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Detektiv Nobodys Erlebnisse und Reiseabenteuer Band 1 – Teil 7

Detektiv Nobodys Erlebnisse und Reiseabenteuer
Nach seinen Tagebüchern bearbeitet von Robert Kraft
Band 1
Kapitel 2, Teil 2

Auch Journalisten waren zugegen gewesen, sie ar­beiteten mit Volldampf. Früh um acht Uhr erschienen die Zeitungen, alles brühwarm erzählend, und nun wollen wir uns gar nicht des Längeren dabei aufhalten, wie der Fall vom Publikum aufgefasst wurde. Die Erregung war furchtbar.

Denn nun erinnerte man sich doch an alles, was damals über das Katana und über die japanischen Götter so ausführlich berichtet worden war, wie Keigo Kiyotaki so gedroht hatte, usw. usw.

Da plötzlich erscholl der Ruf durch die Straßen: »Der Mörder ist bereits gefasst! Keigo Kiyotaki ist es gewesen, welcher heute Nacht Loftus Deacon er­mordet hat! Alles ist erklärt!«

Am Morgen nach der Mordnacht, früh um sechs Uhr, noch bei völliger Dunkelheit, beobachtete ein Detektiv die Passagiere, welche sich im East-Jndia Dock an Bord eines nach Singapore gehenden Dampfers begaben.

Da fielen diesem Detektiv die Gesichtszüge eines Mannes auf, der soeben die Laufbrücke betreten wollte. Er war in einen langen Mantel gehüllt, der Kragen hochgeschlagen, der Schlapphut tief in die Augen gezogen. Aber ganz war das Gesicht doch nicht verhüllt, und der scharfe Blick des Detektivs war gerade darauf gefallen, als es in das Licht einer Gaslaterne kam.

»Hallo, wer ist denn das? Wo habe ich denn diese gelbbraunen Züge schon einmal gesehen? Himmel, das ist ja …«

Dem Publikum ist noch nicht bekannt, was heute Nacht in Deacons Haus passiert ist. Die Zeitungen sind ja noch nicht heraus, wohl aber weiß der Detektiv schon darum, und blitzschnell wickelte sich in seinem Kopf eine Kette von Gedanken ab. Er eilte dem Mann nach und vertrat ihm auf der Brücke den Weg.

»Ka … Ke … Ki … Ko … Ku … Wie ist Ihr Name, mein Herr? Ich bin staatlicher Detektiv, hier meine Marke. Also wie heißen Sie, mein Herr?«

Der Angeredete musste wohl oder übel stehen bleiben, er blickte den Fragenden ruhig an.

»Nix Englisch«, meinte er dann kopfschüttelnd und wollte seitwärts ausweichen. Der Detektiv vertrat ihm aber­mals den Weg, fasste ihn an.

»Halt! Ich habe das Recht, mir Ihr Gesicht ge­nauer zu besehen.«

Damit zog er dem Mann den Mantelkragen herab und schob den Hut hoch.

»Ah, jetzt fällt mir auch Ihr Name ein, wenigstens der eine: Keigo!«

Der andere blieb noch immer ruhig.

»Nix Keigo, ich heiße Kanamuro.«

»Ich irre mich nicht. Folgen Sie mir zur Wache.«

Die Dampfpfeife gab das Zeichen zur Abfahrt des Schiffes, der Japaner wollte sich schnell zur Seite drängen, aber der Detektiv packte zu.

»Im Namen der Königin, Sie sind verhaftet! Sie wehren sich?«

Der Detektiv ließ seine Notpfeife erschallen, im Augenblick waren Konstabler da, der Dampfer fuhr da­von, der Festgenommene wurde zur nächsten Polizei­wache geführt. Gepäck hatte er nicht bei sich.

»Ich halte diesen Mann für verdächtig, mit der Ermordung des Loftus Deacon in Verbindung zu stehen«, erklärt der Detektiv dem Polizeiwachtmeister.

Der Mann hat einen auf den Namen Kanamuro lautenden japanischen Pass bei sich, vom englischen Kon­sul in Tokio beglaubigt für die Reise nach England, und beharrte dabei, nicht Eng­lisch sprechen zu können.

Aber der Detektiv war sich seiner Sache sicher. Es war ein Zufall, dass er damals, wie sich Keigo Kiyotaki einige Tage in London aufhielt, diesen mehrmals gesehen hatte, und der Detektiv besaß ein vorzügliches Gedächtnis für Physiognomien, er hatte ihn sofort wiedererkannt.

Er machte dem Wachtmeister seine vertraulichen Mit­teilungen, und die Sache lag so, dass der Mann, welcher sich Kanamuro nannte, sofort ins Untersuchungsgefängnis überführt wurde.

Kaum war er dort eingetroffen, erschienen auch schon der bestellte Jensy und noch ein anderer Diener, um mit dem verdächtigen Mann konfrontiert zu werden.

»Keigo Kiyotaki!«, riefen beide wie aus einem Mund.

Da gab der Japaner in fließendem Englisch zu, dass er es ist, er erzählte — viel war es nicht.

Gestern früh war er aus Singapore mit einem Dampfer in London eingetroffen, hatte die Nacht in einem Hotel geschlafen, heute früh wollte er sich schon wieder nach Singapore einschiffen.

Der junge Japaner war völlig ruhig, er brauchte nicht erst gefragt zu werden, in welchem Hotel er logiert habe. Mit dem größten Gleichmut belastete er sich selbst, indem er das Hotel angab, welches in der Bedfordstreet liegt, ganz nahe an Deacons Haus.

Aber der Untersuchungsrichter ließ sich nicht be­irren, er kannte bereits den japanischen Gleichmut.

»Was haben Sie an diesem einen Tag in London getan?«

»Ein Geschäft abgewinkelt.«

»Was für ein Geschäft?«

»Dieses Geschäft ist mein Geschäft und nicht Ihres«, erwiderte der junge Japaner nun trotzig.

»Das heißt, Sie wollen es nicht sagen?«

»Nein, das brauche ich nicht.«

»Das werden wir sehen. Sie sind vor etwa einem Vierteljahr in London gewesen, um von Mr. Loftus Deacon, den Sie doch kennen, ein sogenanntes Katana- Schwert, welches einst Ihrer Familie gehörte, zurückzufordern oder es ihm abzukaufen. Stimmt das?«

»Ja«, gab Keigo nun offen zu.

»Sie erreichten Ihren Zweck nicht?«

»Nein.«

»Haben Sie gestern oder diese Nacht Mr. Loftus Deacon gesehen und gesprochen?«

»Nein.«

»Wozu begaben Sie sich nochmals nach London?«

»Das ist meine Sache.«

»Um abermals zu versuchen, in den Besitz des Ihnen so überaus wertvollen Schwertes zu gelangen.«

»Nein.«

»Sie haben sich gestern oder heute Nacht in Mr. Deacons Haus geschlichen und Mr. Deacon er­mordet.«

Allerdings machte diese direkte Beschuldigung auf den jungen Japaner einen großen Eindruck, aber doch nicht den, den man eigentlich erwartet hätte. Weder schlug die Anklage ihn nieder, noch stellte er sich teilnahmslos, er fuhr nur etwas zusammen und starrte mit großen Augen den Untersuchungsrichter an.

»Er … mor … det?«, wiederholte er mit Bestürzung. »Ist denn … Mr. Deacon … tot?«

Wie gesagt, der Untersuchungsrichter hatte in dieser internationalen Riesenstadt, in der sich die Völker aller Zonen und die Verbrecher aller Menschenrassen ein Rendezvous geben, auch schon mit Japanern seine Er­fahrungen gemacht, er ließ sich durch nichts beirren.

Solch ein verstockter und verschmitzter Bursche musste klipp und klar überführt werden, sonst war ihm gar nicht beizukommen.

Keigo wurde vorläufig in seine Zelle zurückgeführt.

Unterdessen war die ganze Maschinerie Londoner Polizei in Bewegung gesetzt worden, der Telegraf spielte nach allen Richtungen, um Erkundigungen über den mut­maßlichen Mörder einzuziehen, der noch auf der Themse befindliche Dampfer wurde in Tilbury angehalten, es wurde nach dem Gepäck eines Passagiers namens Kanamuro gefragt – jawohl, das lag in der von ihm belegten Kabine, ein dicker Lederkoffer und ein ganz flacher, aber sehr lang und breit, so eine Art von Musterkoffer – alles wanderte zum Untersuchungsgefängnis.

Keigo Kiyotaki wurde wieder vorgeführt.

»Kennen Sie dieses sogenannte Katana, welches in Ihrem Koffer gefunden wurde?«, fragte der Richter, griff hinter sich und hielt dem Japaner ein Schwert entgegen.

Als Keigo dieses Schwert sah, da war es mit ihm vorbei. Mit einem unartikulierten Schrei prallte er zurück.

Gleich darauf aber hatte er sich wieder gefasst, richtete sich auf, nahm eine würdevolle Stellung ein und sagte mit ruhiger, lauter Stimme: »Ich spreche hiermit mein letztes Wort: Wenn Loftus Deacon wirklich ermordet worden ist, so schwöre ich bei Tensis Dai Dsin, bei Kami und Hachiman, dass ich an seinem Tod unschuldig bin!«

»Wie ist denn dieses Schwert, welches sich bis heute Nacht im Besitz von Mr. Loftus Deacon befand, plötzlich in Ihren Koffer gekommen?«

Vergebliche Frage. Der junge Japaner hielt sein Versprechen, nie mehr kam ein Wort über seine Lippen. Teilnahmslos saß er in seiner Zelle, teilnahmslos stand er vor seinen Richtern, er sah und hörte nichts mehr.

Doch einen freiwilligen Tod suchte dieser junge Japaner nicht, er aß, wenn man ihm etwas vorsetzte, nur dass er eben sonst ganz teilnahmslos war und nicht mehr sprach.

Wenn man nicht an Formalitäten gebunden ge­wesen wäre, hätte man über Keigo noch an demselben Tag den Stab brechen können. Mit dem Auffinden des vermissten Schwertes in seinem Koffer war seine Schuld völlig und vollständig bewiesen! Weil die Fenster von innen verriegelt gewesen waren und man behauptete, kein Mensch hätte sich unbemerkt aus dem Haus entfernen können? Nun, das war eben eine vor­schnelle Behauptung gewesen.

Keigo hatte sich nochmals nach London begeben, um das Schwert seiner Väter auf irgendeine Weise zu er­langen, jedenfalls schon zu allem entschlossen. Sein Hier­sein mit dem ehernen Kriegsgötzen in Verbindung zu bringen, von so etwas schwatzten nur die Sensationsblättchen, die auf die Dummheit des abergläubischen Volkes spekulieren, und dieses, welches in allem und jedem etwas Wunderbares sucht, mochte Derartiges denn auch glauben. Die aufgeklärten Leute dachten anders. Dass an diesem Tag gerade der von Deacon gekaufte Hachiman in die Wohnung transportiert wurde, war ein­fach ein Zufall, und der kluge Japaner machte sich diesen sofort zunutze.

Bei der Menge der heute im Haus beschäftigten Arbeitsleute war es dem Japaner, der sehr wenig Mongolisches an sich hatte, so leicht gemacht worden, unbemerkt hineinzugelangen. Ein Versteck fand der ge­schmeidige Japaner schon, vielleicht verbarg er sich in einer der riesigen Vasen seiner Heimat. Hier wollte er warten, bis im Haus alles still war, dann nahm er das Katana und sprang durch das Fenster auf die Straße.

So tat er denn auch. Aber nur der erste Teil des Programms kam zur Ausführung. Gegen Mitter­nacht verließ er sein Versteck. In diesem Augenblick – das sind natürlich alles nur Vermutungen – als er an seinem Ziel war, trat der Hausherr, welcher seinen Götzen noch einmal sehen wollte, mit der brennenden Lampe ein.

Schnell warf sich Keigo hinter das mit einem roten Tuch verhangene Piedestal der Figur. Deacon setzte die Lampe auf den Tisch und trat an den Götzen. Da fiel sein Blick auf den Eindringling, der sah sich verraten, nun war ihm alles gleichgültig. Blitzschnell sprang er auf, ergriff das ihm auf dem Altar handbereit liegende Katana und führte die zwei mörderischen Schläge nach dem Alten.

Hoch auf spritzte das Blut, es benetzte den Kriegs­gott, auch dessen Schwert. Der Mörder selbst mochte von dem Blutstrahl nicht getroffen worden sein.

Da erscholl Jensys Klopfen und Frage, Keigo sprang in sein Versteck zurück. Und es sollte so ganz unmöglich gewesen sein, dass der Mörder unbemerkt den Ausgang gewann? Durch die geöffnete Haustür strömten doch Polizisten, Detektive, Ärzte und Journalisten her­ein. Sie kamen und gingen, dem geschmeidigen Japaner war es vielmehr sehr leicht geworden, sich unbemerkt wieder zu entfernen, ehe das Suchen nach dem Mörder begann. Sein Taschentuch mochte genügt haben, um das Blut von dem Katana, welches er natürlich mitnahm, abzuwischen, sodass er nicht die geringste Spur hinterließ.

Ja, so war es gewesen, nicht anders; Keigo Kiyotaki brauchte gar nicht zu sprechen, der ganze Vorgang sprach für sich selbst. Man hatte dem so gemütlich lachenden Kriegsgott bitteres Unrecht zugefügt, als man ihn im Verdacht der Täterschaft gehabt hatte. Die eherne Figur hatte gar keinen Mechanismus im Leib. Deshalb brauchte sie auch nicht erst angebohrt zu werden – was seine Schwierigkeiten gehabt hätte, das heißt, eine Ver­letzung des kostbaren Götzen wäre so ohne Weiteres gar nicht erlaubt worden, aus einem Grunde, den wir gleich erfahren werden.

Doch hatte der Sterbende nicht selbst gesagt, dass Hachiman ihn ermordet habe?

Das war natürlich nichts weiter als eine Ideenverbindung im Todeskampf gewesen. Denn den Japaner hatte Deacon natürlich gesehen, im Todeskampf hatte er nur noch daran gedacht, wie ihm Keigo mit des Kriegs­gottes Rache gedroht, und diesen Gedankengang hatte er mit seinen letzten Worten ausgedrückt.

Während die in London weilenden Japaner durch­aus nichts von ihrem des Mordes angeklagten Lands­mann wissen wollten, die japanische Gesandtschaft sich ängstlich hütete, sich in den Prozess einzumischen, fehlte es nicht an hochherzigen Engländern, welche für den jungen Japaner Mitleid empfanden und offen Partei für ihn ergriffen. Und es war kein anderer als der berühmte Sir Edward Clane, der wegen seiner juristischen Ver­dienste von der Königin zum englischen Baronet er­hobene Rechtsanwalt, welcher freiwillig Keigos Ver­teidigung übernahm.

Sir Edward Clane! Wenn es je einen wahrhaft edlen Menschen gegeben hat, wenn je ein Bürgerlicher den Adelstitel als Auszeichnung vor anderen verdient hat, so ist es dieser englische Rechtsanwalt, der Sohn eines armen Bauern. Er übernahm von jeher die Ver­teidigung der schwierigsten Fälle, von Raubmördern und anderen Verbrechern, welche die Todesstrafe oder die schwersten Zuchthausstrafen verdienten. Aber nicht etwa, dass er mit juristischen Spitzfindigkeiten aus Schwarz Weiß, aus einem Teufel einen Engel zu machen suchte – nein, vielleicht im Gegenteil.

»Herr, allgnädiger Gott, führe uns nicht in Ver­suchung, denn wir sind allzumal schwache Menschen und zur Sünde geneigt.«

Mit diesen Worten begann er jede seiner Verteidigungs­reden, und dann verwandelte sich jedes Mal der weite Gerichtssaal in eine Kirche, und die Zuhörer lauschten mit angehaltenem Atem diesem gottbegnadeten juristischen Prediger, der mit der Allmacht seiner Rede auch die steinernsten Herzen zermalmte, bis sie von Tränen überflossen.

Auf diese Weise hat er nicht weniger als vierzehn Menschen, welche den Strang verdienten, das Leben ge­schenkt. Sie wurden nur zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt, und der zu lebenslänglichem Zuchthaus Ver­urteilte wird in England bei guter Führung regelmäßig nach zehn bis spätestens fünfzehn Jahren begnadigt. Zahllos sind die Fälle, in denen er die vorgeschlagene Zuchthausstrafe bis zur Hälfte herabdrückte, eben nur durch die Gewalt seiner Rede, welche allein an die Herzen der Menschheit appellierte.