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Westernkurier 10/2012

Auf ein Wort, Stranger,
wer sich ein umfassendes und historisches Bild über den Wilden Westens machen will, wird schnell feststellen, dass sich dieser de facto nicht nur auf die Plains und die Prärien im Westen der USA beschränkt, sondern dass dazu eigentlich auch der Goldrausch in Alaska, die Besiedelung Kanadas sowie die Revolutionen und Kriege Mexikos, an denen auch unzählige Amerikaner beteiligt waren, genauso dazugehören wie Roosevelts Rough Riders in Kuba, das Ende von Butch Cassidy und Sundance Kid in Bolivien oder die Cangaceiros in Brasilien.
Deshalb widmet sich der Westernkurier in unregelmäßigen Abständen auch immer wieder einmal solchen Themen, die doch ziemlich abseits des Mainstreams von Cowboys, Sheriffs und Banditen liegen.

In dieser Ausgabe ist Kanada das Thema und hier im Speziellen ein Begriff, der auch heute noch in der westlichen Welt vielen bekannt sein dürfte. Die Rede ist von der North West Mounted Police, besser bekannt als Rotröcke oder Mounties.
Ihre Geschichte begann um 1872, als Alexander Morris, der Vizegouverneur der Provinz Manitoba, in der Öffentlichkeit vehement auf die Probleme der zentralkanadischen Prärie aufmerksam machte, die in immer größer werdendem Maße von amerikanischen Gesetzlosen, unruhigen Indianern und nach Westen drängenden Siedlern überschwemmt wurde.
Obwohl der Regierung in Ottawa bewusst war, dass ein Land von der Größe Kanadas unbedingt auch eine bundesweit operierende Polizei benötigte, ließ man sich hierbei jahrelang Zeit und verabschiedete das Gesetz dazu erst im Mai 1873.
Ende jenes besagten Monats kam es jedoch in den Cypress Hills nahe der Grenze zu den Vereinigten Staaten zu einem Zwischenfall, welcher die kanadische Regierung veranlasste, solch eine Behörde binnen weniger Wochen aus dem Boden zu stampfen.
Pelzjäger, Pferdediebe, Whiskyschmuggler und betrunkene Indianer hatten sich dort ein Feuergefecht geliefert, an dessen Ende der Boden mit über dreißig Toten bedeckt war.
Bereits im Frühjahr 1874 begannen die Mounties, eben jene Polizisten, in sechs Abteilungen per Schiff, Zug und Pferd ihren 1400 Kilometer langen Weg nach Westen, um das scheinbar endlose Land zu befrieden.

Es muss Abenteuerlust gewesen sein, welche die Männer veranlasst hatte, Mountie zu werden, denn reich werden konnte man als solcher nicht. Ein Subconstable, der Dienstgrad der meisten Freiwilligen bekam 75 Cent am Tag, ein Constable einen Dollar und ein Inspector, wovon es sechs gab, für jede Abteilung einen, bekam ein Jahressalär von 1400 Dollar.
Dennoch meldeten sich über 1500 Männer für die 300 zu besetzenden Stellen.
Ihr Motto war und ist noch heute, Maintien le Droit (Wahre das Recht).
Obwohl man am Anfang keinen rostigen Cent auf das Überleben der Truppe setzte, gelang es diesen Männern dennoch, allen Widrigkeiten zum Trotz der Regierung bereits ein Jahr später das riesige Territorium relativ gesetzestreu und politisch stabil zu übergeben.
Dabei waren die Befürchtungen gar nicht einmal so weit hergeholt.
Jeder halbwegs vernünftige Mensch wusste, dass die Whiskyhändler und Gesetzlose, die zu Dutzenden über die Grenze gekommen waren, sich ihr profitables Geschäft mit den Indianern bestimmt nicht zerstören lassen würden und sich garantiert zur Wehr setzten, genauso wie die wilden Indianerstämme Kanadas, allen voran die Blackfoot-Konföderation mit Häuptling Crowfoot an der Spitze und ihre weitläufigen Verwandten, die Sioux, die sich mit der US-Army so blutige Kämpfe geliefert hatten, sich höchstwahrscheinlich der Gesetzesgewalt einer Handvoll Männer kaum beugen würden. In den Augen der Öffentlichkeit waren amerikanische Verhältnisse wie sie jenseits der Grenze herrschten vorprogrammiert.
Beinahe täglich war in den Zeitungen dort von Indianerkriegen, Schießereien mit Banditen, Lynchjustiz, Mord und Totschlag zu lesen.
Überraschenderweise sah die Realität im Wilden Westen von Kanada aber ganz anders aus.
Gewiss waren Probleme mit Weißen und roten Unruhestifter nicht zu vermeiden, doch den Mounties gelang es, diese auf eine ganz eigene Art zu meistern.

Beherrschten jenseits der Grenze wild um sich schießende US-Marshals oder die säbelschwingende US-Cavalry das Szenarium, traten die Mounties bei derartigen Konflikten ganz anders auf.
In ihren roten Uniformröcken und bis in die Knochen hinein erfüllt mit dem Britisch Way of Life erzielten sie durch ihre bloße Anwesenheit und ihre Überzeugungskraft weitaus größere Erfolge im Kampf gegen das Verbrechen als auf der anderen Seite der Grenze hundert Mal mehr an Soldaten und Sternträger durch ihre Gewaltanwendung.
Gerade weil sie ihre Siege ohne Blutvergießen und Gewalt erzielten, rankten sich schon bald unzählige Legenden um die Mounties.
Dabei waren sie ebenfalls nur Menschen wie du und ich, deren Geschichte wie die so vieler Helden der amerikanischen Pionierzeit auch nur aus Überraschungen, Glücksfällen, Enttäuschungen und ganz gewöhnlicher Mühsal bestand.
Es gab allerdings einige Männer, deren Taten tatsächlich als Stoff geeignet waren, aus dem man Legenden strickt. Im Falle der Mounties war dies ein ehemaliger, britischer Armeeoffizier mit dem ungewöhnlichen Namen Alick Pennycuick.
Man nannte ihn auch den Sherlock Holmes der Mounties.
Geboren im Dezember 1867 in Indien wuchs er in England auf und emigrierte nach Kanada, wo er am 22. Februar 1893 als junger Mann, Mitte zwanzig, mit der Regimentsnummer 2868 in den Dienst der Mounties eintrat.
Der inzwischen über dreißigjährige Pennycuick versah bereits seit mehreren Jahren seinen Dienst bei den Mounties, als er Anfang 1900 den Auftrag erhielt, das Verschwinden dreier wohlhabender Reisender aufzuklären, die seit elf Tagen auf dem Yukon Trail verschwunden waren. Sehr schnell fiel sein Verdacht auf George O´Brien, einen in dieser Gegend lebenden ehemaligen Zuchthäusler.
Aber es gab zunächst kaum handfeste Beweise für dessen Täterschaft.
Pennycuick und ein Helfer suchten daraufhin mitten im strengen kanadischen Winter bei Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt ein Gebiet von über 100 Quadratkilometern Größe entlang des Trails ab. Als sie eines Tages an einer Stelle forschten, die geradezu für einen Hinterhalt prädestiniert war, fiel ihnen auf, dass einer ihrer Schlittenhunde ständig im Schnee scharrte. Pennycuick grub an der Stelle nach und entdeckte einen Blutfleck.
Daraufhin ließ er O´Briens Hund holen, zeigte ihm das Blut und ließ ihn laufen. Das Tier rannte geradewegs zu einem verlassenen Lagerplatz am Yukon. Nach sechswöchiger Suche im Schnee fand der Mountie dort die Beweise, die er brauchte.
Kleidungsreste, leere Patronenhülsen und Stücke von Mokassins, die handgearbeitet und damit viel zu teuer waren, um sie einfach wegzuwerfen. Kurz darauf entdeckte er auf dem zugefrorenen Fluss eine Stelle, wo das Eis aufgehackt war. Die weitere Suche förderte ein Schädelstück und einen abgebrochenen Zahn zutage, in dem eine Kugel eingebettet war.
O´Brien kam in Haft.
Nach der Eisschmelze im Frühjahr wurden an dieser Stelle drei Leichen angeschwemmt. In einer der Leichen steckte im Kiefer ein Zahnstumpf, der trotz der Kugel genau mit dem am Lagerplatz entdeckten Zahn zusammenpasste. O´Brien wurde vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt.
Zwei Jahre danach, in denen Pennycuick selbst bei Bagatellfällen wie Viehdiebstahl, Ehebruch und Wirtshausschlägereien immer noch mit einer geradezu sensationellen Aufklärungsquote glänzen konnte, löste er erneut einen Fall, der wochenlang sowohl die Öffentlichkeit als auch die Presse gleichermaßen beschäftigt hatte.
J. R. Belt, ein Rancher aus Calgary war verschwunden und der einzige Verdächtige war ein zwielichtiger Amerikaner namens Ernest Cashel, den Belt kurz vor seinem Verschwinden bei sich aufgenommen hatte.
Pennycuick fand ziemlich schnell heraus, dass dieser in einer Siedlung nahe Calgary eine Wohnung unterhielt und entdeckte dort eine zu Belt gehörende Jacke. Das dazu passende Hemd trug Cashel bei seiner Verhaftung.
Im Rahmen seiner Ermittlungen erfuhr Pennycuick auch, dass Cashel ein Goldzertifikat herumgezeigt hatte, welches mit dem aus Belts Haus identisch war.
Den endgültigen Beweis lieferte das Auffinden von Belts Leiche, in der noch eine Kugel aus Cashels Pistole steckte.
Diese und andere Leistungen begründeten Pennycuicks Ruf als Helden.
Aber das wahre Leben lehrt uns, dass auch Helden nicht unsterblich sind.
Alick Pennycuick wurde nicht einmal 42 Jahre alt. Er verstarb am 25. September 1908 in Cranbrook im Bundesstaat British Columbia an den Folgen einer Lungenentzündung.
Am 1. Februar 1920 wurde die North West Mounted Police zusammen mit der Dominion Police, die bisher im Osten bundespolizeiliche Aufgaben wahrgenommen hatte, zusammengelegt und in die Royal Canadian Mounted Police, kurz RCMP, umbenannt.
Heute umfasst diese Polizeibehörde circa 29 000 Bedienstete, 9000 Reservisten und fast die gleiche Anzahl an Fahrzeugen, von denen knapp 6000 davon Streifenwagen sind, der Rest ein halbes Hundert an Flugzeugen und Helikoptern sowie unzählige Schneemobile.
Wer die Kriminalstatistiken Kanadas mit denen der USA vergleicht, natürlich immer proportional per Einwohner gesehen, wird feststellen, dass zwischen Quebec und Vancouver noch heute der Grundsatz Maintien le Droit Geltung hat.

In diesem Sinne,
euer Slaterman

Quellen:

  • Ogden Tanner: The Old West: The Canadians, Time-Life Books, 1977
  • www.rcmp-grc.gc.ca
  • Archiv des Autors

PS:
Wer mehr zu diesem Thema wissen will, dem sei das Buch Canada – More than Mounties and Lumberjacks ISBN 978-3-14-040082-4 zu empfehlen und die demnächst im Geisterspiegel als Band 6 in der Reihe Wilder Westen erscheinende Erzählung Die Stunde der Rotröcke, eine Novelle nach historischen Tatsachen aus der Feder von Kendall Kane.

Copyright © 2012 by Slaterman

2 Antworten auf Westernkurier 10/2012