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Sagen und alte Geschichten der Mark Brandenburg 53

Der letzte Graf von Ruppin

Die Grafen von Lindow, Herren von Ruppin und Möckern, stammten aus dem alten thüringischen Geschlecht der Grafen von Arnstein und kamen mit den anhaltinischen Fürsten in die Mark. Sie hatten stets eine hohe Stellung inne, waren fürstlich geachtet und meist streitbare und kluge Herren, die in der Geschichte der Mark immer wieder eine Rolle spielten. Ein eigentümliches Familienzeichen sollen sie alle mit auf die Welt gebracht haben, ein Loch im Ohr, wie es in einer alten Erzählung heißt, an der Stelle, wo andere Menschenkinder sich erst ein Loch stechen lassen müssen, wenn sie etwas hineinstecken wollen.

Der letzte war Graf Wichmann, der mit 21 Jahren unverheiratet starb. Schon als Kind hatte er, wie ein Zeitgenosse von ihm rühmte, die Weisheit eines Greises. Da sein Vormund starb, als Wichmann kaum 17 Jahre alt war, erklärte ihn Kurfürst Joachim I., der ebenfalls sehr jung an die Regierung gekommen war, für volljährig. Das war 1520. Als er 1524 vom Kurfürsten zur Hochzeit des Herzogs Albrecht von Mecklenburg geschickt wurde, erkrankte er an Pocken, reiste aber zu früh ab, um an der Feier in Berlin teilzunehmen. Nach Ruppin zurückgekehrt, erkrankte er auf der Jagd plötzlich an einem heftigen Fieber. Man brachte ihn nach Hause und legte ihn in ein stark geheiztes Zimmer. Es nahm ihm das Leben. Vergeblich sehnte er sich nach einem Arzt, der aus Berlin hätte kommen müssen. Dafür fehlte das Geld, und in seiner Dienerschaft hielt man die Krankheit auch nicht für so wichtig. Doch am 26. Februar fühlte der Graf den Tod nahen. Er verfasste sein Testament, in dem er die benachbarten geistlichen Stiftungen besonders bedachte und ihnen die Fürbitte für sein Seelenheil empfahl. Als ihn bei dieser Gelegenheit Hans von Zieten der Alte fragte, wem Ew. Gnaden Land und Leute vermache, antwortete er: »Dem Kurfürsten«.

Er starb am zweiten Tag danach, und mit seinem Leben erlosch das alte edle Geschlecht am Sonntag Oculi, dem 28. Februar 1524.

In einem alten Lied heißt es:

Als der Herr verschieden war
Da weinte alles, was auf dem Hause was,
We das befroden kunte.
Sie legten ihn auf ein beschlagnen Wagen,
Sie führten ihn zu Ruppin in seine Stadt,
Sie begruben ihn in das Kloster.
Sie schossen ihm nach sein Helm und Schild,
Da sprach die alte Gräfin (seine Mutter): o weh, o weh, mein liebes Kind,
dass ich hier die Letzte bin.

Den Schwestern des Erblassers, den Gräfinnen Anna und Apollonia, wurde neben einer entsprechenden Aussteuer alles in den Häusern zu Ruppin, Neustadt und Goldbeck vorgefundene Bargeld, Silbergeschirr, Bett- und sonstige Geräte, Vieh, Korn und dergleichen mehr, mit Ausnahme eines Pferdes, gesattelt und gezäumt, mit Barsen, Stirn- und Strohhals, eines Streithammels, eines Schwertes, eines Bettes mit Kissen, einiger Laken, eines Tischtuches, eines Handtuches und zweier Becken. Diese Gegenstände wurden dem Kurfürsten nach altem Brauch als Kriegswette versprochen.

Vergeblich versuchte der Freiherr von Geroldseck, der Gemahl der Gräfin Anna, Ansprüche auf die Grafschaft Lindow selbst geltend zu machen. Joachim II. räumte erst 1548, aus welchem Grund auch immer, der Gräfin Anna und ihren Nachkommen die Anwartschaft auf alle in der Grafschaft ledig werdenden Adelslehen ein. Ein solcher Fall ist jedoch nie eingetreten.

Die Burg der Grafen von Alt-Ruppin stand zum Teil noch bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts, wo man, als Neu-Ruppin abbrannte, die Steine abbrach und zum Bau dieser Stadt verwendete. Bei der Schiffbarmachung des Rheins im Jahre 1836 fand man an der langen Brücke eine eiserne Hand wie die von Berlichingen und einige Schwerter, welche Stücke endlich in das Museum des Gymnasiums zu Neu-Ruppin gelangten.

An der Stelle des Schlosses steht jetzt das Rentamt; nichts erinnert mehr an die alte Zeit, nur um Mitternacht will man noch öfter eine weiße Frau gesehen haben, die mit einem Schlüsselbund an der Seite von dort herunterkommt, die Hauptstraße entlang bis zur Brücke geht und dann umkehrt. Aber den Ort, den sie bewachen sollte, findet sie nicht mehr.