Der Detektiv – Band 29 – Die Menam-Brüder – Kapitel 3
Walter Kabel
Der Detektiv
Band 29
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Die Menam-Brüder
Eine Nacht auf dem Menam
Um zehn Uhr abends begaben wir uns in den Trafalgar-Klub, dessen vornehmes Heim unweit der Riesenpagode Wat Tscheng liegt. Harst hoffte dort den Chef der Bangkoker Polizei, den Amerikaner Tobias Walker, zu finden. So war es auch. Ganz unauffällig nahmen wir ihn beiseite, und Harst bat ihn dann, er möchte vier seiner besten Detektive uns sofort zur Verfügung stellen.
Walker telefonierte nach der Polizeidirektion, und eine halbe Stunde darauf standen uns in einem Klubzimmer vier ältere Siamesen gegenüber, die Walker uns als durchaus zuverlässig und sehr gewandt warm empfahl.
Harst hatte den Polizeichef nicht weiter in die Sachlage eingeweiht. Auch nun gab er nur seine Befehle aus, ohne den Grund dieser näher zu erörtern.
»Mein Freund Schraut und ich«, sagte er, »werden um Mitternacht heute in den Menam eine Sektflasche werfen, und zwar in der Mitte des Stromes gegenüber dem Wohnschiff der Madame Pordepierre. Sie vier sollen nun, verkleidet als Frachtbootleute auf einem Boot möglichst unauffällig den Verbleib dieser Flasche feststellen, da wir beide dies nicht gut tun können.«
Die Detektive, sämtlich vielseitig gebildete Leute, versprachen Harst, den Auftrag gewissenhaft auszuführen. Sie schienen sich die Sache sehr leicht vorzustellen. Harst warnte sie noch, ja recht vorsichtig zu sein, damit sie keinen Verdacht erregten. Dann verließen die vier den Klub wieder und auch wir kehrten um halb zwölf zu dem schwimmenden Pensionat zurück.
Kurz vor Mitternacht ruderten wir dann in den Strom hinaus, dessen eigentliche Fahrrinne nun einsam und verlassen war. Nur selten kam ein Dampfer, ein Polizeiboot oder ein Frachtfahrzeug vorüber.
Die Nacht war sternenklar und heiß. Bangkok hat ja eine mittlere Jahrestemperatur von 30 Grad und ist für Europäer der sumpfigen Flussufer wegen sehr ungesund. Als wir die Mitte des Stromes erreicht hatten, kam ein großes Flachboot flussabwärts, auf dessen Deck vier Leute sich tummelten: unsere Hilfstruppen!
Die Flasche flog in den Fluss. Damit sie leichter zu erkennen wäre, hatte Harst um den Hals eine zusammengeknüllte Zeitung festgebunden.
Darauf ruderten wir zu Madame Pordepierres schwimmendem Heim zurück, begaben uns in unser Gemach, löschten das Licht und taten, als wären wir zu Bett gegangen. In Wahrheit saßen wir im Dunkeln in unseren Korbsesseln nebeneinander und tauschten hin und wieder eine geflüsterte Bemerkung aus.
Was Harst in dieser Nacht noch weiter plante, wusste ich nicht. Er hatte mir nur gesagt, dass er gegen zwei Uhr nachts noch in der Nähe einen Besuch abstatten wolle. Das klang ja sehr harmlos, dieses Besuch abstatten. Ich wusste jedoch schon aus Erfahrung, welcher Art diese Besuche waren.
Ich wurde allmählich müde. Ich gehöre ja nicht mehr zu den Jüngsten. Zuweilen nickte ich in meinem Korbsessel ein. Bald schlief ich ganz fest und schnarchte daher recht echt.
Um halb zwei weckte Harald mich. Er hatte inzwischen unsere Fenster mit Decken dicht verhängt und die Petroleumlampe angezündet.
»Legen wir uns unsere Chinesenkostüme an«, meinte er und deutete auf den offenen Koffer. »Chinesen fallen hier nicht weiter auf. Von der Sorte gibt es hier ja übergenug.«
Wir hatten Übung im Verkleiden und zehn Minuten darauf waren wir zwei schmierige, armselige Kulis in Leinenkitteln und Bastschuhen. Harst löschte nun die Lampe, öffnete leise die Tür und huschte auf Deck, kam sehr bald zurück und meldete, dass alles sicher sei. Wir krochen dann bis zur Schiffstreppe, krochen auch die Stufen hinunter und ketteten einen kleinen Kahn los, duckten uns darin ganz tief zusammen und ließen ihn mit der Strömung davontreiben. Sehr bald stieß das Boot dumpf polternd an ein anderes Wohnschiff. Wir richteten uns auf, und Harst ruderte nun langsam durch die engen Wasserstraßen zwischen den verankerten Fahrzeugen und Flößen hindurch, bis wir eine abgetakelte malaiische Prau dicht vor uns hatten.
Der plumpe Schiffskörper, dessen Bug- und Heckaufbauten so sehr an jene Segler erinnerten, mit denen Kolumbus einst Amerika entdeckte, lag düster und völlig dunkel da. Nicht einmal auf Deck brannte eine Laterne.
Unser Boot lag nun im Schatten eines hochbordigen Wohnschiffes, an dessen Treppen wir uns festhielten. Die Zeit verstrich. Harst starrte nur dauernd zu der abgetakelten Prau hinüber, regte sich kaum. Vogelschwärme strichen über den Fluss. Einmal tauchte neben uns auch der Kopf eines Krokodils auf, verschwand schnell wieder. Diese Bestien spielen hier in dem schwimmenden Bangkok die Gesundheitspolizei, fressen alles, was ins Wasser geworfen wird und werden daher auch geschont. Einen Menschen anzugreifen, dazu sind die Krokodile meist zu faul.
Ich begriff nicht recht, weshalb wir so völlig untätig blieben. Dieses Beobachten der Prau war sehr langweilig. Es geschah nichts – gar nichts!
Eine halbe Stunde mochte verstrichen sein, als von der Mitte des Flusses mehr zwischen den Schiffsrümpfen ein schmales, langes Boot auftauchte, in dem fünf Ruderer saßen. Es hatte nur achtern ein Verdeck und auf diesem eine kleine Bambushütte. Es legte an der Schiffsleiter der Prau an – denn der alte Kasten hatte nicht mal eine Treppe–, und die Leute holten dann aus der Bambushütte zwei große Rollen hervor und trugen sie auf die Prau hinüber. Die Rollen sahen so aus, als wären es zusammengerollte Bastmatten.
Harst beugte sich zu mir hinüber und flüsterte: »Morgen wird der REKORDER wieder eine Notiz bringen.«
»Eine Notiz?«
»Ja – über den Eifer der Menam-Brüder.«
Ich verstand nicht, was er meinte.
»Was willst du damit andeuten?«, fragte ich.
»Nichts Besonderes, mein Alter.«
Das Boot verließ nun wieder die Prau und kam dicht an uns vorüber.
Nur undeutlich erkannte ich nun, als wir tief zusammengekauert dahockten, dass Harst mit irgendeinem blinkenden Gegenstand hantierte. Was er damit machte, konnte ich nicht unterscheiden. Er schien jedoch auch eine Flasche in der linken Hand zu halten.
Kaum war das Boot verschwunden, als er sich aufrichtete und flüsterte: »So – hoffentlich ist es gelungen!«
Er ließ dann unseren Nachen treiben, und eine Viertelstunde darauf waren wir wieder in unserem Gemach bei Madame Pordepierre. Auf meine Frage, was er denn mit dem blinkenden Gegenstand vorgehabt hätte, hatte Harald nur erwidert: »Es war ein Zeichenapparat!«
Damit musste ich mich begnügen.
Nun – diese Nacht auf dem Menam hatte mich angenehm enttäuscht. Es war sehr friedlich hergegangen. Ich hatte mir diesen Besuch ganz anders vorgestellt.
Als wir uns entkleideten, sagte Harst mit einem Mal: »Weißt du auch, wo die Prau ankert, die wir beobachtet haben?«
»Wie soll ich das wissen – bei der Unmenge von Fahrzeugen! Wir sind ja auch stets kreuz und quer gefahren.«
»Das allerdings! Und doch kannst du mit einem Stein von hier aus hinüberwerfen, mein Alter. Denn die Prau ist das Schiff, das heute gegen Abend verankert wurde, als wir an Deck saßen; es ist der Neuling, mit dessen Eindringen die Nachbarn so wenig einverstanden waren.«
Sehr gern hätte ich nun noch mehr gefragt. Aber Harst schlüpfte unter die Decke und rief mir sein »Angenehme Ruhe!« zu.
Die Prau so dicht bei uns! Wer hätte das gedacht! Es war recht beschämend für mich, dass ich dies nicht selbst herausgefunden hatte.