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Catherine Parr Band 1 – Zweites Buch – Kapitel 1

Luise Mühlbach
Catherine Parr
Zweites Buch
Historischer Roman, M. Simion, Berlin 1851

Die Jagd
I.
Der Narr des Königs

Zwei Jahre waren seit der Vermählung des Königs vergangen, und noch immer hatte Catharine Parr sich in der Gunst ihres Gemahls erhalten, noch immer hatte es ihren Feinden nicht gelingen wollen, sie zu stürzen und die siebente Königin auf den Thron zu heben!

Catharine war immer vorsichtig, immer bedächtig gewesen. Sie hatte immer noch ein kaltes Herz und einen kühlen Kopf bewahrt; sie hatte sich jeden Morgen gesagt, dass dieser Tag vielleicht ihr letzter sein könne, dass irgendein unvorsichtiges Wort, eine unüberlegte Handlung sie ihrer Krone und ihres Lebens berauben könne! Denn Heinrichs wilder und grausamer Sinn schien, gleich seiner Leibesstärke, mit jedem Tage zuzunehmen. Es bedurfte nur einer Kleinigkeit, um ihn zu höchstem Zorn zu entflammen, zu einem Zorn, welcher jedes Mal den vernichtend traf, welcher ihn angefacht hatte!

Dieses Bewusstsein und diese Erkenntnis waren es gewesen, welche die Königin vorsichtig gemacht hatten! Sie wollte noch nicht sterben! Sie liebte das Leben noch so sehr, sie liebte es, weil es ihr noch so wenig Freuden geboten, sie liebte es, weil sie von ihm noch so viel Glück, so viel Entzücken und Genuss zu hoffen hatte!

Sie wollte noch nicht sterben, denn sie wartete noch immer auf das Leben, von welchem sie nur in ihren Träumen eine Ahnung gehabt hatte, und von welchem ihr zuckendes und schwellendes Herz ihr sagte, dass es bereit sei, in ihr zu erwachen und sie mit sonnig glän­zenden Augen aus dem Winterschlaf ihrer Existenz zu erwecken!

Es war heute ein schöner, sonniger Frühlingstag! Catharine wollte ihn benutzen, um einen Spazierritt zu machen und einmal auf eine kurze Stunde zu ver­gessen, dass sie eine Königin sei! Sie wollte den Wald, die holde Maienluft, den Gesang der Vögel, das Grün der Wiesen genießen und mit vollen Zügen diese reine Luft einatmen!

Sie wollte reiten! Niemand ahnte, wie viel geheime Lust und verborgenes Entzücken in diesen Worten lag. Niemand ahnte, dass sie seit Monden sich auf diesen Spazierritt gefreut und deshalb kaum gewagt hatte, ihn zu wünschen, eben weil er ihrer sehnsüchtigen Wünsche Erfüllung war!

Sie hatte schon ihr Reitkleid angelegt, und der kleine rote Samthut mit den lang herabwallenden weißen Federn bedeckte schon ihr schönes Haupt. In ihrem Zimmer auf und ab gehend, erwartete sie nur noch die Rückkehr des Oberkammerherrn, den sie zum König gesandt hatte, um zu fragen, ob der König sie vor ihrem Spazierritt noch zu sprechen gedenke.

Plötzlich öffnete sich die Tür und eine seltsame Erscheinung zeigte sich auf der Schwelle. Es war dies eine kleine, zusammengedrückte männliche Gestalt, eingehüllt in ein Gewand von purpurroter Seide, das mit Puffen und Schleifen von allen Farben zierlich und buntscheckig genug geziert war, und das eben in seiner Buntscheckigkeit seltsam genug zu dem weißen Haar und dem ernsten, düsteren Gesicht dieses Mannes kontrastierte.

»Ah, der Narr des Königs!«, sagte Catharine mit einem fröhlichen Lachen. »Nun, John Heywood, was ist es, das Euch zu mir führt? Bringt Ihr mir eine Botschaft des Königs oder habt Ihr wieder einen tollen Streich ausgeführt, und ich soll Euch abermals in Schutz nehmen?«

»Nein, Königin«, sagte John Heywood ernst, »ich habe keinen tollen Streich ausgeführt und ich bringe Euch keine Botschaft des Königs! Ich bringe Euch nichts als mich selbst! Ach, Königin, ich sehe, dass Ihr lachen wollt, aber ich bitte, vergesst auf einen Moment, dass John Heywood der Narr des Königs ist, und dass es ihm nicht geziemt, ein ernsthaftes Ge­sicht zu machen und traurige Gedanken zu haben, wie andere Menschen!«

»Oh, ich weiß, dass Ihr nicht bloß der Narr des Königs seid, sondern auch ein Dichter!«, erwiderte Catharine mit einem gütigen Lächeln.

»Ja«, sagte er, »ich bin ein Dichter, und es ist deshalb ganz gerecht, dass ich diese Narrenkappe trage, denn die Dichter sind alle Narren, und ihnen wäre besser, dass man sie an den nächsten Baum aufhinge, statt dass man sie in ihrer tollen Verzücktheit umherlaufen und sie Dinge schwatzen lässt, um derentwillen die vernünftigen Leute sie verhöhnen und verspotten müssen. Ich bin ein Dichter, und deshalb, Königin, habe ich dieses Narrenkleid angelegt, welches mich unter den Schutz des Königs stellt und mir erlaubt, ihm aller­lei Dinge zu sagen, welche niemand sonst auszusprechen den Mut hat! Aber heute, Königin, komme ich weder als Narr noch als Dichter zu Euch, sondern ich komme, weil ich Eure Knie umklammern und Eure Füße küssen will! Ich komme, weil ich Euch sagen will: Ihr habt John Heywood auf ewig zu Eurem Sklaven gemacht! Er wird von jetzt an wie ein Hund vor Eurer Schwelle liegen und Euch bewachen vor jedem Feind und jeder Missetat, welche sich zu Euch drängen möchten! Er wird Nacht und Tag zu Eurem Dienst bereit sein und nicht rasten oder ruhen, wenn es gilt, Euch einen Befehl oder einen Wunsch zu erfüllen!«

Und indem er mit zitternder Stimme und mit von Tränen umdüsterten Augen so sprach, kniete er nieder und neigte sein Haupt auf Catharines Füße.

»Aber was tat ich, um Euch ein solches Gefühl der Dankbarkeit einzuflößen?«, fragte Catharine erstaunt. »Wodurch verdiente ich es, dass Ihr, der mächtige und allgefürchtete Günstling des Königs, Euch meinem Dienste weiht?«

»Was Ihr tatet?«, fragte er. »Mylady, Ihr rettetet, meinen Sohn vom Scheiterhaufen! Sie hatten ihn verdammt, diesen schönen edlen Jüngling, verdammt, weil er mit Ehrfurcht von Thomas Moore gesprochen, weil er gesagt hat, dieser große und edle Mann habe Recht getan, lieber zu sterben als seine Überzeugung zu verleugnen! Ach, es ist in unserer Zeit eine solche Kleinigkeit, zum Tode verurteilt zu werden, und ein paar unbedachtsame Worte genügen dazu! Und dieses speichelleckerische, elende Parlament in seiner Feigheit und Nichtswürdigkeit verdammt und verurteilt immer, weil es weiß, dass König Heinrich immer durstig ist auf Blut, dass es ihn immer friert nach Scheiterhaufen! Sie hatten also auch meinen Sohn verurteilt, und sie würden ihn hingerichtet haben ohne Euch! Aber Ihr, welche Gott als einen Engel der Versöhnung auf diesen bluttriefenden Königsthron gesetzt hat, Ihr, welche täglich Euer Leben und Eure Krone wagt, um das Dasein irgendeines dieser Unglücklichen, welche der Fanatismus und die Blutgier verurteilt haben, zu erlösen und ihnen Gnade zu erwirken. Ihr habt auch meinen Sohn errettet!«

»Wie, dieser junge Mann, welcher gestern verbrannt werden sollte, war Euer Sohn?«

»Ja, er war mein Sohn!«

»Und Ihr sagtet es dem König nicht, und Ihr batet nicht für ihn?«

»Hätte ich es getan, so wäre er rettungslos ver­loren gewesen! Denn Ihr wisst es wohl, der König ist so stolz auf seine Unparteilichkeit und seine Tu­gend! Er würde meinen Sohn haben hinrichten lassen, wenn er gewusst hätte, dass er mein Sohn sei, um seinem Volk zu beweisen, dass Heinrich der Achte überall den Schuldigen treffe und den Sünder strafe, welchen Namen er auch führen und wer auch für ihn bitten möge! Ach, selbst Euer Flehen würde ihn nicht erweicht haben, wenn er gewusst hätte, dass Thomas Ellwood mein Sohn sei; denn der Oberpriester der englischen Kirche würde es niemals haben verzeihen können, dass dieser arme junge Mann nicht der recht­mäßige Sohn seines Vaters, dessen Namen er nicht tragen konnte, weil seine Mutter eines anderen Mannes Frau, den Thomas seinen Vater nennen muss!«

»Armer Heywood! Ja, jetzt begreife ich! Dies würde der König allerdings niemals verziehen haben, und wenn er es wusste, war Euer Sohn rettungslos dem Blutgerüst verfallen!«

»Ihr habt ihn gerettet, Königin! Glaubt Ihr jetzt, dass ich Euch ewig dankbar sein werde?«

»Ich glaube es!«, sagte die Königin mit einem anmutigen Lächeln, indem sie ihm die Hand zum Kuss darreichte. »Ich glaube Euch, und ich nehme Eure Dienste an!«

»Und Ihr werdet derselben bedürfen, Königin, denn ein Ungewitter zieht sich über Eurem Haupt zusammen, und bald werden die Blitze zucken und die Donner rollen!«

»Oh, ich fürchte mich nicht! Ich habe starke Ner­ven!«, sagte Catharine lächelnd. »Wenn ein Gewitter kommt, nun gut, das ist eine Erfrischung der Natur, und immer noch habe ich gesehen, dass nach dem Ge­witter die Sonne wieder scheint!«

»Ihr seid eine mutige Seele!«, erwiderte John Heywood traurig.

»Das macht, ich bin mir keiner Schuld bewusst!«

»Aber Eure Feinde werden Euch eine Schuld an­dichten! Ach, sobald es gilt, einen Nebenmenschen zu verleumden und ins Elend zu stürzen, sind die Men­schen alle Dichter!«

»Aber Ihr habt es selbst gesagt, dass die Dichter Wahnsinnige sind und an irgendeinen Baum auf­gehängt werden müssten! Wir werden also diese Ver­leumder wie Dichter behandeln, das ist alles!«

»Nein, das ist nicht alles!«, sagte Heywood energisch. »Denn die Verleumder sind wie die Regenwürmer! Man schneidet sie in Stücke, aber statt sie dadurch zu töten, hat man den einen nur vervielfältigt und ihm mehrere Köpfe gegeben!«

»Aber was ist es denn, dessen man mich beschuldigt?«, rief Catharine ungeduldig. »Liegt mein Leben nicht offen und rein vor euch allen da? Gebe ich mir jemals die Mühe, irgendein Geheimnis zu haben? Ist mein Herz nicht wie ein gläsernes Haus, in wel­ches ihr alle hineinsehen könnt, um euch zu über­zeugen, dass es ein ganz unfruchtbarer Boden, und dass nicht eine einzige, arme kleine Blume darin wächst?«

»Wenn es auch so ist, so werden Eure Feinde Un­kraut säen – und den König glauben machen, dass es brennende Liebe sei, welche in Eurem Herzen ge­wachsen ist!«

»Wie? Man will mich einer Liebe beschuldigen?«, fragte Catharine, und ihre Lippen zitterten ein wenig.

»Noch kenne ich ihren Plan nicht! Aber ich werde es erfahren! Eine Verschwörung ist am Werk! Seid also auf Eurer Hut, Königin! Vertraut niemandem, denn die Feinde pflegen sich stets unter gleißnerischen Gesichtern und heuchlerischen Worten zu verbergen!«

»Wenn Ihr meine Feinde kennt, so nennt sie mir!«, forderte Catharine ungeduldig. »Nennt sie mir, damit ich mich vor ihnen hüte!«

»Ich bin nicht gekommen, um anzuklagen, sondern um Euch zu warnen! Ich werde mich daher wohl hüten, Euch Eure Feinde zu bezeichnen, aber ich werde Euch Eure Freunde nennen!«

»Ach, ich habe also auch Freunde!«, flüsterte Catharine mit einem glücklichen Lächeln.

»Ja, Ihr habt Freunde, und zwar solche, welche bereit sind, für Euch ihr Blut und ihr Leben hinzu­geben!«

»Oh, nennt sie mir, nennt sie mir!«, rief Catharine ganz erbebend vor freudiger Erwartung.

»Ich nenne zuerst Cranmer, den Erzbischof von Canterbury! Das ist Euer treuer und zuverlässiger Freund, auf welchen Ihr bauen dürft! Er liebt Euch als Königin, und schätzt Euch als die Genossin, welche Gott ihm gesandt hat, um hier an dem Hof des allerchristlichsten und allerbluttriefendsten Königs das hei­lige Werk der Reformation zu Ende zu führen und zu machen, dass das Licht der Erkenntnis diese Macht des Aberglaubens und des Pfaffentums durchleuchte! Baut fest auf Cranmer, denn er ist Eure sicherste und umwandelbarste Stütze, und wenn er sinken sollte, so würde auch Euer Fall die unvermeidliche Folge davon sein! Baut also nicht bloß auf ihn, sondern beschützt und haltet ihn wie Euren Bruder, denn was Ihr ihm tut, das habt Ihr Euch selbst getan!«

»Ja, Ihr habt recht!«, sagte die Königin sinnend. »Cranmer ist ein edler und zuverlässiger Freund, und oft genug schon hat er mich beim König unterstützt gegen diese kleinen Nadelstiche meiner Feinde, die zwar nicht töten, aber doch den ganzen Körper wund und todesmatt machen!«

»Schützt ihn, so schützt Ihr Euch selbst!«

»Nun, und die anderen Freunde?«

»Ich habe Cranmer den Vorzug gegeben, aber jetzt, Königin, nenne ich mich als den zweiten Eurer Freunde! Wenn Cranmer Eure Stütze ist, so will ich Euer Hund sein, und glaubt mir, solange Ihr eine solche Stütze und einen solchen treuen Hund habt, seid Ihr ungefährdet. Cranmer wird Euch warnen vor jedem Stein, der im Wege liegt, und ich werde die Feinde wegbeißen, welche hinterm Gebüsch verborgen am Wege lauern, um Euch hinterrücks anzufallen!«

»Ich danke Euch! Wirklich, ich danke Euch!«, sagte Catharine innig. »Nun, und weiter?«

»Weiter?«, fragte Heywood mit einem traurigen Lächeln.

»Nennt mir noch einige meiner Freunde!«

»Königin, es ist sehr viel, wenn man im Leben zwei Freunde gefunden hat, auf welche man bauen kann, und deren Treue nicht von dem Eigennutz ge­leitet wird! Ihr seid vielleicht das einzige gekrönte Haupt, das sich solcher Freunde rühmen kann!«

»Ich bin eine Frau«, sagte Catharine sinnend, »und viele Frauen umgeben mich und schwören mir täglich eine umwandelbare Treue und Anhänglichkeit! Wie, und diese alle sollten des Freundestitels nicht würdig sein? Auch Lady Jane Douglas nicht, welche ich seit langen Jahren meine Freundin nenne, und der ich vertraue wie meiner Schwester? Sagt, John Heywood, Ihr, von welchem man sagt, dass er alles weiß und erforscht hat, was an diesem Hof geschieht, sagt, ist Lady Jane Douglas nicht meine Freundin?«

John Heywood war plötzlich ernst und finster ge­worden und blickte nachdenkend zur Erde. Dann ließ er seine großen, glänzenden Augen spähend im Zimmer umherschweifen, als wolle er sich überzeugen, dass wirklich kein Lauscher verborgen sei. Dicht an die Königin herantretend, flüsterte er: »Traut ihr nicht! Sie ist eine Papistin, und Gardiner ist ihr Freund!«

»Ach, ich ahnte es!«, flüsterte Catharine trübe.

»Aber hört, Königin! Lasst diese Ahnung in keinem Blick, in keinem Wort, nicht in der leisesten Andeu­tung laut werden! Lullt diese Natter ein in den Glauben an Eure Harmlosigkeit, lullt sie in Schlaf, Königin! Sie ist eine giftige und gefährliche Schlange, welche man nicht reizen muss, damit sie Euch nicht, ehe Ihr es ahnen könnt, in die Ferse beißt. Seid immer gütig, immer vertrauensvoll, immer freundlich gegen sie! Nur Königin, das, was Ihr nicht Gardiner und Graf Douglas anvertrauen wollt, das sagt auch der Lady nicht! Oh, glaubt mir, sie gleicht den Löwen im Dogenpalast zu Venezia. Die Geheim­nisse, welche Ihr ihr anvertraut, werden zur Anklage gegen Euch vor dem Bluttribunal!«

Catharine wiegte lächelnd ihr Haupt. »Ihr seht zu scharf, John Heywood. Es ist möglich, dass die Religion, zu welcher sie sich heimlich bekennt, mir ihr Herz entfremdet hat, aber niemals würde sie imstande sein, mich zu verraten oder sich mit meinen Feinden zu verbinden! Nein, mein John, Ihr täuscht Euch! Es wäre ein Frevel, wenn ich Euch glaubte! Mein Gott, wie schlecht und jammervoll müsste eine Welt sein, in der wir nicht einmal unseren treuesten und geliebtesten Freunden vertrauen dürften!«

»Sie ist auch schlecht und jammervoll, diese Well, und man muss an ihr verzweifeln, oder sie als einen lustigen Spaß betrachten, mit dem der Teufel unsere Nase kitzelt! Für mich ist sie ein solcher Spaß, Köni­gin, und darum bin ich der Narr des Königs gewor­den, was mir wenigstens das Recht gibt, all das Gift der Menschenverachtung über diese kriechende Brut auszuspritzen und diejenigen die Wahrheit hören zu lassen, welche immer nur die Lüge als triefenden Honigseim auf ihren Lippen haben! Die Weisen und die Dichter, das sind die rechten Narren unserer Zeit, und da ich nicht den Beruf in mir fühle, ein König oder ein Priester, ein Henker oder ein Opferlamm zu sein, so bin ich ein Narr geworden!«

»Ja, ein Narr, das heißt, ein Epigrammist, vor des­sen beißender Zunge der ganze Hof zittert!«

»Da ich diese Verbrecher nicht, wie mein königlicher Herr, kann hinrichten lassen, so gebe ich ihnen den Schwertstreich meiner Zunge, Königin! Ach, ich sage Euch, Ihr werdet dieser Bundesgenossin sehr bedürfen! Seid auf Eurer Hut, Königin, ich hörte heute Morgen schon das erste Grollen des Donners, und in Lady Janes Augen bemerkte ich ein heimliches Wetterleuch­ten! Vertraut Ihr nicht! Vertraut niemandem hier als Euren Freunden Cranmer und John Heywood!«

»Und Ihr sagt, dass an diesem ganzen Hof, unter all diesen glänzenden Frauen, diesen tapferen Kavalieren die arme Königin nicht einen einzigen Freund habe, nicht eine Seele, welcher sie vertrauen, an die sie sich lehnen darf? O, John Heywood, besinnt Euch, habt Erbarmen mit der Armut einer Königin! Besinnt Euch! Sagt, nur Euch beide? Keinen Freund wie Euch?«

John Heywood hatte Mitleid mit der Angst und dem Kummer, welcher aus dem lieblichen Antlitz der Königin zu ihm sprach. Der Dichter verstand da­s Leben und Zittern ihres armen Herzens; besser als sie, hatte er die Wunde ihrer Brust sondiert, und wollte ihr ein wenig Balsam geben, ihre Schmerzen zu lindern.

»Doch«, sagte er leise und traurig, »ich besinne mich, Ihr habt noch einen dritten Freund an diesem Hof!«

»Ach, einen dritten Freund!«, rief Catharine, und ihre Stimme klang wie Lerchengesang so frisch und froh. »Nennt ihn mir, nennt ihn! Denn Ihr seht wohl, dass ich glühe vor Ungeduld, seinen Namen zu hören!«

John Heywood sah mit einem seltsamen, zugleich lauernden und traurigen Ausdruck in Catharines glühendes Antlitz und einen Augenblick senkte er sein Haupt auf seine Brust und seufzte.

»Nun, John, nennt mir den dritten Freund!«

»Kennt Ihr ihn nicht, Königin?«, fragte Heywood, indem er ihr wieder fest und starr ins Antlitz sah. »Kennt Ihr ihn nicht? Es ist Thomas Seymour, Graf von Sudley!«

Es flog wie ein Sonnenglanz über Catharines Antlitz, und sie stieß einen leises Schrei aus.

John Heywood sagte traurig: »Königin, die Sonne, trifft gerade Euer Antlitz! Gebt Acht, dass sie Euer klares Auge nicht blende. Stellt Euch in den Schatten, Majestät, denn horcht, dort kommt eine, welche imstande wäre, den Sonnenschein in Eurem Antlitz­ für eine Feuersbrunst auszugeben!«

Eben öffnete sich die Tür und Lady Jane erschien auf der Schwelle. Sie warf einen schnellen, forschen­den Blick im Zimmer umher und ein unmerkliches Lächeln überflog ihr bleiches, schönes Angesicht!

»Majestät«, sagte sie feierlich, »es ist alles bereit!«

»Wenn Ihr befehlt, kann der Spazierritt beginnen. Prinzess Elisabeth erwartet Euch im Vorsaal und Euer Oberstallmeister hält schon den Steigbügel Eures Rosses!«

»Und der Oberkammerherr?«, fragte Catharine errötend. »Hat er mir keine Botschaft vom König zu bringen?«

»Doch!«, antwortete Graf Surrey eintretend. »Se. Maje­stät lässt der Königin sagen, sie möchte ihr Ziel so weit verlegen, wie sie wolle! Das herrliche Wetter sei es wohl wert, dass die Königin von England es genieße und sich in einen Wettstreit mit der Sonne einlasse!«

»Oh, der König ist der galanteste Kavalier!«, entgegnete Catharine mit einem glücklichen Lächeln. »Nun kommt, Jane, lasst uns reiten!«

»Verzeiht, Majestät«, sprach Lady Jane zurücktretend. »Ich darf heute nicht der Gnade teilhaftig werden, Ihre Majestät zu begleiten! Es ist heute der Dienst der Lady Anna Ettersville!«

»Also ein anderes Mal, Jane! Und Ihr, Graf Douglas, reitet Ihr mit uns?«

»Majestät, der König hat mich in sein Kabinett befohlen!«

»Seht doch, eine Königin, welche von all ihren Freunden verlassen wird!«, rief Catharine heiter, in­dem sie mit leichtem, elastischem Schritt durch den Saal dahin ging, um sich in den Hof zu begeben.

»Hier geht etwas vor, welches ich ergründen muss!«, murmelte John Heywood, welcher mit den Übrigen den Saal verlassen hatte. »Es ist eine Mausefalle auf­gestellt worden, denn die Katzen bleiben daheim und sind hungrig auf ihre Beute!«

Lady Jane war mit ihrem Vater im Salon zu­rückgeblieben. Beide waren sie ans Fenster getreten und schauten schweigend hinunter in den Hof, wo nun die glänzende Kavalkade der Königin und ihres Gefolges sich bunt durcheinander bewegte.

Catharine hatte soeben den Zelter bestiegen; das edle Tier, welches seine Herrin erkannte, wieherte laut und hob sich schnaubend mit seiner edlen Last in die Höhe.

Prinzess Elisabeth, welche zur Seite der Königin hielt, stieß einen Schrei der Angst aus. »Ihr werdet fallen, Königin«, sagte sie, »Ihr reitet ein so wildes Tier!«

»Oh nicht doch«, erwiderte Catharine lächelnd, »Hector ist nicht wild! Es geht ihm nur wie mir! Die holde Maienluft hat uns beide übermütig und glücklich ge­macht. Fort denn, meine Damen und Herren, unsere Pferde müssen heute schnell sein, wie die Vögel! Wir reiten nach Epping Forest!«

Und durch die geöffneten Hoftore brauste die Kavalkade dahin. Voran die Königin, ihr zur Rechten Prinzess Elisabeth, ihr zur Linken der Oberstallmei­ster Thomas Seymour, Graf von Sudley.

Als der Zug verschwunden war, traten Vater und Tochter vom Fenster zurück und sahen einander mit seltsamen, finsteren und spöttischen Blicken an.

»Nun, Jane?«, fragte endlich Graf Douglas. »Sie ist immer noch Königin, und der König wird jeden Tag schwerfälliger und leidender! Es wird Zeit sein, ihm eine siebente Königin zu geben!«

»Bald, mein Vater, bald!«

»Liebt sie endlich Henry Howard.«

»Ja, er liebt sie!«, meinte Jane, und ihr bleiches Ge­sicht war nun farblos wie ein Leichentuch.

»Ich frage, ob die Königin ihn liebt?«

»Sie wird ihn lieben!«, murmelte Jane, und dann sich plötzlich ermannend, fuhr sie fort: »Aber es ist nicht genug, die Königin verliebt zu machen, es wäre ohne Zweifel noch wirksamer, wenn man dem König eine neue Liebe einflößen könnte! Habt Ihr gesehen, Va­ter, mit welchen glühenden Blicken Se. Majestät ge­stern mich und die Herzogin von Richmond be­trachtete?«

»Ob ich es gesehen habe? Der ganze Hof sprach davon!«

»Nun denn, mein Vater, macht, dass der König sich heute von ganzem Herzen langweilt, und dann führt ihn zu mir! Er wird bei mir die Herzogin von Richmond treffen.«

»Ah, ein herrlicher Gedanke! Du wirst doch end­lich Heinrichs siebente Königin werden!«

»Ich werde diese Catharine Parr stürzen, denn sie ist meine Rivalin. Und ich hasse sie!«, rief Lady Jane mit glühenden Wangen und blitzenden Augen aus.

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