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Die wunderbare und merkwürdige Geschichte vom Zauberer Virgilius … Teil 9

Oskar Ludwig Bernhard Wolff
Die wunderbare und merkwürdige Geschichte vom Zauberer Virgilius,
seinem Leben, seinen Taten und seinem Ende
Volksbücher Nr.46, Verlag Otto Wigand, Leipzig

Wie Virgilius eine immer brennende Lampe machte

Zum Besten des gemeinen Wesens baute Virgilius auf einem großen und mächtigen Pfeiler von Marmor eine Brücke, die bis an den Palast reichte. Dieser Palast und der Pfeiler standen mitten in Rom und auf diesen Pfeiler setzte er eine Lampe von Glas, die immer brannte, ohne auszugehen. Niemand war, der sie auszulöschen vermochte. Diese Lampe erleuchtete ganz Rom, von einem Ende zum anderen dermaßen, dass es auch in dem kleinsten Winkelgässchen so hell war, als ob dort zwei schöne Fackeln brannten. Auf den Giebel des Palastes aber stellte er eine Figur von Metall, die wie ein Bogenschütze aussah. Diese Figur hielt einen gespannten Bogen mit einem Pfeil darauf, beständig so auf die Lampe gerichtet, als wolle sie dieselbe durch einen Schuss aus­löschen. Allein die Lampe brannte beständig und versah ganz Rom zur Nachtzeit mit dem nötigen Licht.

Eines Tages indessen gingen mehrere Töchter von römischen Bürgern in den Palast, um sich dort mit Spielen zu ergötzen. Sie sahen den metallenen Schützen und eine von ihnen fragte ihn aus Spaß, warum er denn nicht schieße. Als er ihr natürlich keine Antwort gab, fasste sie den Bogen an, da flog aber der Pfeil fort und zertrümmerte die Lampe, die Virgilius gemacht hatte. Das Mädchen verlor fast den Ver­stand vor Schreck und Furcht und so ging es auch ihren Ge­spielen, denn als der Pfeil die Lampe traf, gab es ein ent­setzliches Getöse. Sie sahen, wie der metallene Bogenschütze rasch davonlief. Er kam aber nicht wieder und wurde auch nirgends mehr gesehen. Die Lampe hatte jedoch bis zu der un­vorsichtigen Berührung durch die Bürgerstochter mehr denn dreihundert Jahre noch nach Virgilius Tod gebrannt und ganz Rom zur Nachtzeit auf das Hellste erleuchtet.

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