Ein Hörbuch-Experiment
 

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Secret Service Band 3 – Kapitel 9

Francis Worcester Doughty
Secret Service No. 3
Old and Young King Brady Detectives
The Bradys after a million
Oder: Ihre Verfolgungsjagd zur Rettung einer Erbin
Eine interessante Detektivgeschichte aus dem Jahr 1899, niedergeschrieben von einem New Yorker Detective

Wer kennt ihn nicht, den berühmten Detektiv Old King Brady, der mehr Rätsel gelöst hat als jeder andere Detektiv, von dem man je gehört hat.

In der Reihe der Geschichten, die in SECRET SERVICE veröffentlicht werden, wird ihm ein junger Mann zur Seite stehen, der als Young King Brady bekannt ist und dessen einziges Lebensziel darin besteht, Old King Brady darin zu übertreffen, gefährliche Fälle aufzuklären und die Verbrecher zur Strecke zu bringen. Wie gut ihm dies gelingt, wird in den folgenden, im SECRET SERVICE veröffentlichten Geschichten ausführlich geschildert.

Kapitel 9

Ein langer Weg

Old King Brady hatte übersehen, dass eine Tür die beiden Räume verband.

Sie war so bündig in die Trennwand eingelassen, dass ein flüchtiger Blick sie kaum entdecken konnte. Doch bei genauerem Hinsehen war sie nicht zu übersehen. Die Raufbolde waren aufgestanden und schlenderten durch den Raum.

Plötzlich öffnete sich die Trenntür.

Das Licht einer Lampe durchflutete den Raum. Derjenige, der sie geöffnet hatte, stand einen Augenblick in der Tür.

Er hatte den Kopf gedreht und sprach mit den anderen im Raum. Genau das war es, was Old King Brady rettete.

Zu diesem Zeitpunkt hatte er sich schon verloren geglaubt.

Aber da der Raufbold nicht sofort ins Zimmer schaute, konnte der Detektiv gerade noch schnell und leise in den Flur schlüpfen.

Er kam allerdings vom Regen in die Traufe, was die Entdeckung betraf. Aber seine Chancen, zu entkommen, waren natürlich besser.

Denn nun öffnete sich die Tür zum Flur und ließ auch dort einen Lichtschein herein.

Zwei der Bande kamen heraus.

Sie verabschiedeten sich von den anderen und gingen den Gang entlang. Der Detektiv drückte sich in den Schatten einer Ecke.

»Sag mal, Sharkey, du und Danton müsst heute Abend zu Meg. Hast du verstanden?«

Es war McCues Stimme.

»In Ordnung«, antwortete O’Shane.

»Wir treffen uns morgen Nachmittag wieder. Mach dich bereit!«

»In Ordnung!«

Die beiden Schurken, O’Shane und Danton, gingen an Old King Brady vorbei, ohne ihn zu bemerken.

Es war eine knappe Angelegenheit.

Sie gingen die Treppe hinunter.

Der Detektiv zögerte. Sollte er ihnen folgen oder zurückbleiben, um den Rest der Bande zu beobachten?

In diesem Moment sehnte er sich nach Young King Brady. Er entschied sich und begann leise die Treppe hinunterzugehen.

Es war schwierig, den beiden Männern zu folgen, ohne aufzufallen. Aber es gelang ihm.

O’Shane und Danton traten auf die Straße hinaus.

Old King Brady sah sich nach Young King Brady um. Aber der junge Detektiv kam nicht.

Nun, dachte Old King Brady, es muss so bleiben. Ich kann es mir nicht leisten, diese Spur zu verlieren.

Er wusste, dass sie auf dem Weg zu Meg Pierce’ Versteck waren, wo Gladys Baron gefangen gehalten wurde.

Old King Bradys oberstes Ziel war es, die Tochter des Millionärs so schnell wie möglich zu retten. Er glaubte, dies sei seine erste Pflicht.

Deshalb wagte er es nicht, die Fährte zu verlieren, um Young King Brady zu sehen.

Er verfolgte O’Shane und Danton weiter. Sie bogen in den Dock Square ein.

Old King Brady folgte ihnen durch verschiedene Straßen, bis sie die Atlantic Avenue erreichten.

Hier betraten die beiden Schurken das Fährhaus, von wo aus man die Revere Beach und Lynn Railroad erreichen konnte. Sie bestiegen die Fähre.

Der Detektiv folgte ihnen dicht auf den Fersen. Doch als die Fähre den Anleger verließ, versteckte sich der alte Detektiv in einem dunklen Schatten hinter einem Fahrzeug auf der Zufahrt zur Fähre und veränderte sein Aussehen.

Indem er geschickt seinen Mantel nach innen drehte und die Heilsarmeekappe durch seinen eigenen weichen Filzhut ersetzte, wurde er wieder zu Old King Brady. Er hielt sich aus dem Blickfeld der beiden Schurken.

Aber als sie die Fähre nach Revere Beach bestiegen, war er dicht hinter ihnen. Bald glitt die Fähre durch die Sümpfe von Saugus. In der Nähe der großen Staatsstraße, die hier eine prächtige Allee bildet, liegt ein bei Campern und Strandgängern beliebter Ausflugsort, der als Point of Pines bekannt ist.

Das Schiff hielt an dem kleinen Anleger, und O’Shane und Danton stiegen aus. Der Detektiv tat es ihnen gleich.

Die Pavillons und Tanzsäle des Ausflugsortes waren hell erleuchtet. Musik wehte durch die Luft, und die Menschen drängten sich auf den beleuchteten Plätzen.

Die beiden Bösewichte aber zogen an dem Ort vorbei und machten sich in der Dunkelheit auf den Weg entlang der Küste. Das dumpfe Rauschen der Wellen lag ihnen fast zu Füßen. Sie gingen eine Weile.

Dann musste Old King Brady eine schwere Enttäuschung hinnehmen. Er verlor sie aus den Augen.

Vergeblich suchte er. Seine besten Bemühungen führten ihn nur zum Wasser eines kleinen Baches, der sich weit durch die tückischen Sümpfe zog.

Der Bach war breit, tief und schlammig. Es war unmöglich, ihn zu durchwaten.

Es gab keine Brücke oder andere sichtbare Möglichkeit, ihn zu überqueren. Auf der einen Seite der Morast der Sümpfe, auf der anderen Seite das tosende Meer.

Es gab nur eine logische Lösung für das Problem.

Entweder hatten sie ein Boot benutzt, um den Bach zu überqueren, oder sie waren in die Bucht hinausgerudert. Auf jeden Fall konnte der Detektiv ihnen nicht folgen. Er war zum Stillstand gekommen.

Das war eine bittere Pille für Old King Brady. Er war zutiefst verärgert.

Aber weit und breit war kein Boot zu sehen, und selbst wenn, hätte er nicht gewusst, in welche Richtung er rudern sollte, um den Schurken auf die Spur zu kommen.

Langsam sah es so aus, als würde Loyd Barons Tochter in dieser Nacht nicht gerettet werden. Doch während er vergeblich darüber nachdachte, hörte Old King Brady einen leisen Pfiff.

Es schien aus der Tiefe des Sumpfes zu kommen.

Dann ertönte dumpfes Stimmengemurmel und eine Tür wurde gewaltsam zugeschlagen. Dem Detektiv kribbelten die Nerven.

»Da sind sie!«, murmelte er.

Seine scharfen Ohren hatten die Geräusche geortet. Er bahnte sich einen Weg durch das Sumpfgras und stieß plötzlich mit dem Fuß gegen ein Brett.

Da bemerkte er, was er vorher übersehen hatte.

Es war ein Bohlenweg, der durch das Sumpfgras führte. Sofort folgte er ihm.

Hundert Meter ging er ihn entlang, bis er zu einer kleinen Insel im Sumpf kam. Bei Hochwasser musste diese Insel völlig umschlossen sein. Dort standen ein paar lichte Bäume und eine baufällige Hütte. Im Fenster der Hütte brannte ein Licht. Vorsichtig näherte sich der Detektiv.

Bald hatte er das schmutzige Fenster erreicht. Es schien die Behausung eines Küstennomaden zu sein, der sich seinen Lebensunterhalt mit Muscheln oder Wrackteilen verdiente. Viele solcher Menschen lebten verstreut an der Küste.

Old King Brady hörte Stimmen in der Hütte murmeln. Er schlich sich an das Fenster der Hütte und spähte vorsichtig hinein. Was sich ihm bot, ließ ihn erschaudern.

Drei Personen hielten sich in der Hütte auf. Zwei davon waren O’Shane und Danton. Die dritte Person war eine Frau, Meg Pierce. Die Hütte war einfach eingerichtet, an den Wänden und Dachsparren hingen Fischer- und Schleppnetze. In einem klapprigen Ofen flackerte ein Feuer, um das herum das gebeugte Trio saß, rauchte und sich unterhielt.

Der alte Detektiv hörte jedes Wort. Was er vernahm, war für ihn eine aufregende Offenbarung. Er fühlte einen Triumph, denn er sah die Belohnung von einer Million schon vor sich.

»Sind die Jungs also von Liscomb abgewichen?«, fragte Meg Pierce mit ihrer schrillen Stimme. Sie zündete ihre Pfeife an und paffte stoisch.

»Man kann es ihnen nicht verübeln«, bestätigte Danton fluchend. »Er ist eine falsche Hyäne. Er arbeitet nur für Liscomb und wird uns fallen lassen, wann immer es ihm passt.«

»Du hast recht«, stimmte O’Shane zu.

»Hm!«, sagte die alte Hexe. »Das mag sein, aber ich bin wegen des Geldes bei diesem Geschäft dabei. Ich habe viel riskiert, um das Mädchen zu kriegen. Die Fahnder waren mir dicht auf den Fersen.«

»Hier bist du sicher genug!«

»Das mag man meinen. Aber es gibt diese King Bradys. Die haben Augen im Hinterkopf. Und die sind mir dicht auf den Fersen. Ich bleibe nur noch einen Tag hier.«

»Du hast nicht gehört, was die Big Six vorhat«, sagte Danton.

»Was?«, rief Meg. »Wollt ihr wirklich Liscomb loswerden?«

»Ja.«

»Aber was ist mit dem Mädchen?«

»Ihr Vater hat eine satte Million für ihre Rückkehr geboten!«

Meg Pierce ließ ihre Pfeife fallen und sah den Sprecher an. Ihr verbrecherisch verhärtetes Gesicht wurde länger, und ihre Augen funkelten wie Perlen.

»Was?«, rief sie mit veränderter Stimme. »Eine Million für das Mädchen? Kann er das bezahlen?«

»Er ist drei bis vier Millionen schwer.«

Die Frau atmete tief und schwer.

»Und ich habe das Mädchen«, sagte sie wie zu sich selbst. »Eine Million ist sehr viel Geld. Was hält mich davon ab?«

Sie zog einen glänzenden Revolver aus ihrer Bluse. Die beiden Schurken sprangen auf.

»Hände hoch!«

Beide hoben die Hände.

»Was hast du vor, Meg?«, sagte Danton wütend. »Du kannst die Million doch nicht allein für dich beanspruchen. Außerdem brauchst du gar nicht so viel Geld. Die Big Six wird dir genügen. Aber es muss eine gerechte Aufteilung geben.«

Der Blick der Frau war undurchdringlich.

»Unter uns sieben?«, fragte sie.

»Ja.«

»Ist das gerecht?«

»Ehrlich!«

Meg Pierce ließ die Pistole sinken. Sie hob ihre Pfeife auf und zündete sie wieder an. Dann saß sie einige Augenblicke über dem Feuer und summte vor sich hin.

»In Ordnung«, sagte sie schließlich. »Es ist abgemacht. Wir werden Liscomb los. Aber das Mädchen – sie steht noch unter seinem Einfluss.«

»Ist sie noch da?«, fragte Danton.

Meg Pierce drehte sich um und pfiff.

»Hier, mein zartes Lämmchen«, rief sie. »Komm aus deinem Versteck. Wir wollen dich sehen. Komm, sage ich!«

Ein Geräusch ertönte aus dem inneren Raum. Dann teilte sich ein Vorhang aus Segeltuch und eine Vision erschien. Es war wie eine leuchtende Perle in einem Sumpf von Schweinen.

Gladys Baron trat wie schlafwandlerisch in die Mitte der Gauner.

Ihr blondes Haar fiel ihr über die teilweise entblößten Schultern. Ihr hübsches Gesicht war blass wie Marmor, und ihre Augen wirkten seltsam leer.

Sie streckte die Hände aus, als wollte sie den Weg ertasten. Der Bann des hypnotischen Dämons lag noch auf ihr.