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Nick Carter – Band 15 – Ein verbrecherischer Arzt – Kapitel 10

Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Ein verbrecherischer Arzt
Ein Detektivroman

Markar tritt seinen Dienst an

Als Patsy sich wieder mit seinem älteren Genossen Chick getroffen hatte, galt seine erste Frage dem Meister und dessen augenblicklichem Aufenthalt.

»Das herauszubekommen, wird schwer halten«, brummte Chick, »doch wenn mich nicht alles trügt, finden wir Nick in der Nähe des Staples’schen Hauses – ich möchte auch gar zu gern, dass er sofort Kenntnis von deiner Entdeckung erhält, denn ich muss dir offen gestehen, Patsy, heute hast du dich selbst übertroffen! Wie hieß gleich das von dem alten Chemiker hergestellte Mittel?«

»Ja, wüsste ich es nur selbst … er war ein solch verwünscht gelehrter Mann … wie … warte einmal, wie … Kaktarratta … oder Dschinderraderra … ach was«, begehrte er auf, als er wahrnahm, wie sich Chick vor Lachen den Bauch hielt. »Du willst mich wohl zum Besten halten, du gewissenloser Mensch – meinst wohl, ich will mir einen Kinnbackenkrampf zuziehen?«

»Nun, ich will dir was sagen, Patsy«, meinte sein älterer Gefährte, nachdem er wieder ernst geworden war. »Du hast das Fläschchen noch in der Tasche?«

»Selbstverständlich, aber wenn ich dir seinen Namen noch einmal sagen soll, dann werde ich grob!«

»Nein, Patsy, aber ich meine, es wäre kein schlechter Gedanke, suchten wir Dr. Anthony auf – er ist ein persönlicher Freund des Meisters und kann ganz sicherlich feststellen, um was für ein Mittel es sich handelt.«

Vor Dr. Anthonys Haus angelangt, wurde ihnen von dem öffnenden Diener mitgeteilt, dass der Arzt zu solch vorgerückter Stunde keinen Patientenbesuch empfange. Doch eine Visitenkarte, welche Chick dem berühmten Fachgelehrten sendete und auf der er kurz vermerkte, dass er im Auftrag Nick Carters erschienen sei, bewirkte Wunder.

Schon eine Minute später befanden sich die beiden jungen Detektive in dem Arbeitszimmer des großen Gelehrten und saßen diesem gegenüber.

»Nun«, erklärte dieser, nachdem Chick ihm kurz ihr Anliegen vorgetragen hatte, »um was für ein Mittel handelt es sich?«

»Jedenfalls um ein giftiges«, entgegnete Chick, der sich inzwischen von Patsy die kleine Flasche hatte reichen lassen. »Geh, Kleiner, sei doch so gut und sage doch Dr. Anthony, wie diese wasserhelle Flüssigkeit gleich genannt wird – unser Patsy hat nämlich eine großartige Zunge für das Aussprechen von derart gelehrten Namen«, setzte er lachend hinzu.

»Gott soll mich bewahren, Dr. Anthony«, rief Nick Carters Jüngster nun und schüttelte sich. »Es ist ein schreckliches Wort, und spricht man es dreimal hintereinander aus, so hat man einen Knoten in der Zunge!«

Der Arzt hatte inzwischen lächelnd den Inhalt der Flasche betrachtet, berochen und geschmeckt.

»Allerdings«, meinte er, »es handelt sich um ein ziemlich schwierig auszusprechendes griechisches Wort, denn irre ich mich nicht sehr, so enthält diese Flasche den Dekokt (Absud) eines der gefährlichsten Pflanzengifte, und man bezeichnet diese Potenz mit Calcakthropsis. Wie gesagt«, fuhr der immer noch mit der Untersuchung der wasserhellen Flüssigkeit beschäftigte Arzt fort, »es ist eines der gefährlichsten und heimtückischsten Schleichgifte und wird darum auch nur in den allerseltensten Fällen bei gewissen Nervenkrankheiten angewendet – aber auch dann nur in der denkbar kleinsten Dosis und so schwach wie möglich.«

»Zieht es das Gehirn in Mitleidenschaft?«, erkundigte sich Chick.

»In größerer Menge angewendet, zerstört es das Zellgewebe. Wird es aber gar regelmäßig gegeben, sagen wir etwa dreimal täglich zehn Tropfen unter die Haut eingespritzt, so würde es binnen einem Vierteljahr den betreffenden Patienten zu einem hoffnungslosen Idioten machen.«

»Welches sind die ersten Wirkungen dieses Schleichgiftes?«, fragte der immer ernster gewordene Chick weiter.

»Zuerst tritt ein auffallender Gedächtnisschwund ein, der sich bis zur vollständigen Geistesabwesenheit steigert, und – mein Gott!«, unterbrach sich der Arzt. »Nun verstehe ich erst; gestern sprach Nick Carter mit mir über einen derartigen Fall. Kennen Sie vielleicht einen Arzt, der dieses Schleichgift bei einem seiner Patienten anwendet?«

»Nein«, antwortete Chick wahrheitsgemäß. »Ich weiß nicht einmal, ob Nick irgendeinen Arzt in solcher Weise beargwöhnt. Was wir wissen, ist einfach, dass mein Freund Patsy hier mit angehört hat, wie ein New Yorker Arzt dieses Schleichgift bei einem alten Chemiker in Long Island City bestellt und ausdrücklich angeordnet hat, dass es bedeutend stärker gebraut werden sollte. Wir wissen ferner, dass mein Cousin diesen Arzt aus nur ihm bekannten Gründen beargwöhnt. Wir erlauben uns, Sie um Auskunft zu bitten, weil wir dadurch den Meister in den Stand zu setzen hoffen, seinen Argwohn nach einer bestimmten Richtung hin auszubauen.«

»Ich verstehe, mein lieber Chick«, bemerkte Dr. Anthony, der tiefernst geworden war. »Richten Sie Mr. Carter eine Empfehlung von mir aus, und ich ließe ihn bitten, auf meine Verantwortung hin einen Arzt, der gewissenlos genug ist, dieses Schleichgift in derart starker Zusammensetzung einem Patienten zuzuführen, sofort zu verhaften, denn ein solcher Halunke gehört ins Zuchthaus!«

Die beiden Detektive verabschiedeten sich und eilten zu der Ecke der 4th Avenue und 22nd Street, um dort zu schauen, ob ihnen der Meister nicht irgendein Zeichen oder dergleichen zurückgelassen hatte.

In der Tat fanden sie nach kurzem Zuschauen an der Straßenecke einen mit roter Kreide hergestellten Pfeil, welcher die Straße entlang wies. Vor dem Haus des Dr. Staples befand sich ein weiterer Kreidepfeil, der direkt nach dem Gebäude deutete. Doch aus diesem Zeichen entwickelte sich ein schlangenartig gewundener anderer Pfeil, der gerade über die Straße deutete.

Auch dort hatten die beiden jungen Detektive nicht lange zu suchen, denn anhand von verschiedenen roten Kreidepfeilen kamen sie bis zu einem etwas zurückliegenden Bretterzaun, welcher einen Neubau nach der Straße hin absperrte. Auf diesem waren wieder rote Kreidezeichen, die wie Hieroglyphen aussahen, in Wahrheit aber eine den Freunden ohne Weiteres verständliche Geheimschrift darstellten.

»Der Meister befiehlt mir, um zehn Uhr an Dr. Staples’ Haus zu klingen, dort zu erklären, ich sei Markars Bruder und damit beauftragt, ihm einen Handkoffer mit Wäsche und Kleidern zu überbringen«, bemerkte Patsy nach kurzem Studieren.

»Mit anderen Worten, Nick befindet sich im Haus dieses Dr. Staples«, übersetzte Chick, der betroffen gleichfalls die Geheimschrift entziffert hatte.

»Wenn er nicht Markar selbst ist, dann will ich mir meinen eigenen Kopf abhacken«, erklärte Patsy mit großer Bestimmtheit.

»Du wirst gut daran tun, dich etwas französisch herzurichten und einen Handkoffer zu besorgen«, bemerkte Chick, nachdem er einen Blick auf seine Uhr geworfen hatte.

»Mache ich – aber wenn das nicht einer der großartigsten Tricks ist, den unser Meister seit Langem gewagt hat, so …«

»Ich denke, deine Erkundigungen in Long Island City werden Nick eine weitere Waffe in die Hand geben, und es soll mich nicht wundern, müssen sich die Patienten von Dr. Staples von morgen an nach einem anderen Arzt umsehen – doch nun mache voran!«

Kaum eine Viertelstunde später klingelte ein junger, gebräunter Südfranzose an der Tür des Staples’schen Hauses und erklärte dem ihm persönlich öffnenden Arzt in gebrochenem Englisch, dass er seinen Bruder Markar zu sehen und ihm einen Handkoffer abzuliefern wünschte.

»Treten Sie nur näher, denn Ihr Bruder hat bereits wiederholt nach Ihnen gefragt«, erklärte der Arzt.

Als Markar, der Krankenpfleger, vielleicht zwei Stunden zuvor von Staples in das Zimmer geführt worden war, in dem Collins sich die nächste Zeit aufhalten sollte, hatte der Arzt sich in liebenswürdigster Weise an den Patienten gewendet und ihm erklärt, wie er beschlossen habe, den Freund an einen besonders geschickten, ausschließlich für ihn bestimmten Wärter zu überweisen.

»Mein lieber Collins«, hatte er in Gegenwart von Markar versetzt, »ich habe nicht nur gewünscht, dich hier in meinem Haus zu haben, um meine Behandlung fortsetzen zu können, sondern ich habe mich auch entschlossen, von nun an bedeutend energischer die Krankheit zu bekämpfen, und das kann natürlich nur unter meiner ständigen persönlichen Überwachung geschehen. Dieser Mann hier, ein gebürtiger Franzose, heißt Markar. Ich habe ihn schon wiederholt verwendet und immer als höchst zuverlässig befunden. Er wird nicht nur als Diener fungieren, sondern dir auch sonst ausgezeichnete Dienste leisten können, da er ein sehr erfahrener Krankenpfleger ist. Unterstützt von ihm hege ich die feste Überzeugung, dass meine Behandlung bald den von mir herbeigewünschten Erfolg erzielen wird!«

»Möge das der Himmel geben«, äußerte der Patient bedrückt, »denn ich sage dir offen und ehrlich, meine Genesung hat keine Fortschritte gemacht, sondern das Übel ist schlimmer geworden.«

»Das bildest du dir nur ein«, unterbrach ihn der Arzt mit überlegenem Lächeln. »Sei versichert, ich habe in deinem Befinden einen derart entscheidenden Fortschritt entdeckt, dass mir das Herz vor Freude im Leibe lacht – und ich schwöre dir, du sollst in erstaunlicher Weise weitere Fortschritte machen, da ich dir nun Tag und Nacht meine Behandlung angedeihen lassen kann – was diese Letztere nun anbetrifft«, setzte er nun leicht hinzu, »so bleibt es natürlich bei deiner von dir ja selbst angeordneten freiwilligen Gefangenschaft, und Markar hat den Auftrag, dich nötigenfalls mit Gewalt am Verlassen des Hauses zu hindern. Doch ich glaube nicht, dass es jemals so weit kommen wird, denn ich weiß aus Erfahrung, welch vorzüglicher Gesellschafter Markar ist. Er wird Tag und Nacht um dich sein und dir die wenigen Wochen, welche bis zum Eintreten des von mir angestrebten Erfolges leider noch verstreichen müssen, so angenehm und kurzweilig wie möglich zu machen versuchen.«

»Seien Sie mir willkommen, Markar«, versetzte der Kranke mit schwacher Stimme, indem er dem Franzosen die Hand reichte. »Ich hoffe, wir werden gute Freunde werden – und Sie werden es nie zu bereuen haben, sich meinem Dienst gewidmet zu haben – denn sollte es der Himmel in Gnaden fügen, dass ich wieder genese, so wird Sie der Grad meiner Dankbarkeit zufriedenstellen!«

»Nun, dann ist alles ja in schönster Ordnung, und ich will sofort damit beginnen, meine neue Heilmethode bei dir in Anwendung zu bringen!«, erklärte Dr. Staples mit einem eigentümlichen, unaufrichtigen Lächeln.

Damit nahm er eine winzige Flasche, in welcher sich noch einige wenige Tropfen einer wasserhellen Flüssigkeit befanden, zur Hand, holte aus einem Etui eine zierliche subkutane Spritze, füllte die hohle Metallnadel mit fünfzehn Tropfen der Flüssigkeit und trat an den Patienten heran.

Diesem hatte inzwischen Markar Rock, Weste und Hemd ausgezogen, sodass der Arzt ohne Weiteres die Einspritzung am Oberkörper vornehmen konnte.

Er packte die Haut zwischen den Fingern, stieß die Nadel hinein und spritzte den Inhalt der Letzteren in den Körper seines Freundes.

Gelassen ließ sich dann der Arzt, während Markar die Kleidung des Kranken wieder in Ordnung brachte, dem Letzteren gegenüber nieder und begann, heiter mit ihm zu plaudern, während er dabei unausgesetzt mit gespanntester Aufmerksamkeit jede Miene seines Patienten zu studieren schien.

Collins saß mit halb geschlossenen Augen da, und er gab auch nur selten Antwort, sondern ließ das angeregte Gespräch des Freundes teilnahmslos über sich ergehen. So konnte er auch nicht gewahr werden, wie sein Gegenüber mit dem gespannten Ausdruck eines auf Beute lauernden Raubvogels, die Uhr in der Hand, auf den Eintritt irgendeines entscheidenden Geschehnisses zu harren schien.

Auf diese Weise vergingen etwa zwanzig Minuten. Nun erhob sich Dr. Staples von seinem Sitz und winkte Markar heran, indem er gleichzeitig auf den Patienten wies.

Mit diesem war eine große Veränderung vor sich gegangen. Der letzte Rest von Geist und Menschenwürde war aus den feingeschnittenen Zügen des jungen Millionärs gewichen, und dieser hockte mit blöde blinzelnden Augen und tierisch gewordenem Gesichtsausdruck in seinem Sessel.

»Kommen Sie, Markar«, versetzte der Arzt leise, indem er aus dem Zimmer schritt, um draußen auf dem Korridor wieder stehenzubleiben und den Krankenpfleger in gespannter Erwartung leicht vorn beim Rock anzufassen. »Haben Sie die eingetretene Veränderung beobachtet – ja, Markar?«

»Will’s meinen – es ist erstaunlich, wie wenige Tropfen man braucht, um einen denkenden Menschen in ein blödes Tier zu verwandeln«, wisperte der Krankenpfleger.

»In diesem Zustand muss er von jetzt an immer verbleiben«, erklärte Dr. Staples mit teuflischer Entschlossenheit in den kalt blickenden Augen. »Bisher habe ich ihm das Mittel nur alle vierundzwanzig Stunden innerlich verabreicht. Doch von jetzt an müssen wir es ihm alle zwölf Stunden in die Haut einspritzen. Es ist jetzt neun Uhr, und zur selben Stunde morgen früh werden Sie ihm wiederum fünfzehn Tropfen einspritzen und auf diese Weise täglich fortfahren.«

»Das soll geschehen, doch Sie müssen mir das Mittel geben, sonst kann ich nicht spritzen«, bemerkte Markar gefühllos.

»Das ist mir leider unmöglich, da mein Vorrat erschöpft ist«, erklärte Dr. Staples. »Ich spritzte ihm vorhin die letzten Tropfen ein, welche mir zur Verfügung standen. Doch morgen früh habe ich wieder neuen Vorrat, und davon werde ich Ihnen ein Fläschchen geben – ich setze natürlich voraus, dass Sie die Nadel zu handhaben verstehen?«

»So gut wie Sie selbst!«, gab Markar in gekränktem Ton zurück.

Dazu machte der Arzt keine Entgegnung, sondern er schickte sich an, die Treppe hinunterzuschreiten, als der Krankenpfleger noch hinter ihm herrief: »Ich erwarte meinen Bruder, der mir einen Handkoffer mit Kleidung und Wäsche bringen soll. Er sollte schon hier sein, sorgen Sie dafür, Doktor, dass man ihn nicht abweist, denn ich brauche mein Nachtzeug!«

»Soll geschehen!«, erklärte der Arzt.

Wie der geneigte Leser bereits weiß, öffnete er selbst etwa eine halbe Stunde später die Haustür, als der vermeintliche junge Markar mit einem Handkoffer vorsprach.

Ein herbeigerufener Diener führte den jungen Detektiv über die Treppe nach dem Markar zugewiesenen Zimmer.

»Was Neues, Patsy?«, erkundigte sich der Detektiv, kaum dass er sich mit seinem Gehilfen allein sah.

»Meister, das ist einfach großartig – ich kann Sie jetzt noch nicht erkennen!«, versetzte Patsy voll ehrlicher Verwunderung, als er sich notgedrungen sagen musste, dass es wirklich der Detektiv war, der in meisterhafter Verkleidung vor ihm stand.

»Es ist keine Hexerei dabei«, erklärte Nick Carter lächelnd. »Da ich den wirklichen Markar genau kenne und er zufällig etwa meine Gestalt besitzt, so war es kein Kunststück für mich, mir eine täuschende Maske zurechtzumachen. Nun, Patsy«, erklärte Nick Carter schließlich, »du hast die beste und schwierigste Arbeit verrichtet, und der Löwenanteil am Erfolg gebührt dir! Ich kenne nun die ganze Geschichte so genau, als hätte sie mir dieser Staples persönlich erzählt. Es ist großartig! Es ist wirklich großartig! Doch es ist nur selbstverständlich, wie sollte ich auch nicht erfolgreich sein, habe ich dich und Chick an der Hand – nun aber, Kleiner, begebt euch beide zur Apotheke an der Grandstreet, denn dort dürfte sich der Schlussakt des Dramas abspielen!«

Damit verabschiedete er Patsy und begab sich zu seinem Posten zurück.

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