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Fleisch (1979)

Fleisch (1979)

In den späten 1970er Jahren sorgte der visionäre Regisseur, Produzent und Drehbuchautor Rainer Erler mit seinem eindringlichen Fernsehfilm Fleisch für eine lebhafte Diskussion unter den deutschen Fernsehzuschauern. Schon bevor der Film am 21. Mai 1979 seine Premiere im ZDF erlebte, wurde er von einigen als anstößig empfunden. Insbesondere innerhalb der Ärzteschaft wurde er kontrovers diskutiert. Es wurde ihm vorgeworfen, bewusst eine ablehnende Stimmung gegenüber der Organspende zu schüren. Eine der entschiedensten Kritikerinnen war Mildred Scheel, die zugleich Ehegattin des damals amtierenden Bundespräsidenten Walter Scheel und Mitbegründerin der Deutschen Krebshilfe war. Die engagierte Ärztin und Radiologin setzte sich dafür ein, dass der fiktive Medizin-Thriller nicht ausgestrahlt werden sollte, da sie die Befürchtung hatte, dass derartige utopische Schreckensszenarien niemals Realität werden dürften.

Erler wies den Vorwurf, seine Werke seien gegen die Organspende gerichtet, als haltlos zurück. Vielmehr sei sein bereits publizierter Roman Fleisch ein leidenschaftliches Plädoyer für die Annahme von Organspenderausweisen. Trotz der lebhaften Diskussionen zog der Film eine große Zuschauermenge an. Die öffentliche Debatte führte zu einer signifikanten Steigerung der Einschaltquoten des ZDF und veranlasste später zahlreiche Zuschauerinnen und Zuschauer, das packende Werk in den Kinos anzusehen. Die weltweite Ausstrahlung in nahezu 120 Ländern lässt auf eine universelle Resonanz schließen.

Es ist bedauerlich, dass die im Nachhinein gewonnene Erkenntnis, dass Erlers dramaturgische Fiktion bald von den Ereignissen der realen Welt eingeholt wurde, die ursprüngliche Begeisterung etwas dämpfen könnte. Der illegale Organhandel entwickelte sich zu einem problematischen Phänomen globaler Tragweite.

Die Erzählung nimmt zunächst eine harmlose Gestalt an: Monica, eine junge deutsche Studentin, verkörpert von Jutta Speidel, und ihr frisch vermählter Ehemann Mike, ein Amerikaner, dargestellt von Herbert Herrmann, begeben sich auf eine Flitterwochenreise durch die Weiten von New Mexico. Sie entscheiden sich für eine Übernachtung im Honeymoon Inn in Las Cruces, das einen romantischen Eindruck macht. Doch der verheißungsvolle Name erweist sich als trügerisch – das Motel wird zum Schauplatz eines verhängnisvollen Alptraums.

Inmitten ihres paradiesischen Beisammenseins geraten sie unversehens ins Visier eines Krankenwagens. Mike wird unter Waffengewalt verschleppt, während Monica die Flucht gelingt. In ihrer Not begegnet sie dem Trucker Bill, verkörpert von Wolf Roth, der ihr Beistand leistet in dem verzweifelten Unterfangen, Mike zu retten. Gemeinsam enthüllen sie das Netz einer kriminellen Organisation, die sich dem florierenden illegalen Organhandel verschrieben hat. In einer spezialisierten Klinik in Roswell führen Dr. Jackson, gespielt von Charlotte Kerr, und ihr Assistent, dargestellt von Christoph Lindert, medizinische Eingriffe durch. Sie entnehmen selbst gesunde Organe und opfern nichtsahnende Opfer für ihren skrupellosen Handel.

Monica und Bill wagen den mutigen Schritt, in die Klinik zu schleichen, als Krankenwagenfahrer und Krankenschwester getarnt, doch ihr Vorhaben wird vereitelt. Währenddessen wird Mike unter Drogen gesetzt und an Bord eines Flugzeugs nach New York gebracht, wo er als Organspender eingesetzt werden soll.

 

Der im Jahr 1979 entstandene Film Fleisch von Rainer Erler ist ein eindrucksvolles Werk des Thriller-Genres, das durch seine fesselnde Handlung besticht und zudem eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit ethischen und gesellschaftlichen Fragestellungen wagt. Das zentrale Motiv des Organhandels wird von Erler auf meisterhafte Weise mit Spannung und Unbehagen verwoben, sodass der Zuschauer von der ersten bis zur letzten Szene in den Bann gezogen wird. Die Erzählstruktur des Films erweist sich als straff und zielgerichtet, was zu einem kontinuierlichen Spannungsbogen führt. Die Hauptfigur, gespielt von einem engagierten Schauspieler, verkörpert den unscheinbaren Durchschnittsmenschen, der unvermittelt in moralische Abgründe gerissen wird. Diese Figur kann für das Publikum ein Spiegelbild eigener Ängste und Hoffnungen sein, was die emotionale Wirkung des Films verstärkt. Die Antagonisten werden eindrucksvoll dargestellt, sie agieren mit eiskalter Präzision und berechnender Härte, was die Bedrohlichkeit ihrer Charaktere in erschreckender Deutlichkeit offenbart. Das Drehbuch von Erler ist von subtiler Raffinesse geprägt, indem es die Spannung kontinuierlich steigert und geschickt dramaturgische Wendungen einflechtet. Der Regisseur nutzt visuell eine beeindruckende Bandbreite filmischer Stilmittel: Schatten durchziehen die Szenerie, klaustrophobische Räume engen die Figuren ein und eine eindringliche musikalische Untermalung verstärkt das beklemmende Gefühl der Ausweglosigkeit. Die Kameraführung nimmt den Zuschauer mit auf eine atemlose Flucht, während der Schnitt das Gefühl der Bedrohung und des Ausgeliefertseins in jeder Szene verdichtet.

Fleisch ist jedoch nicht nur ein reiner Thriller, sondern entfaltet auch eine thematische Tiefe, die zum Nachdenken anregt. Der Film wirft drängende Fragen auf, darunter über den Wert des menschlichen Lebens, die Schattenseiten des Kapitalismus und die ethischen Dilemmata der modernen Medizin. Erler nutzt das Medium Film, um gesellschaftskritische Reflexionen zu fördern und entwirft dabei düstere Zukunftsvisionen, die sowohl als beunruhigende Fiktion als auch als mahnender Fingerzeig verstanden werden können. Diese vielschichtige Erzählweise verleiht dem Werk anhaltende Relevanz, die auch Jahrzehnte nach seiner Entstehung nicht verblasst.

In seiner Gesamtheit ist Fleisch ein tiefgreifendes Filmerlebnis, das weit über bloße Unterhaltung hinausgeht. Durch die gelungene Verbindung von Spannung, sozialkritischem Gehalt und filmischer Finesse hat Rainer Erler ein Werk geschaffen, das sich seinen festen Platz in der deutschen Filmgeschichte verdient hat. Fleisch ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie das Medium Film komplexe und kontroverse Themen aufgreifen und das Publikum auf eindringliche Weise beeinflussen kann.

(wb)

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