Werbeclip

Archive

Der mysteriöse Doktor Cornelius – Band 1 – Episode 4 – Kapitel 5

Gustave Le Rouge
Der mysteriöse Doktor Cornelius
La Maison du Livre, Paris, 1912 – 1913
Vierte Episode
Die Lords der Roten Hand
Fünftes Kapitel

Am Vorabend des Ruins

Der Milliardär Fred Jorgell ahnte schon lange die Katastrophe, die ihn bedrohte, aber er wusste, dass all seine Bemühungen vergeblich sein würden, und hatte sich bereits im Voraus mit seinem Untergang abgefunden.

Seit dem Verbrechen seines Sohnes Baruch, nach einer Reihe weiterer ungesühnter Taten, hatte sich der Charakter des Spekulanten plötzlich verändert. Innerhalb weniger Wochen war er um mehrere Jahre gealtert: Sein bereits ergrautes Haar war vollständig weiß geworden, sein mageres Gesicht noch länger und seine Augen funkelten tief in ihren Höhlen mit beunruhigendem Glanz. Seine Zuneigung für seine Tochter, die achtbare und bezaubernde Miss Isidora, war das einzige Gefühl, das gelegentlich ein melancholisches Lächeln auf seine Lippen zaubern konnte.

Die Verhaftung und das Urteil gegen Baruch waren für ihn wie zwei Dolchstöße ins Herz gewesen, von denen er sich nie erholte, was seine Energie und Intelligenz stark beeinträchtigte. Seit diesem schicksalhaften Tag gelang ihm nichts mehr, es schien, als hätte sich das Pech gegen ihn verschworen. Obwohl er über ein ausgeprägtes Gespür für Geschäfte und die spezifischen Kenntnisse für die Gründung und Leitung großer Projekte verfügte, endeten all seine Spekulationen mit einem mehr oder weniger großen Verlust. Er sah verzweifelt, dass das Baumwoll- und Mais-Trust, das Projekt, auf das er am meisten zählte, ebenfalls in einem Desaster enden würde. Vergeblich hatte er versucht, Kapital zu finden; die Türen blieben ihm verschlossen, als wäre es ein geheimes Gebot.

Fred Jorgell setzte den Kampf fort, aus einer Art Ehrgefühl heraus, um sich selbst zu täuschen, aber er fühlte, dass er verloren war. Von Natur aus stolz, wollte er niemandem seine Ängste mitteilen. Den ganzen Tag über, an der Börse, in Gegenwart der Personen seines Umfelds, behauptete er lautstark, dass alles gut liefe, simulierte sogar Fröhlichkeit, sprach von den beträchtlichen Reserven, die er in verschiedenen Banken der Union hatte, und schaffte es so, einige Leute noch zu täuschen.

Aber abends, wenn er allein in seinem Arbeitszimmer war, ließ er sich erschöpft in einen Sessel fallen, unfähig, noch zu rechnen, zu planen oder sich gar zu bemühen, nicht zu denken.

Das war die Stunde, in der er in seiner Traurigkeit eine Art Ruhe fand, ähnlich der eines zum Tode verurteilten Gefangenen in seiner Zelle.

Es war aber auch die Stunde, in der der Milliardär Besuch von seiner geliebten Isidora erhielt. Lächelnd und tröstend trat die junge Frau leise ein und gab ihrem Vater einen stummen Kuss auf die Stirn, bevor ein Gespräch begann.

»Was gibt es Neues?«, fragte Miss Isidora, die Einzige, die in das väterliche Leid eingeweiht war.

»Es könnte nicht schlimmer sein«, antwortete der Milliardär. »William Dorgan gibt mir weder Pause noch Gnade. Bald werde ich den Kampf nicht mehr fortsetzen können; ich bin von vornherein besiegt …«

»Ich verstehe es nicht; hast du mir nicht hundertmal gesagt, dass du von diesem Engländer, den du als vollkommen loyal ansahst, nichts zu befürchten hast?«

»William Dorgan ist nicht mehr derselbe. Er ist plötzlich unnachgiebig, illoyal und hinterhältig geworden; ich erkenne ihn nicht wieder.«

»Was könnte die Ursache für diese Veränderung sein?«

Fred Jorgell machte eine wütende Geste.

»Die Ursache ist leicht zu finden«, rief er aus, »es ist Joë Dorgan, der seinen Vater gegen mich aufhetzt. Erst seit seiner Rückkehr hat sich alles verschlechtert. Er hat mir eine tödliche Feindschaft geschworen, und ich kann die Ursache nicht erraten.«

Miss Isidora dachte nach.

»Wenn wir Joë Dorgan gegen uns haben«, sagte sie nach einer Weile, »wissen wir, dass der Ingenieur Harry uns vollkommen ergeben ist.«

»Ja, aber leider ist Harrys Einfluss auf seinen Vater jetzt fast bedeutungslos; Joë hat über William Dorgan einen solchen Einfluss gewonnen, dass der Ingenieur kaum noch zählt.«

»Auf jeden Fall«, fuhr die junge Frau nachdrücklich fort, »hat sich der Ingenieur Harry immer als vollkommen korrekt erwiesen. Ich weiß, dass ihn persönlich betrübt, dass der Streit zwischen dir und seinem Vater diese Unnachgiebigkeit und Heftigkeit angenommen hat.«

»Allerdings! Ich weiß, dass er uns ganz zugetan ist, und es ist nicht schwer zu erraten, warum.«

Miss Isidora wandte sich errötend ab.

»Du beziehst dich zweifellos auf das Ehevorhaben, von dem zwischen mir und Mr. Harry die Rede war. Ich will dir nicht verheimlichen, dass ich immer eine aufrichtige Zuneigung für ihn empfunden habe, es ist ein großes Unglück für mich, dass schreckliche Umstände diese Verbindung verhindert haben …«

Fred Jorgell erhob sich leicht gerührt.

»Ich sehe, dass du ihn noch liebst wie am ersten Tag.«

Miss Isidora nickte bejahend, ihre Augen waren von Tränen gefüllt.

»All diese Unglücke sind durch diesen niederträchtigen Schuft Baruch verursacht«, rief der Milliardär wütend. »Ohne ihn wärest du schon längst Mrs. Dorgan, die beiden Trusts hätten fusioniert, und ich stünde nicht kurz vor dem Ruin … Du musst verstehen, dass diese Ehe jetzt niemals stattfinden wird …«

»Wer weiß?«, murmelt die junge Frau mit zitternder Stimme. »Die Umstände können sich ändern.«

»Täusche dich nicht mit einem vergeblichen Hoffnung. Selbst wenn Harry Dorgan –und ich halte ihn für fähig dazu – bereit wäre, die Schwester eines Mörders zu heiraten – ich nenne die Dinge schonungslos beim Namen –, wäre ich der Erste, der deine Hand dem Sohn des Mannes verweigern würde, der mich gerade um meine letzten Dollars bringt!«

Und er fügte mit einem bitteren Lachen hinzu: »Außerdem hätte ich keine Mitgift anzubieten; du bist kein angemessener Partner mehr für einen Milliardärssohn!«

»Steht die Katastrophe also so unmittelbar bevor?«

»Ja, so ist es!«

»Vater«, rief die junge Frau mutig, »ich bin bereit, alles zu ertragen, solange ich bei dir bleiben kann. Aber gib mir zumindest das höchste Vertrauen und sage mir, zu welchem Datum die unvermeidliche Katastrophe eintreten wird. Ich muss Zeit haben, mich darauf vorzubereiten.«

Der Milliardär war blass geworden, er schien zu zögern.

»Meine arme Isidora«, artikulierte er schließlich schwer, »wir haben noch einen Monat vor uns, einen Monat, nicht mehr.«

»Aber das ist viel; wie viele Ereignisse geschehen in einem Monat! In dieser kurzen Zeit kann sich das Gesicht der Ereignisse ändern.«

»Ich habe keine Hoffnung mehr.«

»Gibt es also keinen Weg, den Ruin zu vermeiden?«

»Doch, da wäre einer, aber um ihn zu nutzen, müsste ich das Mitleid von William Dorgan und seinem Sohn – die ich beide hasse – erflehen, und das werde ich niemals tun.«

»Was wäre dieser Weg?«

»Ich müsste sofort alle meine Besitztümer, alle meine Fabriken, den gesamten Warenbestand meines Trusts verkaufen. Auf diese Weise würde ich kaum mehr als die Hälfte meines Vermögens verlieren, und es bliebe noch genug, um etwas Neues zu versuchen. Wenn ich jetzt nicht sofort verkaufe, wird sich das Gerücht verbreiten – es beginnt schon jetzt trotz aller meiner Vorsichtsmaßnahmen –, dass ich im Kampf gegen William Dorgan unterlegen bin. Dann wird man die Gelegenheit nutzen, meine Waren und Grundstücke zu Schleuderpreisen zu erwerben, und von meinem Kapital werden nur noch Trümmer übrig bleiben, kaum genug, um nicht zu verhungern.«

Miss Isidora war erschüttert.

»Vater«, murmelt sie, »du hast mich früh gelehrt, keine Angst vor Armut zu haben. Wenn du bankrottgehst, kannst du den Kampf wieder aufnehmen.«

»Es ist sehr spät für mich«, bemerkte der Milliardär düster.

»Es ist nie zu spät, hast du mir das nicht hundertmal selbst gesagt? Ich bedauere nur, dass du es nicht für notwendig gehalten hast, mich über die wahre Lage der Geschäfte zu informieren.«

»Mein Kind, es war besser, dass ich so gehandelt habe, wie ich es tat; ich habe dir viele unnötige Tränen erspart.«

Miss Isidora blieb still. Sie fragte sich ängstlich, wie sie den drohenden Ruin abwenden könnte.

Wenn ich nur Harry Dorgan hätte sehen können, dachte sie, vielleicht hätte er mir einen Weg gezeigt, alles zu regeln; gerade die Zeitungen von vorgestern hatten die Abreise von Joë Dorgan und seiner unzertrennlichen Brüder, den Kramms, zu einer langen Inspektionsreise in den Süden und Westen angekündigt. Vorübergehend von Joës schädlichem Einfluss befreit, wäre William Dorgan vielleicht zugänglicher …

Ganz in ihre Gedanken versunken, verließ Isidora ihren Vater früher als gewöhnlich. Energisch und stur, wie eine echte Yankee, hatte sie sich vorgenommen, alles zu tun, um ihren Vater zu retten.

Aber als sie anfing, über praktische Mittel nachzudenken, um ihre Pläne in die Tat umzusetzen, fand sie sich in großer Verlegenheit; sie wusste, dass ihr Vater ihr niemals eine Besuch bei William Dorgan verziehen hätte, und sie wagte es nicht, Harry zu schreiben, was ein absolut unpassendes Vorgehen gewesen wäre.

Sie konnte die ganze Nacht kein Auge zutun; erst bei Tagesanbruch schlief sie einen unruhigen Schlaf ein, ohne die Lösung des quälenden Problems zu finden.

Sie wurde von ihrer Gesellschafterin, Mrs. Mac Barlott, geweckt, die sie trotz anerkannter Hingabe nicht über ihre Sorgen informiert hatte.

»Guten Morgen, Miss«, sagte die Schottin fröhlich, »ich hoffe, Sie haben gut geschlafen?«

»Nicht so gut«, murmelte die junge Frau, deren blasses Gesicht immer noch die Spuren der Schlaflosigkeit trug und deren schöne Augen von einem violetten Rand umgeben waren.

»Mein liebes Kind«, rief Mrs. Mac Barlott besorgt aus, »ich sehe, dass Sie eine schlechte Nacht hatten, Sie scheinen mir sehr nervös zu sein … Befolgen Sie meinen Rat, nehmen Sie ein belebendes Bad, das Sie erfrischen wird, dann werden wir eine Fahrt im Motorboot auf dem Hudson unternehmen. Das Wetter ist herrlich, die frische Luft wird Ihnen gut tun …«

»Ich werde deinem Rat folgen«, murmelte die junge Frau mit einem leichten Gähnen. »Die Meeresbrise wird meine Nerven beruhigen. In 45 Minuten werde ich fertig sein … Bis gleich, Mrs. …«