicht begegnet. Schreie … oder doch nur das Seufzen des Windes?
Zwischen Suffolk und Essex liegt der kleine Ort Borley.
Reverend Henry Bull ließ 1863 ein Pfarrhaus errichten, laut Legende auf einem einstigen mittelalterlichen Mönchskloster. Man erzählte, dass einer der Mönche eine Liaison mit einer Nonne aus dem benachbarten Nonnenkloster Bures unterhielt. Wegen dieses Verstoßes hauchte der Mönch sein Leben am Galgen aus, die Nonne wurde lebendig eingemauert. Von diesem Zeitpunkt an sah man den Geist der Nonne an dem Platz, wo sie ihren schrecklichen Tod gefunden hatte. Das neue Pfarrhaus, das genau an diesem Platz errichtet wurde, erregte ihr Missfallen. Sie zeigte sich den Hausbewohnern und tyrannisierte sie mit Poltergeist-Aktionen. Familie Bull gewöhnte sich an die Erscheinungen und 1892 trat Reverend Bulls Sohn Harry dessen Nachfolge an. Manche Bedienstete weigerten sich, in bestimmten Räumen zu arbeiten, wo die Geisternonne häufig erschien. Das Haus hatte einen so schlechten Ruf, dass nach Reverend Harry Bulls Tod 1927 mehrere Geistliche das angebotene Amt des Pfarrers in der Gemeinde Borley ablehnten. Ein Jahr später bezogen Reverend Smith und seine Frau das Gebäude, die dem Spuk skeptisch gegenüberstanden. Die Geisternonne ging wieder auf Wanderschaft. Diesmal wurde sie von Harry Bulls Geist begleitet. Ein Artikel im Daily Mirror begeisterte den Parapsychologen Harry Price, der das Pfarrhaus besuchte. Er leitete eine Untersuchung ein, die die kleine Gemeinde in das Rampenlicht der Öffentlichkeit katapultierte. Die Geister reagierten erbost mit Spukerscheinungen, zerbrochenen Fensterscheiben und Haushaltsgegenständen, die durch die Luft flogen. Reverend Smith und seine Frau zogen aus und erst nach mehr als einem Jahr fand sich Reverend Lionel Algernon Foyster bereit, in das Pfarrhaus zu ziehen. Er wurde sofort mit Spukerscheinungen willkommen geheißen. Die Geister schienen Gefallen an seiner Frau Marianne zu haben. Krakelige Botschaften an den Wänden baten Marianne um Hilfe. Marianne und ihre Tochter Adelaide fühlten sich bedroht.

Als 1937 Reverend Foyster auszog, mietete Harry Price das Haus für ein Jahr, um es für Forschungszwecke zu nutzen. Auf seine Zeitungsannonce hin meldeten sich viele freiwillige Helfer und er wählte einige für das Projekt aus. Bei spiritistischen Sitzungen erzählte ihnen ein Geist, dass die Leichen einer Nonne und eines Mönchs im Garten vergraben seien. Ein anderer Geist behauptete, die Nonne gewesen zu sein, die im Keller vergraben wurde. Ein Geist, der sich Sunex Amarus nannte, warnte, dass in derselben Nacht das Haus abbrennen würde. Doch es geschah nichts.
Price verließ nach einem Jahr das Pfarrhaus und ein neuer Mieter zog ein. Captain Gregson befand sich am 27. Februar 1939 im Wohnzimmer, als ein Bücherstapel umfiel, der eine Parafinlampe zum Umkippen brachte und das Haus in Brand steckte. Mehreren Augenzeugen zufolge waren in den Flammen gespenstische Gestalten zu sehen. Vier Jahre später kehrte Price zurück und fand bei Ausgrabungen einen Meter unter den abgebrannten Überresten die Gebeine einer Frau. Price ist bei Parapsychologen umstritten. Manche halten ihn für einen Schwindler, der nur Publicity wollte.

Über Marianne Foyster, als Mary Anne Shaw 1899 geboren, wurde ebenfalls viel spekuliert. Sie ging mehrere Ehen mit wesentlich älteren Männern ein, denen sie Schwangerschaften vortäuschte, um ein Ehegelübde zu erschwindeln. Sie fälschte ihre Papiere und verjüngte sich um 10 Jahre. 1933 brachte sie einen Jungen zur Welt, der wenige Monate nach der Geburt starb. Möglicherweise stammte das Kind von einem Untermieter, mit dem sie eine Affäre hatte. Im Laufe der Jahre erhielt sie von der Presse den zweifelhaften Ruf der »Witwe von Borley«. Als Price in seinem ersten Buch Marianne als talentiertes Medium beschrieb, zog sie von Borley fort. Möglicherweise aus Angst, als Schwindlerin entlarvt zu werden. Der Parapsychologe Trevor Hall beschuldigte sie, für die Phänomene mit Price zusammen verantwortlich zu sein. Sie entkräftete die Anschuldigungen und zog in die USA, wo sie als Sozialarbeiterin tätig war. Bis zu ihrem Tod 1992 nahm sie zu den Ereignissen in Borley nie Stellung.

Auch wenn Price ein Schwindler war, so gibt es die Berichte der jeweiligen Pfarrer, die das Pfarrhaus bewohnten, und die der Bediensteten. Viele haben die Nonne auf ihren nächtlichen »Nun’s Walk« gesehen und Besucher der Gegenwart erzählen von seltsamen Erscheinungen. Aus dem Inneren der leeren Kirche hörten Forscher Schritte, Klopfgeräusche und Schreie. Die meisten Dorfbewohner sind sehr verschlossen, was dieses Thema anbelangt. Wer jemals in diese Ecke Großbritanniens kommt, sollte unbedingt der kleinen Gemeinde Borley einen Besuch abstatten und sich selbst davon überzeugen, ob etwas Wahres dran ist.

Text- und Bildquellen:

Copyright © 2012 by Andrea Hoch