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Führer durch die Sagen- und Märchenwelt des Riesengebirges 12

Max Klose
Führer durch die Sagen- und Märchenwelt des Riesengebirges
Mit zahlreichen Abbildungen aus dem Riesengebirge
Verlag von Brieger & Gilbers. Schweidnitz (Świdnica). 1887.
Überarbeitete Fassung

III. Greiffenstein und Liebenthal

1. Der Burgname

Die Burg Greiffenstein (seit 1798 Ruine) liegt in der Nähe des Städtchens Greiffenberg, das von der Ersteren seinen Namen hat. Die Burg soll schon vor dem Jahr 1000 von einem Ritter aus der Familie derer von Greiff erbaut worden sein und nach dem Erbauer den Namen erhalten haben.

Nach einer anderen Sage ist die Burg im Jahre 1172 an den Herzog Bolèslaus den Langen gekommen und hat damals den Namen Neuburg gehabt, welcher erst 1400 in den Namen Greiffenstein zu Ehren des Ritters Gotsche Schof, der den Vogel Greif erschlug, umgeändert wurde.

2. Der Greifbezwinger

Im 14. Jahrhundert bedeckte das Queisthal noch ein mächtiger Urwald. Dazwischen aber lagen saftige Weiden, welche von friedlichen Hirten ausgenutzt wurden. Die Schafzucht dieser Gegend hatte sogar in Herzog Bolkos Landen sich schon eine gewisse Berühmtheit erworben und wuchs zu des Herzogs Freude von Jahr zu Jahr. Da nistete sich aber ein Ungeheuer im Urwald ein, welches die Herden samt ihren Hirten zum Fraß fortschleppte. Dasselbe war ein Vogel, Greif genannt, dessen Flügelweite zwanzig Ellen maß. In seinen gewaltigen Klauen schleppte er den stärksten Ochsen fort und verzehrte denselben an einem Tag. Der Jammer der Hirten drang zu den Ohren des Fürsten. Dieser setzte hohe Belohnungen für die Tötung des Greifs aus, aber das Volk verkroch sich ängstlich vor dem Un­geheuer. Da bot der Herzog seinen Rittern große Summen und Ländereien. Viele zogen hinaus, kehrten aber um, nachdem sie den Vogel Greif erblickt hatten oder wurden von demselben auf­gefressen. Der Jammer der Hirten wurde immer größer, eine Hungersnot drohte zu entstehen, und die Gegend war schon an vielen Plätzen entvölkert. Des Herzogs Kummer wuchs von Stunde zu Stunde, aber er wusste keine Mittel, seine Recken zum Kampf mit dem Greif zu bewegen. Da träumte ihm: Er sah einen blonden Jüngling vor seiner einzigen Tochter Agnes auf den Knien liegen und diese lächelte holdselig denselben an. Am anderen Morgen ließ er durch Herolde verkünden, dass derjenige, welcher den Greif und seine Brut töten würde, seine Tochter Agnes zur Gemahlin und als Heiratsgut die Neuburg (Greiffenstein) mit meilenweiter Runde erhalten solle. Die Ritter blieben aber auf ihren sicheren Burgen und dachten nicht daran, dem Ungeheuer sich zur Beute zu stellen.

Ein junger Schäfer, Gotsche Schof, hatte auch das fürst­liche Wort vernommen und erinnerte sich errötend an die holde Fürstentochter, die er einst auf der Neuburg geschaut hatte und nicht mehr vergessen konnte. Er war sofort entschlossen, sich die Prinzessin zu verdienen, oder zu sterben. Er trieb wie immer seines Vaters Herde in das Tal zwischen der Neuburg und dem Kahlenberg, wo er den Flug des Greifs erkundete. Eines Tages machte er sich zum Kampf auf. Als Waffen nahm er sich ein Beil und eine lange Stange mit. Ohne Zagen ging er in den dichten Wald, um des Vogels Nest zu erspähen. Drei Tage irrte er umher und hatte schon die Hoffnung verloren, das Nest zu finden. Ermüdet legte er sich in ein Gebüsch und schlief ein. Da rauschte es über den Wipfeln der Bäume wie Sturmeswehen. Erschrocken sprang Gotsche auf und gewahrte den Greif über sich. In langsamem Flug strebte das Ungeheuer der mächtigsten Eiche des Waldes zu, die weit und breit unter dem Namen die Mahl­eiche bekannt war. In den Ästen derselben hatte der Vogel das Nest. Gotsche hörte das Gekreische der Brut desselben, welche gierig über das Rind herfiel, das der Alte brachte. Im Dickicht verborgen, lauschte der Jüngling mit klopfendem Herzen und sah in der Morgendämmerung den Greif auf Raub ausfliegen. Nun machte er sich schnell an die Ausführung eines Planes, den er in der schlaflosen Nacht ersonnen hatte. Er sammelte dürres Holz, band dasselbe an die Stange und zündete es an. Mit einer großen Geschicklichkeit schleuderte er den Brand in den unteren Teil des Nestes und bald loderte die dürre Brutstätte in Flammen auf. Die jungen Greife erhoben ein entsetzliches Geschrei, welches den ganzen Wald durchtönte. Mit gewaltigen Flügelschlägen eilte der alte Greif herbei. Er umkreiste das Nest und schlug mit seinen Riesenfittichen in die brennende Eiche, um seine Jungen zu retten. Dies war aber unmöglich. Die Glut bäumte sich unter seinen Flügel­schlägen immer höher und erfasste auch des Ungeheuers Schwingen. Kraftlos und halb verbrannt sank es zur Erde nieder. Gotsche be­festigte nun sein Beil an der Stange und schlug auf den wehrlosen Riesen ein. Zwar drohten die Krallen desselben noch immer den Gegner zu erfassen, bald aber unterlag er den wuchtigen Schlägen. Der Jüngling kniete bei dem toten Ungetüm nieder und sprach Gott inbrünstigen Dank. Nachdem er eine Kralle des Greifs ab­gehauen hatte, begab er sich mit dieser in sein Vaterhaus und ver­kündete dem erstaunten Alten seine Heldentat. Die Hirten der Gegend scharten sich um den Sieger und ihr Jubel wollte kein Ende nehmen. Gotsche gedachte aber des Herzogs und forderte die Leute auf, den Greif zur Neuburg an das Hoflager zu schaffen. Acht Ochsen zogen das tote Ungetüm und die Überreste seiner Brut. Das Volk drängte sich um das Gefährt und beschaute den hässlichen Körper. Die Menschenmenge wuchs zu Tausenden an und forderte laut den versprochenen Lohn für den Sieger.

Auf der Burg harrte der Herzog mit seinen Rittern und seinem Hofstaat. Als der unabsehbare Zug ankam, erhob sich der Fürst und trat dem jungen Schäfer entgegen. Dieser verneigte sich demütig und berichtete in schlichter Rede seine Tat. Die Blicke der Edeldamen ruhten mit Wohlgefallen auf dem stattlichen Jüngling, die Ritter aber steckten die Köpfe zusammen und sandten die Ältesten zum Herzog, denselben zu beraten, den Schäfer mit Geld abzufinden und die Prinzessin aus der Ritterschaft einen Gemahl wählen zu lassen; der ausgesetzte Preis sei wohl einem Ritter, aber keinem niederen Schäfer verheißen gewesen.

Gotsche Schof wandte sich demütig zum Gehen und das Volk schrie laut, dass ihm der ausgesetzte Preis gebühre.

Der edle Herzog legte seine Hand auf die Schulter des Jünglings und gebot der Menge, zu schweigen. Dann wandte er sich an die Ritter und sprach: »Als ich die Hand meiner Tochter zum Preis aussetzte, habe ich allerdings geglaubt, dass ein Ritter sich denselben erkämpfen werde. Die Ritter haben das Vorrecht, durch ihre Tapferkeit Land und Leute zu schützen. Da aber keiner es wagte, sein Leben zum Nutzen meines Volkes in die Schanze zu schlagen und den Preis zu erringen, so bleibt mein Fürstenwort auch voll und ganz be­stehen, wenn ein niederer Mann die Heldentat vollbrachte. Dieser Jüngling befreite das Land von dem grimmigsten Feind und ich schlage denselben darum, Kraft meiner Fürstenwürde, zum Ritter und schenke ihm die Neuburg mit so vielem Land, wie seine Schafherde von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang umziehen kann. Die Neuburg soll von nun ab zum Andenken an diese Heldentat der Greiffenstein heißen. Der Ritter Gotsche Schof aber wird hinausziehen zu des Kaisers Heer und als ein wackerer Ritters­mann heimkehren, der würdig ist, sich mit meinem fürstlichen Ge­blüt zu verbinden.«

Die schöne Prinzessin Agnes sah dem schlanken Jüngling noch lange nach, als derselbe, von dem jubelnden Volk begleitet, aus der Burg hinauszog. Ihre Augen füllten sich mit Tränen; denn sie hatte bereits den einfachen, edelmütigen Bräutigam lieb gewonnen.

Gotsche Schof begab sich zu Kaiser Karls Heer und kämpfte in vielen Schlachten mit großer Auszeichnung. Der Kaiser machte ihn zu seinem Waffenträger, als er aber bei Erfurt gegen Adolph von Nassau den Sieg entschied, da schenkte ihm der Kaiser viele Güter und Rechte, erhob ihn in den Freiherrnstand und gab ihm den Namen Schaffgotsch.

In der Heimat hatte man von dem Ritter lange Zeit keine Kunde erhalten und glaubte denselben tot. Die schöne Prinzessin Agnes allein harrte noch mit Liebe und Sehnsucht ihres Verlobten. Zwei Jahre waren seit Schofs Abreise verflossen und die Ritter­schaft drängte, die Prinzessin solle sich einen anderen Bräutigam wählen. Der Herzog, dem man die Nachricht von Gotsches Tod überbracht hatte, gab den Rittern Gehör und lud die Edlen aller Lande durch Herolde zu einem Turnier auf der Burg Lähnhaus ein. Der Sieger sollte das Recht erringen, um des Herzogs Tochter zu werben.

Von nah und fern eilten die Ritter herbei und maßen sich im Turnier. Zuletzt ritt ein fremder Rittersmann in die Schranken, der einen einfachen, schwarzen Harnisch trug und ein Schild mit drei Vogelköpfen führte. Derselbe nannte den Kampfrichtern den Namen eines Freiherrn von Schaffgotsch, der allen unbekannt war. Kein Gegner hielt ihm Stand; er streckte jeden in den Sand. Niemand wagte, ihm den Sieg streitig zu machen und die Kampf­richter erkannten ihm denselben zu. Am Altan des Herzogs sollte er nun einen Stirnkuss der Prinzessin empfangen. Er kniete vor Agnes nieder und löste den Helmsturz. Da quoll das blonde Haar hervor und Gotsches edle Züge schauten freundlich darunter heraus. Mit einem Freudenschrei stürzte die Prinzessin in die Arme ihres Bräutigams und erstaunt erkannten die Ritter den Greifbezwinger.

Als diese frohe Mär zu dem Volk drang, eilte dasselbe von allen Seiten herbei und wollte den Kühnen sehen, der es von der großen Landplage erlöst hatte. Gotsche aber überreichte dem Herzog Bolko einen eigenhändigen Brief des Kaisers Karl, der die Tapferkeit des Ritters schilderte, und die Urkunde seiner Erhebung in den Freiherrnstand. Bolko umarmte seinen Schwiegersohn und befahl, dass sofort ein Priester ihn mit Agnes verbinde. Die Hoch­zeit währte acht Tage lang. Das junge Paar begab sich auf den Greiffenstein und ihm entspross ein edles Geschlecht, welches noch heute als gräfliches blüht und den Greiffenstein unter seine Be­sitzungen zählt.