Adventskalender 2024 – 3. Türchen
Ein Metzgergeselle, der sich tief im Wald verirrt hatte, traf dort einen Jäger, der auf einem Baumstamm ruhte und sehr prächtig gekleidet war und auch glänzende Lederstiefel trug. Er grüßte ihn freundlich, und weil er auch müde war, setzte er sich zu ihm und fragte: »Wohin, wohin, Bruder Stiefelschmer?«
Der Jäger lachte über den Gruß und sprach: »Ich weiß selbst nicht, woher und wohin. Ich habe mich im Wald verirrt und hatte gehofft, dass Ihr den Weg wisst. Hier im Wald soll es nicht richtig sein.«
»Bah!«, rief der Metzger, »fürchtet Euch nicht. Seht Ihr hier meinen Stab? Solange ich ihn bei mir habe, fürchte ich tausend Teufel nicht.«
Der Jäger sah den Stab an und meinte: »Nun, so gefährlich ist er noch nicht. Ich habe Hirschfänger und Gewehr; aber was nützt das, wenn wir den Räubern in die Hände fallen, die hier ihr Unwesen treiben sollen?«
»Fürchte dich nicht!«, sprach der Metzger. »Wir wollen zusammenbleiben; ich weiß hier auch weder Weg noch Steg.«
»Das ist ein schlechter Trost«, erwiderte der Jäger.
Sie gingen zusammen und kamen bald zu einem Haus im Wald. Da freute sich der Metzger und rief: »Komm, Bruder Stiefelschmer, hier geht’s lustig zu.«
Widerwillig folgte ihm der Jäger, es war ihm dort nicht wohl. Aber der Metzger war schon in der Stube und bestellte ein Abendessen und zwei Betten.
Bruder Stiefelschmer lauschte an der Tür und hörte, wie eine alte Frau zu seinem Gesellen sagte: »Ihr seid hier ganz unrecht und solltet euch schleunigst aus dem Staub machen, denn ich habe zwölf Söhne, und wenn sie nach Hause kommen und euch hier finden, so seid ihr des Todes Kinder.«
»Papperlapapp«, entgegnete der Metzger, »wir müssen auch mitmachen. Bringt uns nur bald etwas zu essen, sonst müssen wir verhungern. Das ist der schlimmste Tod, habe ich mir sagen lassen.« Damit ging er hinaus und suchte den Jäger, der sich aber inzwischen in der Scheuer versteckt hatte. Endlich fand er ihn zwischen zwei großen Heubündeln. Er musste ihn mit Gewalt herausziehen.
»Sei klug«, mahnte er, »willst du hier verhungern? Komm mit ins Haus und verlass dich auf meinen Zauberstab. Solange ich ihn habe, hast du nichts zu befürchten. Das Essen kann jetzt zubereitet werden, und ich wette, es wird dir schmecken.«
»Aber wir sind in eine Räuberhöhle geraten«, warf der Jäger ein.
»Glaubst du«, sprach der Metzger, »dass man in einer Räuberhöhle von der Luft leben kann? Komm nur herein und iss für zwei. Wer weiß, wann wir wieder etwas finden. Die Küchen hier im Wald sind selten. Ich rate dir, gleich einen guten Stiefel zu trinken. Nachher, wenn die Räuber kommen und ich ihnen die Suppe versalzen habe, darfst du nichts mehr anrühren. Du musst aber so tun, als ob du nicht satt werden könntest. Hörst du, Bruder Stiefelschmer? Und noch eins, nimm dich zusammen und lass dir die preußischen Ängste nicht anmerken. Und wenn du siehst, wie ich meinen Stock dreimal in der Luft schwinge und dann wie einen Stimmhammer auf den Tisch schlage, dass die Gläser klirren, dann mach’s mir gleich nach mit deinem Hirschfänger. Du wirst sehen, es wirkt Wunder. Nun komm mit, Bruder Stiefelschmer.«
Da musste Bruder Stiefelschmer, ob er wollte oder nicht, mit in die Stube gehen und mit den Gläsern nachklopfen. Es dauerte auch nicht lange, so kamen die zwölf Räuber, und als der Hauptmann die beiden Gäste sah, rief er laut: »Nun, Gott sei’s getrommelt und gepfiffen: Das ist ein Wundpflaster. Den ganzen Tag haben wir nichts gefangen; jetzt sind uns wenigstens ein paar Vögel ins Garn geflogen. Aber seid ihr auch fett?«
»Ich glaube«, sagte der Metzger und schüttelte seine Katze, »die Goldfritzen klingen. Und Bruder Stiefelschmer sieht mir auch nicht aus, als hätte ihm der Mond in den leeren Sack geschienen. Ihr könntet uns wohl eine ordentliche Galgenmahlzeit zubereiten, denn wir wissen ja, was die Glocke geschlagen hat. Aber wir wollen uns wenigstens vorher ordentlich bedienen lassen und nicht mit leerem Magen über die Klinge springen. Was uns die Alte hier aufgetischt hat, ist wie ein Tropfen auf den heißen Stein, so ausgehungert sind wir hier im Wald.«
»Ihr redet vernünftig«, entgegnete der Hauptmann, »und wir wollen uns nicht mit einer Mahlzeit begnügen. Aber versäumt nicht das Tischgebet. Wir machen nicht viel Federlesens, wenn wir im Tritt sind. Aber Alte, warum trägst du nicht auf? Siehst du nicht, wie müde wir sind? Wir haben hier einen guten Fang gemacht: Du musst tüchtig ausweichen.«
»Es ist drinnen gedeckt«, sprach die Alte. »Ich sehe nicht ein, dass die Fremden mitessen sollen. Geht nur hinein, der Braten dampft schon, und wenn es euch recht ist, will ich Glühwein aufsetzen.«
»Stimmt, alte Katze«, meinte der Hauptmann, »aber einen guten Eimer voll, denn der König hat uns Schweiß gekostet. Ich weiß nicht, ob ich noch einen Tropfen Blut in mir habe. Es hieß, er jage inkognito im Wald. Wir haben alles durchsucht, und die im Eiskeller auch; aber wenn die nicht glücklicher gewesen wären, wir haben keinen Schwalbenschwanz von einem König gesehen.«
»Wer weiß, wozu das gut war«, sprach einer der Räuber. »Ich traue dem König nicht zu, allein im Wald zu jagen; aber wenn uns das ganze Gefolge begegnet wäre …«
»Lasst es gut sein«, sagte der Hauptmann, »und geht mit mir hinein. Nun, ich sehe, die Alte hat es gut mit uns gemeint. Auch für unsere hungrigen Galgenvögel ist hier genug zu essen. Die Alte soll noch zwei Gedecke auflegen. Aber da ist sie ja schon. Setzt euch und tut so, als wärt ihr zu Hause. Richtig, guter Freund, auf meine grüne Seite. Aber warum nehmt Ihr nicht Platz, Bruder Stiefelschmer, wenn es mir recht ist?«
»Ja, Bruder Stiefelschmer, Ihr seht es an seinen Füßen. Er ist noch nicht richtig warm geworden, deshalb zittert er so. Wenn der Punsch kommt, wird es ihm besser gehen.«
Nun saßen sie alle vierzehn um den Tisch und ließen sich schmecken, was die Alte gekocht hatte. Auch Bruder Stiefelschmer langte zu, weniger aus Hunger, als um nicht ermahnt zu werden.
Als sie einen guten Kropf gegessen hatten, kam die Alte und sagte, der Eimer sei so schwer, dass man ihn zu zweit auf den Tisch tragen müsse; sie habe nicht die Kraft dazu. Da schickte der Hauptmann seinen Nachbarn zur Linken und den Metzger, der zu seiner Rechten saß. Beide waren kräftige Männer, aber ihre Achselbänder knackten, als sie den riesigen Punsch auf den Tisch hoben. Der Hauptmann ließ es sich nicht nehmen, die Gläser selbst zu füllen.
Da klopfte der Metzger seinem rechten Nachbarn auf die Schulter und sprach: »Nun, Bruder Stiefelschmer, komm her und lass uns auf die Gesundheit der ganzen Kompanie trinken.«
»So ist’s recht«, rief der Hauptmann, »unser Gast mit der Katz versteht sich aufs Leben. Er ist ein flotter Bursche, den können wir brauchen. Stoßt alle mit ihm an: Die ganze Compagnie soll leben, hoch! Aber Bruder Stiefelschmer muss noch besser anheizen. Schmeckt der Wein nicht?«
»Er ist etwas schwach«, stellte der Metzger fest, »aber man muss nur mehr trinken, vielleicht hilft das. Darf ich noch eine Gesundheit ausbringen?«
»Ei«, rief der Hauptmann, den der Mut des Gastes freute, »warum nicht! Noch zwei für mich!«
»Nun, das soll ein Wort sein, noch zwei«, sagte der Metzger. »So will ich das erste auf unseren Hauptmann trinken, und er soll hoch leben! Und zum zweiten hoch! Und zum dritten Mal hoch!«
»Hoch!«, rief die ganze Bande und stieß mit dem Metzger an, dass die Gläser zersprangen.
Auch Bruder Stiefelschmer ließ es sich nicht nehmen, mit allen anzustoßen und die Gläser bis auf den letzten Tropfen zu leeren. Jetzt bin ich gespannt, dachte er bei sich, auf wen das dritte Hoch geht.
Der Hauptmann dankte für die erwiesene Ehre, schenkte den Fremden und der ganzen Compagnie die Gläser wieder voll und bat, nun das dritte Hoch folgen zu lassen.
Da griff der Metzger nach seinem Glas, hob es auf und sprach: »Das dritte Glas leere ich auf die Brudercompagnie im Eiskeller drüben, und damit ihr desto bereitwilliger auf die Gesundheit trinkt, soll ich einen schönen Gruß verkünden, und den König hätten sie gefangen.«
»Den König gefangen! Das ist bitter«, brummte der Hauptmann. »Bitter, dass wir ihn nicht selbst haben. Aber süß«, fügte er hinzu, »dass er gefangen ist, und so soll es sein. Die ganze Kompanie in den Eiskeller! Und noch einmal hoch! Und zum dritten Mal hoch!«
Alle stießen an und tranken aus; auch Bruder Stiefelschmer ließ sich nicht ermahnen und tat seine Schuldigkeit.
»Ich wünschte, der Wein wäre auch so bitter mit der Süße: Wie kannst du nur das weiche Zeug vertragen, Bruder Stiefelschmer?«
»Der Punsch schmeckt mir vorzüglich«, antwortete der Jäger.
»Zu süß, Bruder Stiefelschmer, zu süß! Das widersteht mir beim dritten Glas, und ich trinke gern noch mehr.«
»Aber«, unterbrach sie der Hauptmann, »woher habt ihr den Auftrag? Kennt Ihr das Zeichen? Ihr seht mir gar nicht aus, als wärt ihr von der Bande. Lasst uns das Zeichen sehen!«
Der Metzger stand auf, schwang seinen Stab dreimal über den Kopf und schlug ihn wie einen Stimmhammer auf den Tisch, dass die Gläser den Ton gaben. Bruder Stiefelschmer tat es ihm mit seinem Hirschfänger fast gleich.
»Wer hätte das gedacht«, rief der Hauptmann mürrisch. »Und der kleine ängstliche Hase Bruder Stiefelschmer ist auch von der Compagnie? Da täuscht man sich nicht mehr als bei Menschenkindern. So will ich nun auch eine Gesundheit ausbringen. Unsere beiden Gäste sollen leben, hoch!«
»Nur einen Augenblick Geduld«, bat der Metzger. »Der Punsch ist zu süß, davon kann man nicht viel trinken. Frag doch die Alte, ob sie keine grünen Pomeranzen hat.«
»Pomeranzen!«, frohlockte der Hauptmann, »die wachsen auch hier im Wald!«
»Ei!«, rief der Metzger, »in meiner Katze wachsen sie auch nicht, und doch trage ich immer welche bei mir. Seht nur! Werft sie hinein, sie sind ganz frisch und grün. Riecht, wie köstlich! Das macht das Herz wieder stark.« Dabei ließ er den Hauptmann die Goldfritze sehen, dass ihm das Maul wässerte nach dem Fang, der ihm nun entging, da sie von der Eiskellerbande waren, mit der er gute Freundschaft hielt. Aber er vergaß es bald, denn die Gefangenschaft des Königs war mehr Trost als zwanzig goldene Katzen. So trank er kräftig von der Bowle und vergaß darüber den Trinkspruch, den er schon angekündigt hatte.
Sie schmeckte nun wirklich immer besser, je mehr die grünen Pomeranzen zogen. Er schenkte den Nachbarn ein und schenkte den Nahen und Fernen ein und brauchte niemandem etwas zu sagen; nur Bruder Stiefelschmer tadelte das Getränk: es sei zu bitter, die grünen Pomeranzen hätten nicht so lange drin bleiben dürfen.
»Wir wollen darüber nicht streiten«, sagte der Metzger, »Bruder Stiefelschmer; aber ich glaube, die Pomeranzen sind nicht schuld. Du hast vorher schon ein Übriges getan und hast jetzt Angst vor St. Ulrich.«
»Da bist du aber schief gewickelt. Jetzt kannst du noch ein Achtel mehr vertragen. Bitter im Mund ist gesund im Herzen.«
Dem stimmten die anderen zu und redeten so lange, bis der eine rechts, der andere links vom Stuhl fiel und der Hauptmann unter dem Tisch lag.
»Jetzt schnell in den Stall, Bruder Stiefelschmer, da habe ich ein paar blanke Rappen gesehen. Damit reiten wir in die Hauptstadt und lassen die Vögel in den Käfig setzen. Die Leimruten halten sie wohl so lange. Ich überlasse das den grünen Pomeranzen. Die andere Bande im Eiskeller sitzt auch auf dem Kloben: Der König wird seinen Diener loben. Aber die alte Frau wollen wir erst in den Keller sperren, damit sie uns nicht in die Quere kommt«.
Das ging leichter, als er gedacht hatte, denn die Alte hatte sich auch eine Ader geholt und lag nun und schlief wie ein Ast. Sie merkte es gar nicht, als man sie aus dem Bett hob und im Keller wie einen Anker auf den Sattel zwischen zwei Fässer legte.
»Na, Bruder Stiefelschmer, ist dein Herz noch schwer?«
Pfeifend und trällernd schwangen sich nun der Metzger und Bruder Stiefelschmer auf die feisten Rappen und ritten zur Residenz. An der Pforte trat sogleich die Wache auf und präsentierte. Auch blieb hier und da einer stehen und machte Front. Aber die beiden kümmerten sich nicht darum, sondern ritten weiter dem Schlossplatz zu. Vor dem Schloss wirbelten die Trommeln, die ganze Wachmannschaft sprang heraus, stellte sich in Reih und Glied auf und der Offizier befahl: »Präsentiert das Gewehr!«
Bruder Stiefelschmer sah den Metzger an, ob er auch überrascht sei, aber es war ihm nicht anzusehen.
Als sie abgestiegen und in das Schloss gegangen waren, fragte der Metzger: »Einer von uns beiden muss König sein. Wollen wir uns trennen?«
»Nun, ich bin es«, meinte der Jäger. »Aber wer bist du, mein Retter?«
»Ich bin der neu ernannte Polizeichef und bitte um Verzeihung, Majestät, wenn ich Ihr Inkognito zu streng überwacht habe.«
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