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Vergessene Helden 19

Eine eiskalte Lady

Sie ist klug und souverän und außerordentlich feminin, sie kocht gern, geht ins Theater und rettet Tiere. Das ist die eine Seite, die andere ist Karate, Judo und Fechten, Kleinkaliberwaffen, Pfeil und Bogen und ein doppelköpfiges Yawara-Holz. Sie ist nicht nur sexy, sondern auch eiskalt und tödlich.

Ihr Name ist Modesty Blaise und das ist ihre Geschichte.

*

Es war in den frühen 1960er Jahren, als die Redakteure der Londoner Zeitung Evening Standard den englischen Comicautor Peter O’Donnell baten, für ihren täglichen Comicstrip einen neuen Helden zu erschaffen. O’Donnell sagte zu, entschied sich aber entgegen dem allgemeinen Mainstream, dass es an der Zeit war, endlich eine Frau zu erschaffen, die in der Lage war, alle Heldenaufgaben zu erledigen, und das bitte schön besser als die meisten Männer. O’Donnell hatte nämlich schon seit Längerem einen diesbezüglichen Charakter im Hinterkopf.

Nach etwa einem Jahrzehnt, in dem er unzählige Storys mit den von ihm kreierten Helden Garth und Tug Transon für männliche Leser und unter dem Pseudonym Madeleine Brent auch solche für Frauen verfasst hatte, war er zu dem Entschluss gekommen, dass diesen Serien, obwohl erfolgreich, irgendwie der letzte Kick fehlte. Der Gedanke, all seine Protagonisten zusammen zu einer Art Superheldin zu kombinieren, wurde immer stärker, und als dann das erwähnte Angebot der Zeitung kam, einen neuen Helden zu erschaffen, sprudelten die Ideen nur so aus seinem Kopf und er begann, einen regelrechten Kosmos um seine Protagonistin herum zu erschaffen, der heute noch seinesgleichen sucht.

Erwähnenswert dabei ist, dass der Background der Heldin kein reines Produkt der Fantasie, sondern zum Teil den Erlebnissen aus O’Donnells Vergangenheit entsprungen und ihr Name nur dem Zufall geschuldet war.

O’Donnell selbst sagte in einem späteren Interview anno 1996 dazu: »Sie schwirrte schon lange in meinen Gedanken herum, aber irgendwie war sie nicht greifbar. Sie hatte keinen Hintergrund, ich wusste nicht, woher sie kam, wer sie war und warum sie zur Agentin wurde. Ideen hatte ich genug, aber der eine, zündende Funke fehlte.«

Dieser Funke kam, als er bei einer ganz alltäglichen Situation an seine Armeezeit erinnert wurde. Er war damals, im Zweiten Weltkrieg, in einer kleinen Funkabteilung im Kaukasus stationiert, irgendwo an der Grenze zu Iran oder Irak. Dort fiel ihm eines Tages ein kleines, etwa zehn Jahre altes Mädchen auf, das an einem Flussufer entlang lief.

»Es war allein, völlig in Lumpen gehüllt und trug eine kleine, selbst gemachte Waffe mit sich herum; ein Stück Holz, durch das ein Nagel getrieben war.

Seine Kameraden boten ihr Essen an und sie nahm schließlich etwas davon, dabei stets vorsichtig und die Distanz wahrend. O’Donnell nahm damals an, dass sie von irgendwo auf dem Balkan geflüchtet war. Sie musste schon seit längerer Zeit auf sich allein gestellt sein, denn sie wirkte weder verwirrt noch verängstigt. Im Gegenteil, das Mädchen wirkte wie eine selbständige Person und nicht wie ein kleines Kind.

Nachdem sie aus dem Feldgeschirr der Soldaten gegessen hatte, wusch sie es im Bach aus und wischte es mit Sand ab. Dann sagte sie etwas auf Arabisch zu ihnen und setzte ihre gefährliche Wanderung fort.«

Er verstummte danach unvermittelt, schwieg einen Moment und strahlte dann, als könnte er sich noch ganz genau daran erinnern, was nun folgte.

»Bevor sie sich verabschiedete, stand sie ein paar Sekunden da und dann schenkte sie uns ein Lächeln, mit dem man ein kleines Dorf erleuchten hätte können.«

O’Donnell vergaß das Mädchen nie, und als er an diesem Tag wieder an sie erinnert wurde, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Diese Begegnung war der Ursprung der Geschichte seiner neuen Heldin. Er setzte sich zuhause sofort an seine Schreibmaschine und spann binnen kürzester Zeit die Geschichte dieses kleinen Flüchtlingskindes weiter.

Verwaist, namen- und staatenlos wandert sie jahrelang durch den Nahen Osten und Nordafrika, wo sie ihren Lebensunterhalt mit kleinen Diebstählen auf den Basaren bestreitet oder mit den Nomaden unter freiem Himmel schläft. Sie wird schließlich die Beschützerin von Lob, einem brillanten, alten, aber wehrlosen ungarischen Professor, der fünf Sprachen spricht. Er unterrichtet sie, sie verteidigt ihn mit ihrem Nagelholz und so werden sie einander wie Großvater und Enkeltochter. Nach dem Tod des Professors landet sie mit 19 Jahren in Tanger, wo sie ein Syndikat übernimmt und zur unerschütterlichen Chefin einer Gruppe stahlharter Männer wird. Obwohl das Syndikat sein Geld mit Verbrechen aller Art wie Spionage, Handel mit geheimen Informationen und Bank- oder Juwelenraub verdient, sind Drogen-, Waffen- und Menschenhandel tabu, sowie alles, was Frauen oder Kinder verletzen könnte.

Als Partner stellte er ihr Willie Garvin zur Seite, einen ehemaligen Fremdenlegionär, den sie in Bangkok in einem Thai-Boxring entdeckte.

Jetzt fehlte ihm nur noch ein griffiger Name.

Doch so sehr er sich auch den Kopf zerbrach, es fiel ihm keiner ein. Jedenfalls keiner, der ihn wirklich überzeugte. Bis ihm der Zufall zu Hilfe kam, wie es O’Donnell in einem späteren Interview berichtete.

»Der Name meiner Protagonistin ist erst lange, nachdem ich ihren Charakter entwickelt hatte, entstanden. Ich schrieb gerade an einem Manuskript für ein neues Garth Abenteuer, als ich das Adverb modestly (bescheiden) falsch schrieb und es als modesty (Bescheidenheit) auf dem Papier landete. Mir wurde sofort klar, dass dies der ideale Vorname für meine neue Heldin war. Jetzt fehlte noch ein Nachname und den fand ich, weil ich zu der Zeit, um mich nebenher etwas von der ganzen Schreiberei abzulenken, ein Sci-Fi Buch von C.S. Lewis las. Es hieß That Hideous Strength, (1945 in Deutsch unter dem Titel Die böse Macht erschienen) und handelte von der Wiederbelebung Merlins. Dort las ich, dass Merlins Meister ein Druide namens Blaise war, und im nächsten Moment war mir klar, sie konnte nur Modesty Blaise heißen.«

Bereits das erste eingereichte Manuskript wurde in der Redaktion mit Begeisterung aufgenommen. Man stellte ihm den Zeichner Jim Holdaway, ein kleiner Mann mit einem riesigen Talent, zur Seite und die beiden ergänzten sich von Anfang an so gut, dass man sie schon bald als Dream Team bezeichnete. O’Donnell und Holdaway hatten nicht nur beide denselben Sinn für Humor, sondern verstanden sich auch privat bestens.

Am 13. Mai 1963 erschien dann im Evening Standard der erste Strip. Er wurde als La Machina bekannt, obwohl er ursprünglich gar keinen Titel hatte. Zu diesem Zeitpunkt ahnte noch niemand, dass dies der Beginn einer fast 38jährigen Erfolgsgeschichte sein sollte, die inzwischen längst zur Legende geworden ist. Schon bald schossen die Verkaufszahlen des Evening Standard in die Höhe, was nachweislich an dem Comicstrip Modesty Blaise lag.

*

Trotz allem Ruhm, der ihm in den folgenden Jahren zuteilwurde, war O’Donnell bis zu seinem Tod im Jahr 2010 darüber enttäuscht, dass seine Heldin von Anfang an stets mit James Bond verglichen wurde, der 1962 mit Dr. No sein Leinwanddebüt hatte.

Gewiss waren Ian Flemings Storys um den Geheimagenten 007 genauso spannend und gut geschrieben wie die seinen, prallvoll mit schlagfertigen Dialogen, Humor, ekelhaften Bösewichtern, ausweglosen Situationen und Schauplätzen rund um die Welt verteilt. Aber im Gegensatz zu seiner Protagonistin empfand er diesen als seelenlos, als Mittel zum Zweck zur Aneinanderreihung von reiner Action.

Modesty hingegen besaß Persönlichkeit, Tiefe und Nuancen. Man erfuhr, wo sie wohnte, was ihre Hobbys waren, dass sie mit Vergnügen Baumärkte besuchte, Kunst sammelt und sich gern schick kleidete und schminkte. Kurz gesagt, sie lebte, was man so von 007 nicht behaupten kann.

Mit dieser Meinung stand O’Donnell nicht lange allein. Je mehr Storys von den beiden Geheimagenten erschienen, bei Fleming waren es allerdings hauptsächlich Filme, umso mehr stimmten ihm die Fans des Agenten- und Spionagegenres und auch die Kritiker zu.

Wer die beiden Agenten miteinander vergleicht, wird in der Tat bald feststellen, dass man von Bonds Leben nur Fragmente kennt, es beginnt und endet eigentlich mit jeder Mission. Man kennt nur den Namen und dass er ein eiskalter Mann ist, sonst nichts.

Ein weiterer Tiefschlag für O’Donnell war der Versuch, einen seiner Romane zu verfilmen. Anfang 1965 kam er nämlich auf den Geschmack, zu den Comics noch Romane zu schreiben. In den Sprechblasen der Comics war für ihn wenig Platz, seine Ideen auszuleben, in den Romanen hingegen musste er sich nicht am Zeichner orientieren, sondern hatte über diese Storys die volle Kontrolle.

Hier hatte er auch mehr Spielraum, um eine Geschichte zu erzählen, und auch die Gelegenheit, detailliert zu beschreiben, was in den einzelnen Charakteren in dieser oder jener Situation wirklich vor sich ging. Die Bücher wurden, was nicht verwunderlich war, ebenfalls ein voller Erfolg, und so dauerte es nicht lange, bis sich die Filmindustrie meldete. O’Donnell schrieb dazu extra das Drehbuch, doch was daraus 1966 entstand, war ein einziges Fiasko. O’Donnell behauptete selbst im hohen Alter noch, dass er schon Nasenbluten bekam, wenn er nur an den Film dachte.

In der Tat war das Ergebnis ein schreckliches Machwerk und einziges Missverständnis. Sein Drehbuch ging erst einmal durch die Hände unzähliger, ahnungsloser Skript-Doktoren, die fast jedes Wort umschrieben und das Ergebnis so verwässerten, dass aus einem tiefgründigen Thriller eine seichte und noch dazu unlustige Hippie-Farce wurde. Dazu kam ein Filmregisseur namens Joseph Losey, der Aussagen von Leonard Maltins nach, einem Film- und Videoexperten, nach dem übermäßigen Genuss von Wassermelonen, Gurken und Eis eingeschlafen und wieder aufgewacht, spontan die Idee hatte, aus dem übrig gebliebenen Skriptfragmenten unbedingt einen Abenteuerfilm über eine sexy Spionin drehen zu wollen.

Das waren aber nur einige der skurrilen Umstände, die schließlich zu diesem unsäglichen Machwerk führten. Andere Fehlgriffe betrafen die Besatzung der Hauptdarsteller. So bekam, warum auch immer, eine talentfreie, noch dazu blonde italienische Schauspielerin mit dem Künstlernamen Vitti die Rolle der Modesty Blaise. Ein absolutes No Go für alle Fans, denn Modesty war schwarzhaarig und auch keine Italienerin. Genauso ihr Partner Willie Garvins, denn er war blond und trug im Gegensatz zu seinem schwarzhaarigen Filmpedant als ehemaliger Fremdenlegionär niemals pinke Pullover.

Der Film, wen wundert es, floppte natürlich. Aber er hatte auch sein Gutes, denn er war der Grund, dass O’Donnell in Zukunft noch mehr Modesty Blaise-Romane schreiben sollte, die allesamt lange Zeit die Bestsellerlisten anführten.

Nachzutragen ist noch, dass es zwei weitere Filmproduktionen gab. 1982 drehte der in Persien, dem heutigen Iran, geborene Regisseur Reza Badiyi im Auftrag des amerikanischen Fernsehsenders Paramount Television den Actionfilm Modesty Blaise, der als Pilotfilm für eine ganze Serie angedacht war. Doch obwohl Badiyi kein Unbekannter im Geschäft mit Fernsehserien war, er hatte seine Finger bereits in einigen Episoden von Hawaii 05, Kobra übernehmen Sie, Star Trek und Hart aber herzlich, um nur einige zu nennen, wurde aus der Serie nichts. 2003 sicherte sich dann kein Geringerer als Quentin Tarantino die Rechte, doch auch bei ihm kam der Film nicht über einen DVD-Vertrieb heraus und ist ebenfalls nicht in Deutschland zu erwerben.

Modesty Blaise wurde trotzdem zu einer der großen Abenteuerserien unserer Zeit, einer der besten Schwarzweiß-Comics überhaupt und die Bücher waren sogar noch besser.

Doch bekannterweise hat alles einmal ein Ende, bei Modesty jedoch war es umso schmerzlicher, weil es auf dem Höhepunkt ihres Ruhms geschah.

Im Jahr 1996, als das dreizehnte Buch um Modesty Blaise und ihren Partner Willie Garvins erschien, wobei zu erwähnen ist, dass nur elf davon abgeschlossene Romane waren und die anderen zwei lediglich Kurzgeschichtensammlungen, gab O’Donnell bekannt, dass dies das letzte Buch sein würde. Der Versuch, ihn umzustimmen, um mit ihm in irgendeiner Form die Romane fortzusetzen, war zwecklos. O’Donnell war zu diesem Zeitpunkt bereits an Parkinson erkrankt und wollte der Reihe noch einen würdigen Abgang bereiten, bevor er dazu nicht mehr in der Lage war. So ist am Ende von Cobra Trap, seinem allerletzten Werk, auch das Ende seiner beiden Helden zu lesen. Sie starben im Kampf, und wie es sich für Legenden ihres Kalibers gehörte, starben sie mutig und selbstlos.

Am 11. April 2001 endeten auch die Comicabenteuer um Modesty Blaise. Nach 38 Jahren und täglich insgesamt 10183 erschienenen Comicstrips war Schluss. Im letzten Comicstrip, übrigens dem einzigen in Farbe, lässt O’Donnell Modesty und Willie noch einmal im Jenseits aufeinandertreffen, worauf sie sagt: »Keine Bösewichter und keine Opfer, kein Blut, kein Schweiß und keine Tränen mehr. Wir machen eine kleine Pause, Willie love, nur du und ich.«

Daraufhin erwidert er: »Das Beste von allem, Prinzessin.«

Ein Ende, das noch lange nachhallte.

*

Jedes Buch erzielte Auflagen in Millionenhöhe und wurde, genauso wie die Comics, in 42 Ländern der Erde gelesen. Deshalb ist es nur selbstverständlich, sie noch einmal alle mit dem Jahr der Erscheinung, den deutschen Titeln und den englischen aufzulisten.

Wobei mir persönlich die englischen Originaltitel weitaus besser gefallen, die deutschen klingen sozusagen reißerisch wie im 50er-Jahre-Stil.

1965 – Die tödliche Lady (Modesty Blaise)

1966 – Die Lady bittet ins Jenseits (Sabre – Tooth)

1967 – Die Lady reitet der Teufel (I, Lucifer)

1969 – Ein Gorilla für die Lady (A Taste for Death)

1971 – Die Goldfalle (The Impossible Virgin)

1972 – Die Lady macht Geschichten (Pieces of Modesty)

1973 – Die silberne Lady (The Silver Mistress)

1976 – Heiße Nächte für die Lady (Last Day in Limbo)

1978 – Die Lady fliegt auf Drachen (Dragon’s Claw)

1981 – Die Lady will es anders (The Xanadu Talisman)

1982 – Die Lady spannt den Bogen (The Night of Morning Star)

1985 – Die Lady lässt es blitzen (Dead Man’s Handle)

1996 – Cobra Trap (Bis heute nicht in deutscher Sprache erschienen)

Quellenhinweis:

simonside.net

culturmag.de

(gsch)

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