Fantômas-Trailer

Archive

Slatermans Westernkurier Ausgabe 12-2024

Auf ein Wort, Stranger, warum kennt eigentlich kaum jemand das Massaker von Newton?

Gute Frage, aber tatsächlich ist diese Auseinandersetzung, die man das Massaker von Newton, Kansas oder auch Schießerei im Hyde Park in Newton nennt, selbst in Amerika auch heute noch so gut wie unbekannt.

Warum ist das so?

Immerhin handelt es sich dabei um eine Schießerei, die mehr Tote und Verletzte forderte als der berühmte Showdown zwischen den Earp-Brüdern und Doc Holliday mit den Clantons in Tombstone im O.K. Corral oder jene Schießerei, in der die Bürger von Coffeeville die Dalton Bande bei einem versuchten Banküberfall regelrecht in Stücke schossen. Das Newton Massaker war sogar blutiger als Dallas Stoudemires legendärer Revolverfight in El Paso, der als »Vier Tote in fünf Sekunden Kampf« in die Pioniergeschichte einging.

Gründe genug, um in damaligen Gerichtsakten und Zeitungsartikeln zu stöbern, um herauszufinden, warum und wieso.

*

Alles begann am 11. August 1871 in der Viehtreiberstadt Newton in Kansas, in einem Stadtteil namens Hyde-Park, der für seine Vielzahl an Bordellen, Schnapsbuden, Spielsaloons und Tanzhallen bekannt war.

An diesem Abend stritten zwei lokale Gesetzeshüter namens Billy Bailey und Mike McCluskie im Red Front Saloon über die hiesige Gemeindepolitik. McCluskie war ein ungehobelter, stets auf Krawall gebürsteter Bursche, der durch seinen Job als Nachtwächter der Santa Fe Railroad Company seinen Weg nach Newton gefunden hatte. Kurz nach seiner Ankunft freundete er sich mit dem 18-jährigen James Riley an, der Jahre später an Tuberkulose starb. Ein Mann, der für die nachfolgenden Ereignisse noch von großer Wichtigkeit sein sollte.

Billy Bailey war ein texanischer Cowboy, der nach einem Viehtrieb in Newton hängen geblieben war, anstatt danach mit seinem Rancher und den anderen Cowboys wieder zurück zur heimatlichen Texasweide zu reiten. Die beiden Männer waren von den Behörden in Newton als zusätzliche Sicherheitskräfte angeheuert worden, um während der hitzigen Wahlen im August den Stadtmarshal und seinen Deputys dabei zu unterstützen, für Ordnung und Ruhe zu sorgen.

Die junge Stadt versuchte nämlich, einen neuen Bezirk zu bilden, und die Leitung dieses Bezirkes war wegen diversen Interessenkonflikten unter den Einheimischen ein hochbrisantes Thema, das, je näher der Wahltag rückte, immer mehr mit Fäusten und Waffen anstatt mit Worten ausdiskutiert wurde. McCluskie und Bailey machten dabei leider keine Ausnahme und gerieten sich ob des Themas ebenfalls ständig in die Haare.

Am 11. August schließlich eskalierte der Streit im Red Front Saloon vollends. Ein Wort gab das andere und schließlich flogen die Fäuste. Bailey hatte allerdings keine Chance gegen den als gewalttätig bekannten Iren und wurde von diesem förmlich aus dem Saloon hinausgeprügelt. Als der Cowboy blutend im Staub der Straße lag, zog Mike McCluskie seinen Colt und schoss ihm zweimal in die Brust. Bailey starb am nächsten Tag an seinen Verletzungen, während McCluskie nach den Schüssen sofort aus der Stadt floh.

*

Fünf Tage später kehrte der Ire jedoch wieder nach Newton zurück. Die Wahlen waren längst zu einem Politikum geworden und McCluskie hatte das Glück, der einflussreichsten und mächtigsten Seite dieses Interessenkonflikts anzugehören, und diese wollte einen Mann wie den Iren nicht so einfach fallen lassen. Plötzlich hieß es, das McCluskie in Notwehr geschossen hatte, weil er um sein Leben fürchtete, obwohl keiner gesehen hatte, dass Bailey eine Waffe zog. Es wurde zudem behauptet, dass der ehemalige Cowboy ein eiskalter Schießer war, der bereits in drei Revolverkämpfe verwickelt war, bei denen er zwei Männer erschossen hatte. Die Schießerei sollte dann tatsächlich als Selbstverteidigung eingestuft werden, was einen Freispruch von Mike McCluskie nach sich gezogen hätte. Wieder einmal zeigte sich, dass politische oder finanzielle Interessen weit über Menschenleben, Recht und Gesetz standen.

Aber McCluskie und seine Freunde hatten nicht mit dem Ehrenkodex der texanischen Cowboys gerechnet. Kein Wunder, für einen Iren wie McCluskie oder eiskalten, berechnenden Geschäftsmännern, die nur auf ihren Vorteil und das Vermehren ihres Vermögens aus waren, waren Dinge wie Ehre, Freundschaft, Respekt anderen gegenüber oder die Achtung vor Schwachen, Alten, Frauen und Kindern Fremdwörter. Jedenfalls machten sich mehrere von Baileys Cowboyfreunden sofort auf den Weg nach Newton, kaum dass die Umstände seines Todes nach Texas gedrungen waren.

Am späten Abend des 19. August 1871 betrat Mike McCluskie zusammen mit seinem Freund Jim Martin Tutties Dance Hall im Stadtteil Hyde Park, um dort zusammen mit dem ein oder anderen Drink ein paar Partien Faro zu spielen. McCluskies Duzfreund James Riley stand zu diesem Zeitpunkt schon seit längerer Zeit an der Bar der Tanzhalle.

Es war dann kurz nach Mitternacht, als die Texascowboys Henry Kearnes, Jim Wilkerson und Billy Garrett den Tanzsaal betraten, wobei letztgenannter der gefährlichste des Trios war. Er hatte in den letzten beiden Schießereien, in die er verwickelt war, bereits zwei Männer erschossen. Die Männer mischten sich im Saloon unter das Volk und verteilten sich so, dass sie McCluskie jederzeit im Auge hatten.

Kurz darauf betrat ein weiterer texanischer Cowboy namens Hugh Anderson das Etablissement. Er ging direkt auf McCluskie zu und schrie: »Du feiger Hurensohn! Ich werde dir den Schädel wegblasen!«

Jim Martin sprang vom Spieltisch auf und versuchte zu vermitteln, aber Anderson ignorierte ihn und schoss Mike McCluskie aus nächster Nähe in den Hals. Der Ire fiel nach vorn aufs Gesicht und Anderson, der nun über ihm stand, jagte ihm daraufhin noch mehrere Kugeln in den Rücken.

In der Zwischenzeit begannen auch Kearnes, Wilkerson und Garrett zu schießen, um die Menge daran zu hindern einzugreifen.

Gleichzeitig jedoch zog James Riley, McCluskies Freund, seine beiden Colts und feuerte wie wild auf die Texaner. Ätzende Pulverdampfschwaden zogen durch die Tanzhalle und vermischten sich mit den Rauchschwaden und Ausdünstungen der vielen Anwesenden zu einem schier undurchdringlichen Nebel. Keiner sah etwas, aber jeder feuerte wie wild um sich. Irgendwann war die Schießerei zu Ende und dann war nur noch das Schreien der Verwundeten zu hören. Nachdem sich die stinkenden Tabak- und Pulverschwaden verzogen hatten, wurde auch das Ausmaß der Schießerei sichtbar.

McCluskie war tot, ebenso sein Freund Jim Martin, der eigentlich Frieden stiften wollte und dann von einer Kugel im Hals getroffen wurde, bevor er aus der Tanzhalle stolperte und auf der anderen Seite auf den Eingangsstufen zu Krum’s Dancing Hall verstarb. Billy Garrett, in Schulter und Brust getroffen, verstarb wenige Stunden danach, während sein Freund Henry Kearnes eine Woche danach seinen Verletzungen erlag.

Zwei andere, an der Schießerei nicht beteiligte Männer, wurden ebenfalls getroffen. Patrick Lee, ein Bremser der Santa Fe Railroad Company starb an einem Bauchschuss, ein Arbeitskollege namens Hickey wurde an der Wade verletzt. Die Cowboys Wilkerson und Anderson wurden ebenfalls verletzt. Wilkinson wurde in die Nase und ins Bein getroffen, Hugh Andersson erhielt zwei Kugeln ins Bein.

Wie Hickey überlebten beide, wenn auch schwer verletzt.

James Riley, der die meisten Kugeln abgefeuert hatte und auf dessen Konto nach heutigen Erkenntnissen mindestens ein Toter und zwei Verletzte gehen, nutzte die allgemeine Panik, um die Tanzhalle zu verlassen und aus der Stadt zu verschwinden. Man hat nie wieder etwas von ihm gehört, bis irgendwo im Westen in irgendeiner Kleinstadtzeitung eine kleine Randnotiz erschien, in der behauptet wurde, dass ein gewisser James Riley vor Kurzem dort in der Umgebung an Tuberkulose verstorben war.

*

Aber damit war die ganze Geschichte noch längst nicht vorbei.

McCluskies politische Freunde erwirkten einen Haftbefehl gegen Hugh Anderson. Dessen Vater und seine Freunde schmuggelten ihn allerdings aus der Stadt, von wo aus er nach Texas zurückkehrte. Allerdings machte er zwei Jahre später den Fehler, wieder nach Kansas zurückzukehren, nicht ahnend, dass Arthur McCluskie, der Bruder des Mannes, den er erschossen hatte, seit damals nach ihm suchte. Er machte ihn schließlich in Medicine Lodge aus und schickte am 4. Juli 1873 einen bezahlten Killer zu dem Handelsposten, um Anderson zu töten.

Der Mann spürte ihn auf und forderte ihn zu einem Duell mit Pistolen und Messern heraus.

Als der Kampf zu Ende war, lagen beide tot im Hof des Handelspostens, Anderson und der Killer.

Der Grund, warum die ganze Geschichte, die insgesamt immerhin sechs Tote und sieben Schwerverletzte forderte, niemals großartig bekannt wurde, ist ebenso einfach und banal wie auch erschreckend. Sensationsgier und Gleichgültigkeit gegenüber Menschen von nebenan waren auch schon damals tief in den Köpfen der Menschen verankert.

Wenn Männer wie Wyatt Earp, Buffalo Bill, Kit Carson oder gar Jesse James in diese Ereignisse verwickelt gewesen wären, die Öffentlichkeit hätte sich wie ein Hai auf diese Pressemeldung gestürzt. Aber so? Wen interessierte denn schon das Schicksal eines irischen Eisenbahners im fernen Westen oder das eines einfachen Texas Cowboys?

Niemanden!

So ist es zwar nicht verwunderlich, dennoch irgendwie erschreckend, dass die Namen der Toten und Verletzten in den Geschichtsbüchern des Wilden Westens kaum bis gar nicht auftauchen, und fragt man bei den Einheimischen nach, so bekommt man die Antwort: McCluskie? Anderson? Garrett? Keine Ahnung, wer ist das.

Beispielhaft hierzu sei ein Artikel aus der in Newton erscheinenden Tageszeitung Emporia News vom 25. August, der da lautete:

»Massenmord in Newton. Fünf Männer getötet und sechs schwer verletzt und die Hauptdarsteller

nicht verhaftet. Man muss bedenken, dass der gesellschaftliche Zustand in dieser Stadt wohl am schlimmsten ist. Newton wird hauptsächlich von Prostituierten, Spielern und Schnapsbudenbesitzer bewohnt und Colts abfeuern, ist wohl die übliche Freizeitbeschäftigung.«

Auch hier keine Namen und nur ein oberflächlicher Bericht.

Aber das ist nun mal das Schicksal der breiten Masse.

Auch heute noch zählt ein verrückter Vogel mehr als das Schicksal dutzender normaler Menschen.

Quellenhinweis: