Christoph Stoll – Waldesdunkel
Christoph Stoll – Waldesdunkel
Justus Hauer ist Kunstlehrer in Frankfurt. Gestern noch hat er im Lehrerkollegium seinen fünfzigsten Geburtstag gefeiert, aber nun ist auch das vorbei. Es sind endlich Sommerferien.
Justus fährt in seinem Mini Clubman Richtung Limburg und biegt, die Stadt hinter sich lassend, in Richtung Lahntal ab. Er hat seinen Labrador George II. im Auto dabei, als er die ersten Eichen des heimischen Waldstückes sieht, das früher sein Kinderspielplatz war und später sein Rückzugsort wurde.
Er kann in diesem Augenblick nicht sehen, dass in dem Waldstück das Fadenkreuz eines Zielfernrohrs mehrere Buchen- und Eichenstämme abschwenkt, um dann einen grün gestrichenen Hochstand präzise ins Visier zu nehmen. Danach bewegt sich das erbarmungslose Fadenkreuz noch einmal zum Boden, um dann auf der Höhe der Kanzel zur Ruhe zu kommen.
Justus sieht von der Kreisstraße aus das Protz-SUV seines Jagdpächters Michael von Flachau in der Einfahrt des Waldwegs zur sogenannten Mondwiese parken. Schließlich biegt er kurz vor dem Ort Lahnberg von der Landstraße ab, um zum alten Forsthaus hinaufzufahren, das seit nunmehr zweihundertsechzehn Jahren unverändert an seinem Platz steht und seit genau dieser Zeit das Heim seiner Förster-Vorfahren ist.
Im selben Moment schwenkt der todbringende Lauf der Bockbüchsflinte noch einmal von der Kanzel weg in Richtung Boden und fixiert ein imaginäres Ziel in zwei Metern darüber, im Lauf eine Patrone mit schrecklicher Wirkung, ein Geschoss, das ich beim Eintritt in das Fleisch bizarr verformt und dann alles zerfetzt, was sich ihm in den Weg stellt.
Justus will die Ferien im Forsthaus verbringen, weiß aber, dass ihn eine heikle Mission erwartet. Sein Vater, Förster in der elften Generation, ist vor vier Jahren gestorben. Bei seiner Mutter Charlotte hat sich die Demenz eingenistet und verschlimmert, und ihr Zustand erfordert mittlerweile, dass sie ins Pflegeheim Odilie im nahen Nassau übersiedelt. Seine beiden Geschwister sind im Ausland und können nicht helfen. So ist Justus in der Pflicht, seine Mutter zu versorgen. Das ist nicht ganz leicht, denn er muss sie davon überzeugen, dass sie in einem Pflegeheim besser aufgehoben ist als in ihrem Haus.
Justus steigt aus dem Wagen, befreit George II. aus dem Kofferraum und betritt mit ihm das Haus. Von irgendwoher kommt ein Luftzug, und die Tür knallt zu. Nur einen Herzschlag später folgt ein weiterer Knall. Der Schuss hallt lange nach. Er kam vom Waldrand.
Am nächsten Tag wacht Justus zur exakt selben Zeit wie in Frankfurt auf. Er überrascht seine Mutter, die am Morgen klarer wirkt als am letzten Abend, mit einem Frühstück. Als die Hand der Mutter gerade seine sucht, klingelt es. Es ist Friederike Mahr, die noch von seinem Vater ausgebildet wurde und die er seit seiner Kindheit kennt. Sie kümmert sich seit dem Tod seines Vaters in forstlicher Hinsicht um sein Minirevier, das viel zu klein ist, um davon leben zu können.
Friederike teilt ihm mit, dass in seinem Wald einige Dinge getan werden müssen. Dann fährt sie weiter zu Verwandten. Als Justus sich gerade wieder an den Frühstückstisch zu seiner Mutter gesetzt hat, klingelt es erneut an der Eingangstür.
Als er öffnet, steht Polizeiobermeister Werner Klau vor ihm und teilt ihm mit, dass an der Kanzel am Taubenkopf ein Mensch erschossen wurde. Die Kollegen von der Mordkommission sind vor Ort und warten dort auf Justus.
Christof Stoll schreibt mit Waldesdunkel einen Krimi, der nicht hektisch und blutrünstig daherkommt, wie so mancher moderne Thriller, sondern vorwiegend im Wald spielt, einem Platz der Ruhe und Erholung, was man dem Roman auch anmerkt.
Die Charaktere, allen voran Justus Hauer, sind meist in irgendeiner Form im Wald heimisch, oder sie werden es, wie Kommissarin Helliger nach einiger Zeit, die die Ermittlungen in diesem Fall länger leitet.
Der Autor stammt selbst aus einem alten Förstergeschlecht und wuchs in einem Forsthaus auf. Nach einer Karriere bei Funk und Fernsehen wohnt er heute wieder in einem Forsthaus. Beim Schreiben hat er sich von Sebastian Stoll forstlich beraten lassen und das Know-How bezüglich Wald, Büsche und Bäume, darin lebende Tiere, Jagd- und Forstwirtschaft ist in dem Buch gut verarbeitet.
Aber nicht das Know-How allein macht diesen doch besonderen Krimi aus, auch die Liebe zur Materie wird mit jedem Satz deutlich. Hier schreibt jemand, der von der Natur und dem Leben im Wald überzeugt ist.
Allerdings kommt auch die Kriminalgeschichte dabei nicht zu kurz. Der Verfasser erzählt zusätzlich eine Story über Morde und weitere Verbrechen, die sehr verwickelt und spannend ist und am Ende recht außergewöhnlich aufgelöst wird.
Zudem entwickelt sich im Lauf der Erzählung eine Liebesgeschichte zwischen zwei wichtigen Charakteren.
Fazit:
Der Autor schreibt mit Waldesdunkel einen recht besonderen Kriminalroman, in dem er ohne viel Stress und Ströme von Blut auskommt und dem Leser mit Kompetenz die Dinge im Wald und alles um die Forstwirtschaft erläutert.
Dabei erzählt Christoph Stoll auch eine recht verwickelte, spannende und außergewöhnlich gelöste Kriminalgeschichte.
Ich kann dieses Buch dem Leser empfehlen, der gerne einen spannenden Kriminalroman ohne zu viel Blutvergießen lesen möchte, der ihm den Wald und alles drum herum nahebringt.
Christoph Stoll stammt aus einem uralten nassauischen Förstergeschlecht und wuchs in einem Forsthaus auf. Er entschied sich, anstatt Tiere zu jagen, für ein Studium der Musik und der Germanistik und arbeitete als Autor und Musikredakteur für mehrere Radiosender, bevor er zum Fernsehen wechselte. So war er viele Jahre international für das ZDF tätig. Heute wohnt er in einem Forsthaus an der Lahn, um zu schreiben. Dabei erblickten bereits mehrere Wald-Krimis das Licht der Welt.
Quellen:
- Christoph Stoll, Waldesdunkel, Piper Verlag GmbH, München, 2024.
- www.lovelybooks.de
- www.swr.de
- www.piper.de
Bilder:
- Cover des Romans. Mit freundlicher Genehmigung der Piper Verlag GmbH.
- Foto des Autors; Copyright: privat. Ebenfalls mit freundlicher Genehmigung der Piper Verlag GmbH.