Ein Hörbuch-Experiment
 


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Secret Service Band 3 – Kapitel 7

Francis Worcester Doughty
Secret Service No. 3
Old and Young King Brady Detectives
The Bradys after a million
Oder: Ihre Verfolgungsjagd zur Rettung einer Erbin
Eine interessante Detektivgeschichte aus dem Jahr 1899, niedergeschrieben von einem New Yorker Detective

Wer kennt ihn nicht, den berühmten Detektiv Old King Brady, der mehr Rätsel gelöst hat als jeder andere Detektiv, von dem man je gehört hat.

In der Reihe der Geschichten, die in SECRET SERVICE veröffentlicht werden, wird ihm ein junger Mann zur Seite stehen, der als Young King Brady bekannt ist und dessen einziges Lebensziel darin besteht, Old King Brady darin zu übertreffen, gefährliche Fälle aufzuklären und die Verbrecher zur Strecke zu bringen. Wie gut ihm dies gelingt, wird in den folgenden, im SECRET SERVICE veröffentlichten Geschichten ausführlich geschildert.

Kapitel 7

In Boston 

Dann änderte Young King Brady auch sein persönliches Aussehen.

Er legte seine Verkleidung als schwarze Jennie, die Ladendiebin, ab.

Er verwandelte sich in einen großen, respektabel aussehenden jungen Mann in Schwarz.

So verließen die beiden die Kabine von Mr. Baron und schlossen die Tür hinter sich ab.

Young King Brady ging in seine eigene Kabine und verstaute seine Diebesverkleidung in seinem Reisekoffer.

Sie gingen an Deck und unterhielten sich bis spät in die Nacht. Dann zogen sie sich in King Bradys Kabine zurück und schliefen bis zum Morgen.

Das Schiff lag im Dock, als sie aufstanden. Gemächlich zogen sie sich an und schlenderten an Deck.

Die Leute beeilten sich, um den Zug nach Boston zu erreichen.

»Was sollen wir tun?«, fragte Mr. Baron.

»Wir können genauso gut nach Boston fahren«, sagte Young King Brady. »Wir haben nichts davon, hier zu bleiben.«

»Aber die Hütte …«

»Wie es dort aussieht, werden wir erst im Laufe des Tages erfahren. Wahrscheinlich werden wir darüber in den Abendzeitungen lesen.«

»Sehr gut. Jetzt ist es an Ihnen, die Richtung vorzugeben, in der wir weiterfahren.«

»Wir fahren nach Boston.«

So stiegen sie in den Zug mit Vestibül und fuhren bald in Richtung Massachusetts Bay.

Als sie Boston erreichten, schickte Young King Brady folgendes Telegramm:

Bertrand Liscomb, Grand Hotel, New York City: 

Alles in Ordnung. Bis später. Jennie.

Young King Brady und Mr. Baron begaben sich sofort zum Adams House in der Washington Street. Natürlich meldeten sie sich unter anderen Namen an.

»Was machen wir jetzt?«, fragte Mr. Baron. »Sollen wir in die North Street gehen?«

»Noch nicht«, antwortete Young King Brady.

»Aber die Verspätung …«

»Ist in diesem Fall nicht gefährlich. Loyd Barons Verschwinden auf dem Fall River Steamer wird die Bande in Sicherheit bringen. Bevor ich weiter vorgehe, muss ich die Ankunft von Old King Brady abwarten.«

»Wird er bald hier sein?«

»Ich habe ihm an seine Adresse in Washington telegrafiert. Wenn er den ersten Zug genommen hat, müsste er heute Nachmittag hier sein.«

Young King Brady und Mr. Baron setzten sich in eine abgelegene Ecke der Hotelhalle.

Hier konnten sie alles beobachten und selbst wenig beobachtet werden. Der junge Detektiv machte sich detaillierte Vermerke in sein Notizbuch.

In diesem Moment betrat ein Zeitungsjunge die Lobby.

Die Uhr zeigte drei Uhr.

»Extrablatt! Extrablatt! Alles über den Mann, der auf der PURITAN verschwunden ist!«

Mr. Baron zuckte zusammen.

»Da sind Sie ja«, flüsterte Young King Brady. »Kaufen Sie eine Zeitung.«

Der Millionär befolgte den Rat.

Auf der Titelseite prangte eine große Schlagzeile. Es folgte ein ausführlicher Bericht über das mysteriöse Verschwinden des New Yorker Millionärs Loyd Baron aus seiner Kabine an Bord der PURITAN. Alle möglichen Theorien wurden von den analytischen Reportern aufgestellt.

Eine ging davon aus, dass Baron einem Verbrechen zum Opfer gefallen war. Ein anderer hielt es für wahrscheinlich, dass er versehentlich und unbeobachtet über Bord gefallen sei. Dann kam die Selbstmordtheorie.

Baron lachte.

»Ein Rätsel für sie«, rief er.

»Ein Rätsel für die Leute, aber …« Young King Brady rieb sich vergnügt die Hände. »… damit werden wir die Bande täuschen!«

»Sie haben recht.«

Doch nun sprang Young Detektiv mit einem Freudenschrei auf. Ein Mann hatte die Halle betreten. Trotz seines fortgeschrittenen Alters war er groß und kräftig gebaut. Sein Gang war geschmeidig. Er trug die Uniform eines Predigers der Heilsarmee. Unbemerkt durchschritt er die Menge und schien Young King Brady und Mr. Baron sofort erkannt zu haben. Er kam direkt auf sie zu.

»Hallo, Harry! Wie geht es Ihnen, Mr. Baron? Wie Sie sehen, bin ich hier!«

Es war Old King Brady. Selbstverständlich wurde der alte Detektiv von den beiden herzlich begrüßt.

»Jetzt«, rief Young Detektiv, »können wir die Bande zusammentreiben!«

Mit diesen Worten erklärte Young King Brady seinen Plan und wie es ihm bisher ergangen war. Der alte Detektiv hörte erstaunt und interessiert zu.

»Bei meinem Wort!«, rief er aus. »Du hast gute Arbeit geleistet, Harry. Das ist das Beste, was du je gemacht hast. Wir haben sie in der Falle.«

Der alte Detektiv unterstützte alle Ideen von Harry Brady. Nun blieb nichts anderes übrig, als der Bande in der North Street einen Besuch abzustatten. Es wurde beschlossen, sich verkleidet dorthin zu begeben. Old King Brady sich als junger Geistlicher verkleiden.

So konnten sie unter dem Vorwand einer Wohltätigkeitsmission in die Slums gehen, was ihnen ein gewisses Maß an Sicherheit gab und keinen Verdacht aufkommen ließ. Leise begaben sie sich in das Zimmer von Mr. Baron, wo die Verkleidung vorgenommen wurde.

»Wir hoffen, Ihnen bald Nachricht von Ihrer Tochter geben zu können«, sagte Young King Brady.

»Das hoffe ich«, antwortete der Millionär.

Dann verließen die beiden Detektive das Adams House. Sie bogen in die Washington Street ein, betraten den Dock Square und waren bald am unteren Ende der North Street angelangt. Unauffällig schlenderten sie die Straße entlang und betrachteten die Hausnummern.

Die North Street war seit alters her als Treffpunkt von Gaunern und Raufbolden bekannt. Sie ist die berüchtigtste Straße Bostons.

Plötzlich kamen die beiden Detektive an ein heruntergekommenes Haus mit einem verwinkelten Flur. Am Ende war eine schwarze Tür.

Die Fenster waren halb zerbrochen und mit Lumpen und Unrat verstopft. Kein Lebewesen war in oder um das Haus zu sehen.

Es war ein stilles, trostloses, baufälliges altes Haus, unbewohnt und unbewohnbar zugleich.

Es war das derzeitige Versteck der Big Six.

Zumindest, wenn Bertrand Liscomb Young King Brady die Wahrheit gesagt hatte. Es gab wenig Grund, daran zu zweifeln. Die beiden Detektive bogen in den dunklen, schmutzigen Gang ein. Sie rüttelten an der baufälligen alten Tür. Sie gab nach, und Old King Brady stieß sie auf. Die beiden Detektive standen am Fuße einer knarrenden, ausgetretenen Treppe.

Noch immer gab es keine Spur von menschlicher Behausung. Kein Möbelstück war zu sehen, kein Tisch, kein Stuhl. Alles war still. Keiner der Detektive sprach, außer mithilfe des Taubstummenalphabets. »Was sollen wir tun?«, fragte Young König Brady mit den Fingern. »Weiter«, antwortete Old King Brady.

Und so stiegen sie die knarrende Treppe hinauf. Wie sie knarrte und ächzte! Das Geräusch musste in jedem Teil des alten Gebäudes zu hören sein. Die Detektive erreichten den ersten Treppenabsatz. Eine offene Tür gab den Blick auf einen Raum frei. Aber er war leer. Sie gingen durch jedes Zimmer auf dieser Etage. Alle waren leer. An der Flurwand hing ein schäbiges Schild: »Zimmer zu vermieten auf dieser Etage. An der Nebentür nachfragen.«

Old King Bradys scharfen Augen entging nichts. Er musterte Böden, Wände und Decken. Er war hinterhältig kritisch.

Die Detektive stiegen die nächste Treppe hinauf. Sie standen in einem dunklen Flur. Alle Türen in diesem Stockwerk waren verschlossen.

Waren die Zimmer bewohnt?

Der Staub auf der Treppe schien dagegen zu sprechen. Aber Old King Brady rüttelte an der Klinke der nächsten Tür. Sie gab nach, und die Tür schwang auf.

Den Detektiven bot sich ein überraschender Anblick.

Sie standen vor einem spärlich eingerichteten Zimmer.

Mit Mühe drang Licht durch die wenigen Fensterscheiben, die noch intakt waren. Es war ein ärmliches Zimmer.

Aber im Gegensatz zu den anderen war sie bewohnt.

Und zwar auf eine für die Detektive höchst erstaunliche Weise. Sechs Stühle standen im Halbkreis an der Wand. In der Mitte stand ein Tisch.

Auf jedem Stuhl saß ein Mann mit einer schwarzen Maske über dem Gesicht. Jeder Mann hielt einen Revolver in der Hand, der auf die beiden Detektive gerichtet war.

Das Bild war sehr aufregend. Einige Sekunden lang standen die beiden Detektive regungslos in der Türöffnung, als wären sie an die Schwelle geheftet.

Dann machte Young King Brady eine leichte Bewegung, als wolle er zurückweichen. Aber eine stählerne Stimme sagte: »Bleiben Sie, wo Sie sind!«

Young Detektiv blieb stehen.

Doch inzwischen hatten beide Detektive die Dringlichkeit der Situation erkannt und waren ihr gewachsen.

Ihre Gesichter verrieten nur offenes Erstaunen. Kein Verständnis für die Situation war in ihren Zügen zu erkennen.

Der eine war ein Erweckungsprediger der Heilsarmee, der andere ein Slumpfarrer. Das war alles.

»Nun, James, wir sollten wohl besser gehen«, drängte Young King Brady. »Unsere Nächstenliebe findet bei diesen weltlichen Geschöpfen wenig Anklang.«

»Gelobt sei Zion!«, stöhnte Old King Brady.

Ein heiseres Lachen entfuhr den sechs Maskierten. Einer von ihnen erhob sich und trat einen Schritt vor.

»Hören Sie«, sagte er scharf, »was führt Sie hierher?«

»Eine Mission der Barmherzigkeit«, donnerte Old King Brady. »Wir suchen das Wohl unserer Mitmenschen und beten für Sie, wenn Sie es wünschen.«

»Nicht nötig«, spottete der Sprecher. »Deine Gebete werden mich nicht retten. Ich bin darüber hinweg.«

Die anderen Maskierten brüllten vor Lachen.

»Bete für ihn, Sally.«

»Sing uns ein Lied.«

»Wo ist dein Tamburin?«

»Gebt ihm Glory«

Diese und viele andere Rufe erfüllten die Luft. Doch der Sprecher hielt sie zurück.

»Halt!«, knurrte er. »Ich will mir diese Kerle genauer ansehen. Wart ihr schon mal hier?«

»Gelobt sei der Herr, nein«, antwortete Young King Brady und blickte andächtig zum Himmel. »Aber es ist offensichtlich, dass unsere Gebete dringend benötigt werden.«

»Hört den Ruf Zions!«, begann Old King Brady. Dann faltete er die Hände und stimmte einen dröhnenden Gesang an. »Wir ziehen nach Zion zur Ehre des Herrn. Wir ziehen nach Zion, um sein heiliges Wort zu verkünden.«

»Ruhe!«, rief der maskierte Sprecher wütend. »Wir wollen hier keine Lieder. Und jetzt verschwindet, so schnell ihr könnt, wenn ihr euch nicht das Genick brechen wollt. Verschwindet, sage ich!«