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Der Detektiv – Band 29 – Nur ein Tintenfleck – Kapitel 5

Walter Kabel
Der Detektiv
Band 29
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Nur ein Tintenfleck
Kapitel 5 – Die Rauchbombe

Meine Spannung war nun aufs Höchste gestiegen.

Wir hockten hinter ein paar Büschen links von der Pforte. Nach vielleicht einer Viertelstunde öffnete sich diese. Ein chinesischer Diener ließ Houster ins Freie und verschloss die Pforte dann. Ich erkannte den Kunstschlosser sofort wieder. Seinen graublonden Vollbart und seine kräftige, hohe Gestalt hatte ich noch gut in der Erinnerung.

Mit aller Vorsicht blieben wir Houster auf den Fersen. Nun betrat er, stets einen schmalen Fußpfad benutzend, ein Tal zwischen den Hügeln, in dem hohes Gestrüpp wucherte.

»Näher heran!«, flüsterte Harst »Dieser Ort ist gefährlich, eignet sich nur zu sehr für einen Überfall.«

Der Pfad schlängelte sich zwischen den Gestrüppwänden in kurzen Biegungen hindurch. Wir liefen jetzt im Trab, aber stets tief gebückt.

Da – vor uns ein Schuss.

Harst schnellte sich plötzlich in langen Sätzen vorwärts. Noch zwei Biegungen, dann – vor uns eine kleine Lichtung; darauf ein Chinese der gerade den Körper Housters ins Dickicht zerrte.

Als der Chinese uns erblickte, stand er einen Moment wie gelähmt da, fasste sich aber schnell und wollte in dem Gestrüpp verschwinden.

»Halt – stehen bleiben!«, brüllte Harst und riss die Pistole hervor.

Der Chinese war jedoch mit einem Sprung hinter einem Dornbusch verschwunden.

Peng … peng …

Harsts Pistole knallte.

Ein gellender Aufschrei. Wir rannten hinter den Busch. Dort lag der Chinese lang im Gras, das Gesicht nach oben gekehrt. Ein dicker Blutstrahl sprang aus der durchschossenen rechten Halsschlagader stoßweise hervor.

Der Chinese? Nein – kein Chinese! Es war der verkleidete Major Trimal!

Harst beugte sich über ihn. Das Gesicht Trimals verfiel bereits; die grauen Schatten des Todes breiteten sich darüber aus. Der Sterbende hatte die Augen geschlossen.

»Trimal!«, rief Harst leise, aber befehlend, »wer ist die rotblonde Frau, die im goldenen Turm den Baldachin so oft fotografierte?«

Der Major öffnete die Lider. Sein umflorter Blick suchte die Sonne, die schon hoch über den Büschen stand.

»Eugenie Malcapier, meine … Nichte …«, hauchte er. »Sie … an allem schuld … eine Teufelin. Im P’hrabat … heute … ein ­…«

Das war sein letztes Wort. Harsts erste Kugel hatte ihm die Brust durchschlagen. Er war tot.

Wir eilten zu Houster hin. Harst untersuchte ihn. Eine Revolverkugel war ihm in den Hinterkopf gedrungen. Aber er lebte noch.

Die Schüsse hatten nun doch ein paar Siamesen herbeigelockt, denen Harst befahl, den Schwerverletzten in das nächste Europäerhaus zu tragen. Die olivengelben kleinen Kerle – denn die Siamesen sind zumeist weit unter Mittelgröße – schienen uns für die Mörder zu halten und entfernten sich schleunigst mit dem Verwundeten, den sie auf eine aus Baumästen hergestellte Tragbahre gelegt hatten.

»Zum P’hrabat!«, rief Harst nun in einer Erregung, die er nur mühsam verbergen konnte. »Hier sind wir zu spät gekommen, haben den Überfall auf Houster nicht mehr verhüten können! Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Trimal es wagen würde, eine Schusswaffe zu benutzen. Im goldenen Turm müssen wir rechtzeitig eingreifen. Mein Alter – strenge deine Lungen nur etwas an! Es muss sein!«

Er hatte sich schon in Trab gesetzt. Ich keuchte neben ihm her. Es ging nun ziemlich steil bergauf. Bald öffneten sich die hohen Büsche und gaben die Aussicht auf die Klostergebäude und die Umfassungsmauer frei. Wir bogen dann rechts ab, um an den Haupteingang zu gelangen. Nun mäßigten wir unsere Eile, um nicht aufzufallen. Harst hatte die Augen überall, flüsterte mir zu: »Ich wette, die Rotblonde ist ebenfalls im P’hrabat. Schau unauffällig nach ihr aus. Vielleicht trägt sie auch eine Verkleidung.«

Wir durchschritten die ersten Höfe und wunderten uns, dass wir hier so wenige Priester und Mönche sahen.

Dann deutete Harst zum goldenen Turm hin, der über die flachen Dächer hoch hinwegragte.

»Da – Rauch, dicker, gelber Qualm!«, flüsterte er. »Das hat etwas zu bedeuten! Sie werden es mit einer Rauchbombe vielleicht versucht haben.«

Im letzten Hof vor dem Turm herrschte bereits ein großes Gedränge. Die frommen Buddhisten waren in wildester Aufregung.

Plötzlich schwenkte Harst schnell nach rechts ab, wo ein Säulengang vor einem Tempel entlanglief. Ich stutzte, ich traute meinen Augen nicht! Dort kam – Houster unter dem Säulendach daher. Houster, frisch und gesund! Er beachtete die beiden Inder nicht eher, bis sie ihm den Weg vertraten.

»Einen Augenblick«, sagte Harst auf englisch. »Ihre Maske ist tadellos, ohne Frage! Sie sind ein Künstler in diesem Fach! Sogar Housters etwas schleppende Art zu gehen ahmen Sie vorzüglich nach!«

Der falsche Houster war zurückgeprallt. Aus der Menge der Priester hatten sich mehrere verkleidete Polizisten uns genähert. Polizeichef Walker befolgte also genau das, was Harst ihm beim Abschied heute früh nahegelegt hatte.

»Sie sehen, dass Sie die Partie verloren haben!«, fuhr Harst fort. »Mann – seien Sie verständig: Wo ist Miss Eugenie Malcapier?«

Walker erschien nun neben uns.

»He, Master Harst, was haben Sie mit Houster vor?«, fragte er. »Sollten Sie etwa annehmen dass …«

Er schwieg. Harst hatte mit schnellem Griff dem Fremden den falschen Bart abgerissen.

»Da – sieht so Houster aus?!«, meinte er. »Master Walker, verhaften Sie diesen Mann! Und lassen Sie sofort alle Ausgänge des P’hrabat sperren!«

Die Beamten packten zu. Ein paar Handschellen schlossen sich knackend um des Verbrechers Handgelenke. Der Mensch hielt nun den Kopf gesenkt, starrte bleich und verstört vor sich hin. Wir führten ihn in einen Tempelraum, ließen ihn hier bewachen und eilten mit Walker zum goldenen Turm hin.

Dem Eingang entquoll noch immer dicker, gelber Qualm. Harst riet, man solle einige der unteren Fenster öffnen, um dem Rauch Abzug zu verschaffen.

»Feuersgefahr besteht nicht«, erklärte er. »Es handelt sich lediglich um eine Rauchbombe.«

Man befolgte den Rat. In Kurzem war die Halle dann rauchfrei. Walker und wir beide betraten sie als Erste. Rechts neben der Pforte lag in einem großen Räucherkessel ein Metallzylinder, aus dessen siebartig durchlöchertem Deckel noch immer Qualmfäden aufstiegen. Unter dem Baldachin stand die Trittleiter, auf der Houster an den Stützen gearbeitet hatte. Harst kletterte hinauf, rief uns und dem Oberpriester, der gleich nach uns in der Halle erschienen war, zu: »Es sind acht der größten Steine herausgebrochen worden, darunter auch die drei Smaragde!«

Die Halle füllte sich schnell mit Mönchen und Priestern. Ein ungeheures Wutgeschrei brach nun los. Harst gesellte sich wieder zu uns.

»Gehen wir zu dem Gefangenen«, meinte er. »Ich bin leider auch hier zu spät gekommen. Ich fürchte, er wird die Steine Miss Malcapier bereits ausgehändigt haben und diese dürfte nicht mehr im P’hrabat sein.«

Nun endlich sollten Walker und ich darüber Aufschluss erhalten, wie Harst dieses Verbrechen durch logische Schlüsse vorausgeahnt hatte.

»Ich werde Ihnen genau erklären«, sagte er zu dem gefesselten Verbrecher, »was hier vorgegangen ist. Sie, die Malcapier und Trimal haben einen Anschlag auf den P’hrabat seit Langem geplant. Aber jetzt erst, als Houster die Reparatur an dem Baldachin zu erledigen hatte, erschien Ihnen die Gelegenheit günstig. Als ich die Malcapier den Baldachin von allen Seiten fotografieren sah, besonders von rechts, obwohl doch Houster mit auf die Platte kommen musste, sagte ich mir gleich, dass die Aufnahmen nicht den Baldachin, sondern den Kunstschlosser festhalten sollten. Weiter sagte ich mir: Wer diesen Mann so oft fotografiert, besonders von einer Seite, die die beste für eine Aufnahme des Gesichts war, der kann vielleicht die Absicht haben, hier im P’hrabat einen falschen Houster auftauchen zu lassen. Die Aufnahmen oder besser deren Vergrößerungen sollten nur dazu dienen, jede Einzelheit von Housters Gesicht recht getreu bei der Maske für den falschen Houster berücksichtigen zu können. Da Ihr Gesicht eine entfernte Ähnlichkeit mit dem des Kunstschlossers hat, fehlte nur weniges, um eine tadellose Täuschung hervorzurufen. Der Plan war fein ersonnen, aber – er enthielt doch grobe Fehler, besonders was den Tintenfleck und meine und Schrauts Gefangennahme betraf. Jedenfalls musste der echte Houster verschwinden, wenn der falsche hier auftreten sollte. Daher der Mordanschlag, den ich nicht vereiteln konnte. Sie haben dann hier Houster gespielt, und die Malcapier hat die Bombe in das Räucherbecken getan, um die Halle durch den starken Qualm schnell zu leeren. Sie konnten noch acht Steine herausbrechen, dann mussten Sie dem Rauch weichen. So hat sich alles zugetragen. Wo sind die Edelsteine?«

»Ich habe sie Eugenie ausgehändigt, die als Inderin verkleidet mich vor dem Turm dann erwartet hat«, sagte der Verbrecher dumpf. »Eugenie ist meine Schwester, Trimal unser Onkel. Der ganze Plan entsprang ihrem Hirn. Sie war es, die Trimal und mich vor einem Jahr auf den Gedanken brachte, uns hier niederzulassen und den Diebstahl vorzubereiten. Eugenie und ich galten als Ehepaar. Mit Trimal verkehrten wir nur heimlich. Und Sie, Master Harst, wollten wir unschädlich machen, um einen Vorsprung bei unserer Flucht zu gewinnen.«

Die Suche nach Eugenie Malcapier blieb zunächst ergebnislos. Houster genas sehr bald. Die Kugel hatte nicht genügend Durchschlagskraft gehabt und war nur wenig in das Hirn eingedrungen.

Was wir bei der Verfolgung Eugenie Malcapiers erlebten, will ich im folgenden Band unter dem Titel schildern:

Die Menam-Brüder