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THE FAIRY FAILS – Phantastische Geschichten ohne Happy End

The Fairy Fails – 33 phantastische Geschichten ohne Happy End von Monika Loerchner und Anja Grevener in der Rolle als Herausgeber ist ein Werk, das die konventionellen Grenzen klassischer Märchen herausfordert. In dieser bemerkenswerten Sammlung präsentieren die Autorinnen 33 düstere und unerwartete Kurzgeschichten, die bewusst auf das vertraute Happy End verzichten. Mit einem feinen Gespür für das Makabre entführen die Herausgeber, unterstützt von Andrea Hundsdorfer, Nikodem Skrobisz, Nina Mazur und Wolfgang Pippke (Wolf Welling), die Leser in fantastische Welten, in denen Zombies, Geister und bösartige Kreaturen nicht dem klassischen Drehbuch folgen.

Jede Geschichte entfaltet eine eigene Atmosphäre – sei es melancholisch, grotesk, humorvoll oder unverhohlen tragisch. Diese Sammlung demonstriert, dass in der Phantastik auch das Unvollkommene und die Schatten ihren Platz haben und dass nicht jede Erzählung ein glückliches Ende benötigt, um nachhaltig zu berühren. Für Liebhaber von Märchen, Sci-Fi, Horror, Fantasy und ähnlichen Genres, die bereit sind, sich auf neue, herausfordernde Wendungen einzulassen und eine Prise Dunkelheit nicht scheuen, bietet The Fairy Fails ein ebenso faszinierendes wie verstörendes Leseerlebnis.

Das Buch

THE FAIRY FAILS
Phantastische Geschichten ohne Happy End

Geschichtensammlung, Taschenbuch, Bookmundo, Oktober 2024, 432 Seiten, 18,00 EUR, ISBN: 9789403762456, FSK 18

Kurzinhalt:

… und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage? Nicht in dieser Sammlung phantastischer Kurzgeschichten! Hier versagt der Zauber der guten Fee und verkehrt sich ins dunkle Gegenteil! Es gibt kein Happy End. Garantiert. Ob Märchen, Science-Fiction, Horror oder Fantasy: In den 33 Geschichten von fünf Autorinnen und Autoren reichen sich Gestaltwandler, Zombies, Geister und andere bösartige Kreaturen die Klauen zu einem unheimlichen und blutigen Reigen. Also auf in diese düsteren Anderswelten, denn hier leben Heldinnen und Helden nicht glücklich, und das Ende ihrer Tage ist nah …

Leseprobe:

Anja Grevener

The fairy has failed indeed

Es war einmal …

Die harten, schwarzen Dornen bissen sich in seine Haut, zogen blutig-rote Striemen, rissen an seiner Kleidung. Ihre langen, grünen Fangarme schlossen sich wie eine dämonische Geliebte um seine Schultern und verfingen sich in seinen Haaren, kratzten wie glühende Eisennägel seine Kopfhaut auf. Sein Blut lief ihm, vermischt mit seinem Schweiß, warm über das Gesicht und die wachsenden Schmerzen hallten in seinem ganzen Körper wider. Er spürte, wie ihm die Kraft für die Gegenwehr ausging, wie sich die Schlingen immer enger um ihn legten. Er drohte steckenzubleiben. Die Wucht seiner Attacke war abgefangen, abgeleitet und umschlungen worden.

Vom Angreifer zum Opfer innerhalb von Augenblicken. Er steckte fest! Was würde jetzt mit ihm geschehen? Niemand würde sich zu ihm vorkämpfen können, selbst befreien konnte er sich nicht mehr. Hinter ihm hatten sich die Ranken zu einer grünen Wand aus zahllosen Ketten zusammengeschlossen und seine alte Welt ausgesperrt. Sein Begleiter würde nach ihm rufen, ihm Mut zusprechen in dem Bewusstsein, dass sein Prinz unter Schmerzen in diesem Labyrinth aus Dornen verdursten würde, wenn er sich nicht vorher mit seinem Schwert erlösen konnte.

Nicht weit entfernt erkannte er zwischen den sich windenden Ranken einen bräunlichen Schatten. Seide, zerfetzt durch die Dornen, schimmerte durch das Grün zu ihm hinüber und er konnte über dem leichtfüßigen Duft der Rosen den süßlichen Hauch der Verwesung riechen. Hörte er ein Stöhnen im Wind? Oder bildete er sich das nur ein?

Welcher bösartige Sadist befahl es den Gewissen von Prinzen, sich für eine Maid in Nöten mitten in die Gefahr zu werfen? Was zwang sie dazu, immer den Helden spielen zu wollen? Für was? Die Hand einer Prinzessin und ein halbes Königreich? Das Versprechen von Macht und Gold wog für viele Prinzen mehr als der eigene Weg, das eigene Wollen. Darum ritten sie so bereitwillig zum Hort des Drachen. Ihm war es im Grunde gleich, ob er als Held gesehen wurde oder nicht, aber sein Vater hatte gedroht, ihm den Schlüssel zur Staatskasse wegzunehmen, wenn er nicht bald eine anständige und vor allem wohlhabende Braut heimführte. Er hatte es, anders als viele seiner Standesgenossen, in diesem Schloss immerhin nicht mit einer drachenhaften Bestie zu tun, obwohl ihm beinahe so war, als wäre auch sein Gegner, der ihn gerade zu überwältigen drohte, ein lebendiges Ding mit einem Bewusstsein, das ihn gerissen und klug in die Falle gelockt hatte.

Hatte er die Zeit, darüber zu lamentieren? Die Ranken der Dornenhecke, lieblich mit ihren weißen und roséfarbenen Blüten, schlangen sich wie stachelige Würgeschlangen um ihn und ließen sein königliches Blut reißend und stechend in den Boden sickern. In diesem Dickicht gab es kein Leben.

»Scheiße …«, fluchte der Prinz wenig standesbewusst, als ihm die Ausweglosigkeit des eigenen Daseins bewusst wurde. Er hing mit gefesselten Beinen und Armen im Labyrinth der dichten Dornenhecke fest, anstatt sich auf seinem königlichen Jagdschloss dem weitaus entspannteren Lebensstil eines Thronfolgers mit gelegentlichen Ausritten und dem einen oder anderen Glas Wein zu widmen. Rührte er einen Finger, packten die Ranken nur noch fester zu, hielten ihn nach seinem ersten Ansturm gnadenlos und immer hoffnungsloser gefangen. Die Stofffasern seines Wappenrocks, seiner Beinlinge und Ärmel verheddert und aufgeschlitzt von den Dornen der eigentlich so unschuldigen Rosen. Schnitte und Kratzer am ganzen Körper, die heftiger bluteten, als erwartet. Sein Körper ein einziger Schmerz, wie ein altes Gewand, das zu Putzlappen zerrissen wird.

Er hatte keine Lust mehr. Wem musste er etwas beweisen? Auch andere reiche Könige hatten Töchter – die sich nicht hinter zwanzig Meter hohen Wildrosenhecken aufhielten. Für diese Gedanken war es zu spät. Er war in der vermaledeiten Dornenhecke gefangen. Kam nicht vor und vor allem nicht zurück. Er war verloren. Sein Heldenmut und seine stattliche Gestalt für die Katz.

»Mein Prinz!«, hörte er die schrille Stimme seines Leibarztes vom einzigen Weg her, der zu dem verwunschenen Schloss führte. Überall nur Verfall, gesprungene Bodenplatten und zerstörte Hütten des ehemals lebendigen Städtchens an der Grenze des Schlossparks, der seit Jahrzehnten von dieser giftigen Hecke, diesem grünen Unhold mit scheinbar eigenem Willen, überwuchert und bewacht wurde. Eine insgesamt recht niederdrückende Erfahrung.

Sein Leibarzt war zugleich ein experimentierfreudiger Magier und Alchemist, der sich mit den Sternen auskannte. Niemand außer ihm, so hatte er dem Prinzen versichert, konnte den exakten Zeitpunkt aus den kosmischen Kreisen lesen, wann der Zauber der Hecke gebrochen, die hundert Jahre Bann zu Ende sein würden. Niemand außer ihm, der über das arkane Wissen verfügte, konnte schließlich sagen, wann der Bann genau begonnen hatte. Beim Fluch? Beim Versuch des Abwendens und Umformulierens des Zaubers? Am Morgen des sechzehnten Geburtstags der Prinzessin? Als die Spitze der Spindel die Haut der jungen Prinzessin berührt hatte? Als das erste Blut geflossen war? Als sie auf dem Boden aufgeschlagen war? Oder als die dunkle Fee sie auf ihr Bett gelegt und der hundertjährige Schlaf dort begonnen hatte? Oder gar erst, als die letzte Fliege an der Wand des Schlosses endlich surrend eingeschlafen war? Wann hatte der Zauberbann seinen exakten Anfang genommen? Niemand, der derzeit im Besitz all seiner Lebenskraft und aller geistigen Fähigkeiten war, war schließlich dabei gewesen, hatte das Geschehen beobachtet und hätte zuverlässig davon berichten können. War die Prinzessin zur zehnten Stunde nach dem Morgen eingeschlafen? Zur achten? Zur dritten? Wann hatte sie überhaupt Geburtstag gehabt? Niemand konnte es sagen. Nun, der Magier war überzeugt gewesen, den rechten Zeitpunkt zu wissen, als er »Los!« zum Prinzen gerufen und ihn damit in die Hecke geschickt hatte. Mittlerweile, nach Tagen in der vermaledeiten Hecke, war der Prinz jedoch überzeugt, dass sein Alchemist doch nicht so versiert und gelehrt war, wie er von sich behauptet hatte. Zumindest mutmaßte der Prinz, dass es die Unfähigkeit seines Begleiters gewesen war, den rechten Zeitpunkt zu ermitteln, wann die Hecke sich bereitwillig zurückziehen und den wahren Retter durchlassen würde. Alles hätte so einfach sein sollen, aber war durch einen augenscheinlichen Hobby-Astronomen zunichtegemacht worden!

»Ich sorge dafür, dass man dich für mein Schicksal bezahlen lässt!«, brüllte der Prinz, bereute aber sofort die brutal ehrliche Vehemenz seiner Worte. Wenn auch noch der Magier floh, würde er ohne Aussicht auf Rettung ganz bestimmt in diesem Gestrüpp den Tod finden.

(…)

 

Monika Loerchner
Eisbären und Ananas

Fast hätte Daniel aufgeschrieben vor lauter Aufregung. Was er da durch die hundertfach vergrößernde Linse des Mikroskops sah, war einfach zu fantastisch. Er rieb sich die Augen, schaute weg und wieder hin. Sie waren noch immer da und starrten ihn an: fünf winzige, gelbe Wesen. Schnell stellte er eine höhere Vergrößerung ein. Nun konnte er weitere Einzelheiten erkennen. Die Gestalten ähnelten im Körperbau den Menschen, verfügten über dieselben Gliedmaße. Sie waren in gelbe Roben gekleidet und was Daniel zunächst als Kopfform gedeutet hatte, entpuppte sich unter der starken Linse des Mikroskops als spitze gelbe Hüte. Er blinzelte und stellte die Schärfe besser ein. Nun konnte er Gesichter ausmachen, winzige Hände mit noch kleineren Fingerchen. Die Haut dieser Wesen war so gelb wie ihre Bekleidung.

Wie auf ein Kommando drehten sich alle fünf Lebewesen zu ihm und starrten ihn an. Daniel wich zurück, lachte nervös: Das war sicher nur ein Zufall gewesen! Doch was, wenn nicht? Sie sahen aus wie Menschen, lag es da nicht nahe, dass sie auch miteinander kommunizieren konnten?

Er wagte einen erneuten Blick durch die Linse. Die Gestalten hatten sich neuformiert. Nun befand sich der Größte unter ihnen in der Mitte, die anderen hatten rechts Aufstellung bezogen, so dass sie nun in einem Halbkreis standen. Der in der Mitte hob eine Hand wie zum Gruß.

»Das kann doch nicht sein!«, murmelte Daniel. Andererseits: Wieso eigentlich nicht?

Immerhin waren sie ja hierher in die Arktis gekommen, um zu forschen. Sie waren ein bunt zusammengewürfeltes Team, bestehend aus renommierten Forschern Skandinaviens, Deutschlands und Chinas, ein jedes durch ambitionierte Studenten wie ihn unterstützt. Hinzu kam das Zweierteam eines Pharmazie-Riesens und immer mal wieder ein paar Umweltschützer. Auch Filmteams, die vom Schmelzen des Ewigen Eises und über das Aussterben der majestätischen Eisbären berichteten, hatten sie schon dagehabt. Alles in allem waren immer mindestens fünfundzwanzig Forscherinnen und Forscher dabei, Eis-, Tier-, Pflanzen- und Gesteinsproben zu untersuchen. Dass er, Daniel, ausgerechnet in einem Haufen, nun, Eisbärenscheiße eine solche Sensations-entdeckung machen würde, damit hätte wohl niemand gerechnet.

»Wer seid ihr?«, fragte er und kam sich prompt vor wie ein Idiot.

Dennoch betrachtete er den winzigen Mund des Anführers ganz genau. Hatte er sich bewegt? Er hatte, zweifellos! Doch während seine Stimme den winzigen Wesen wie ein Donnerschlag vorkommen musste, hatte Daniel keine Chance, sie zu verstehen. Ein Verstärker musste her!

 

Drei Stunden später fühlte sich Daniel wie betäubt. Er hatte den Träger mit den Gelblingen vorsichtig in seine winzige Kabine gebracht und dann aus ausgemusterten Geräten und einigen, zugegeben ohne Erlaubnis, ausgeborgten Werkzeugen ein Hochleistungsmikrofon gebaut, das er nun an das Glasplättchen hielt. Außer ihm waren alle noch bis zum Abend unterwegs, so dass er mindestens sechs Stunden Zeit hatte, die kleinen Wesen zu untersuchen.

Er hatte gefragt: »Wer seid ihr?« und trotz des Durstes nach Ruhm, den jeder Wissenschaftler in sich trägt, noch gehofft, seine Sinne hätten ihm einen Streich gespielt.

»Wir sind die Gelben«, hatte eine piepsige Stimme geantwortet.

Seitdem saß Daniel stumm da, unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen.

Offenbar war Geduld nicht die Stärke der Winzlinge.

»Hallo? Seid Ihr noch da?«

»Was? Ja, ja, ich bin noch hier«, sagte Daniel rasch. »Wer … was seid ihr?«

»Wir sind die Gelben, das sagte ich doch schon«, lautete die Antwort.

Der Forscher beugte sich wieder über das Mikroskop.

»Ich heiße Daniel. Wie heißt ihr?«, fragte er und betrachtete gespannt die winzigen Gesichter. Tatsächlich machte sich Ratlosigkeit auf ihnen breit. Sie schauten einander an, kratzen sich an der Stirn.

»Wir sind keine Menschen«, sagte eine Gestalt schließlich. »Wir sind die Gelben.«

Die Antwort der Winzlinge erinnerte Daniel an das Volk der Borg aus Star Trek. Keine Individuen, abgesehen von der Königin. Ein Kollektiv – war es das, womit er es zu tun hatte? Zumindest sahen sie aus wie winzige Mönche.

Er musterte die Wesen eines nach dem anderen genauer. Er war ein Mensch, zudem Wissenschaftler, und sein Denken funktionierte nun einmal so, dass er Dingen Namen geben musste. Ohne es laut auszusprechen – er wollte nicht riskieren, jemanden zu beleidigen – benannte er die Gestalten nach ihrem Aussehen und ihrer Körpersprache. Da gab es den obersten gelben Mönch, der bisher am meisten mit ihm kommuniziert hatte und tatsächlich auch ein winziges Stück größer war als seine Brüder. Es gab den schmuddeligen gelben Mönch, dessen spitzer Hut etwas eingeknickt war. Der schläfrige Mönch wirkte etwas weniger aufgeweckt als die anderen, der fröhliche Mönch lächelte die meiste Zeit über und der knurrige gelbe Mönch beäugte ihn unter misstrauisch zusammengezogenen Augenbrauen.

»Ihr seid also die Gelben und ich bin ein Mensch«, wiederholte Daniel. »Ich habe noch nie von euch gehört und ich glaube auch sonst niemand. Sind sich unsere Spezies schon einmal begegnet, wisst ihr das?«

Der fröhliche Mönch lachte auf, offenbar hatte Daniel etwas sehr Erheiterndes gesagt. Selbst der knurrige Mönch hob seine Mundwinkel.

»Ja, doch das ist lange her«, sagte der oberste gelbe Mönch. »Um die zehntausend Jahre, möchte ich meinen. Doch so genau kann ich das nicht sagen. Wir waren viele Jahre an einem Ort, von dem aus wir weder an der Sonne noch an den Sternen die Zeit ablesen konnten.«

»Wenn du ›wir‹ sagst, meinst du dann euer Volk?«

Der oberste Mönch nickte.

»Ich meine uns fünf.«

Diese Wesen behaupteten also, mehrere tausend Jahre alt zu sein. Demnach hätten sie das Ende der Eiszeit miterlebt – welch faszinierender Gedanke!

(…)

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