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Der Welt-Detektiv – Band 11 – 4. Kapitel

Der Welt-Detektiv Nr. 11
Johnson, der Boxerkönig
Verlagshaus für Volksliteratur und Kunst GmbH Berlin

4. Kapitel

Die Bande im Hotel

Stunde um Stunde verrann, ohne dass sich das Geringste ereignet hätte. Reglos stand Sherlock Holmes im Zim­mer Nr. 39 hinter der Portiere, den Blick geradeaus zum Fenster gerichtet. Wann kam der Mörder? Der Weltde­tektiv wartete geduldig.

Keinen Augenblick zweifelte er daran, dass der Bursche das richtige Zimmer fand. Jeder wusste in Newton, dass Mr. Wellington im Zimmer Nr. 39 lag, wie ja überhaupt jeder im Städtchen sich für die mysteriöse Bluttat mit allen ihren Details interessierte. Es bedurfte also nur ei­ner leicht hingeworfenen Frage, um zu erfahren, wo man den Erfinder in der Klinik zu suchen hatte.

Kaltblütig sah Sherlock Holmes den kommenden Din­gen entgegen. Aber seine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Es wurde zehn, es wurde elf Uhr. Dann jedoch geschah etwas, das ihn jäh aufhorchen ließ. Ganz deutlich vernahm sein scharfes Ohr Schritte, die näher­schlichen. Gleich darauf raschelte es am Mauerwerk – dann tauchte hinter dem Fenster eine dunkle Gestalt auf.

Der Mörder war da! Sherlock Holmes rührte sich nicht. Wie eine leblose Statue stand er hinter dem Vorhang und beobachtete den Burschen. Ein leises Knirschen verriet ihm, dass der Mann von draußen sachgemäß die Scheibe zerschnitt. Dann fuhr eine Hand durch die geschaffene Öffnung und drehte den Fensterriegel herunter. Der Weg war frei!

Eine dunkle, kleine Männergestalt schlüpfte geräusch­los herein. Johnsons Komplize war es! Er verharrte eini­ge Augenblicke in unbeweglicher Stellung und lauschte angestrengt. Als alles im Haus ruhig blieb, kam er auf leise Sohlen näher, bis er das Bett erreichte. Einen Au­genblick schien es, als wolle er sich auf den Mann stür­zen, der nach seiner Meinung drinnen liegen musste. Dann aber trat er einige Schritte zurück, griff in die Ta­sche und brachte ein knisterndes Etwas zum Vorschein. Eine kleine Papiertüte war es, die ein unbekanntes Pulver enthielt. Der ganze Inhalt wanderte in das Trinkwasserglas, das auf dem Nachttisch stand. Sherlock Holmes nickte grimmig. Nachdem die Revolverschüsse nicht das gewünschte Resultat gezeigt hatten, sollte nun Gift den Bubenstreich vollenden! Der Halunke rechnete ganz rich­tig. Wellington lag im Fieber. Fieberkranke leiden stän­dig an Durst. Der Unglückliche würde also das Glas lee­ren, und der Bubenstreich war geglückt!

Der Weltdetektiv hatte ursprünglich beabsichtigt, den nächtlichen Besucher auf der Stelle zu verhaften. Nun wurde er plötzlich anderen Sinnes. Entwischen konnte ihm der Mann nicht mehr, auch dann nicht, wenn er nun wieder das Zimmer verließ. War es nicht möglich, dass der Mann nun nach vollendeter Schurkentat zu seinem Auftraggeber zurückkehrte? Teufel ja! Die Beschattung würde sich fraglos lohnen! Blitzschnell überlegte Sher­lock Holmes, wägte die Vorteile und Nachteile gegenein­ander ab, um dann mit sich schlüssig zu werden.

Ruhig gab er es zu, dass der Mann das Zimmer wieder verließ. Nachdem er das Wasser weggeschüttet hatte, huschte er zum Fenster und blickte hinaus. Der Bursche rannte durch den Park davon, der Stelle zu, wo die Mauer etwas brüchig war und ein besseres Überklettern gestatte­te als an ihren glatten Wänden. Wie der Blitz folgte ihm Sherlock Holmes nach. Ihm machten die glatten Wände nichts. Wie ein Wiesel zog er sich an der Mauer empor, um jenseits lautlos herabzuspringen. Ganz deutlich sah er den Mann davonlaufen. Eine stille Seitenstraße war sein Ziel. Beim Näherkommen gewahrte Sherlock Hol­mes auch den Grund: Hier hatte der Bursche seinen Wa­gen stehen lassen. Es war ein viersitziges Auto. Der Mann sprang hinein. Der Motor surrte. Und fort ging es.

Die nächste halbe Stunde verbrachte Sherlock Holmes in einer höchst unerquicklichen Situation. Er hing, sich nur mit den Händen und Füßen festhaltend, an dem rückwärts angebrachten Gepäckhalter. Zu allem Unglück befand sich die Chaussee, über die der Wagen in gerade­zu toller Fahrt dahinraste, in einem unbeschreiblich ver­nachlässigten Zustand, und mehr als einmal fehlte nicht viel an einer unbeabsichtigten Landung im Graben.

Dann aber stoppte der Bursche plötzlich die rasante Ge­schwindigkeit. Rechts und links tauchten Häuser auf. Aha, eine Ortschaft. Nachdem sie durchfahren war, wür­de der Kerl wieder sein Riesentempo anschlagen. So wenigstens nahm Sherlock Holmes an. Aber dem war nicht so, denn plötzlich bog der Wagen von der eigentli­chen Fahrstraße ab und hielt gleich darauf in einem Sei­tenweg vor einem größeren Haus. Was bedeutete das? Wollte der Halunke hier Station machen? Oder befand sich hier eine Tankstation? Jedenfalls war Sherlock Hol­mes auf der Hut.

Schattengleich glitt er vom Wagen und suchte im Dun­kel des gegenüberliegenden Hauses Deckung. Von hier aus stellte er fest, dass jenes Gebäude, vor dem das Auto hielt, ein Hotel war. Es ging bereits stark auf ein Uhr. Der Mann klingelte. Nach einigen Minuten öffnete der Haus­diener und ließ ihn eintreten. Sherlock Holmes wartete noch einige Augenblicke. Dann huschte er über die Stra­ße und spähte durch die Glastür in das Innere des Hotels. Von dem Mann war nichts zu sehen, dafür erblickte er aber den Hausdiener, der verschlafen auf einem der im Vestibül umherstehenden Korbstühle saß. Sherlock Hol­mes drückte den Türgriff nieder.

Der Hausdiener hob den Kopf. Als er einen Fremden vor dem Portal erspähte, erhob er sich, kam mit schlür­fenden Schritten heran und öffnete. Schnell trat der Wehdetektiv ein.

»Wollen Sie sich ein Pfund Sterling verdienen?«, tu­schelte er.

Der Hausdiener starrte den Fremden groß an. Jede Mü­digkeit war plötzlich von ihm gewichen. Ganz munter wurde er, als ihm Sherlock Holmes seine Erkennungs­marke unter die Augen hielt.

»Mr. Holmes!«, stammelte er.

»Still! Keine Namen! Wenn Sie sich das Geld verdie­nen wollen, beantworten Sie mir schnell einige Fragen.«

Der Hausdiener nickte. Die Tatsache, der Welt Be­rühmtesten gegenüberzustehen, schien ihm für einige Augenblicke seine Fassung zu rauben.

»Wer ist er Mann, den Sie soeben eingelassen haben?«

»Ein gewisser Mr. Nash, Sir.«

»Wohnt er hier bei Ihnen im Hotel?«

»Nein, er holt nur die beiden Amerikaner ab.«

»Die beiden Amerikaner? Was sind das für Leute?«

Der Angestellte zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht, Sir. Sie wohnen seit gestern Mittag bei uns. Der eine heißt Billis, der andere Smith. Ins Fremdenbuch haben sie sich als Kaufleute eingeschrieben.«

»Und nun wollen sie abreisen?«

»Ja, Sir. Sie werden jeden Moment herunterkommen und mit dem Auto fortfahren. Ihre Rechnung haben sie schon vorhin bezahlt.«

Wirklich schlug in diesen Augenblick in einem der oberen Stockwerke eine Tür zu. Sherlock Holmes drückte dem freudestrahlenden Hausdiener die versprochene Banknote in die Hand, flüsterte ihm zu, zu schweigen, und glitt wieder in die Nacht hinaus.

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