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Die Gespenster – Vierter Teil – 23. Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Vierter Teil

Dreiundzwanzigste Erzählung

Der zweimal vom Tode erstandene Invalide bei Wolfenbüttel

Als ich im Jahre 1788 im Braunschweigischen, nahe bei Wolfenbüttel, mich aufhielt und wöchentlich einige Male in diese Stadt ging, begegnete mir des Abends bei der Rückkehr gewöhnlich ein alter Invalide, welcher an den wöchentli­chen Holztagen die Erlaubnis benutzte, aus dem be­nachbarten Forst sich etwas Raff- und Leseholz zu holen. Da seinem alten Rücken das schwere Bün­del Strauchwerk nach gerade zur Last fiel, so pflegte er unter anderen auch auf einem freien, mit einzel­nen Weiden bepflanzten Platz auszuruhen, wo ich ihn wegen der Gleichförmigkeit der Tageszeit, in welcher ich aus und er nach Wolfenbüttel zurückkehrte, gewöhnlich an eine Weide gelehnt, in einer ausruhenden, stehenden Lage fand. Auch kann es sein, dass er selbst diesen anscheinenden Zufall absichtlich begünstigte, indem er meiner hier gern erwartete, um das Almosen in Empfang zu nehmen, welches ich ihm dann ein wie allemal zu reichen pflegte.

Eines Tages sah ich in Wolfenbüttel, wie man einen Invaliden zu Grabe trug, und erfuhr zufällig, dass es der nämliche sei, welcher sich so fleißig Holz zusammengetragen habe, und der mir gewiss auch je zuweilen begegnet sein werde.

So wirst du also weder heute noch je wieder ein Almosen von mir in Empfang nehmen, dachte ich und wünschte ihm die ewige Ruhe.

Als ich des Abends spät aus der Stadt nach Hause ging und jenem Platz mich näherte, wo ich den Holzträger im Leben so oft erblickt halte, fielen meine Augen unwillkürlich wieder auf diese Stätte hin. Und was sah ich? Der beerdigte Alte, dem ich doch eine sanfte Ruhe gewünscht hatte, stand zu meinem nicht geringen Schrecken wirtlich wieder so da, wie er einst leibte und lebte. Er hatte sich, wie immer, sein Bündel Holz auf dem Rücken, an seinen Weidenbaum gelehnt.

Natürlich überfiel mich ein gewisses Schaudern und ein unbehagliches Grausen der Haut. Ich wollte schnell vorbeieilen, aber noch so eben zur rechten Zeit besann ich mich und fasste den herzhaften Entschluss, die Sache zu untersuchen und den Geist des guten Alten womöglich, näher kennenzulernen.

In der Regel pflegen Truggestalten in eben dem Maße, in welchem man vorurteillos sich ihnen nähert, zu verschwinden, oder als das sich zu entwickeln, was sie wirklich sind, und woraus die Einbildungskraft, die Furcht und das Vorurteil sich etwas anderes geschaffen hatten: Diesmal aber war es umgekehrt. Je näher ich trat, desto natürlicher und unverkennbarer stand der beerdigte Invalide vor mir. Ja, was mich fast außer Fassung gebracht hätte – er streckte auch wie gewöhnlich seine Hand nach einem Almosen aus und bot mir einen herzlichen guten Abend, indem er zugleich meinen Namen nannte.

Ich kann nicht leugnen, dass ich zitternd die Frage hervorstotterte: »Lebt Ihr wirklich oder ist es Euer Geist?«

»Ach, lieber Gott! Ich bin alt und klapprig – lange wird es nun wohl auch mit mir nicht mehr gehen, denn heute haben sie in der Stadt meinen alten Kriegskameraden auch schon zu Grabe getragen, und der war fünf Jahre jünger als ich; wer weiß, wie bald ich ihm folge!«

Nun ging mir ein Licht auf, welches alle Furcht und den obwaltenden Irrtum plötzlich verscheuchte. Ich sah deutlich, dass ich es mit keinem Geist, son­dern wirklich mit meinem alten Freund zu tun hatte; und dass in der Stadt entweder ich selbst oder die Wolfenbütteler jenen wirklich ver­storbenen Invaliden mit diesem noch lebenden verwechselt hatten.

*  *  *

Einige Zeit danach hörte ich in Wolfenbüttel von einem meiner dortigen Freunde, dass nun auch dieser zweite Invalide, der mir bei jener Weide auf die eben erzählte Art einmal so ganz unabsichtlich einen Schrecken einjagte, nun wirklich gestorben sei. Ich hatte umso weniger Grund, diese Erzählung zu bezweifeln, da ich selbst schon auf diese Vermutung gekommen war, indem ich seit drei Wochen diesen Holzträger nicht mehr gesehen hatte. Um indessen nicht noch einmal auf eine ähnliche Art getäuscht und erschreckt werden zu kön­nen, erkundigte ich mich an einem dritten Ort, wo man die Absichten dieser Nachfrage meines Bedünkens durchaus nicht einmal ahnen, noch weniger im Einverständnisse mit meinem Freund stehen konnte, nach diesem seit einiger Zeit vermissten Invaliden, und vernahm die Bestätigung seines wirklichen Todes.

Nichtsdestoweniger erblickte ich an dem Abend des nämlichen Tages, wo ich etwas später als ge­wöhnlich aus Wolfenbüttel nach Hause zurückkehrte, den Alten auf seinem gewöhnlichen Ruheplatz abermals. Weniger neugierig und furchtsam, als aufgebracht und verdrießlich über die Art, wie man mir mitspielen zu wollen schien, ging ich wieder entschlossen auf den vermeintlichen Geist zu. Schon in einiger Entfernung redete ich ihn an, erhielt diesmal aber keine Antwort. Wie ich ganz nahe hinzugetreten war, erblickte ich anstatt des spukenden Invaliden einen gestutzten Weidenbaum, der vor Alter hingesunken war, und so, wie einst der Holz tragende Greis, an einen anderen Baum sich gelehnt hatte. Der Mond, der nur einzelne Strahlen zwischen den sich jagenden Gewölk auf den abgestorbenen, hingebeugten Baumstamm fallen ließ, trug nicht wenig zur Vollendung der Täuschung bei.

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