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Die drei Musketiere – Zwanzig Jahre danach – 11. – 14. Bändchen – Kapitel XIX

Alexandre Dumas
Zwanzig Jahre danach
Elftes bis vierzehntes Bändchen
Fortsetzung der drei Musketiere
Nach dem Französischen von August Zoller
Verlag der Frankh’schen Buchhandlung. Stuttgart. 1845.

Kapitel XIX. Das Königtum des Herrn von Mazarin

Athos’ Verhaftung hatte kein Aufsehen erregt und war sogar beinahe unbekannt geblieben. Sie hatte also in keiner Beziehung den Gang der Ereignisse gehemmt, und die von der Stadt Paris abgesandte Deputation wurde feierlich benachrichtigt, sie solle vor der Königin erscheinen.

Die Königin empfing sie stumm und stolz wie immer. Sie hörte die Beschwerden und Bitten der Deputierten. Als sie aber ihre Reden beendet hatten, hätte niemand sagen können, ob sie von ihr gehört worden waren, so gleichgültig war ihr Gesicht geblieben.

Dagegen hörte Mazarin, welcher der Audienz beiwohnte, jedenfalls sehr gut, was die Deputierten verlangten: Es war einfach und deutlich in klaren Worten seine Entlassung.

Als die Königin, nachdem die Reden gehalten waren, immer noch stumm blieb, sagte Mazarin: »Meine Herren, ich werde mich mit Euren Bitten vereinigen, um die Königin zu veranlassen, den Leiden ihrer Untertanen ein Ende zu machen. Ich habe zu ihrer Linderung alles getan, was ich vermochte, und dennoch sagt Ihr, es herrsche allgemein die Ansicht, sie rührten von mir her, dem armen Fremdling, dem es nicht gelungen ist, den Franzosen zu gefallen. Ach, man hat mich nicht begriffen, und das war natürlich. Ich folgte auf den erhabensten Mann, der je dem Zepter der Könige von Frankreich als Stütze gedient hat. Da ich nicht so ehrgeizig bin, ihm gleichkommen zu wollen, so erkläre ich mich für besiegt und werde tun, was das Volk von Paris verlangt. Es steht mir, dem einfachen Privatmann, nicht zu, mir eine solche Wichtigkeit beizulegen, dass ich eine Königin mit ihrem Reich veruneinige. Ihr verlangt, dass ich mich zurückziehe; nun wohl, ich werde mich zurückziehen.«

»Herr Kanzler«, sagte die Königin, sich gegen Séguier umwendend, »Ihr werdet die Konferenzen eröffnen; sie finden in Rueil statt. Der Herr Kardinal hat Dinge gesprochen, die mich sehr bewegen mussten; deshalb antworte ich Euch nicht ausführlicher. Was das Bleiben oder Gehen betrifft, so bin ich dem Herrn Kardinal zu allzu großem Dank verpflichtet, um ihm nicht in jeder Beziehung Freiheit in seinen Handlungen zu lassen. Der Herr Kardinal wird tun, was ihm beliebt.«

Eine flüchtige Blässe zog sich über das geistreiche Gesicht des ersten Ministers hin. Er schaute die Königin unruhig an. Ihr Gesicht war so unempfindlich, dass man unmöglich darin lesen konnte, was in ihrem Herzen vorging.

»Aber«, fügte die Königin bei, »bis Herr von Mazarin seinen Entschluss kundgegeben hat, sei, ich bitte Euch, nur von dem König die Rede.«

Die Abgeordneten verbeugten sich und traten ab.

»Wie!«, rief die Königin, als der Letzte von ihnen das Zimmer verlassen hatte, »Ihr wolltet diesen Rechtsverdrehern nachgeben?«

»Madame«, sprach Mazarin, sein durchdringendes Auge auf die Königin heftend, »es gibt kein Opfer, das ich nicht für das Glück Eurer Majestät mir aufzuerlegen bereit wäre.«

Anna neigte das Haupt und versank in eine jener Träumereien, welche bei ihr so gewöhnlich waren. Die Erinnerung an Athos kehrte in ihren Geist zurück. Die kühne Haltung des Edelmannes, seine festen und zugleich so würdigen Worte, die Geister, die er heraufbeschworen hatte, riefen eine Vergangenheit von berauschender Poesie in ihr zurück; die Schönheit, die Jugend, der Glanz einer Liebe mit zwanzig Jahren und die harten Kämpfe ihrer Bundesgenossen, das blutige Ende Buckinghams, des einzigen Mannes, den sie wirklich geliebt hatte, der Heldenmut ihrer ruhmlosen Verteidiger, die sie vor dem doppelten Hass Richelieus und des Königs gerettet hatten, alles dies tauchte vor ihr auf.

Mazarin schaute sie an, und nun, da sie sich allein glaubte und nicht mehr eine ganze Welt von spähenden Feinden um sich hatte, vermochte er ihren Gedanken auf ihrem Gesicht zu folgen, wie man auf den durchsichtigen Seen die Wolken hinziehen sieht.

»Man müsste also«, murmelte die Königin, »dem Sturm weichen, den Frieden erkaufen, geduldig und andächtig auf bessere Zeiten warten?«

Mazarin lächelte bitter bei diesen Worten, aus denen er sah, dass sie den Vorschlag des Ministers ernst genommen hatte.

Anna hielt den Kopf gesenkt und gewahrte dieses Lächeln nicht. Als sie aber sah, dass sie keine Antwort auf ihre Frage erhielt, schaute sie empor.

»Nun, Kardinal, Ihr antwortet mir nicht, was denkt Ihr?«

»Ich denke, Madame, dass der freche Edelmann, der auf unseren Befehl durch Comminges verhaftet worden ist, auf Herrn von Buckingham, dessen Ermordung Ihr nicht verhinderte, auf Madame von Chevreuse, die Ihr in die Verbannung schicken ließet, und auf Herrn von Beaufort anspielte, der auf Euer Geheiß eingekerkert wurde. Spielte er auf mich an, so geschah dies nur, weil er nicht weiß, was ich für Euch bin.«

Anna bebte, wie sie dies tat, wenn man sie in ihrem Stolz verletzte; sie errötete und drückte, um nicht zu antworten, ihre spitzen Nägel in ihre schönen Hände.

»Er ist ein Mann von gutem Rat, von Ehre und Geist und dabei auch ein Mann von Entschlossenheit«, fuhr Mazarin fort. »Ihr wisst etwas davon, nicht wahr, Madame? Ich will ihm also sagen, und das ist eine persönliche Gnade, die ich ihm erweise, worin er sich in Beziehung auf mich getäuscht hat. Das, was man mir nämlich vorschlägt, ist in der Tat so gut wie eine Abdankung, und eine Abdankung verdient, dass man darüber nachdenkt.«

»Eine Abdankung?«, sprach Anna, »ich glaubte, nur die Könige könnten abdanken.«

»Wohl«, versetzte Mazarin, »bin ich nicht so gut wie König, und sogar König von Frankreich? Am Fuße eines königlichen Bettes, Madame, gleicht mein Ministergewand bei Nacht täuschend einem Königsmantel.«

Das war eine Demütigung, wie er sie ihr häufig auferlegte. Nur Elisabeth und Katharina II. blieben zugleich Geliebte und Königinnen für ihre Liebhaber.

Anna von Österreich schaute daher erschreckt auf das drohende Gesicht des Kardinals und sagte: »Habt Ihr nicht gehört, dass ich diesen Leuten sagte, Ihr würdet tun, was Euch beliebte?«

»Dann glaube ich, dass es mir belieben muss, hierzubleiben; es ist dies nicht allein mein Interesse, sondern, ich wage dies zu behaupten, es gereicht auch zu Eurem Heil.«

»Bleibt also, mein Herr, ich verlange nichts anderes; aber dann lasst mich nicht beleidigen.«

»Ihr sprecht von den Anmaßungen der Meuterer und von dem Ton, in dem sie sich ausdrückten? Nur Geduld! Sie haben ein Terrain gewählt, auf dem ich ein geschickterer General bin als sie: die Konferenzen. Wir werden sie schon durch bloßes Hinhalten bezwingen. Sie haben Hunger; in acht Tagen wird es noch schlimmer stehen.«

»Ei, mein Gott, ja, ich weiß, dass wir hierdurch zum Ziel gelangen werden; aber es handelt sich nicht um sie allein, nicht sie allein erlauben sich die verletzendsten Beleidigungen gegen mich.«

»Ah! Ich begreife Euch. Ihr meint die Erinnerungen, die diese drei oder vier Edelleute beständig zurückrufen. Aber wir halten sie gefangen, und sie sind schuldig genug, dass wir sie so lange, wies es uns zusagt, in Gefangenschaft lassen. Ein Einziger ist noch nicht in unserer Gewalt und trotzt uns. Aber den Teufel! Es wird uns bald gelingen, ihn seinen Gefährten beizugesellen. Es scheint mir, wir haben schwierigere Dinge vollbracht als dies. Ich habe vor allem und aus Vorsicht in Rueil, das heißt, in meiner Nähe, unter meinen Augen, im Bereich meiner Hand, die zwei Störrigsten einsperren lassen. Noch heute kommt der Dritte dort zu ihnen.«

»Solange sie Gefangene sind, mag es gut sein«, sprach Anna von Österreich, »aber sie werden eines Tages herauskommen.«

»Ja, wenn Eure Majestät sie in Freiheit setzt.«

»Ah!«, fuhr Anna von Österreich, ihre eigenen Gedanken beantwortend, fort, »in solchen Fällen sehnt man sich nach Paris zurück.«

»Warum dies?«

»Nach der Bastille, mein Herr, die so stark und so verschwiegen ist.«

»Madame, mit den Konferenzen haben wir den Frieden; mit dem Frieden haben wir Paris; mit Paris haben wir die Bastille! Unsere vier Prahler werden darin verfaulen.«

Anna von Österreich runzelte leicht die Stirn, während Mazarin zum Abschied ihre Hand küsste.

Mazarin entfernte sich nach diesem halb untertänigen, halb galanten Akt. Anna von Österreich folgte ihm mit dem Blick, und je mehr er sich entfernte, desto deutlicher konnte man ein verächtliches Lächeln auf ihren Lippen hervortreten sehen.

»Ich habe«, murmelte sie, »die Liebe eines Kardinals verachtet, der niemals sagte: Ich werde tun! Sondern: Ich habe getan! Dieser kannte sicherere Gewahrsame als Rueil, düsterere als die Bastille … Oh! Die entartete Welt! …«