Die Kreuzfahrer – Erster Band – 5. Kapitel
Felix Dahn
Die Kreuzfahrer
Erzählung aus dem 13. Jahrhundert
Verlag Otto Janke, Berlin, 1884
Erster Band, Erstes Buch
Am Saum der Wüste
Fünftes Kapitel
»Ja«, meinte Walther, »damals ist es gar schön gewesen. Und so viel Jahre weniger grau war ich auch! Und dort weht ein besser Lüftlein als in diesem Land: Sie heißen es das Gelobte! Das Verfluchte sollten sie es nennen!«, schalt der Sänger.
»Was? Wie!«, riefen da Herr Hermann und Friedmuth zugleich.
»Ei, Herr Walther«, neckte der Erstere. »Widersprechen sich die Sänger so leicht, so bald?«
»Ja, ja, Freund! Wie hast du doch schon zu Schiff und gleich nach der Landung dies Land gerühmt! Wie lautete das doch anders! Gib Acht, ob ich es noch weiß:
Von allen Landen, allen Reichen,
die je ich schaute, schön und hehr …
Da fiel Herr Hermann ein:
Kann keines sich mit dir vergleichen,
du Land vor allen reich an Ehr’.
Aber Walther selber fuhr fort:
Wo eine Jungfrau einst gebar,
hoch über aller Engel Schar.
Und Friedmuth schloss tief feierlich:
Solch Wunder sah man nimmerdar!
»Nun, und? Ihr zeiht mich ohne Grund des Widerrufs«, sprach Walther. »Was habe ich denn an diesem Land gepriesen? Doch wahrlich nur, was jeder Christenmensch mit Schauern der Ehrfurcht preisen muss! Solch Wunder sah man nimmerdar. Ist das etwa nicht wahr? Und habe ich etwa gesagt, dass hier ein gesunder Ruch und Wind wehe? Dass hier gut wohnen sei und dass wir Deutschen hier bleiben sollten? Sankt Georg soll uns davor bewahren. Unser Herrgott hat es auch nur gewählt, darin gemartert zu werden. Dafür ist es freilich gut! Und darin zu sterben, nicht um so recht vergnügt darin zu leben. Was wir hier sollen, weiß nur der Teufel und unser Kaiser, der ja des Teufels Wahlsohn ist, wie von allen Kanzeln die Pfaffen predigen. Ich aber stehe doch zu ihm: Mir ist nicht bang um meine Seele, steh’ ich zum Kaiser und zum Reich.«
Aber nun nahm Herr Hermann das Wort: »Ihr wisst, der Papst hat ihn vor Jahr und Tag gebannt, weil er, erkrankt, nicht binnen vorgesteckter Frist den früher, in jungen Jahren versprochenen Kreuzzug ausführte!«
»Nicht ausführen konnte!«, unterbrach Walter. »Ich war dabei! Ich könnte dem Heiligen Vater als Augenzeuge eiden, wie der Herr Kaiser, der schon das Schiff bestiegen hatte, gleich dem lieben Herrn Landgrafen Ludwig von Thüringen von der bösen Lagerseuche befallen wurde. Beide mussten wieder landen bei Otranto. Der fromme Landgraf, der jugendschöne Herr, noch nicht achtundzwanzig Jahre war er alt, starb gleich darauf. Gott lohnt ihm jetzt seine Milde im Himmel. Aber auf der Wartburg geht gar traurig unter Witwenschleier die reine Frau Elisabeth! Und der Kaiser war recht nahe daran, ihm nachzufolgen. Wie wankte, vom Fieber gerüttelt, die herrliche, die hohe Staufergestalt! Wenn das der Grimmige Gregor nicht glaubt, ich kann es beteuern.«
»Euch würde er auch nicht gerade sehr viel glauben«, erwiderte der Hochmeister. »Eure Sprüche wider Rom sind so unsanft …«
»Wie seine Briefe! Ist der Mann doch über achtzig Jahre. Er sollte Friede halten.«
»Er ist versippt dem großen Innozenz und will dessen Werk vollenden. Sich aus dem Bann zu lösen, hat nun – zumal auf meinen dringenden Rat – unser Herr dieses Jahr die Meerfahrt angetreten. Denn aus dem Bann muss er sich lösen, sonst sprechen ihm die unbotmäßigen Fürsten daheim die Krone ab; und obenan mit Schein des Rechtes! Nun hat der Heilige Vater aber den Bann erneut, weil ein Gebannter das Kreuz nicht tragen dürfe.«
»Ja, ja«, zürnte Walther. »Er hat uns nachgerufen, der Kaiser sei ein Diener Mahommeds! Und nicht als Pilger, als Seeräuber – piratae nennt man das – zögen wir über die See. Du weißt es, reicher Gott, was ich bisher dabei geraubt habe!«
»Und nur allzu viele im Lager«, fiel der Deutschmeister bei, »sind froh, ihren Ungehorsam wider den Kaiser durch des Papstes Gebot gerechtfertigt zu finden. Außer seinen Haustruppen, vor allen seinen Arabern, sind ihm fast nur noch die Pisaner und die Genuesen treu. Deren Gonfaloniere half mir wacker …«
»Und die Deutschen«, meinte Walther.
»Das versteht sich von selbst«, sagte Friedmuth.
»Leider nicht, mein Sohn«, seufzte der Hochmeister. »Er hat der Feinde genug daheim im Reich. Aber die Deutschen im Lager halten noch aus. Hatte doch der Papst mir zugemutet, anstelle des gebannten und jedes Rechts entkleideten Kaisers die Deutschen und die Lombarden zu befehligen. Meine scharfe Weigerung hat denn auch manche Lombarden dem Kaiser treu erhalten.«
»Und hohe Zeit war es dazu«, rief Walther, »denn der Heilige Vater hat zwei Mönche von den Franziskanern – des Papstes Jagdhunde nennen sie sich mit Stolz – uns nachgeschickt nach Syria. Die haben – ich sah sie selbst in Akkon: Recht lieblich waren sie! Der eine glich einer alten Nebelkrähe, der andere einem jungen Wiedehopf – die haben überall den Bann verkündet und dem Patriarchen, den Ordensrittern, den Deutschen, so allen Christen verboten, des Kaisers Kriegsbefehl oder Gerichtsbann zu gehorsamen. Und haben ferner ausgerufen: Allen Kreuzfahrern, welche gegen die Heiden und für Christi Grab das Gelübde getan, ist das Gelübde gelöst, wenn sie nach dem Abendland umkehren und des Kaisers Erblande in Italia verwüsten helfen im Heer der päpstlichen Krieger. In den Bannern führen die Sankt Petri Schlüssel. Sehr überflüssig! Denn alle Kistenschlösser öffnen sie, alle Truhen leeren sie, ohne Schlüssel! Alle Frauen verunehren sie! Ich wollte sehr, verzeih es mir der milde Gott! Der Herr Kaiser kehrte diesen päpstlichen Wurfspeer um und spräche: Wenn die Päpstlichen ärger sind als die Heiden, führe ich das Kreuzheer gegen die Schlüssel- Schelme. Trotz meines grauen Bartes, auf diese Dietrich-Ritter möchte ich noch einmal weidlich schlagen.«
»Der Herr Papst hat noch viel schwerere Schuld als die Schrecken dieses Krieges auf seine Seele geladen«, sprach der Hochmeister sehr ernst. »Er hat unseres großen Kaisers Herz abgewendet vom Herrn Christus selbst, in dessen Dienst und Namen der Papst solche Taten tut. Kaiser Friedrich glaubt schon lange nicht mehr an Rom. Er glaubt auch herzlich wenig mehr an den Heiland.«
Da schlug Friedmuth mit tiefer Bewegung ein Kreuz. »Gott, gnadenreicher Herr, erleuchte ihn und rette seine Seele!«
»So glaubt er wirklich an den Propheten seiner arabischen Leibwachen?«, fragte Walther, fast ängstlich.
»Nein, an den glaubt er auch nicht. Er glaubt nur an sich selbst und seinen Stern, wie er es nennt«, seufzte der Ritter.
»Ist wenig!«, meinte der Sänger. »Der Himmelsherr mag jeden Christen davor wahren!«
»Nicht aus Mutwillen, Lieber, zweifelt jener edle Geist. Aus bitterer Not, aus Notwendigkeit – der Gedanken. Ich aber halte mir meinen Christenglauben immer wieder tüchtig sturmfrei wie eine feste, kriegsbedrohte Burg. Aber der Heilige Vater macht das oft zu saurer Arbeit. Und mein Kaiser, wie straft er meinen frommen Glauben oft mit Spott! Wenn der hohe Herr – er hat mehr Gedanken in seinem schönen, strahlenden Haupt als alle anderen Könige der Christenheit zusammen! – Wenn er sich arabische Schriftgelehrte, jüdische Lehrer und unsere weisesten Äbte und Bischöfe nach Palermo kommen und sie in seiner Gegenwart Religionsgespräche halten lässt, indessen unter seinen Augen im Zwinger Leopard, Panther und Gepard vor ihm sich balgen, während er den Falken streichelt oder Frau Giocondas wunderbar schönes Haupt und dann und wann den Perserapfel in den Wein von Chios taucht und ihn mit feinem Schmunzeln in den hochmütig spöttischen Mund schiebt, wenn er dann, nachdem sie sich alle gegenseitig widerlegt haben und mit rotheißen Köpfen wider einander dräuen, wenn er dann so vergnüglich seinen schönen rotbraunen Bart streicht und sie entlässt mit den Worten Ihr habt alle gleich recht, weise Herren – und die drei bösen Katzen unten sich niedergebalgt haben – sie können einander nichts Ernstliches antun – dann graut mir leise vor diesem Mann, desgleichen nie den deutschen Kaiserthron geschmückt.«
Da sprach Friedmuth traurig: »Ich kenne ihn so viel weniger als Ihr, und doch: Ich liebe ihn so heiß – und muss ihn tief beklagen! O weh! O weh um ihn! Er glaubt nicht mehr an Christus den Herrn? Wie kann er leben dann? Wie glücklich sein? Vor wem mag er sich demütigen um Sünden Schuld? Und, trifft ihn Unheil, unverschuldetes, wie mag er sich getrösten, dass es doch zum Guten führt? Wahrlich, ein niedriger und unkluger Mann bin ich gegen den Herrn Kaiser. Aber ich tausche nicht mit ihm! Denn mir meinen Christenglauben aus dem Herzen reißen, wo ihn gar tief die liebe Mutter eingewurzelt hat, das kann kein Mensch und kein Geschick auf Erden. Eher möchte der Herr Kaiser mit seiner ausgestreckten Hand den schönen Abendstern vom Himmel pflücken.«
»Auch mir hat er«, sprach der Deutschmeister, »nur ein paar Vorschanzen verbrannt. An die Hochburg meines Glaubens reichen seine Feuerpfeile nicht. Dürfte ich sonst noch dieses schwarze Kreuz hier tragen? Ja, sogar mit Rom muss ich ihn wieder aussöhnen trotz alledem und trieben es der Bischof dort und andere übereifrige Pfaffen noch zehnmal ärger.«
»Kann mir das nicht recht vorstellen!«, meinte Herr Walther. »Aber Euch, Herr Hochmeister, hat der Himmelsherr seine weiseste Gabe verliehen: das Maß; und mir ein heißes Herz, das noch im Alter haftet.«
»Unablässig arbeite ich an der Versöhnung. Um des Reiches willen! Das anderes dringend verlangt, als dass die beiden Häupter der Christenheit einander so viel Böses antun, als sie nur können. Auch helfen mir dabei gar manche wackere Bischöfe in Wälschland und im Reich. So all die eurigen an Etsch und Eisack: Sind alle gut kaiserlich.«
»Ja«, bestätigte Friedmuth, »auch Frau Wulfheids Ohm: Herr Heinrich von Tanfers, der seit Kurzem den Bischofsstuhl von Brixen bestiegen, ist dem Kaiser treu ergeben.«
»Und er ist ein gewaltiger Mann, der Herr Heinrich!«, sprach der Hochmeister. »Ich kenne ihn genau: Er hat so viele Jahre fern eurer Heimat in Wälschland gelebt als Abt, aber auch als Vermittler zwischen Rom und Friedrich. Ein strenger Mann! Unerbittlich gegen das Unrecht, scharf in kanonischem Eifer! Darum hat ihm der Papst anbefohlen, um die gesunkene Zucht der Mönche und Nonnen in euren Bergen zu heben, auch in jenen Klöstern Visitation zu halten, die nicht unter Brixen, sondern unter Trient stehen oder Chur.«
»Es gefällt mir nur nicht an ihm«, meinte Walther, »dass er so gerne Hexen verbrennt. Es gibt ja Hexen, gewiss: Die Bibel sagt es, die Kanones und die Reichsgesetze. Aber nicht jedes alte arme Weib, das rote Augen hat und mit sich selbst redet, auch wohl ihren Nachbarn mal was Böses anwünscht – das tun wir alle manchmal! – ist des Teufels Buhlin. Der Teufel hat auch gar keinen so schlechten Geschmack, dass er sich so oft die Ältesten aussuchte! Herr Heinrich aber stößt auf Hexen, wie die Krähe auf den Uhu. Der verbrennt seine eigene Nichte, Fran Wulfheid, gilt sie ihm als Hexe, so ruhig wie jede Bettlerin.«
»Ja, gerade auch zur Ausbrennung der Hexen – ein trauriges Geschäft! – hat ihm der Papst für euer Land besondere Einschärfung und Vollmacht gegeben«, fuhr der Herr von Salza fort. »Aber er ist von unbeugsamen Rechtssinn: fest, hart und klar, freilich auch unerweichbar, wie Diamant. Ich darf ihn fast meinen Freund rühmen.«
»Ich kenne ihn beinahe gar nicht«, sagte Friedmuth. »Er kam erst ganz kurz vor dieser Kreuzfahrt aus Wälschland in die Heimat zurück. Und vor meiner Verheiratung trennte ja bittere Fehde uns Schännaer von den Herren von Fragsburg und von Taufers.«
»Aber zurzeit«, seufzte Herr Hermann, »kann ich nichts ausrichten in Versöhnung und Vermittlung. Der Kaiser hat, einmal hier in Asia gelandet, seines großen Vaters Pläne wieder aufgegriffen. Gleich unterwegs, im Vorüberfahren, hat er das schöne Eiland Cypria als kaiserliches Lehen in gute Verwaltung genommen.«
»Heißt er doch jetzt schon König von Jerusalem«, fiel Walther ein.
»An diese Krone – ja vielleicht auch an die von Byzanz! Denkt er viel mehr, der herrschgewaltige Mann als an das Grab Christi.«
»Dieses Grab ist – leer«, sprach Friedmuth ernst. »Der Herr Christus aber thront über den Wolken zur Rechten Gottvaters, des starken Himmelskönigs. Der reiche Christ da oben kann, wenn er es will, sein ehemaliges Grab selbst schützen und die frommen Pilger.«
»Die frommen Pilger sind leider oft sehr unfromm«, grollte Herr Hermann. »Da streiten sie mit Worten und Waffen um den rechten Glauben oder um ihre Privilegien, in der Heiligen Grabeskirche selbst, sodass – zur Schande der Christenheit! – die Heiden den Frieden des Ortes schützen müssen gegen die Frevel der Templer, Turkopolen und Pullanen.«
»Ich bin ein schlichter Mann«, sprach Friedmuth, »und verstehe nichts von den Plänen unseres Herrn. Aber nach meinem Unverstand ist Zeit, Kraft, Gut und alles verloren, was unser Kaiser auf dieses Land wendet: Es ist, als ob er edelsten Saatweizen nähme und in die Wüste würfe: Der Wind verweht es, der Sand verschüttet es; ohne Spur und ohne Frucht vergeht es.«
»Dein Unverstand ist klarste Einsicht«, sagte Hermann. »Täglich warne ich den Herrn in gleichem Sinn. Buchstäblich hast du recht mit deinen Worten! Vor zehn Jahren haben wir deutschen Herren am Nordeingang der Wüste eine Siedlung gegründet: Kolonie nennen wir es gar vornehm. Mit unsäglicher Mühe wurde eine Straße gebaut, eine Umschanzung aufgeworfen, ein Brunnen gebohrt. Jetzt, bei dieser Heerfahrt, führt mich eine Gesandtschaftsreise wieder über den Ort: Alles spurlos verschwunden! Die Menschen am Wüstenfieber, am Durst, an der Laune verschmachtet oder geflüchtet, Straße, Schanzen, Brunnen so haushoch vom Land verschüttet, dass wir mit größter Mühe an ein paar Ziegelsteinen die Stätte wiedererkannten. Ich habe den Kaiser und seine vertrautesten Räte dorthin geführt, aber auch noch andere.« Er hielt inne, und noch ernster wurde sein Antlitz.
»Für wen?«, fragte Walther.
»Wenn es kein Geheimnis ist«, meinte Friedmuth bescheiden.
»Für Euch schon jetzt nicht mehr, bald, hoffe ich, für niemand mehr. Schweigt noch einstweilen: Die anderen waren die Komture meiner deutschen Herren!«
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