Snow White: A Tale of Terror
Das Märchen der Brüder Grimm über das schöne, unschuldige Schneewittchen hat mit seinen düsteren und komplexen Themen sowie seinen archetypischen Bildern über Jahrhunderte hinweg die Leser fasziniert. Doch oft wurde es im Film nicht adäquat behandelt. Snow White: A Tale of Terror versucht, dies mit herausragenden Darstellern, beeindruckenden gotischen Kulissen und Kostümen sowie einem sorgfältig ausgearbeiteten Drehbuch, das die Nuancen der Originalgeschichte betont, zu ändern. Sieben Jahre nach dem tragischen Unfall, bei dem seine Frau im Kindbett stirbt, heiratet Frederick Hoffman, der sich allein um seine Tochter Lilli kümmert, die Dame Claudia. Claudia bringt bei ihrem Einzug auf das Anwesen einen unheimlichen, kunstvoll geschnitzten Spiegel mit. Begleitet wird sie von ihrem stummen Bruder. Bald verstricken sich die eifersüchtige Stiefmutter und die misstrauische Tochter in einen endlosen Kreislauf aus Eifersucht und verletzten Gefühlen. Indem der Film die tiefenpsychologischen Implikationen dieser komplexen Familiensituation auslotet und die zahlreichen symbolischen Elemente der Geschichte (wie den vergifteten Apfel und die ausgestoßenen, zurückgezogen lebenden Holzfäller) nutzt, wird er sowohl visuell beeindruckend als auch emotional subtil. Diese Version von Schneewittchen richtet sich nicht an Kinder, sondern an Erwachsene, die mehr als nur einen gelungenen Grusel zu schätzen wissen.
Michael Cohns Snow White: A Tale of Terror verwandelt das klassische Märchen der Brüder Grimm in eine düstere, halb-realistische Erzählung, die weniger von Magie als von den finsteren Abgründen der menschlichen Seele geprägt ist. Ursprünglich war der Film für die Kinoleinwand gedacht, doch nach einem geplatzten Vertriebsvertrag landete er schließlich im Kabelfernsehen. Doch trotz seines bescheidenen Rahmens entfaltet er sich als eindrucksvolles Fantasy-Drama.
Der Film brilliert vor allem durch seine Abweichungen von der traditionellen Erzählung. Als Lilli in den Wald flieht, erwartet sie keine singenden Zwerge, sondern eine Bande verbitterter Bergleute. Sie sind vom Leben gezeichnet, hungern und sehen in Lilli lediglich eine Gelegenheit, entweder Lösegeld zu fordern oder sie schlicht zu beseitigen. Doch nach und nach gewinnen die Figuren an Tiefe, und Lilli findet in ihnen überraschend Verbündete. Brian Glover ist eine Erwähnung wert. Seine raue Stimme und sein markanter Akzent hinterlassen in seiner letzten Rolle einen bleibenden Eindruck. Glover, der kurz vor der Premiere verstarb, verleiht dem Ensemble eine eindringliche Authentizität.
Die Neuerfindung der Figur der bösen Hexe ist ebenso bemerkenswert. Claudia ist keine bloße Karikatur eitler Bosheit, sondern eine Frau voller Unsicherheiten, getrieben von Tragik und einem zunehmend zerrütteten Geist. Es ist nicht Claudia selbst, sondern der Spiegel, der sie zu grausamen Taten antreibt und ihren Verstand zersetzt. In einem Schlüsselmoment, als Lilli ihr vorwirft: »Du hast kein Herz!«, entgegnet Claudia kühl: »Das ist zu einfach.« Sigourney Weaver bringt diese komplexe Dualität mit einer meisterhaften Balance zwischen Verführung, Bedrohung und Menschlichkeit zum Ausdruck. Diese Leistung wurde zu Recht kaum gewürdigt. Weaver ist das Herzstück des Films.
Monica Keena als Lilli bleibt dagegen blass, was weniger an ihrer Darbietung als am Drehbuch liegt, das sie zugunsten von Claudia vernachlässigt. Sam Neill liefert als Frederick solide Unterstützung, doch sein Akzent fällt im Vergleich zum übrigen Ensemble leicht störend auf.
Snow White: A Tale of Terror beweist, dass selbst ein kleines Projekt wie eine moderne Neuinterpretation des bekannten Märchens funktionieren kann. Dieser Film ist eine mutige, düstere Neuinterpretation, die sich von den zahllosen Adaptionen von Schneewittchen abhebt. Ein seltenes und lobenswertes Kunststück.
(wb)