Aus dem Reiche der Phantasie – Heft 1 – Der letzte Höhlenmensch – 3. Kapitel
Robert Kraft
Aus dem Reiche der Phantasie
Heft 1
Der letzte Höhlenmensch
Verlag H. G. Münchmeyer, Dresden, 1901
In der Pfahlhütte
Der Fluss erweiterte sich zu einem unübersehbaren See, und Richard stieß einen Laut der Überraschung aus. Er sah in einiger Entfernung vom Ufer, also noch im Wasser stehend, ein großes Dorf von sich auf Pfählen erhebenden Hütten.
»Es ist eine Ansiedlung von Pfahlbewohnern«, erklärte Karak. »Sie waren zu schwach und zu feige, um auf dem Land zu leben, wo sie den Raubtieren die Höhlen hätten streitig machen müssen. Da zogen sie sich auf das Wasser zurück und lebten wie die Reiher von Fischen. Aber jetzt haben sie ihre Dörfer auch schon längst verlassen und arbeiten als Sklaven der Rundköpfe, weil sie sich in deren steinernen Häusern noch sicherer fühlen.«
Er dirigierte das Boot zwischen die Hütten, suchte sich die geräumigste aus, befestigte das Fahrzeug an einen Pfahl und stieg eine Art von Hühnerleiter hinauf, während Richard ihm folgte.
Diese Hütte bestand, wie wohl jede andere, nur aus einem einzigen Raum und war aus mit Lederriemen zusammengebundenen Baumstämmchen und aus mit Lehm verschmierten Weidenflechtwerk hergestellt. Oben in dem schrägen Dach befand sich ein Loch, unten in der Diele eine Falltür, wohl um Angel und Netze hinabzulassen. Fenster gab es nicht, die Tür war offen und mit einem Fell zu verhängen. Rings herum lief eine Art von Galerie.
Es musste sich hübsch in solch einer Wasservilla wohnen. Wenn man Hunger hatte, zog man nur die Angel aus dem Wasser heraus mitten in die Stube und konnte dann den Fisch – vorausgesetzt, dass einer daran hing – gleich auf dem Feuersteinherd braten.
Die einstigen Bewohner schienen die ganzen Hausgerätschaften zurückgelassen zu haben. Alles war aus Stein, oft zierlich und mühsam gearbeitet, die Steinmesser in geschnitzte Horngriffe geklemmt, die Angelhaken waren spitze Dornen. Und da die Pfahlbewohner verstanden Häute zu gerben und auch Pflanzenfasern zu verspinnen und zu verweben, betrieben sie wenig die Jagd, und ihre hier befindlichen Bogen und Pfeile waren daher gegen die des Höhlenmenschen die reinen Kinderspielzeuge, nur brauchbar, um kleine Vögel und Fische zu schießen. Die größeren Felle, die in der Hütte lagen, mochten die Bewohner sich, wie Karak auch bestätigte, von den jagenden Höhlenmenschen eingetauscht haben. An den Pfählen lagen noch Kähne angebunden, samt und sonders mit Feuer ausgebrannte Baumstämme. Durch das klare Wasser sah Richard auf dem tiefen Seeboden mächtige Berge von Muschelschalen liegen.
Karak machte Feuer an, und Richard stand ihm nicht mit seinem Feuerzeug bei, sondern ließ ihn mit einem Feuerbohrer trockenes Holz reiben, bis dieses glühte, was sehr schnell ging. Dann blies Karak dürres Laub auf den Steinen zur Flamme an und legte Holz auf, das in der Ecke aufgestapelt lag.
Während er das Fleisch mit Bärenfett in einem dünnen, etwas hohlen Stein briet, nachdem er Richards eiserne Pfanne mit Misstrauen zurückgewiesen hatte, betrat dieser wieder die Galerie und übte sich einstweilen mit Büchse und Revolver im Schießen nach Wasservögeln, darunter solchen von seltsamster Art, verschwendete auch einige Spitzkugeln an einen riesigen, sich im Wasser wälzenden Dickhäuter, ohne dass dieses urweltliche Nilpferd jedoch davon Notiz genommen hätte.
Endlich war der Braten fertig, zu dem auch Salz nicht fehlte.
»Wie weit ist es noch bis zu der Ansiedlung der Rundköpfe?«, fragte Richard nach dem ersten Bissen des köstlichen Bärenbratens.
»Morgen Abend haben wir sie erreicht.«
»Hast du dir schon einen Plan zurechtgelegt, wie du Maka befreien willst?«
»Es geht nur mit List. In einem Kampf würde ich gegen die Überzahl doch unterliegen, und die Farken haben wunderbare Zauberwaffen, lange Messer, halb so groß wie ein Mensch und dabei doch ganz leicht, die sie Schwerter nennen, und Pfeile, die selbst in einen harten Baumstamm eindringen, ohne zu zerbrechen. Dieser Zauber ist die Bronze, die sie mithilfe weiser Frauen selbst verfertigen. Ihre Dörfer haben sie mit hölzernen Mauern umgeben, und während der Nacht wachen auch noch Wölfe, die sie gezähmt haben und Hunde nennen. Deren Zuverlässigkeit ist so groß, dass die Rundköpfe in der Nacht keine Wachen aufstellen. Das müssen wir ausnutzen. Ich erlege am Abend ein großes Stück Wild, und während du, wenn du mir beistehen willst, die Wölfe mit dem Fleisch zu der einen Seite des Walles lockst und sie dort fütterst, schleiche ich mich von der anderen Seite in das Haus, in dem, wie ich weiß, die Opfer stets gefangen gehalten werden, und befreie meine Tochter.«
Richard sah das Vernünftige dieses Kriegsplanes ein.
»Allerdings«, setzte Karak dumpf hinzu, »sobald die Wölfe nicht mehr gefüttert werden, schlagen sie Lärm und werden hinter uns her gehetzt; dann gibt es einen Kampf auf Leben und Tod.«
Als die Mahlzeit beendet war und die Nacht anbrach, bereiteten sie sich aus Fellen weiche Lager, doch Richard lauschte noch einige Zeit den entsetzlich brüllenden Tierstimmen des Waldes, in dem es erst jetzt lebendig wurde, bis ihm die Müdigkeit die Augen zudrückte.
Plötzlich weckte ihn ein Donnern und Prasseln und nasse Tropfen. Ein von Regen begleitetes Gewitter war heraufgezogen. Jetzt zeigte es sich, dass das Wohnen in solch einer Hütte doch nicht so gemütlich war, denn bald regnete es hier drinnen ebenso wie draußen. Bald verwandelte sich das Gewitter in einen einzigen Blitz und Donnerschlag, es war ein Unwetter, wie es Richard noch nie erlebt, noch nie beschrieben gefunden hatte. Ununterbrochen stand der Himmel in Flammen, in Tageshelligkeit sah Richard durch die Spalten der Hütte die Blitze beständig einschlagen und die stärksten Bäume zersplittern. Der Regen aber verwandelte sich in einen Wolkenbruch, und Richard kroch, den Untergang der Welt befürchtend, zitternd in eine Ecke.
Ja, solches schreckliches Wüten der Natur sollte in der Urzeit die Erde beständig heimgesucht haben! Für Karak mochte es wohl nur ein kleines, unschuldiges Gewitter sein, denn der schlief ruhig weiter, auch unter den aus dem Dach auf ihn herabfließenden Wasserfluten. Am Morgen ließ das Unwetter endlich nach, und sie setzten ihre Wanderung fort.
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