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Luciens Manuskript – ein etwas anderes Herangehen an eine Buchbesprechung

Luciens Manuskript – ein etwas anderes Herangehen an eine Buchbesprechung

Die literarische Dreiecksbeziehung zwischen Autor, Lektor und Verlagsassistentin könnte man als humorvolles Bühnenstück bezeichnen, in dem sich alle Protagonisten in einem lustigen Geflecht aus Missverständnissen und kreativen Dramen verfangen.

Der Autor ist ein sehr emotionaler Mensch, der eine besondere Beziehung zu seinen Texten hat. Er ist der Überzeugung, dass jeder seiner Sätze eine kostbare Perle ist und sein Meisterwerk in alle Ewigkeit bewahrt werden muss – auch wenn es nur um den epischen Leidensweg von Notizen geht. Als natürliche Gegenpole lassen sich die Realität sowie der Lektor ausmachen.

Der Lektor hat die Aufgabe, den Autor vor allzu großen Übertreibungen zu bewahren und ihn auf den Boden der Realität zurückzuholen. Während der Autor in jedem Wort einen Schatz sieht, vertritt der Lektor die Meinung, dass das Kürzen eine hohe Kunst ist. Es ist von Vorteil, wenn der Lektor die Fähigkeit besitzt, dem Autor in einer freundlichen Art und Weise zu vermitteln, dass seine Texte sprachlich noch optimiert werden können. Ihre Gespräche ähneln mitunter der Diskussion zwischen einem Künstler und einem Chirurgen, der alles Überflüssige entfernen möchte.

Die Verlagsassistentin ist eine wichtige Stütze des Teams und trägt wesentlich dazu bei, dass alle Beteiligten ihre Rolle optimal ausfüllen können. Sie ist eine wichtige Schnittstelle und unterstützt alle Beteiligten mit viel Fingerspitzengefühl. Sie stellt sicher, dass das Manuskript den Weg aus dem kreativen Chaos des Autors über das Schlachtfeld des Lektors bis zur Druckerei unbeschadet übersteht. Oft ist sie es, die die E-Mails des Autors mit einem freundlichen »Alles klar, danke, ich kümmere mich darum!« beantwortet, während sie den Lektor mit einer Tasse Kaffee und einem verständnisvollen Lächeln unterstützt. In dieser Szenerie ist sie eine wichtige Vermittlerin, die dazu beiträgt, dass alle Beteiligten zu einem konstruktiven Austausch finden.

 

LUCIENS MANUSKRIPT von Corinna Griesbach, herausgegeben vom Verlag Torsten Low, bietet auf fesselnde Weise Lesestoff, der Horror, das Übernatürliche und literarischen Meta-Humor meisterhaft kombiniert. Im Mittelpunkt steht Lucien, ein Schriftsteller ohne nennenswerte Erfolge, der sich in die Einsamkeit eines alten Hauses zurückzieht, um sein Werk zu vollenden. Doch anstelle der ersehnten Ruhe begegnet ihm eine Reihe ungewöhnlicher und unheimlicher Ereignisse: Personen, die ihm Geschichten voller Geheimnisse und Schrecken offenbaren, verleihen dem Gewöhnlichen eine gespenstische Note.

Griesbachs Roman besticht durch eine interessante Verbindung von psychologischem Horror mit nicht erst gemeinten Einblicken in die oft absurde Welt der Literatur. Der Verlag DARKNESS, dem Lucien sein Werk einsendet, trägt mit einem humorvollen Akzent zur düsteren Atmosphäre bei: Der Lektor Merlin und die Assistentin Cindy kommentieren Luciens Manuskript auf unterhaltsame Weise, was während des Lesens für eine willkommene Abwechslung sorgt.

Die narrative Struktur von LUCIENS MANUSKRIPT erforscht die Grenzen von Realität und Fiktion und regt zur Reflexion darüber an, was es bedeutet, ein Autor übernatürlicher Geschichten zu sein. Die Erfahrungen des Protagonisten sind vielfältig und bieten ein intensives, teils beunruhigendes Leseerlebnis, während die übernatürlichen Begegnungen die Spannung kontinuierlich steigern.

Dieses Werk könnte für Leser von Interesse sein, die sich für düstere, humorvolle und zugleich atmosphärische Geschichten begeistern, die im Spannungsfeld von Wahnsinn und Kreativität angesiedelt sind. Besonders Fans unkonventioneller Horror-Erzählungen und Meta-fiction, die nicht vor literarischen und übernatürlichen Klüften zurückschrecken, wird dieses Buch ansprechen.

Die Cover-Illustration von Detlef Klewer, inspiriert von Goyas Werk Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer, thematisiert die auftretenden Spannungen zwischen Vernunft und Wahnsinn, Realität und Albtraum sowie Kritik und Angst. Trotz ihrer schlichten Gestaltung weckt sie die Neugierde auf das Kommende und das, was Lucien zu Papier bringen wird.

Das Buch

Corinna Griesbach
Luciens Manuskript

Fiction, Taschenbuch, Verlag Torsten Low, Meitigen/Erlingen, 21. Oktober 2024, 282 Seiten, 15,90 EUR, ISBN 9783966290432, Umschlaggestaltung und Illustrationen: Detlef Klewer, Kritzelkunst

Synopsis:

Der erfolglose Autor Lucien zieht sich in ein altes Haus zurück, um endlich seinen Roman zu schreiben. Immer wieder begegnen ihm Menschen, die ihm ihre Geschichten anvertrauen, und inmitten des Alltäglichen erfährt er von Geheimnissen, unheimlichen Begebenheiten und den Schrecken des Übernatürlichen. Sein Manuskript stellt er unter ungewöhnlichen Umständen fertig und von Anfang an erfahren wir auch, welche Ereignisse er damit im Verlag DARKNESS auslöst.

»Dein Manuskript missachtet alle Voraussetzungen für Einsendungen an DARKNESS (und jeden anderen Verlag dieser Welt).« (Cindy, Verlagsassistentin)

»So ein bisschen Splatter ist ja okay. Schauen wir mal, wie es sich entwickelt …« (Merlin, Lektor)

 

Leseprobe:

II. Ein Mann wird in einem Keller von verstörenden Visionen heimgesucht

Ein paar Tage später warf ich ein Kärtchen in den Briefkasten meines Nachbarn. Sein Haus schmiegte sich nahe meinem in den Fels, sein Briefkasten war zu klein für gewöhnliche Post. Mein Kärtchen fluppte aber durch den Spalt. Es enthielt eine unverbindliche Einladung auf einen Kaffee und ein Kennenler­nen.

Spät am selben Abend stand ein ausgemergelter Typ vor meiner Tür, meine Zeitung in der Hand, und sah in mein müdes Gesicht.

»Das ist wohl Ihre«, sagte er, und es klang vorwurfsvoll, als hätte ihn die Zeitung vor meiner Haustür belästigt.

»Sie hören sich die Geschichten der Leute an«, sagte er. »Hier bin ich.«

»Naja«, sagte ich, »kommen Sie gern herein«, und erzählte ihm noch im Flur, dass ich eigentlich an etwas Größerem ar­beitete und vermied das Wort Roman.

Er folgte mir in die Küche, sah sich ausgiebig um und schien zu prüfen, was ich verändert hatte. »Ziemlich großes Haus, und dabei leben Sie allein hier«, stellte er fest.

»Haben Sie Familie?«, fragte ich höflich zurück.

»Wir sind letzten Dezember in das alte Felsensteinhaus ge­zogen.« Er sah mich an.

»Kaffee?«, fragte ich, war bereits dabei Wasser zu kochen und sah aus den Augenwinkeln, dass er sich setzte und an meinem halben Laib Brot herumsäbelte. »Meine Frau Mia hat sich in die Steintreppe zum Haus verliebt. In die hölzernen Türen, die seit dem Bau des Hauses in den Angeln hängen, in die breiten, geölten Dielen und den alten Ofen im Erdgeschoss.«

»Das kann ich gut verstehen!« Es gibt wohl kaum einen hübscheren, magischeren Ort als M., das alle Vorzüge einer Stadt genießt und dennoch seinen dörflichen Charakter bewahrt hat.

»Kurz nach unserem Einzug in das alte Haus begann es zu schneien«, fuhr er fort und schmierte Butter auf sein Brot. »Nachbarn erzählten uns, dass es zum ersten Mal nach drei Jahren in M. schneite, und meine Frau Mia hielt das für ein gutes Omen.«

»Die Leute hier scheinen sich mit Omen aller Art auszuken­nen.«

Er lächelte. »Einen Tag vor Einbruch des Schnees in den Ort hatten die Arbeiten in unserem Felsenkeller begonnen: Ich hatte die Mauern vermessen, die den Steinkeller umgaben, und ausge­rechnet, dass der Grundriss des Kellers nicht zu dem des übrigen Hauses passte. Der Keller war fast um die Hälfte kleiner als das Erdgeschoss und das erste Stockwerk. Der zweite Stock war be­reits das Dachgeschoss und nicht mehr bewohnbar und auch wiederum von der Grundfläche her kleiner, was ich mir mit dem etwas schief gebauten Dach erklärte, dessen Grundgerüst seit zweihundertfünfzig Jahren nicht erneuert worden ist. Nur die Ziegel waren – davon hatten wir uns einen Monat vor Unter­zeichnung des Kaufvertrages überzeugt – erst wenige Jahre alt.

Ich hatte drei Arbeiter aus Polen angeheuert, die – ich sage das wie alles andere hier frei heraus – an der deutschen Steuer vorbei die Kellerwände untersuchen und nach einem Durchlass ab­klopfen sollten. Ich wollte noch im selben Monat die überflüssi­ge Wand einreißen, den Keller vergrößern und so Platz für eine Ölheizung schaffen. Das Haus ist bis heute nur mit einem alten Holzofen im Erdgeschoss zu heizen.«

»Das kenne ich«, lächelte ich mitfühlend und fragte, ob ich ein paar Klütten in die Glut legen sollte. Sein Achselzucken ver­stand ich als Aufforderung.

»Unsere Nachbarn hatten uns von den Arbeiten abgeraten und behauptet, das Haus sei so mit diesem kleineren Keller in den Felsen gebaut worden vor knapp dreihundert Jahren und hätte nie einen anderen Grundriss gehabt.«

Ich konnte nicht ganz verstehen, was den Mann angetrieben hatte, den Keller überhaupt zu vermessen. Wer zog schon auf der Suche nach dem rechten Winkel nach M.? Aber er hatte ja gesagt, dass seine Mia die treibende Kraft für den Umzug ge­wesen war.

»Mia machte sich ein wenig Sorgen um den kleinen Bach, der durch den Keller fließt; sie wollte nicht, dass sein Lauf ver­ändert wird oder noch mehr Wasser kommen könnte. Aber das war kein Problem. Alle Keller hier sind nass …« Ich nickte. »… und das Bachbett blieb, wie es war.«

Ich wartete. »Aber?«

»Kaum hatten die Arbeiter einen Durchbruch durch eine der Steinwände gehauen, da begann der Schneesturm.

Das Weiß lag auf den Dächern der Häuser, auf den Straßen, es legte sich auf die Fensterscheiben und versperrte irgendwann den einzigen Durchlass nach M. Unsere Arbeiter verlangten noch rechtzeitig, bezahlt zu werden und verschwanden.

In unserem Keller klaffte ein Loch in der Wand, das ich al­leine nicht weiter ausbauen konnte. Daneben befand sich ein nicht allzu großer Vorrat an Holz, um unseren Ofen im Erdge­schoss zu befeuern.

Natürlich wurde die einzige Straße in den nächsten Ort wieder frei geräumt, wir leben in modernen Zeiten, aber das Wetter und unser kurzes Eingeschlossensein im Ort blieben doch lange Gesprächsstoff. Und rückten Meldungen wie die mit den Blättern aus dem Gesangbuch und der Taube ein wenig in den Hintergrund.«

Ich trank meinen Kaffee, der zu stark geworden war, und er­wischte noch etwas Brot. Als mein Gast nicht weitersprach, warf ich in die Stille das Wort »Taube«, was er für eine Frage hielt.

»Am Ende unserer Straße steht die Ortskirche. Sie ist ein wenig groß für die Gemeinde und war es wohl schon seit ihrer Fertigstellung, und wir hörten dreimal täglich den Ruf ihrer Glocke. Wie die meisten Nachbarn folgten wir ihm nicht. Nur einmal die Woche zum Gottesdienst sahen wir einige Gläubige an unserem Haus vorbeilaufen. Eines Sonntags gab es einen kleinen Aufruhr, nicht unweit von unserer Haustür, der Schnee lag noch immer hoch. Über ihm flogen Blätter eines der in der Woche zuvor ausrangierten Gesangbücher der Gemeinde. Die Seiten waren vorsichtig einzeln mit einer Klinge herausgetrennt worden und wehten nun knapp über dem hohen, schmutzigen Schnee langsam durch die Straße. Das allein wäre nur unschön gewesen, aber die Gesangbuchblätter bildeten einen Wirbel über einer toten, an ein Holzkreuz geschlagenen, gemeinen Straßentaube.«

»Das ist widerlich«, sagte ich und sah das gekreuzigte Tier vor mir.

»Das Holzkreuz, so stellte man später fest, war aus dem Ge­meindehaus entwendet worden. Es gibt bei uns keine Tauben. Es gibt Singvögel aller Art. Drosseln, Spatzen, sogar Eisvögel. Aber keine Tauben. Aber hier war sie: Ihre beiden Flügel waren mit je einem Nagel an das Kreuz geschlagen und das Kreuz steckte im meterhohen Schnee. Es war kein schöner Anblick. ›Kein gutes Omen‹, sagte meine Frau, ›so kurz nach unserem Einzug!‹

Es hatte keinen Sinn, sie daran zu erinnern, dass sie den Schnee, in dem die Taube steckte, für ein gutes Omen gehalten hatte. Sie stand mit den anderen vor dem toten, blutigen Tier und hielt ihre Hände wie betend vor der Brust. Es war dunkel. Das Wetter blieb schlecht.

Es klingt unglaublich, aber die Sache wurde nicht weiter un­tersucht. Keine Polizei, keine Anzeige, kein Tierschutzbund. Die Taube wurde weggeworfen und die Kirche kaufte ein neues Kreuz für den Gemeinderaum. Das Gesangbuch war ja be­reits ausgemustert.

Viel mehr interessierte man sich nun dafür, warum ich nicht aufgab, meinen Keller weiter auszubauen. Man fragte mich, ob ich nicht genug hätte.«

»Genug wovon?«

»Auch meine Frau fragte mich, ob es jetzt nicht reicht. War mir nicht warm genug, mit dem Ofenfeuer, das im Erd­geschoss brannte? Konnten wir nicht einfach einen zweiten Holz-Ofen aufstellen, im ersten Stock, wenn ich wirklich fror? Sähe ich nicht, was hier alles möglich war? Reichte mir das nicht? Sollten denn alte Wände nicht besser erhalten blei­ben?

Ich arbeitete trotzig langsam alleine weiter an der Kellerwandöffnung, aber mit wenig Erfolg. Als der Schnee langsam taute, tauchte einer der Arbeiter wieder auf, die mich wegen des Schnees und der Kälte im Stich gelassen hatten. Es war inzwischen Januar. Es war der kräftigere der Männer, und ich freute mich, ihn zu sehen. Ich bot ihm sofort Arbeit und Geld und wollte mit ihm zusammen Weiterarbeiten. Er er­zählte mir, dass die anderen beiden Männer, die bei mir im Keller gewesen und durch das Loch in der Wand hindurch­geschlüpft waren, um von dort aus Geröll nach draußen, in den bestehenden Keller zu verbringen, wohl etwas gesehen hätten. Nun seien sie tot. Verstorben.«

Ich sah meinen merkwürdigen Nachbarn an. Die aber­gläubische Furcht, die Kraft, bizarre Dinge für wahr zu halten und daran zu erstarken oder zu schwächeln, stand in sein Ge­sicht geschrieben. Ich wollte ihn beruhigen und ablenken, trösten, hineinziehen in meine Welt, meine Zeit, aber er sprach aufgeregt weiter: »Na ja, mich erregte der Gedanke, dass der Pole eine Entdeckung gemacht, etwas längst Ver­schollenes wiedergefunden haben könnte. Etwas, das seine schwachen Freunde berührt und getötet, ihn jedoch am Leben gelassen hatte. Und so auch mich.

Und ich wollte wissen, was das war. Ich wollte daran teilha­ben. Und so sagte ich zu ihm: »Zeig mir, wovon du sprichst^

Und widerstrebend folgte er mir hinab in den Keller. Wir sollten lange nicht wieder hinaufkommen.«

Was sollte ich dazu sagen? »Also – Sie glauben an solche Dinge?«, fragte ich, ohne zu konkretisieren, was ich mit solchen Dingen meinte. Saß vor mir ein größenwahnsinniger oder kranker Geist? Ich nickte ihm mehrmals zu, um ihn zum Wei­terreden zu bewegen.

»Bevor ich erzähle, was unten im Keller unseres Hauses ge­schehen ist, möchte ich noch einmal sagen, dass ich, ein nicht ganz unbekannter Bildhauer und Maler der Moderne, ein vollkommen aufgeklärter Mensch war, als ich mit dem Polen in den Keller hinabstieg.«

Moderne Kunst zog mich an und ich überlegte, wie der Kerl hieß, ob ich ihn das in dieser Situation einfach fragen könnte. Da ich selbst deutliche Fragen nach meiner Arbeit unange­nehm finde, sagte ich nichts. Ich würde später leicht heraus­finden, wer der Mann war; ob er wirklich nicht ganz unbekannt war.

»Märchen, Mythen, Aberglaube – das fesselte mich nicht«, fuhr er fort. »Ich war auch nicht auf der Suche nach dem Abenteuer, als ich mit Mia nach M. gezogen bin, ich suchte nicht, Gespenster zu wecken, als ich die Polen anwies, den Keller einzureißen, und hinter der Wand suchte ich nicht das Unwirkliche, keine Gespenster, keine Reliquien der Stadt M. Ich wollte nur den Grundriss im Keller dem unseres Hauses anpassen, um Platz für eine adäquate Heizungsanlage zu schaffen.« Er stockte. »Natürlich: Schon früher waren mir bei Besuchen in M. Menschen begegnet, die, gläubiger als andere, okkulten oder verbotenen Dingen anhingen.«

»Ach ja?« Mir war nicht wohl, weil ich nicht daran denken wollte, was mich hierher verschlagen hatte, was ich gesucht oder wovor ich in diese Enklave geflohen war.

»Mia und mich hatte dies nicht beeindruckt. In früheren Zeiten, ja, da wäre dieses Wissen geahndet worden und hätte mit dem Flammentod geendet. Heute – ließen uns diese alten Geschichten ganz kalt. Nur der Tod der beiden Arbeiter, der erschreckte mich ein wenig. Woran waren die gesunden Männer gestorben? Der kräftige Pole redete nicht.«

Er sah sich nach dem Ofen um und mich vorwurfsvoll an.

»Ich lege noch mal nach«, sagte ich und zog meine Strickja­cke aus.

»Auch der Tod der beiden Männer wurde nie untersucht. Beide sind längst eingeäschert und begraben. Ihre Namen sind aus den Geschichten ihrer Familien gewischt. Die grauenvolle Angst in den Gesichtern ihrer Familien ist nicht verschwun­den.«

»Sie kennen ihre Familien?«

Er nickte. »Ich habe sie besucht. Kurz nach der Beerdigung.

Ich war nicht wirklich willkommen.

Der Pole führte mich jedenfalls an jenem Tag in meinen Keller, als sei es der seinige, und er schloss die Holztür zum Erdgeschoss mit einem alten, vergammelten Scharnier, das innen im Keller angebracht war, am Fuß der Tür, gut zu errei­chen, wenn man schon einige Stufen die Steintreppe hinabge­stiegen war. Ich hatte das Scharnier noch überhaupt nie bemerkt und mich nie gefragt, warum die Tür zum Erdge­schoss – vom Innern des Kellers aus – zu verschließen war.

Jetzt betätigte der Pole das Scharnier mit einer Selbstver­ständlichkeit, die ihn, wenn nicht als Hausherren, so doch als Gebieter des Kellers auswies. Wir gingen weiter hinunter, die elektrische Kellerbeleuchtung wies uns den Weg. Ich dachte noch daran, dass unsere moderne Energiesparlampe nicht nur für Wochen, sondern für Monate ununterbrochen den kleinen Raum beleuchten konnte. Wir würden deswegen nicht hinauf­kommen müssen. Dann standen wir vor der Öffnung, die die Arbeiter gerissen hatten. Ordentlich lagen Schutt, Steine und Staub in Säcken oder Haufen sortiert davor.

»Ich bin bereit«, sagte der Pole. »Geh du durch. Der Stein ist zu fest, ohne Gerät kein besserer Zugang.« Ich sah durch das Loch. Nichts. Ich griff hinein. Leere. Dann holte ich Luft und steckte den Kopf hinein. Sofort begann der Pole, meinen Ober­körper durch das Loch zu pressen. Er drückte und quetschte sogar meine Schultern durch das Loch. Er musste mich ganz zu­sammendrücken, damit ich Bauch, Unterkörper und Beine hin­einbekam. Ich fiel vorneüber und hörte etwas poltern. Ich fühlte vor mir ein Ding und fasste es ängstlich an: Es war nur ein um­gekippter Stuhl. Mit zittrigen Händen richtete ich ihn auf und setzte mich darauf.

Von dort aus, auf diesem alten Stuhl sitzend und durch das Loch schauend, sah ich in den helleren, größeren Teil des Kellers.

›Was siehst du?‹, fragte der Pole. ›Siehst du was?‹

Ich sah mich um. Sah tatsächlich etwas und zeigte auf ein glimmendes, glitzerndes Ding, eine Art Schatulle, die wohl die ganze Zeit auf dem alten Stromkasten gelegen hatte, uns aber nicht ins Auge gefallen war. Ich streckte den Finger aus und zeigte darauf. Er drehte sich um, in die Richtung des Dings, schien es aber nicht zu sehen.

›Was denn?‹, fragte er.

Die Schatulle glühte plötzlich in so vielen Farben, dass mir ganz schwindelig wurde. Ich war ganz fahrig, wollte aber auf keinen Fall weg von meinem Posten auf dem Stuhl in der Nische im Keller, in dem Loch, das ich nun bewohnte.

›Da!‹, winselte ich zornig. ›Siehst du denn nicht?‹

Der Mann folgte der Linie, die mein Finger wies, und faselte etwas Unverständliches von einem Holzkasten oder Zigarrenkasten, der auf einem Vorsprung über dem Stromkasten läge, und ob er ihn mir bringen solle. Da er das Ding mit den irisieren­den Strahlen bereits berührt hatte und mir dabei ein stechender Schmerz durch den Körper gefahren war, schrie ich nur Jak, und dass er das tun solle und dass er des Todes sein werde wie seine Kollegen, wenn er mir und dem Ding zuwiderhandle. Da wurde er blass und fiel beinahe mit der Schatulle vor mir nieder.

 

Veröffentlichung der Leseprobe mit freundlicher Genehmigung des Verlages

(wb)

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