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Adventskalender 2024 – 14. Türchen

Das Rosmarinsträuchlein

Es war einmal ein König und eine Königin, die hatten kein Kind, wünschten sich aber eins. Wie nun die Königin eines Tages im Garten lustwandelte, sah sie einen Rosmarinstrauch, der viele kleine Schösslinge hatte. Da seufzte sie und sprach: »Ach, der Rosmarinstrauch hat seine Sprossen, und ich, die Königin, habe kein Kind.«

Von der Zeit an wurde sie guter Hoffnung, und wie ihre Zeit kam, gebar sie ein Rosmarinsträuchlein. Dieses pflanzte sie in ein Töpflein, begoss es mit Milch und ließ es nimmer aus den Augen.

Einst besuchte sie ihr Neffe, das war der Sohn des Königs von Spanien. Wie der das Sträuchlein sah, fragte er: »Frau Königin, was ist es doch mit diesem Rosmarinsträuchlein?«

Sie erzählte ihm ihre Geschichte, wie sie das Pflänzlein geboren und es einmal des Tages mit Milch begieße. Da dachte der Jüngling bei sich: »Das Pflänzlein musst du haben.«

Er kaufte also eine schöne Vase auf sein Schiff, schaffte auch eine Ziege der Milch wegen herbei, und wie alles bereitet war, entwendete er das Sträuchlein aus dem Zimmer der Königin und führte es mit sich fort. Zu Hause angekommen, stellte er die Pflanze in sein Gewächshaus.

Nun hatte der König eine Flöte und auf dieser blies er in den frohen Stunden des Tages. Als er eines Tages so blies, tat sich die Tür auf und ein schönes Fräulein stand auf der Schwelle.

Er fragte sie: »Wer bist du und woher kommst du?«

Sie antwortete: »Ich bin die Rosamarina.«

Wie freute sich der König! Als sie fort war und er kaum eine freie Stunde hatte, ging er in sein Treibhaus, blies auf der Flöte, und da war auch schon das Fräulein wieder, und es war seine Freude, mit ihr zu sprechen und sie zu hören.

Als er so recht im Glück war, musste er in den Krieg, und beim Scheiden sagte er seiner Rosamarina: »Höre, meine geliebte Rosamarina, wenn ich aus dem Krieg zurückgekehrt bin, werde ich dreimal auf der Flöte blasen, und das sei dir ein Zeichen, dass du wieder her­auskommen darfst.«

Und dem Gärtner befahl er, das Rosmarinsträuchlein viermal des Tages mit Milch zu begießen, denn würde er es bei der Rückkehr verwelkt vorfinden, so solle er geköpft werden. Er legte die Flöte in sein Zimmer und zog davon.

Der König hatte drei Schwestern, die waren neu­gierig und fragten: »Was macht doch wohl unser Bruder mit der Flöte?«

Die Älteste nahm sie und blies dar­auf, dann nahm sie die Mittlere und ebenso die Jüngste. Beim dritten Blasen erschien das Fräulein.

Da riefen sie: »Also deshalb war unser Bruder Stunden und Stunden lang in dem Treibhaus und wollte nichts mehr von uns wissen?«

Sie nahmen das arme Fräulein und schlugen es so jämmerlich, dass es mehr tot als lebendig sich zum Rosmarinsträuchlein zurückschleppte und darinnen verschwand. Der Gärtner kam und fand den Ros­marin des Königs verwelkt. Da jammerte er: »Wehe mir, wenn jetzt der König zurückkommt, wie wird es mir ergehen!« Er rief seine Frau, befahl ihr, das Sträuchlein viermal täglich mit Milch zu begießen, und machte sich auf und davon.

Ohne zu wissen, wohin, schweifte er durch das weite Land, und wie es Abend wurde, fand er sich in einem Wald. Er sah einen hohen Baum, und aus Furcht vor wilden Tieren erstieg er diesen, die Nacht darauf zu verbringen. Um Mitternacht kamen ein Hexenmei­ster und eine Hexe, legten sich unter dem Baum nieder und fingen an zu schnaufen, dass es dem Gärtner ganz bange wurde.

Dann fingen sie ein Gespräch an, und die Hexe fragte: »Was gibt es Neues?«

»Was es Neues gibt? Das Neueste ist, dass des Königs Gärtner in Lebensgefahr schwebt.«

»Und wie das?«, fragte die Hexe weiter.

»Das ist eine lange Geschichte. Du musst wissen, dass der König seiner Tante das Rosmarinsträuch­lein entführte, in welchem ein verzaubertes Fräulein wohnt. Der König stellte die Pflanze in sein Treibhaus und begoss sie viermal des Tages mit frischer Milch. Wenn er dann auf der Flöte blies, so kam das Fräulein heraus und sie redeten miteinander. Jetzt ist er im Krieg, hatte aber die Flöte zurückgelassen, seine Schwestern bliesen darauf, und als das Fräulein erschien, haben sie es so zerschlagen, dass der Rosmarin, in den es zurückgekehrt, verwelken musste. Der Gärtner aber, dem der König die Pflanze aufs Herz gebunden hatte, ist aus Furcht vor der Strafe geflohen.«

»Gibt es denn«, fragte die Hexe aufs Neue, »gar kein Mittel, die Pflanze zu retten?« »Es gäbe schon eins«, antwortete der Hexenmeister, »aber ich kann es dir nicht sagen, denn der Rasen hat Augen und die Bäume haben Ohren.«

»Ach was«, meinte die Hexe, »hier ist niemand, der uns hört.«

»Nun, so wisse denn, wenn jemand das Blut meiner Adern und das Fett deines Hinterkopfes in einem Topf zusammen sieden und die Rosmarinpflanze damit be­streichen würde, so käme das Fräulein gesund und munter aus der Pflanze heraus.«

Der Gärtner auf dem Baum hatte alles mit an­gehört und dachte bei sich: »Jetzt, Glück, steh mir bei!«

Wie die beiden eingeschlafen waren, stieg er leise vom Baum herunter, nahm einen Knüppel und schlug sie tot. Dann nahm er Blut und Fett, lief nach Hause, siedete es, bestrich die Pflanze, und wie er fertig, kam das Fräulein heraus und das Rosmarinsträuchlein ver­dorrte. Der Gärtner nahm die Schöne auf seine Arme wie ein Kind und trug sie in seine Wohnung, gab ihr kräftige Brühen und heilkräftige Kräuter und stellte sie alsbald wieder her.

Der König kam aus dem Krieg zurück, und sein erster Gang war ins Treibhaus. Er blies dreimal auf der Flöte, aber da kam kein Fräulein. Er ging zum Rosmarinsträuchlein und fand es verdorrt. Er rief den Gärtner, und im hellen Zorn sprach er: »Jetzt sagst du mir, wo meine Rosmarina ist, oder ich schlage dir auf der Stelle den Kopf ab.«

Er bat den König, zuvor in sein Haus zu kommen, allwo er ihm etwas Schönes zeigen wolle. Der König ging mit ihm und fand Rosmarina, die schönen Augen voll Tränen, auf dem Lager liegend. Er fragte sie: »Rosmarina, was ist dir geschehen?« Sie antwortete: »Deine Schwestern haben mir es angetan, ich wäre ihren Misshandlungen erlegen, wenn mich dein Gärtner nicht durch eine Salbe errettet hätte, ihm verdanke ich mein Leben.«

Da warf er einen Hass auf die bösen Schwestern, dem Gärtner aber wendete er alle Gnade zu. Als Rosmarina völlig genesen war, bat sie der König, seine Gemahlin zu werden. Darauf schrieb er seinem Onkel einen Brief, worin geschrieben stand, dass jenes Rosmarin­sträuchlein ein Jungfräulein geworden sei, welches gar lieb­lich anzuschauen und aller Liebe wert wäre. »Wollt Ihr«, so schloss er, »mit der Königin zur Hochzeit kommen, so seid Ihr uns lieb, wir werden demnächst die Ringe wechseln.«

Der Herold reiste ab und brachte dem König die Kunde. Wie freute der sich, wie freute sich auch die Gemahlin, endlich eine Tochter gefunden zu haben. Ganz glücklich traten sie die Reise an, und als sie an Ort und Stelle waren, da schoss man mit den Kanonen.

Wer das hörte, fragte: »Wer kommt da?«

Und da hieß es überall: »Der König und die Königin!«

Sie fanden die Tochter im Glück, und sie, die ihren Vater und ihre Mutter zum ersten Mal sah, erfreute sich ihrer Küsse und Umarmungen. Die Hochzeit wurde gehalten und das gab denn durch ganz Spanien ein großes Fest.