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Nick Carter – Band 16 – Haken-Max – Kapitel 2

Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Haken-Max
Ein Detektivroman

Die Ankunft der Nick Carters in Chicago

Tags darauf befanden sich in einem der Sondergelasse einer Pullmancar des gerade am Michigansee entlang sausenden Express eine kleine, aus einer jungen Dame und drei Herren bestehende, Gesellschaft, welche gelassen durch die hohen Spiegelscheiben die wundervolle Seelandschaft an sich vorübergleiten ließ. Natürlich war es Nick Carter, der sich mit seiner Cousine Ida, seinem Vetter und Hauptgehilfen Chick sowie dem unermüdlichen Patsy Murphy, der sich trotz seiner siebzehn Jahre bereits zu einem der wertvollsten Mitarbeiter des berühmten Detektivs aufgeschwungen hatte, der windigen Stadt näherte.

Seine Getreuen wussten von der ihnen bevorstehenden Aufgabe genauso viel wie ihr Meister selbst; man hatte sie nach Chicago unter dem Hinweis berufen, dass es sich um einen Fall handelte, dessen Lösung den städtischen Behörden nicht gelungen war. Worin aber dieser Fall bestand und um was es sich eigentlich handelte, wussten weder der Detektiv noch seine getreuen Gehilfen.

»Well«, meinte Nick Carter schließlich, als der farbige Porter Chicago als nächsten Haltepunkt aufgerufen hatte, »da der Fall, zu dessen Lösung wir berufen worden sind, mindestens eine Woche alt ist, so können wir als sicher annehmen, dass er in Chicago lebhaftes Aufsehen erregt hat und die Verbrecher deshalb auf ihrer Hut sein dürften. Da ist es leicht möglich, dass die Spitzbuben die Bahnhöfe überwachen, um sich davon zu überzeugen, ob der Polizeibehörde von auswärts Ersatz zuteilwird oder nicht. Wir werden deshalb gut daran tun, eine passende Verkleidung anzulegen und uns nach verschiedenen Hotels zu begeben.«

Das leuchtete seinen Getreuen ein, und als der Schnellzug eine halbe Stunde darauf in der riesigen Bahnhofshalle anhielt, da hätte auch ein sehr guter Freund der Nick Carters diese beim besten Willen nicht zu erkennen vermocht. So ging es denn auch dem Polizeichef, welcher sich zum Empfang des berühmten Detektivs persönlich im Bahnhof eingefunden hatte.

Auch nicht im Entferntesten kam ihm der Gedanke, dass der ältliche Geschäftsmann mit dem aufgeregt nervösen Gebaren, welcher in großer Eile an ihm vorüberschoss, nicht schnell genug einen Wagen erhalten konnte und sich in diesem zum Auditoriumhotel fahren ließ, am Ende gar Nick Carter sein konnte.

Auch der Hotelbuchhalter hätte darüber keine Auskunft erteilen können, denn der nervöse Gentleman schrieb sich als Mr. John Oldham, Boston, ins Fremdenbuch und ließ sich sofort ein gutes Zimmer anweisen. In dem Riesenhotel achtete natürlich niemand darauf, dass bereits eine halbe Stunde später dieses Zimmer von einem ungleich jüngeren Mann, der eine auffällige Ähnlichkeit mit Nick Carter, wie ihn wenigstens seine vertrautesten Freunde und Bekannten in seiner äußeren Erscheinung kannten, wieder verlassen wurde.

Der Detektiv begab sich direkt zum Polizeihauptquartier. Dort angelangt, wurde er von den Beamten, welche ihn fast sämtlich persönlich kannten, zum Privatoffice des Polizeichefs geführt. Dieser war erst in der Minute zuvor missmutig vom Bahnhof zurückgekehrt und war nun nicht wenig erstaunt, seinen berühmten Kollegen so unvermutet von Angesicht zu Angesicht zu sehen.

»Das nenne ich eine Überraschung«, meinte der Polizeichef. »Sie können doch unmöglich mit dem Empire-State-Express angekommen sein, denn ich befand mich zu Ihrer Abholung persönlich auf dem Perron und spähte mir fast die Augen aus dem Kopf!«

»Dennoch strich ich so hart an Ihnen vorüber, dass ich Ihnen mit meiner vorgehaltenen Reisetasche sogar das Vorgebirge etwas lädierte«, entgegnete Nick Carter lachend, indem er auf das stattliche Bäuchlein des Polizeigewaltigen deutete. »Sie schauten mich noch so scharf an und brummten etwas wie Ochse; Sie könnten aber auch Rhinozeros gesagt haben.«

»Gewiss«, stimmte nun auch der Polizeichef in das Lachen ein, »ich erinnere mich nur zu genau – so, der Kerl waren Sie? Na, das hätte ich wissen sollen! Mein Kompliment, Carter, Sie sind doch der reine Verkleidungskünstler!«

»Das bringt der Beruf so mit sich – wie Sie sehen, habe ich meine Verkleidung als unnütz abgelegt, denn Ihre Anwesenheit auf dem Bahnhof dürfte unseren Leuten meine Ankunft ohnehin bekanntgegeben haben.«

»Da habe ich wirklich nicht daran gedacht!«, brummte der Polizeichef betroffen. »Glauben Sie wirklich, dass die Kerle die Bahnhofshalle überwacht haben?«

»Es steht wenigstens zu erwarten – doch beunruhigen Sie sich darüber nicht weiter, ich habe mir meinen Plan schon zurechtgemacht.«

»Und worin besteht dieser?«, erkundigte sich der Chef erwartungsvoll, als er mit seinem berühmten Gast Platz genommen hatte und sie bei der dampfenden Zigarre saßen.

»Well, ich werde mit dem nächsten Zug ungesäumt nach New York zurückkehren.«

Der Polizeichef schaute ihn stutzig an, sagte aber nichts, denn Nicks Augenzwinkern kündete ihm genugsam, dass dessen Absicht nicht etwa einer Fahnenflucht gleichkam.

»Kamen Sie allein?«, fragte er. »Ich sah keinen Ihrer Leute!«

»Lieber Freund, dann könnte ich meine Leute nicht gebrauchen«, bemerkte der Detektiv lakonisch. »Sie sind verteilt in verschiedenen Hotels – doch nun zur Sache. Worum handelt es sich eigentlich?«

»Drei wertvolle Geldsäcke sind am helllichten Tag in der Michigan Avenue geraubt worden.«

»So – darüber las ich ja schon vor beinahe einer Woche in den Zeitungen. Aber sagt einmal, habt Ihr diese zahme Geschichte noch nicht ins Lot bekommen?«

»Sehr schön gesagt!«, knurrte der Polizeichef. »Wir haben uns daran die Zähne stumpf gebissen, nun müssen Sie eben zuschauen, ob Sie schärfer zubeißen können.«

»Will es versuchen«, konstatierte Nick Carter sorglos. »Zunächst noch einmal der Hinweis, dass ich sofort nach unserer Unterredung mit direktem Durchgangsbillet nach New York zurückdampfen werde, weil es sich um einen Fall handelt, der schon allzu lange von der Lokalbehörde bearbeitet worden ist, als dass ich ihn noch aufnehmen möchte.«

»Ich verstehe, Carter, es soll genau so geschehen, wie Sie anordnen. Was wollen Sie weiter wissen?«, erkundigte sich der Chef.

»Alles und noch ein wenig mehr dazu«, meinte der Detektiv behaglich, ein Bein über das andere schlagend und sein Gegenüber erwartungsvoll anschauend.

Aufmerksam lauschte er den ausführlichen Erörterungen des Polizeigewaltigen, der schließlich mit den Worten zum Ende kam: »Kurz und gut, ich bin fest überzeugt davon, dass es sich nicht etwa um faules Spiel seitens der Männer handelt, welche von der Fabrik zur Empfangsnahme des Geldes geschickt wurden, sondern wir es mit der Arbeit von berufsmäßigen Strolchen zu tun haben.«

»Selbstverständlich«, erklärte der Detektiv. »Sie haben natürlich diese falschen Leinensäcke mit den Papierschnitzeln aufbewahrt?«

»Natürlich – wollen Sie sich den Kram ansehen?«

»Aber selbstverständlich!«

Die drei Beutel wurden von einer Ordonnanz herbeigebracht, und Nick Carter machte sich sofort an eine umfassende Prüfung ihres Inhalts.

»Die Makulatur ist sämtlich mit großer Sorgfalt derart zurechtgeschnitten worden, dass sie der Größe echter Banknoten entspricht – aha, was haben wir denn da – hier ist ein Teil eines Zeitungskopfes mit dem Datum darauf – ganz recht, der 10. April – da wir jetzt Anfang Juni haben, so ist das Zeitungspapier ziemlich genau sieben Wochen alt. Wir wollen mal sehen, ob wir ein jüngeres Datum entdecken können!«

Beide Männer machten sich die Mühe, Blatt um Blatt eingehend zu betrachten, bis sich schließlich herausstellte, dass die sämtlichen Schnitzel von Zeitungen herrührten, welche am 9. und 10. April in Chicago herausgegeben worden waren.

»Ich dachte es mir«, bemerkte der Meisterdetektiv gelassen. Er war an die eine Seitenwand getreten und hatte den dort aufgehängten Kalender studiert. »Am 10. April war Samstag, und an einem solchen ist der Raub schließlich auch verübt worden. Das scheint mir ein sicheres Zeichen dafür zu sein, dass die Tat schon seit langem geplant war. Vermutlich haben die Kerle zuerst am 10. April und dann an jedem darauffolgenden Samstag in der Umgebung der Midland Nationalbank gelauert, wahrscheinlich aber keine passende Gelegenheit zur Begehung des Raubes gefunden, sondern diesen erst heute vor acht Tagen haben ausführen können.«

»Sehr scharfsinnig gedacht«, rief der Polizeichef in sichtlicher Überraschung. »Auf einen derartigen Gedanken kam ich, offen gestanden, bisher noch gar nicht!«

Nick Carter betrachtete ihn nur lächelnd, während er hinzufügte: »Selbstverständlich haben die Burschen die Zeitungen erst nach Banknotenart zurechtgeschnitten, als sie im Besitz der nötigen Leinenbeutel waren. Also etwa auch um den 10. April herum mögen sie solche erlangt haben. Derartige Beutel kann man kaum in öffentlichen Geschäften erwerben, da sie nur von Banken benutzt und von diesen direkt an Spezialfabriken in Auftrag gegeben werden. Haben Sie schon einen Versuch gemacht, die Herkunft dieser Beutel festzustellen?«

»Nein, offen gestanden, ich …«

»Sie hatten vermutlich Wichtigeres zu tun«, unterbrach Nick Carter lächelnd den ziemlich Verblüfften, der nicht recht wusste, ob er den Worten seines berühmten Fachgenossen Anerkennung zollen oder sich darüber ärgern sollte. »Das ist ein kleiner niedlicher Auftrag für Freund Patsy – es sollte mich wundern, nimmt es meinen Gehilfen über vierundzwanzig Stunden in Anspruch, die Herkunft des Beutels zu ermitteln.«

Damit nahm er einen der Beutel und steckte ihn in die Tasche.

»Nur nicht überempfindlich sein«, wendete er sich dann lächelnd an den Polizeichef, der mit gerunzelter Stirn dasaß. »Unsereiner tritt unbefangen ans Geschäft, das ist alles. Was mir da noch einfällt«, setzte er, sich wieder niederlassend und die erloschene Zigarre neu entzündend, hinzu. »Ich wüsste nicht viele Verbrecher, welche Courage genug haben, einen derart unerhört frechen Raubüberfall am helllichten Tage in einer belebten Straße zu unternehmen. Sagen Sie einmal«, rief er, von einem plötzlich Gedanken erfasst, »haben Sie bereits mit einem unserer New Yorker schweren Jungens zu tun gehabt – einem gewissen Max Cohen, gewöhnlich nur Haken-Max genannt, weil er eine ungewöhnlich stark entwickelte Hakennase als Gesichtsvorsprung mit sich herumträgt?«

»Gewiss, ich glaube, wir haben sein Bild im Verbrecheralbum.«

Damit erhob sich der Chef, begab sich nach einem anstoßenden Zimmer und kehrte wenige Minuten darauf mit einer Bildkarte zurück, die er schweigend dem Detektiv aushändigte. Sie wies ein gemeines Verbrecherangesicht mit ungewöhnlich groß geratener, stark gebogener Nase auf.

»Ha, das ist mein Freund Haken-Max. Er hat Pech, der gute Max, denn ein derartiges Riechorgan ist der beste Steckbrief. Er ist erst im März aus Sing-Sing, dem New Yorker Zuchthause, entlassen worden«, versetzte der Detektiv lachend.

»Well, Carter, ich glaube nicht, dass dieser Haken-Max sich hierher nach Chicago gewendet hat. Hinter solchen Burschen sind wir scharf her, und schon seiner Nase wegen würden wir seine hiesige Anwesenheit ohne weiteres ermittelt haben.«

»Wahrscheinlich ist Haken-Max auch nicht mit im Spiel«, entgegnete der Meisterdetektiv. »Ich dachte nur an ihn, weil ein derart waghalsiges Unternehmen ihm zuzutrauen ist. Er ist einer der wenigen Verbrecher, die sich auf eine derart gefährliche Geschichte einlassen – doch schauen wir einmal zu, welche Herrschaften kämen denn sonst noch in Betracht?«

Der Reihe nach nannte nun Nick Carter eine Anzahl Namen, welche sämtlich berüchtigten Verbrechern angehörten. Doch einige davon befanden sich im Zuchthaus, andere wieder konnten hierbei nicht in Betracht kommen, und die übrigen waren schon verhaftet gewesen, hatten aber mangels jeglichen Beweises wiederum in Freiheit gesetzt werden müssen. Immerhin wurden sämtliche in der windigen Stadt befindlichen schweren Jungens auf das schärfste beobachtet.

»Machen Sie also bekannt, dass ich den Fall abgelehnt habe, und begleiten Sie mich ungesäumt nach dem Bahnhof zurück«, erklärte der Detektiv, aufstehend.

Dies geschah, und auf dem Weg zum Bahnhof schauten natürlich beide Männer scharf um sich, um wahrzunehmen, ob sie belauert wurden oder nicht. Der Polizeichef nahm nichts wahr, was seinen Verdacht erregt hätte; erblickte der Detektiv etwas, so behielt er es jedenfalls für sich.

Im Bahnhof angelangt, hatten sie lange auf einen ostwärts gehenden Zug zu warten – dann bestieg Nick Carter mit einer Durchgangsfahrkarte den Zug und verabschiedete sich in auffälliger Weise von dem Polizeigewaltigen.

Der Zufall wollte, dass bald nach der Ausfahrt der Schnellzug für einen Augenblick anhalten musste, weil ein Signal das Geleise versperrte. Im selben Augenblick verließ Nick Carter auch schon im Dunkel des niedersinkenden Abends den Zug, und kaum eine Stunde später saß Mr. Oldham in dem prächtigen Speisesaal des Auditoriumhotels und ließ sich ein sorgsam zusammengestelltes Menü in Gesellschaft von zwei Gentlemen, welche auf die Namen Mr. Jerry Flanders aus Omaha und Elmer Goodale aus Buffalo hörten, schmecken.

»Du und ich«, versetzte Mr. Oldham in diskretem Flüsterton zu dem nicht minder reserviert blickenden Mr. Goodale gewendet, »werden heute einen nächtlichen Fischzug durch Chicago unternehmen. Jeder der Verbrecher, der viel Geld aufweist, ist ohne Weiteres verdächtig. Mag sein, wir finden etwas – was dich anbelangt, Patsy – bitte um Verzeihung, Mr. Jerry Flanders, so wirst du dich der Herkunft der drei falschen Geldsäcke liebevoll annehmen und mir morgen früh über den Erfolg deiner Tätigkeit Bericht erstatten.«

Eine Stunde später würde der stattliche Portier des Auditoriumhotels nicht wenig erstaunt dreingeblickt haben, hätte er den äußerst korrekten und peinlich sauber gekleideten Mr. Oldham im verrufensten Straßenviertel von Chicago erblicken können, denn er hatte sich in den schmierigsten Strolch, der das Pflaster der Riesenstadt nur unsicher machen konnte, verwandelt und stampfte auf sohlenlosen Stiefeln dahin.

Der Meisterdetektiv, denn natürlich war er es wieder, der sich unter der vorzüglichen Maske verbarg, war in Chicago ebenso gut zu Hause wie in der Hudsonmetropole, und die Lasterkneipen, Pennen und Kaschemmen waren ihm auf das Genaueste bekannt. Mit unermüdlicher Ausdauer besuchte er eine um die andere, knüpfte unbefangen Gespräche mit der schon nicht mehr zweifelhaften Gästeschar an, ließ sich hier und da selbst ein Glas Bier einschenken und lauschte sorglich auf jedes Wort, das ihm vielleicht einen Fingerzeig zu geben vermochte.

In ähnlicher Weise war auch Chick, der nicht minder zerlumpt dreinschaute, auf der Wanderung begriffen. Nach vorheriger Verabredung mit dem Meister hatte er sich für seinen Fischzug natürlich einen anderen Stadtteil ausgesucht.

Indessen, es verging Stunde um Stunde, ohne dass der Meisterdetektiv irgendetwas zu entdecken vermochte. Wohl hatte er ihm bekannte Strolche in großer Anzahl auf seiner Wanderung angetroffen, doch keinen darunter gefunden, dem nachzufolgen sich seiner Ansicht nach lohnte.

Kurz nach Mitternacht, als Nick Carter in eine verlassen liegende Straße einbog, vernahm er plötzlich eine Frau laut und durchdringend aufschreien. Dann, als er näherkam, hörte er dieselbe Stimme schluchzen und wie verzweifelt flehen, doch nur, um gleich darauf von einer rauen Männerstimme barsch unterbrochen zu werden.

»Lass mich in Frieden, du dumme Gans – nicht einen Cent siehst du!«, rief der Mann.

Seine Stimme kam augenscheinlich aus dem hinter einer Häusertreppe befindlichen Winkel.

Nick interessierte sich nicht sonderlich für den Vorgang, doch da er sich dem Paar mit langsamen Schritten näherte, so musste er notgedrungen hören und verstehen.

»Ah, Joe«, hörte er die Frau eben wieder herzbrechend aufschluchzen, »habe doch Erbarmen, ich sterbe ja vor Hunger – gib mir so viel, dass ich mir etwas zum Essen kaufen kann!«

»Bettle, wenn du nichts zu essen hast!«, rief der Vagabund. »Aus dem Weg – fort mit dir, sage ich – oder …«

Da wurde auch schon ein durch einen derben Schlag hervorgebrachtes Geräusch vernehmlich, gefolgt durch lautes Aufweinen. Gleich darauf taumelte die Frau aus dem Treppenwinkel hervor und kam dem Detektiv so nahe, dass dieser sie mit den Händen hätte auffangen können. Das würde er auch getan haben, hätte er nicht bemerkt, wie sie schnell einen Laternenpfahl umschlang und sich an diesem aufrecht hielt.

Nicks Zorn war erwacht; er vergaß in diesem Augenblick Beruf und Amt, und nur der jedem anständigen Mann innewohnende Drang beseelte ihn, der feigen Bestie, welche der flehenden Frau statt Brotes einen Fausthieb versetzt hatte, einen gehörigen Denkzettel zu verabreichen.

Der Detektiv sprang nach der Treppennische zu, bekam den Mann, einen untersetzten, ungeschlachten Kerl mit einem wahren Stiernacken, im selben Moment zu fassen, als dieser auf die Straße zurücktreten wollte, und hieb ihm rechts und links ein paar um die Ohren, dass der brutale Bursche, der wie die meisten seinesgleichen feige war und nichts mehr als Prügel am eigenen Leib fürchtete, so gern er solche auch Dritten angedeihen ließ, laut aufschrie. Zugleich stürzte er der Länge nach aufs Trottoir nieder.

»Feigling!«, war alles, was Nick Carter hervorstieß, doch eine Welt voll Verachtung lag in diesem Wort.

Der Kerl hatte sich inzwischen wieder aus dem Straßenstaub aufgerafft und maß seinen Gegner mit tückischen Blicken.

Plötzlich kam ein anderer zerlumpt aussehender Kerl aus einer Seitenstraße gestürmt.

»Was gibt es, Joe – warum schreist du so?«, rief er schon von Weitem.

»Dort der Lump hat mich von hinten angefallen!«, brüllte der geschlagene Halunke, welchem der Beistand Mut genug machte, dem Gegner anderthalb Schritte weiter auf den Leib zu rücken.

»Was ist denn das für ein Loafer?«, knurrte der Ankömmling, welcher dem Bedrängten so unvermutet zur Hilfe gekommen war; damit wendete er sich auch schon dem Detektiv zu und fiel wütend über diesen her.

Wie Nick Carter alsbald erkannte, handelte es sich um einen trainierten Preisboxer, der sich indessen nicht entfernt mit ihm messen konnte, mochte er ihm auch eine Weile zu schaffen machen.

Pech war es aber hierbei auch noch, dass die den Straßendamm erhellende Bogenlampe in Unordnung geraten war und fast völlige Dunkelheit herrschte, sodass Nick den neuen Gegner kaum zu sehen vermochte, sondern fast aufs Geratewohl zuschlagen musste, auf dieselbe Weise aber auch die Gegenhiebe empfing.

Plötzlich flammte das elektrische Bogenlicht sonnenklar wieder auf und ließ es hellen Tag auf der Straße werden. In demselben Moment gelang es Nick, seinem Gegner einen wuchtigen Stoß gegen den Magen zu versetzen. Er konnte auch in das Antlitz seines neuen Angreifers sehen, und dieses erschien ihm merkwürdig bekannt – ja, hätte Haken-Max nicht sein verunstaltendes Riechorgan besessen, so würde der Detektiv geglaubt haben, in die orientalisch scharfgeschnittenen Züge des verbrecherischen Juden zu schauen.

Doch auch sein Gegner schien eine unliebsame Entdeckung gemacht zu haben. Geschmeidig sprang er zwei Schritte zurück, um den Fausthieben seines Gegners auszuweichen.

Dann rief er plötzlich: »Tod und Verdammnis – es ist der Spürhund – der Nick Carter!«

Im selben Moment ergriff er das Hasenpanier und rannte, selbstverständlich von dem tapferen Joe mit erstaunlicher Geschwindigkeit begleitet, spornstreichs davon. Schon in der Minute darauf war er um die Ecke verschwunden.

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