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Adventskalender 2024 – 7. Türchen

Gagliuso

Ein neapolitanisches Märchen

Es war einmal in der Stadt Neapel ein alter, ar­mer Mann. Er war so elend, so runzlig, so eingeschrumpft und hatte nicht einen einzigen Lumpen, seine Blöße zu bedecken, sodass er umherging nackt wie eine Fliege.

Da er nun nahe daran war, die Säcke dieses Lebens abzuschütteln, so rief er seine Söhne, Oratiello und Pippo, und sagte zu ihnen: »Ich werde jetzt vor den Rechnungsführer gerufen, um die Schuld, die die Na­tur an mich zu fordern hat, zu bezahlen, und glaubt mir, wenn ihr Christen seid, dass es mir großes Ver­gnügen machen würde, diesen Elendshaufen, diese Wehschlucht zu verlassen, ließe ich euch nicht zurück, ein paar erbärmlicher Gesellen, so dick wie St. Clara auf den fünf Straßen von Melito, ohne einen einzigen Stich an euch, so rein wie ein Barbierbecken, so glatt wie die Oberfläche eines Springbrunnens, so trocken wie ein Pflaumenstein; die ihr nicht so viel habt, um eine Fliege zu fangen. Und lieft ihr hundert Meilen, nicht ein Staubkörnchen würde euch entfallen, da mein Un­stern mich hinsetzte, wo nichts Gutes zu bekommen war, und dass sie mich gerade wie ich bin, in den Büchern eintragen; denn ich habe immer mich beholfen und be­strebt, und bin ohne Licht zu Bett gegangen. Demungeachtet will ich aber doch, da ich nun sterben muss, euch Zeichen meiner Liebe hinterlassen. Darum nimm du, Oratiello, mein Erstgeborener, das Sieb, das an der Mauer hängt. Damit kannst du dir dein Brot er­werben; und du, der du der Jüngste bist, nimm die Katze und erinnere dich deines Papas.«

Als er das gesagt hatte, fing er an zu winseln, und nach einer Weile sprach er: »Gott sei mit euch! Es wird Nacht.«

Oratiello ließ den Vater durch die Armenpfleger be­graben, nahm das Sieb und siebte hier und dort herum, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Je mehr er siebte, desto mehr verdiente er.

Pippo, die Katze nehmend, rief: »Nun sieh mir einer, welches hübsche Vermächtnis mir der Vater hinterlassen hat. Ich bin kaum imstande, mir selbst durchzuhelfen, und muss nun für zwei sorgen. Was nützt mir die erbärmliche Erb­schaft? Ich bin überzeugt, dass ich ohne dieselbe viel weiter käme.«

Die Katze, die dieses Selbstgespräch anhörte, sagte zu ihm: »Du quälst dich ohne Grund. Du hast mehr Glück als Verstand, aber du kennst dein Glück nicht. Ich bin imstande, dich reich zu machen, wenn ich dar­auf ausgehe.«

Als Pippo das vernahm, bedankte er sich bei der Katze, streichelte ihr drei oder vier Mal den Rücken und empfahl sich ihr auf das Wärmste.

Die Katze hatte nun Mitleid mit dem unglücklichen Gagliuso, und jeden Morgen, wenn die Sonne mit dem Lichtköder die goldene Angel auswarf und nach dem Schatten der Nacht fischte, begab sie sie entweder an das User von Chiaja oder zu dem Fischfelsen (Petra de lo Pesce). Einen guten Steinbutt oder einen anderen feinen Fisch fangend, sackte sich ihn ein, brachte ihn zum König und sagte: »Mein Gebieter, Herr von Gagliuso, Eurer Hoheit untertänigster Sklave, sendet Euch ehrfurchtsvoll diesen Fisch und spricht: Für einen so großen Herrn ein kleines Geschenk.«

Der König erwiderte mit freudigem Antlitz, wie er es immer denen zu zeigen pflegte, die ihm etwas brachten: »Sage diesem Herrn, den ich nicht kenne, ich lasse ihm herzlich danken.«

Ein anderes Mal lief die Katze dahin, wo man Vö­gel jagte in Sümpfen oder Feldern, und wenn die Jä­ger ein Rebhuhn oder eine Schnepfe heruntergebracht hotten, so raffte sie es auf und brachte es dem König mit derselben Botschaft.

Dies tat sie so lange, bis er eines Morgens zu ihr sagte: »Ich fühle mich diesem Lord Gagliuso so verbunden, dass ich lebhaft wünsche, seine Bekanntschaft zu machen, um ihm die vielen Höflichkeiten zu erwidern.«

Darauf antwortete die Katze: »Herr von Gagliuso wünscht sehnlichst, sein Leben und sein Blut für Eurer Hoheit Krone zu wagen, und wird unfehlbar morgen früh, sobald die Sonne die Stop­peln des Luftfeldes angezündet hat, kommen, Euch seine Aufwartung zu machen.«

Am nächsten Morgen ging die Katze wiederum zum König und sagte: »Majestät! Herr von Gagliuso lässt sich entschuldigen. Seine Kammerdiener sind heute Nacht davongelaufen und haben ihm nicht einmal ein Hemd gelassen.«

Als der König das hörte, ließ er sogleich eine Menge Kleider und Wäsche aus seiner Garderobe nehmen und sandte sie Gagliuso. Ehe zwei Stun­den vergingen, begab sich dieser, von der Katze beglei­tet, zum Palast, wo er eine Menge Komplimente vom König empfing, der ihn an seiner Seite sitzen ließ und ihn so prächtig traktierte, dass ihr euch darüber wundern würdet.

Während sie aßen, wandte sich Gagliuso von Zeit zu Zeit zu der Katze und sagte zu ihr: »Mein Schätzchen, lass diese vier Finger dir empfohlen sein, damit sie nicht auf den unrechten Weg kommen.«

Die Katze pflegte zu antworten: »Seid ruhig, seid ruhig, sprecht nicht von solchen erbärmlichen Dingen.«

Da der König zu wissen wünschte, wovon die Rede sei, so antwortete die Katze, dass er eine kleine Zitrone verlange. Der König ließ sogleich einen ganzen Korb voll aus dem Garten holen.

Gagliuso fing wieder von Neuem so an und die Katze hieß ihn wieder schweigen. Der König fragte wieder, wovon die Rede sei, und die Katze hatte eine andere Entschuldigung für Gagliusos Unwissenheit bei der Hand.

Nachdem sie nun eine gute Weile gegessen und ge­plaudert hatten, beurlaubte sich Gagliuso und die Katze blieb beim König, die Vorzüge, den Verstand und den Geist Gagliusos, vor allem aber seine großen Reichtümer in den römischen und lombardischen Ebenen, die ihn wohl berechtigten, in eine Königsfamilie hinein zu heiraten, über die Maßen zu preisen.

Der Kö­nig fragte, wie hoch sich wohl sein Vermögen beliefe, und die Katze erwiderte, niemand könne die Mobilien, Immobilien und das Hausgeräte dieses ungeheuer rei­chen Mannes, der selbst nicht wisse, was er besäße, zählen. Wünsche aber der König Erkundigungen darüber einzuziehen, so möge er nur Leute mit ihr aus dem Königreich senden, und sie würde ihm beweisen, dass ihr Herr, was den Reichtum beträfe, in der ganzen Welt seines Gleichen suche.

Der König rief einige zuverlässige Leute und trug ihnen auf, die Sache genau zu erforschen. Diese folg­ten der Katze, welche, sobald sie über die Grenze des Königreiches war, von Zeit zu Zeit, unter dem Ver­wand, Erfrischungen zu besorgen, vorauszulaufen pflegte. Wo sie nun eine Herde Schafe, Kühe, Pferde oder Ferkel antraf, rief sie dem Hirten und den Hirten­jungen zu: »Nehmt Euch in Acht! Es kommt ein Trupp Räuber, um alles fortzuschleppen. Wünscht Ihr Euch nun der Wut derselben zu entziehen und Euer Besitztum verschont zu sehen, so sagt, es gehöre dem Herrn von Gagliuso, und kein Haar wird Euch gekrümmt werden.«

Dasselbe sagte sie auf allen Meierhöfen, die sie unter­wegs antraf, sodass des Königs Leute, wohin sie auch kamen, überall die Geige gestimmt fanden; denn alles gehörte dem Herrn von Gagliuso.

Am Ende wur­den sie des Fragens überdrüssig, gingen deshalb zurück zum König und erzählten ihm Berge und Seen von den Reichtümern des Herrn von Gagliuso. Als die­ser es hörte, versprach er der Katze ein gutes Trinkgeld, wenn sie die Heirat zustande brächte. Der Katze, die den Kuppler zwischen ihnen spielte, gelang es auch end­lich, die Sache in Richtigkeit zu bringen. Gagliuso kam und der König gab ihm seine Tochter und eine reiche Mitgift.

Am Ende des Festmonats wünschte Gagliuso seine Frau auf seine Güter zu führen. Der König begleitete ihn bis an die Grenze und er ging zur Lombardei, wo er auf den Rat der Katze Güter kaufte und ein Ba­ron wurde.

Als Gagliuso sich nun so außerordentlich reich sah, dankte er der Katze über allen Ausdruck, und sagte, dass er ihren guten Diensten sein Leben und seine Größe ver­danke; und dass die Gescheitheit einer Katze mehr für ihn getan habe als die Geschicklichkeit seines Vaters. Sie könne, fuhr er fort, mit seinem Leben und seinem Ei­gentum schalten und walten, wie ihr gefalle, und er verspräche ihr, dass, wenn sie stürbe, was aber nach seinem Wunsch erst in hundert Jahren geschehen möge, so wolle er sie einbalsamieren, in einen goldenen Sarg legen und auf sein Zimmer bringen lassen, damit ihm ihr Andenken beständig vor den Augen sei.

Die Katze hörte diese verschwenderischen Versprechun­gen und stellte sich in den nächsten Tagen tot, indem sie sich der Länge nach im Garten ausstreckte.

Gagliusos Frau gewahrte es und rief: »Welch ein Unglück, die Katze ist tot, mein Gemahl!«

»Sterbe der Teufel mit ihr«, sagte Gagliuso, »besser sie als wir.«

»Was sollen wir mit ihr anfangen?«, fragte die Frau.

»Nimm sie bei den Beinen und wirf sie fort«, sagte er.

Die Katze, die diese böse Antwort hörte, als sie sie am wenigsten vermutete, rief: »Das ist wohl die Belohnung dafür, dass ich die Fliege von Euch abge­wehrt habe? Das ist wohl der Dank, dass ich Euch von Lumpen befreit habe? Das ist die Vergeltung, dass ich Euch schön kleidete und fütterte, als Ihr ein armer, ver­hungerter, erbärmlicher schlotterhosiger Schuft wart?

Das kommt davon, wenn man einem Esel den Kopf wäscht. Verflucht sei alles, was ich für Euch tat, Ihr seid nicht wert, dass ich Euch ins Gesicht speie.

Einen schönen goldenen Sarg habt Ihr mir machen lassen; ein schönes Leichenbegängnis wolltet Ihr mir ausrichten! Geht nur! Dienen, arbeiten, sich abquälen, schwitzen, um solchen Lohn dafür zu haben! Wehe dem, der eine gute Tat in Hoffnung auf Ver­geltung tut. Wie richtig sagt nicht der Philosoph? Wer als ein Esel schlafen geht, steht als ein Esel wieder auf. Wer am meisten tut, hat am wenigsten zu erwarten. Aber gute Worte und schlechte Taten täu­schen sowohl Weise als auch Narren.«

Als sie dieses sagte, schlug sie ihren Mantel um sich und machte sich auf den Weg. Was Gagliuso ihr auch sagen mochte mit der äußersten Demut, nichts war imstande, sie zu besänftigen. Sie wollte nicht umkehren, sondern rannte immer weiter, ohne sich umzusehen und rief: »Gott behüte Euch vor einem arm geworde­nen Reichen, und vor einem reich gewordenen Armen.«