Die Kreuzfahrer – Erster Band – 6. Kapitel
Felix Dahn
Die Kreuzfahrer
Erzählung aus dem 13. Jahrhundert
Verlag Otto Janke, Berlin, 1884
Erster Band, Erstes Buch
Am Saum der Wüste
Sechstes Kapitel
»Heil euch tapferen Männern mit dem schwarzen Kreuz auf dem weißen Mantel!«, rief Friedmuth begeistert. »Groß ist euer Ruhm bei Christen und Heiden. Oft habe ich euch bei der Arbeit gesehen: am Bett der Pestkranken in eurem Haus zu Akkon oder auf glühenden Wüstenwegen als Begleiter der Pilger, im Kampf mit zehnfacher Übermacht!«
»Doch erst seit Herr Hermann sie führt, kommen die deutschen Herren zu dem längst verdienten Ansehen: Der Papst hat sie neuerdings den Templern und Hospitalitern gleichgestellt.«
»Ja, seit wann? Und warum?«, rühmte der Fragsburger mit blitzenden Augen und deutete auf das Schild des Hochmeisters, das an der Zeltstange lehnte. »Weil vor Damiette dieser weise Ratsherr, dieser vorsichtige Herr Hermann, den neidischen Templern so gewaltige Schwerthiebe versetzt hat, dass Papst und Kaiser ihm in das schwarze Kreuz seines Hochmeisterschildes – hier – das goldene Kreuz von Jerusalem gesetzt haben. Das darf kein anderer tragen.«
»Und war es damals, vor neun Jahren«, fragte Herr Walther, »dass der hochmütige Franzose – wie hieß er? Héron?«
»Das war«, antwortete Friedmuth schnell und stolz, »der Connétable Héron de Taillefer-Bréholle.«
»Nicht wahr, er ritt auf Euch zu, senkte seine Lanze und sprach: ›Bei Gott, jetzt will ich an der Loire verkünden, dass die Deutschen das Schwert fast so viel besser führen als wir die Lanze.‹«
»Ja«, sagte der Herr von Salza ruhig. »Ich habe ihn dann sogar sehr höflich zum Lanzenstechen im eroberten Damiette eingeladen und ihn beim dritten Aufruf vom Pferd gestoßen.«
»Und Gott hat Euch von Anfang an wunderbar gesegnet«, meinte Friedmuth. »Was ist der Orden gewachsen, seit vor einem Menschenalter ein paar wackere Bürger aus Lübeck und Bremen im Lager vor Akkon aus einem alten, zerrissenen Segel ein Zelt bauten – das erste deutsche Haus: ohne Balken und Dach! für kranke deutsche Pilger. – für kranke deutsche Pilger. Denn die Templer und Hospitaliter wollten nur Franzosen und Deutsche pflegen und schützen«.
»Ja, die Templer! Meine Ritter haben ein Sprichwort: ›Dem wahren Kreuz hat das Rote mehr geschadet als der Halbmond.‹ Wie musste ich kämpfen gegen die Herren des Tempels, die Söhne des Papstes Innozenz! Nicht einmal den weißen Mantel wollten sie uns tragen lassen! Zuletzt entschied der Papst: Wenigstens aus schlechterem Stoff als der Templer muss unser Mantel sein«.
»Das bringt Euch keine Schande!«, sprach Friedmuth. »Freuden und Prunk sind Euch durch Euer Gelübde versagt: Ihr, Brüder vom deutschen Haus St. Marien, dürft an Sattel und Zaumzeug, an Helm und Schild weder Gold noch Silber noch weltliche Farbe tragen.«
»Papst Innozenz war uns wenig gnädig«, fuhr der Hochmeister fort. »Aber Honorius und jetzt Gregor habe ich allerlei Privilegien abgerungen. Die Staufer dagegen haben uns von jeher hoch geehrt: Herr Heinrich, Herr Philipp und nun sogar der gewaltige Friedrich. Ich habe sogar ein Privileg ausgeschlagen, das er uns angeboten hat«, rief Hermann freudig aus.
»Welches?«
»Dass jeder, der bei uns eintrat, von seinen Geldschulden befreit sein sollte. Ich fürchtete den großen Andrang.«
»Dagegen hat er befohlen«, sagte Friedmuth, »er liebt dich so sehr, dass der Deutschmeister, so oft er an den Hof kommt, er mit sechs Berittenen, des Kaisers Ehrengast sein soll.«
»Gewaltiges habt Ihr hier geleistet, in Krieg und Frieden«, bestätigte Walther. »Und doch ist das alles, fürchte auch ich, wie Ihr gesagt habt, Weizen in der Wüste. Heimat werdet Ihr den Deutschen in diesem Lande nie schaffen. Und je mehr Zeit und Kraft und Blut wir hier vergeuden …«
»Je mehr«, fiel Hermann von Salza ein, »desto mehr entziehen wir unseren nördlichen und östlichen Marken die Heimat, wo die Wenden und andere Slawen, wie sie auch heißen mögen, unsere Bauern bis an die Elbe nicht anders pflügen können als mit Brustpanzer und Lanze. Ich meine, wir hätten an der Elbe, ja über die Elbe hinaus bis an den Wysselstrom, viel dringendere Arbeit als hier zwischen Jordan und Meer.«
»Wie meinst du das?«, fragte Friedmuth ernst und eifrig. »Über die Elbe – an den Wyssula? Von diesem Land will ich mehr sehen! Ein Pilger von dort, auf dem Wege nach Rom, kehrte einst bei uns ein. Er trug einen weißen Rock von Schaffellen, die Wolle nach innen, Schuhe von Holz und Riemen bis über die nackten Knie; vier kurze Holzknüppel steckten in seinem Gürtel. Sein Bischof hatte ihm eine Reise nach Rom zur Buße auferlegt, weil er viele Christen erschlagen hatte: ein heidnischer Pruzzen, ein Häuptling war er gewesen, jetzt war er getauft. Aber wie es der Zufall wollte, donnerte es gerade, als er bei uns war. Da rief er immer wieder »Perkun, Perkun!« und schlug dann ein Kreuz und weinte sehr, dass er den alten Donnergott nicht vergessen könne. Er fing eine Kröte, die auf den Weg sprang. Fast weinend küsste er sie dreimal und ließ sie dann frei. Als ich ihn fragte, sagte er: »Warputus hat die Göttin um Vergebung gebeten, damit Philipp ihr keine Schnecken mehr opfert und sie nicht mehr anbetet: Vater Christian. Wer mag das sein?«
»Das ist Herr Christian, einst Mönch von Oliva, jetzt Bischof von Pruzzenland«, antwortete der Hochmeister.
»Christian hat es Philipp verboten«, fuhr er fort, »aber Warputus liebt die Krötengöttin heute noch mehr als Pater Christian.« Das verstand ich nicht. Da sprach er: ›Warputus hieß ich, weil ich fröhlich war und der Hölle angehörte: Jetzt heiße ich Philippus, da ich dem Himmel angehöre und sehr traurig bin.‹ Dann gab er uns gelbe, undurchsichtige Glaskugeln: Er warf sie auf den Herd, und es entstand ein Rauch, köstlicher als der Weihrauch im Dom zu Brixen. Denn er war gar gutmütig, nur ein wenig einfältig! So konnte er die Tage nur zählen, indem er jeden Abend einen Knoten in seinen Gürtelstrick machte. Was war das für ein Glas?
»Bernstein«, sagte Herr Walther. »Ein wunderbares Gewächs: der goldene Stein des Meeres. Wo die Wellen ihn wegschwemmen, da soll die Welt enden.«
»Noch nicht ganz«, erwiderte Herr Hermann lächelnd.
»Stellt euch vor«, fuhr Friedmuth fort, »er wollte uns weismachen, in seiner Heimat gäbe es Berge, die, wandernd, in Jahrzehnten Hütten und Wälder bedecken und nach langer, langer Zeit woanders hinwandern.«
»Das ist doch nicht wahr?«, sagte Walther.
»Ja, es ist wahr«, bestätigte der Hochmeister. »Aber sie sind von der Erde, diese Berge oder Hügel. Dünen heißen sie.«
»Es ist wohl recht elend, dort zu leben. Denn …«
»Da können gar keine Menschen leben!«, sprach Herr Walther sehr ernst. »Höchstens Pruzzen und Samaiten: Die sind’s gewöhnt.«
»Denn«, fuhr Friedmuth fort, »der beste Wein, den wir ihm boten, schmeckte ihm wenig. Als er aber an dem Stall vorüberkam, blieb er plötzlich stehen, schnüffelte in die Luft, stieß einen wilden Schrei aus, lief hinein, stieß das Fohlen, das an der Stute trank, von sich und saugte, vor Wonne schmatzend, ihre Milch. Er fragte – zum großen Ärger der Frau Wulfheid – nach meinen anderen Frauen: Ich sei ein reicher Fürst im Vergleich zu ihm, aber er habe zu Hause sieben Frauen gehabt und auch nach der Taufe nur vier – die älteren – verkauft. Mit Frau Wulfheid habe er es sich gleich verdorben, weil sie ihm nicht die schmutzigen Füße waschen wollte. Er meinte, das sei Sache der Wirtin. Er wunderte sich sehr, als wir vom Tisch aufstanden. ‘Bei uns zu Hause’, sagte er, ‘trinken Gast und Wirt bei jedem Gelage Met, bis beide auf der Schilfstreu liegen. Und als wir einmal zum Fischen an die Etsch gingen – er verlangte immer Fische, obwohl keine Fastenzeit war, und aß sie fast lieber roh, noch zappelnd, als in Frau Wulfheids bester Brühe – flog eine Krähe vor uns her. Der Gast griff nach einem Stein und schlug die Krähe im Flug. Sie fiel, er sprang auf sie, und sie war noch nicht tot, er biss ihr mit den Zähnen den Kopf ab. Ich wunderte mich. Er aber sprach: ›O fremder Vater, in unserem Land gibt es viele Krähen und wenige Messer. Man muss die Messer schonen. Unsere stolzen Nachbarn, die Polaben, nennen uns wohl die Krähenbeißer; aber sie haben viele Messer und essen Brot, nicht wie wir Krähen und Fische‹. Und er bat sogar flehentlich, Frau Wulfheid möge ihm die Krähe zum Abendbrot braten, schob das Haselhuhn beiseite, aß die Krähe und weinte darüber vor Heimweh. Denn«, sagte er, «nur bei uns ist es schön. Diese Berge rauben mir den Atem.‹«
»Ja«, sagte der Herr von Salza, sehr langsam sprechend, »dort ist es wohl noch wild und öde und arm. »Aber gerade dieses Bernsteinland, dieses Dünenland, das sollten wir haben.«
»Aber nicht wegen der Krähen?«, sprach Herr Walther lächelnd.
»Nein! Aber seht, es ist keine Ruhe mit diesen Wenden und anderen Heiden, bis wir sie nicht nur von vorn abwehren, bis wir sie auch von hinten fassen können. Wie die Grenzen jetzt dort verlaufen, das ist nicht zu fassen! Seht«, und er schob den Mantel zurück, auf dem sie lagen, und zeichnete mit der Spitze der Scheide seines mächtigen Schwertes, die er ergriffen hatte, in den Sand der Wüste vor sich hin, »so lang gestreckt und offen läuft unsere Ostmark von Mittag bis Mitternacht. Nun aber liegt jenes Heidenland der Preußen vor den Polaben im Nordosten. Seht, so!«
»Das leuchtet mir ein!«, sagte Friedmuth sehr eifrig. »Und all die Tausende und Zehntausende, die ein wirrer Drang nach heiligen oder unheiligen Abenteuern Jahr für Jahr aus unseren Marken über das Meer treibt und die – blühend oder verdorrend – für das Reich verloren sind, die blieben uns erhalten. Und man könnte sie langsam zurückdrängen, die dumpfen Wenden. Sie starren aus dem Schmutz. Ich kenne sie! In Kärnten habe ich gegen sie gekämpft.«
»Mit Pflug und Schwert würde man wohl noch lange arbeiten müssen«, meinte Walther.
»Aber es wäre Arbeit, die haften bliebe und nicht, wie hier, vom Winde verweht würde«, erwiderte Hermann. »Es kommt noch etwas dazu, ein Großes! Was ich jetzt noch nicht verraten darf. Aber es ist im Werk. Und ihr beide sollt davon erfahren – vor anderen.«
»Und ob unser eins auch schwer leben kann dort in so rauem Norden, ich meine, es atmet noch gesünder als in diesem giftigen Wüstengeschmack!«, rief Friedmuth.
»Und wenn die Zeit reif ist, dann, Freund Walther, werde ich Euch zur rechten Stunde mahnen! Dann werdet Ihr mir durch Eure Weisen Eure Deutschen zur Kreuzfahrt nach Pruzzenland ebenso begeistern, wie Ihr sie nach Palästina gerufen habt.«