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Catherine Parr Band 1 – Kapitel 9

Luise Mühlbach
Catherine Parr
Erstes Buch
Historischer Roman, M. Simion, Berlin 1851

IX.

Der Lendemain

Die große Cour war vorüber! Neben dem König auf dem Thron sitzend, hatte Catherine die Glück­wünsche ihres Hofes empfangen. Der lächelnde Blick des Königs und die halblauten zärtlichen Worte, welche er dann und wann an die Königin richtete, hatten den klugen und gewandten Hofleuten bewiesen, dass der König in seine junge Gemahlin heute noch ebenso verliebt sei, wie er es gestern in seine Braut gewesen war! Man beeiferte sich daher, der Königin zu gefallen, jeden ihrer Blicke, jedes Lächeln, welches sie hierhin und dorthin leuchten ließ, aufzufangen, um den zu sehen, an welchen es gerichtet war, damit man vielleicht danach die künftigen Favoriten der Königin erraten und schon im Voraus sich denselben annä­hern könne!

Aber die junge Königin richtete ihre Blicke auf niemand bestimmt! Sie war freundlich und lächelnd, indes fühlte man dieser Freundlichkeit das Gezwungene, diesem Lächeln das Wehmutsvolle an. Der König allein bemerkte es nicht! Er war heiter und glücklich, und es schien ihm daher, als könne niemand an sei­nem Hof es wagen zu seufzen, da er, der König zufrieden sei!

Nach der großen Cour, in welcher in feierlichem Zug alle Großen und Edlen des Reiches vor dem Königspaar vorübergegangen waren, hatte der König, der damaligen Hofetikette gemäß, seiner Gemahlin die Hand gereicht, sie vom Thron hinunterge­leitet und sie mitten in den Saal geführt, um ihr das diensttuende Personal ihres Hofes vorzustellen.

Aber dieser Weg vom Thron bis in die Mitte des Saales hatte den König sehr ermüdet. Dieser Spaziergang von dreißig Schritt war für ihn eine sehr ungewohnte und belästigende Arbeit, und der König sehnte sich, sie mit einer anderen, angenehmeren zu vertauschen! Er winkte daher dem Oberzeremonienmeister und befahl ihm, die in den Speisesaal führen­den Türen zu öffnen. Dann ließ er seine Hausequipage vorfahren und sich mit möglichster Grandezza in derselben zurechtsetzend, ließ er den Rollstuhl an der Seite der Königin halten, ungeduldig harrend, dass die Repräsentation endlich beendet sein und Ca­tharine ihn zum Dejeuner begleiten möge!

Schon war die Cour der Hofdamen und des weib­lichen Hofpersonals vorüber, und es kam nun die Reihe der Männer!

Der Oberzeremonienmeister las von seiner Liste die Namen derjenigen Kavaliere, welche hinfort den Dienst der Königin zu verrichten hatten, und welche der König mit eigener Hand in die Liste eingezeichnet hatte! Und bei jedem neuen Namen flog ein leiser Ausdruck lächelnder Verwunderung über die Gesichter der Hofgesellschaft, denn immer war es einer der jüng­sten, der schönsten und liebenswürdigsten Lords, welche der Oberzeremonienmeister zu nennen hatte!

Der König hatte vielleicht ein grausames Spiel mit seiner Gemahlin beabsichtigt, indem er sie mit den jungen Männern seines Hofes umgab. Er wollte sie mitten in die Gefahr hineinschleudern, entweder um sie in derselben untergehen zu lassen oder um durch das Vermeiden der Gefahr die unantastbare Tugend seiner jungen Frau in das hellste Licht stellen zu können.

Die Liste hatte bei den weniger wichtigen Ämtern begonnen, und, immer höher aufsteigend, war man nun bei den höchsten und bedeutungsreichsten Chargen an­gelangt.

Noch waren der Oberstallmeister und Oberkammer­herr der Königin nicht genannt, und dies waren ohne Zweifel die wichtigsten Chargen am Hofe der Königin, denn einer von ihnen gehörte immer zu der nächsten Umgebung der Königin. Wenn sie im Palast sich be­fand, musste der Oberkammerherr sich in ihren Vor­zimmern aufhalten, und nur durch seine Vermittlung konnte man zur Königin gelangen. Ihm hatte sie ihre Befehle in Betreff der Pläne und Vergnügungen für den Tag zu geben, er musste auf neue Zerstreuung, neue Lustbarkeiten sinnen, er hatte das Recht, an den engem Abendzirkeln der Königin teilzunehmen und hinter dem Stuhl der Königin zu stehen, wenn das königliche Paar zuweilen ganz ohne Zeremonie zu soupieren wünschte!

Diese Stelle des Oberkammerherrn war daher eine sehr wichtige, denn da sie denselben einen großen Teil des Tages in die Nähe der Königin bannte, war es kaum zu vermeiden, dass nicht aus dem Oberkammer­herrn entweder der vertraute und aufmerksame Freund oder der übelwollende und lauernde Feind der Königin werden musste!

Aber die Stelle des Oberstallmeisters war nicht minder bedeutsam! Denn sobald die Königin den Pa­last verließ, sei es zu Fuß oder zu Wagen, sei es, um hinauszureiten in den Wald oder auf der vergol­deten Yacht die Themse hinunterzufliegen, immer musste der Oberstallmeister an ihrer Seite sein, immer musste er sie geleiten! Ja, dieser Dienst war noch ausschließlicher, noch wichtiger! Denn wenn dem Oberkammerherrn auch die Zimmer der Königin offen standen, so befand er sich indes doch niemals allein mit ihr, so war doch immer die diensttuende Hofdame gegenwärtig und hinderte jedes Alleinsein, jede mög­liche Vertraulichkeit zwischen der Königin und ihrem Oberkammerherrn.

Ein anderes aber war es mit dem Oberstallmei­ster! Da boten sich manche Gelegenheiten, wo derselbe der Königin unbeachtet nahen oder min­destens unbelauscht zu ihr sprechen konnte. Er hatte ihr die Hand zu bieten, um ihr beim Einsteigen in den Wagen behilflich zu sein, er durfte an ihrem Kutschenschlag reiten, er begleitete sie auf den Wasser­fahrten und bei den Spazierritten, und diese Letzteren waren umso wichtiger, weil sie ihm gewissermaßen zu einem Téte-a-téte mit der Königin die Gelegenheit boten! Denn nur der Oberstallmeister durfte an ihrer Seite reiten, er hatte selbst vor den Damen des Gefolges den Vorrang, um bei irgendeinem möglichen Unfall oder einem Fehltritt des Pferdes sogleich der Königin hilfreich sein zu können. Niemand des Gefolges konnte daher vernehmen, was die Königin mit ihrem Oberstallmeister sprach, wenn er an ihrer Seite ritt!

Man begreift also, wie einflussreich diese Stelle sein konnte. Zudem, wenn die Königin in Whitehall war, befand sich der König fast immer neben ihr, während er, Dank sei es seiner täglich sich vergrößernden Leibesstärke, nicht wohl imstande war, anders als zu Wagen den Palast zu verlassen!

Es war daher sehr natürlich, dass die ganze Hofgesell­schaft mit gespannter Aufmerksamkeit und angehaltenem Atem dem Moment entgegen sah, wo der Oberzeremonienmeister diese beiden wichtigen Personen nennen würde, deren Namen so geheim gehalten wurden, dass niemand sie bisher erfahren hatte! Erst bevor er die Liste an diesem Morgen dem Oberzeremonienmeister reichte, hatte der König mit eigener Hand die beiden Namen auf derselben eingezeichnet.

Aber nicht allein der Hof, sondern auch der König selbst war gespannt auf diese beiden Namen! Denn Heinrich wollte die Wirkung derselben sehen, und an dem verschiedenen Ausdruck der Gesichter wollte er die Zahl der Freunde dieser beiden Ernannten ermessen! Nur die junge Königin zeigte immer noch dieselbe gleichgültige Freundlichkeit, nur ihr Herz allein schlug in gleichmäßiger Ruhe, sie ahnte gar nicht einmal die Bedeutsamkeit dieses Momentes.

Selbst die Stimme des Oberzeremonienmeisters bebte ein wenig, als er nun las: »Zu der Stelle eines Oberkammerherrn der Königin ernennt Se. Majestät Mylord Henry Howard, Grafen von Surrey!«

Ein beifälliges Gemurmel machte sich hörbar, und auf der Mehrzahl der Gesichter zeigte sich eine freudige Überraschung!

»Er hat sehr viel Freunde«, murmelte der König. »Er ist also gefährlich!« Und ein zorniger Blick seiner Augen traf den jungen Grafen, welcher eben sich der jungen Königin näherte, um ein Knie vor ihr zu beu­gen und ihre dargereichte Hand an seine Lippen zu drücken.

Hinter der Königin stand Lady Jane, und wie sie den jungen, so schönen, so lange ersehnten und heimlich angebeteten Mann so nahe vor sich sah, und wie sie ihres Schwures gedachte, empfand sie einen zorni­gen Schmerz, eine rasende Eifersucht, einen vernichten­den Hass gegen die junge Königin, welche ihr, freilich ohne es zu ahnen, den Geliebten raubte und sie zu der furchtbaren Qual verdammte, selbst ihn ihr zuzuführen.

Und nun las der Oberzeremonienmeister mit lau­ter feierlicher Stimme: »Zu der Stelle eines Ober­stallmeisters der Königin ernennt Se. Majestät Mylord Thomas Seymour, Grafen von Sudley!«

Es war sehr gut, dass der König in diesem Mo­ment sein ganzes Augenmerk auf seine Hofleute ge­richtet hatte und in ihren Mienen den Eindruck dieser Ernennung zu lesen suchte!

Hätte er seine Gemahlin beobachtet, so würde er gesehen haben, wie ein Ausdruck freudigen Erstaunens das Antlitz Catharines überflog und ein holdes Lä­cheln ihre Lippen umspielte!

Aber der König, wie gesagt, dachte nur an seinen Hof, er sah nur, dass die Zahl derer, welche sich über Seymours Ernennung freuten, nicht derjenigen gleichkomme, welche Surreys Ernennung mit so viel Bei­fall aufgenommen hatten.

Heinrich runzelte die Stirn und murmelte in sich hinein: »Diese Howards sind zu mächtig! Ich werde ein wachsames Auge auf sie haben!«

Als nun Thomas Seymour sich der Königin näherte und ein Knie vor ihr beugend ihre Hand küsste, sagte Catharine mit einem bezaubernden Lächeln: »Mylord, Ihr sollt sogleich den Dienst bei mir antreten, und zwar, wie ich hoffe, in einer Weise, welche dem ganzen Hof willkommen sein wird! Mylord, nehmt den schnellsten Eurer Renner und eilt nach Schloss Holt, wo Prinzess Elisabeth weilt! Bringt ihr dieses Schreiben ihres königlichen Vaters, und sie wird Euch hierher folgen, wo ich sie als eine Schwester und eine Freundin empfangen werde!«

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