Jimmy Spider – Folge 1
Jimmy Spider und der Tunnel des Schreckens
Die Höhle war düster – zu düster, für meinen Geschmack. An den Seiten zeugten noch die Hackspuren davon, dass hier einmal gearbeitet worden war. Ohne meine Neonlampen hätte ich mich hier in der Höhle wohl verlaufen.
Na ja, eigentlich war es mehr ein Tunnel, der einst von Bergarbeitern gegraben worden war, um etwas abzubauen. Was? Gute Frage, da müsste ich mal meinen Reiseführer fragen. Das tat ich dann sogleich.
Ich – das bin ich, Jimmy Spider, Agent des TCA, einer sehr mysteriösen Geheimorganisation, die sich mit anormalen Phänomenen (das haben Phänomene wohl so an sich), seltsamen Vorkommnissen, unglaublichen Tatsachen, wahnsinnigen Superverbrechern, gläubigen Unglaubnissen und … eben allem beschäftigte, bei dem sich gerade niemand sonst die Finger schmutzig machen wollte.
Ehrlich gesagt, ich auch nicht. Deshalb bevorzugte ich es stets, weiße Handschuhe zu tragen. Weiß war bekanntlich die Farbe der Unschuld, aber ob die Handschuhe wirklich unschuldig waren, musste sich erst noch herausstellen.
Durchtrainiert war ich, aber dann doch kein wandelndes Muskelpaket, sondern nur gut gebaut. Meine schwarzen Lockenhaare trug ich nie weiter als bis zum Nacken. Sie fielen mir auch nicht ins Gesicht, sodass mein fein geschnittenes Gesicht mit den blauen Augen und der fast schon weiblichen Nase bestens zur Geltung kam. Schließlich ging es mir auch darum, potenzielle feministische Gegner auf meine Seite zu ziehen – und nicht nur dorthin, wenn sie verstehen, was ich meine. Dazu passte auch mein schwarzer Anzug, den ich stets bei Aufträgen zu tragen pflegte. Zur Dekoration lugte ein Monokel aus der rechten Brusttasche hervor, aus der linken sah man die Kette meiner goldenen Taschenuhr hängen. Zusätzlich trug ich immer schwarze Seidenhosen und edle Lederschuhe. Gut versteckt unter meiner Kleidung befand sich außerdem meine Desert Eagle (eine Pistole, für alle, die es nicht wissen), besser gesagt die Desert Eagle, denn sie ist die erste, die jemals angefertigt wurde. Ich hatte sie einst von meinem leider verblichenen Vater geerbt, dem man sie einst geschenkt hatte. Seltsam, obwohl ich mir als kleiner Junge stets eine Waffe gewünscht hatte, lag nie eine unter dem Weihnachtsbaum.
Ob er es jetzt wohl besser hatte?
Wie dem auch sei, mein Begleiter hieß Iwan Sergalipolomonow, doch er hatte mir angeboten, ihn Polo zu nennen. Der Ärmste. Er trug noch immer die graue Wollmütze und die ebenso graue Wolljacke wie auch die grauen Wollhandschuhe und … eigentlich war alles an ihm grau. Er war vierundvierzig Jahre alt – irgendwie auch ein graues Alter. Ebenso grau schien die Haut seines Gesichtes, in das sich Falten, so tief wie die Niagarafälle, eingegraben hatten.
Nun, eigentlich war ich der Begleiter, und nicht er. Meine einzige Aufgabe bestand darin, ihn zu begleiten. Manchmal konnte das Leben doch so einfach sein. Mein Chef hatte mir nur aufgetragen, ihn so weit wie möglich zu begleiten. Angeblich sollten in diesem Tunnel mitten im Nirgendwo – auch Sibirien genannt – irgendwelche Schrecken lauern.
So weit, so schlecht.
»Ähm, Polo?«
»Ja, Sir?«
»Jimmy Spider.«
»Bitte?«
»Ich heiße Jimmy Spider. Nennen Sie mich ruhig Mr. Spider.«
»Ja, Sir.«
»Gut … ähm, was war noch mal?«
»Sie wollten mich etwas fragen, nehme ich an, Sir.«
»Mr. Spider!«
»Nein, ich heiße Polo.«
»Schon klar. Sei’s drum … was wurde hier noch mal abgebaut?«
»In dem Tunnel?«
»Nein, auf dem Golfplatz gegenüber.«
»Hier gibt es keinen Golfplatz, Sir.«
»Mr. Spider!«
»Weiß ich doch, Sir. Meinen Sie den Tunnel?«
»Ja …«
Etwas klackte.
»Ähm, das war … ahhhhhh!«
»Kenne ich nicht.«
»Nein, Sir. Sehen Sie doch!«
Ich sah es. Eine runde metallische Scheibe mit äußerst spitzen Spitzen, die den Rand bildeten, schob sich aus der Tunneldecke – direkt vor uns. Das Neonlicht meiner Lampe spiegelte sich an dem blank poliert wirkenden Seiten der Scheibe. Ob das einer der Schrecken hier war?
Polo stieß mir gegen die Brust.
»Laufen Sie, Sir!«
»Mr. Spider!«
»Und wenn Sie der Papst wären, laufen Sie!«
Ich sprintete los, hinter mir lief Polo, gefolgt von einer rollenden, tollwütigen Metallscheibe.
Kein einziges Mal sah ich mich um. Die Tunnelwände schienen zu verschmelzen, als ich an ihnen vorbeiraste.
Hinter mir schrie Polo auf.
»Was ist los, Polo? Können Sie nicht mehr?«
»Nein … harrghh … dieses verfluchte Ding nagt an meinem Allerwertesten. Oh Gott – arrrgrghgh!«
Hinter mir entstand ein Laut, als würde gerade eine Dokumentation über Kettensägen laufen. Ich blickte noch einmal zurück und lief kurz rückwärts. Da sah ich die Bescherung: Polo gab es nun zweimal. Allerdings würde er mit zwei Körperhälften nicht mehr viel Freude am Leben haben. Armer Kerl.
Jetzt musste ich mich erst mal um mich selbst kümmern. Die Scheibe war offenbar noch nicht satt, und ich bot das beste Ziel.
Ich lief weiter und weiter, und weiter und weiter, bis auch mir irgendwann die Puste ausging.
Warum lief ich eigentlich ständig vor dem vermaledeiten Ding her?
Gedankenschnell wich ich der Metallscheibe aus und presste mich an die Tunnelwand. Das mörderische Ding rauschte an mir vorbei und ward nie mehr gesehen.
Ich atmete noch einmal tief durch. Mein Auftrag war ausgeführt. Ich sollte Polo nur so weit wie möglich begleiten. Bis in den Tod wollte ich das, bei aller Liebe, nicht tun.
Meine Arbeit hier war erledigt. Um die anderen Schrecken konnte sich ja ein anderer kümmern. Zufrieden strich ich mir den angesammelten Dreck von meinem Anzug. Danach öffnete ich ihn und griff in eine der Innentaschen. Leider eine Niete. Nichts mehr da.
Wo waren nur die kubanischen Zigarren immer, wenn man sie mal brauchte?
Copyright © 2008 by Raphael Marques