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Catherine Parr Band 1 – Kapitel 8

Luise Mühlbach
Catherine Parr
Erstes Buch
Historischer Roman, M. Simion, Berlin 1851

VIII.

Vater und Tochter (Fortsetzung)

Eine Pause war eingetreten. Lord Douglas hatte sich in die Ottomane zurückgelehnt und schien sich von der Anstrengung der langen Rede zu erholen. Doch während er sich ausruhte, blieben seine großen, durchdringenden Augen unentwegt auf Jane gerichtet, die, in die Kissen zurückgelehnt, nachdenklich in die leere Luft starrte und die Anwesenheit ihres Vaters völlig vergessen zu haben schien.

Ein verschmitztes Lächeln umspielte für einen Augenblick das Gesicht des Grafen bei dieser Wahrnehmung, aber es verschwand schnell, und nun legte sich seine Stirn in tiefe, sorgenvolle Falten!

Als er sah, dass Lady Jane sich immer mehr in ihre Träumereien versenkte, legte er schließlich seine Hand auf ihre Schulter und fragte hastig: »Woran denkst du, Jane?«

Sie schrak heftig zusammen und blickte den Grafen verwirrt an. Ich denke an all das, was Ihr mir gesagt habt, mein Vater«, sagte sie endlich gefasst. »Ich überlege, welchen Vorteil ich daraus für unsere Zwecke ziehen könnte!«

Lord Douglas schüttelte den Kopf mit einem ungläubigen Lächeln. »Hüte dich, Jane«, sagte er endlich feierlich, »hüte dich, dass dein Herz deinen Kopf nicht belüge! Wenn wir unser Ziel hier erreichen wollen, so musst du vor allen Dingen dir ein kaltes Herz und einen kalten Kopf bewahren! Besitzt du beides noch, Jane?«

Sie schlug vor seinen durchbohrenden Blicken die Augen verwirrt nieder. Lord Douglas sah es, und ein heftiges Wort trat schon auf seine Lippen. Aber er hielt es zurück! Als kluger Diplomat wusste er, dass es zuweilen geratener ist, eine Sache durch Ignoranz zu töten, als sich in einen offenen Kampf mit ihr einzulassen!

Die Gefühle sind wie die Drachenzähne des Theseus. Wenn man sie bekämpft, wachsen sie immer neu – und mit immer verstärkter Kraft wieder aus dem Boden hervor!

Lord Douglas hütete sich daher wohl, die Verwirrung seiner Tochter zu bemerken. »Verzeih, meine Tochter«, sagte er, »wenn ich in meinem Eifer und in meiner zärtlichen Sorge um dich zu weit ging! Ich weiß, dass dein lieber und schöner Kopf kalt genug ist, um die Krone tragen zu können, ich weiß, dass in deinem Herzen der Ehrgeiz und die Religion allein wohnen! Lass uns also noch überlegen, was wir zu tun haben, um zu unserem Ziel zu gelangen! Wir haben von Heinrich, dem Ehemann gesprochen, von Heinrich dem Menschen; und ich hoffe, du hast einige nützliche Lehren aus dem Schicksal seiner Frauen gezogen! Du hast daraus ersehen, dass man alle guten und alle schlimmen Eigenschaften einer Frau besitzen muss, um diesen halsstarrigen und tyrannischen, diesen wollüstigen und bigotten, diesen eitlen und sinnlichen Mann, den der Zorn Gottes zum König von England gemacht hat, beherrschen zu können! Du musst vor allen Dingen die schwere Kunst des Kokettierens vollständig innehaben! Du musst dich zu einem weiblichen Proteus machen! Heute eine Messaline, morgen eine Betschwester, heute eine Gelehrte, morgen ein tändelndes Kind, musst du den König immer zu überraschen, zu spannen, zu erheitern suchen! Du musst dich niemals dem gefährlichen Gefühl der Sicherheit überlassen, denn Königs Heinrichs Gemahlin ist in der Tat niemals sicher! Das Beil schwebt immer über ihrem Haupt, und du musst deinen Gemahl immer nur als einen wankelmütigen Liebhaber betrachten, den du alle Tage aufs Neue zu erobern hast!«

»Ihr sprecht, als ob ich schon des Königs Gemahlin wäre!«, sagte Lady Jane lächelnd. »Und doch will mir scheinen, als ob bis dahin noch viele Schwierigkeiten zu bekämpfen wären, die vielleicht sogar unüberwindlich sein könnten!«

»Unüberwindlich!«, rief ihr Vater achselzuckend. »Mit dem Beistand der heiligen Kirche gibt es gar keine unüberwindlichen Hindernisse! Nur müssen wir unseres Zweckes und unserer Mittel uns genau bewusst sein! Verschmähe es also nicht, immer und immer wieder den Charakter dieses Königs zu sondieren, und sei gewiss, du wirst immer wieder eine neue, verborgene Falte, eine überraschende Eigentümlichkeit in ihm finden! Wir haben von ihm gesprochen, als Gatte und Familienvater, aber von seiner religiösen und politischen Bedeutung sagte ich dir noch nichts! Und das, mein Kind, ist doch die Hauptsache seines ganzen Wesens!

Zuvörderst, Jane, will ich dir also ein Geheimnis sagen. Der König, welcher sich zum Oberpriester seiner Kirche gemacht, den der Pabst einst den Ritter der Treue und des Glaubens genannt hat, der König besitzt im Grunde seines Herzens gar keine Religion! Er ist ein schwankendes Rohr, welches der Wind heute hierhin, morgen dorthin wendet! Er weiß selbst nicht, was er will, und mit beiden Parteien kokettierend, ist er heute ein Ketzer, um sich als einen starken, vorurteilsfreien, vernunftdurchleuchteten Mann zu zeigen, morgen ein Katholik, um sich als den gehorsamen und demütigen Knecht Gottes zu beweisen, der nur in der Liebe und in der Frömmigkeit sein Heil sucht und findet! Aber für beide Glaubensbekenntnisse besitzt er innerlich eine tiefe Gleichgültigkeit, und hätte der Pabst ihm damals keine Schwierigkeiten in den Weg gelegt, hätte er diese Scheidung von Katharina gebilligt, so würde König Heinrich immer ein sehr guter und tätiger Diener der katholischen Kirche geblieben sein! Aber man war unklug genug, ihn durch Widerspruch zu reizen, man stachelte seine Eitelkeit und seinen Stolz zum Widerstand empor, und so wurde Heinrich ein Kirchenreformator, nicht aus Überzeugung, sondern aus reinem Oppositiongelüste! Und das, mein Kind, musst du niemals vergessen, denn vermöge dieses Hebels kannst du ihn einst sehr gut wieder zu einem strenggläubigen, pflichtgetreuen und gehorsamen Diener der heiligen Kirche umgestalten! Er hat sich vom Pabst losgesagt und sich die Suprematie der Kirche angemaßt, aber er konnte doch nicht in sich den Mut finden, sein Werk durchzuführen und sich ganz der Reformation in die Arme zu werfen! Indem er der Person des Papstes opponierte, ist er doch der Kirche immer noch ergeben geblieben, obwohl er es vielleicht selbst nicht weiß! Er ist kein Katholik und hört die Messe, er hat die Klöster aufgehoben und doch den Priestern das Heiraten untersagt, er lässt das Abendmahl in einerlei Gestalt austeilen und glaubt an die wirkliche Verwandlung des Weins in das heilige Blut des Erlösers! Er hebt die Klöster auf und befiehlt doch, dass Gelübde der Keuschheit, vom Mann oder Weib ausgesprochen, getreu gehalten werden müssen; und zuletzt noch ist die Ohrenbeichte ihm ein notwendiger Bestandteil seiner Kirche! Und das nennt er seine sechs Artikel und die Basis seiner englischen Kirche! Armer, kurzsichtiger und eitler Mann! Er weiß nicht, dass er all dieses nur getan hat, weil er selbst sich zum Pabst machen wollte, und dass er weiter nichts ist als der Gegenpapst des Heiligen Vaters zu Rom, den er in gotteslästerlichem Hochmut den Bischof von Rom zu nennen wagt!«

»Aber für dieses Wagnis«, sagte Jane mit glühenden Zornesblicken, »hat der Bannstrahl ihn getroffen, sein Haupt verflucht und ihn dem Hass, der Verachtung und dem Hohn seiner eigenen Untertanen preisgegeben! Dafür nennt ihn der Heilige Vater mit Recht den abtrünnigen und verlorenen Sohn, den gotteslästernden Usurpator der heiligen Kirche! Dafür hat ihn der Pabst seiner Krone für verlustig erklärt und sie demjenigen versprochen, der ihn mit Waffengewalt besiegen würde! Dafür hat der Pabst all seinen Untertanen verboten, ihm zu gehorchen, ihn als König zu ehren und anzuerkennen!«

»Und er ist doch König von England geblieben, und seine Untertanen gehorchen ihm doch in sklavischer Untertänigkeit!«, rief Graf Douglas achselzuckend. »Es war sehr wenig weise, in seinen Drohungen so weit zu gehen, denn man soll niemals mit Strafen drohen, welche man nicht zugleich imstande ist, wirklich zu verhängen! Dieser römische Bannfluch hat dem König leider mehr genützt als geschadet, denn er hat den König zu stolzerer Opposition getrieben und seinen Untertanen bewiesen, dass man sehr wohl von dem Bannstrahl getroffen und doch im Glück und Vollgenuss seines Lebens sein kann!

Der Bannfluch des Papstes hat dem König gar nichts geschadet, sein Thron hat nicht das leiseste Erzittern davon gespürt, aber der Abfall des Königs hat dem Heiligen Stuhl in Rom eine empfindliche Stütze geraubt, und deshalb müssen wir den treulosen König der heiligen Kirche wieder zuführen, denn sie bedarf seiner! Und das ist das Werk, meine Tochter, welches Gott und der Wille seines heiligen Vertreters in deine Hände legen will! Ein schönes, ruhmreiches und zugleich lohnendes Werk, denn es macht dich zu einer Königin! Aber ich wiederhole dir, sei vorsichtig, reize den König niemals durch Widerspruch! Ohne es zu wissen, muss man den Schwankenden dorthin führen, wo das Heil seiner wartet! Denn, wie gesagt, er ist ein Schwankender, und in dem stolzen Hochmut seines Königtums maßt er sich an, über den Parteien stehen zu wollen und selbst eine neue Kirche gründen zu können, eine Kirche, welche keine katholische und keine protestantische ist, sondern seine Kirche; welcher er in den sechs Artikeln, dem sogenannten Blutigen Statut ihre Gesetze gegeben!

Er will nicht Protestant, nicht Katholik sein, und um seine Unparteilichkeit zu zeigen, ist er beiden Parteien ein gleich furchtbarer Verfolger! So ist es dahin gekommen, dass man sagen muss: In England hängt man die Katholiken und verbrennt diejenigen, welche es nicht sind! Es macht dem König ein Vergnügen, mit fester und grausamer Hand die Waage zwischen beiden Parteien zu halten, und an demselben Tag, an welchem er einen Papisten einkerkern lässt, weil er die Suprematie des Königs bestritten hat, lässt er einen Reformierten foltern, weil er die wirkliche Verwandlung des Weins geleugnet oder vielleicht über die Notwendigkeit der Ohrenbeichte gestritten hat! Sind doch während der letzten Parlamentssitzung fünf Menschen gehängt worden, weil sie die Suprematie bestritten, und fünf andere verbrannt, weil sie zu den Ansichten der Reformierten sich bekannten! Und diesen Abend, Jane, an diesem Hochzeitsabend des Königs, hat man auf besonderen Befehl des Königs, welcher seine Unparteilichkeit als Oberhaupt der Kirche zeigen wollte, Katholiken und Protestanten, je zwei und zwei, wie die Hunde zusammengekoppelt und sie auf die Scheiterhaufen geschleudert, indem man die Katholiken als Hochverräter und die anderen als Ketzer verurteilte!«

»Oh«, sagte Jane schaudernd und erblassend, »ich will nicht Königin von England werden! Mir graut vor diesem grausamen, wilden König, dessen Herz ganz ohne Mitleid und ohne Erbarmen ist!«

Ihr Vater lachte. »Weißt du denn nicht, Kind, wie man eine Hyäne sanft machen und einen Tiger zähmen kann? Man wirft ihnen immer wieder aufs Neue eine Beute hin, welche sie verschlingen können, und da sie das Blut so sehr lieben, gibt man ihnen immerfort Blut zu trinken, damit sie niemals danach zu dürsten haben! Des Königs einzige, feste und unveränderliche Eigenschaft ist seine Grausamkeit und seine Blutgier, man muss also immer einige Nahrung für diese bereithalten, dann wird er immer ein sehr liebevoller und gnädiger König und Gemahl sein!

Und an Gegenständen für seine Blutgier fehlt es nicht! Es sind so viele Männer und Frauen an seinem Hof, und wenn er grade in seiner blutdürstigen Laune ist, gilt es Heinrich ganz gleich, wessen Blut er verschlingt! Er hat das Blut seiner Weiber und seiner Verwandten vergossen, er hat diejenigen hingerichtet, welche er seine vertrautesten Freunde nannte, er hat die edelsten Männer seines Reiches auf das Schafott geschickt!

Thomas More kannte ihn sehr wohl und in einem einzigen treffenden Wort hat er des Königs ganzes Wesen zusammengefasst! Ah, es ist mir, als sähe ich eben das stille und sanfte Gesicht dieses Weisen, als sähe ich ihn in jener Fensternische stehen, und den König neben ihm, die Arme um den Hals des Großkanzlers More gelegt und seiner Rede mit einer Art ehrfurchtsvoller Andacht zuhörend! Und als der König gegangen war, trat ich zu Thomas More heran und wünschte ihm Glück zu der großen und aller Welt erkennbaren Gunst, in welcher er sich beim König befände. ›Der König liebt Euch wahrhaft‹, sagte ich.

›Ja‹, erwiderte er mit seinem stillen und traurigen Lächeln, ›ja, der König liebt mich wirklich! Das würde ihn aber keinen Moment hindern, für einen kostbaren Brillant, eine schöne Frau oder eine Handbreit Landes in Frankreich meinen Kopf hinzugeben!”‹ Er hatte recht, und für eine schöne Frau musste wirklich das Haupt dieses Weisen fallen, von welchem der allerchristliche Kaiser und König Karl der Fünfte sagte: ›Wäre ich Herr eines solchen Dieners gewesen, von dessen Fähigkeit und Größe wir selbst viele Jahre hindurch so manche Erfahrung gemacht; hätte ich einen so weisen und ernsten Ratgeber besessen, wie es Thomas More war, so würde ich lieber die beste Stadt meines Reiches, als einen so würdigen Diener und Rat verloren haben!‹ Nein, Jane, das sei dein erstes und heiligstes Gesetz, dass du dem König niemals vertraust und niemals auf die Dauer seiner Neigung und seiner Gunstbezeugungen rechnest. Denn in der Perfidie seines Herzens beliebt es ihm oft, diejenigen mit Gnadenbeweisen zu überschütten, deren Verderben er schon beschlossen hat, und heute als Opferlämmer diejenigen zu schmücken und mit Orden und Brillanten zu behängen, welche er morgen zur Schlachtbank führen will! Es schmeichelt seiner Eigenliebe, dem Löwen gleich, noch ein wenig mit dem Hündchen zu spielen, das er verschlingen will! So machte er es mit Cromwell, dem langjährigen Ratgeber und Freund, der indes das Unglück gehabt hatte, dass Anna von Kleve dem Bildnis nicht entsprach, welches Cromwell dem König überreicht hatte! Aber es sollte nicht gesagt werden, dass der König seinen großen und weisen Staatskanzler deshalb strafen wollte, weil er ihm ein hässliches Weib gegeben hatte! Er machte ihn also zum Grafen von Essex, dekorierte ihn zum Ritter des Hosenbandordens und ernannte ihn zum Lord Oberkammerherrn, und dann erst, als Cromwell sich ganz sicher fühlte und stolz sich blähte in dem Sonnenschein der königlichen Gunst, dann erst ließ der König ihn verhaften und in den Tower schleppen, um ihn als Hochverräter anzuklagen! Und so wurde Cromwell hingerichtet, weil Anna von Kleve dem König nicht wohlgefiel, und weil Hans Holbeins Bild geschmeichelt hatte!

Aber jetzt ist es genug von der Vergangenheit, Jane! Jetzt lass uns von der Gegenwart und von der Zukunft sprechen, meine Tochter! Jetzt lass uns auf Mittel sinnen, zuallererst diese Frau zu stürzen, welche uns im Wege steht! Ist sie erst einmal gestürzt, dann wird es uns nicht schwerfallen, dich an ihren Platz zu stellen! Denn jetzt bist du da, und in der Nähe des Königs! Das war der große Fehler bei unseren früheren Bestrebungen, dass wir nicht gegenwärtig waren, dass nur durch Mittler und Vertraute gewirkt werden konnte! Der König sah dich nicht, und seit der unglücklichen Affäre mit Anna von Kleve misstraute er den Bildnissen! Ich wusste das sehr wohl, denn ich, mein Kind, vertraue niemand, auch den treuesten und ergebensten Freunden nicht! Ich baue auf niemand als auf uns selbst! Wären wir hier gewesen, würdest du schon jetzt, an Catharine Parrs Stelle, Königin von England sein! Aber ich war zu unserem Missgeschick noch Günstling des Regenten von Schottland, und als solcher durfte ich es nicht wagen, mich Heinrich wieder zu nähern! Es bedurfte, dass ich dort in Ungnade fiel, um hier wieder der Gunst des Königs gewiss zu werden!

Ich fiel also in Ungnade und flüchtete mich mit dir hierher! Jetzt also sind wir hier, und der Kampf möge denn beginnen! Und du hast heute schon einen großen Schritt zum Ziel getan! Du hast die Aufmerksamkeit des Königs auf dich gelenkt und dich in Catharines Gunst noch sicherer gestellt! Ich gestehe dir, Jane, ich bin bezaubert von deinem klugen Benehmen gewesen! Du hast dir heute alle Parteien gewonnen, und es war bewunderungswürdig klug, dass du dem Grafen Surrey zu Hilfe kamst, indem du zugleich die ketzerische Hofpartei gewannst, welcher Anna Askew angehört! Oh, in der Tat, Jane, es war ein Staatsstreich, den du führtest! Denn die Familie der Howards ist die mächtigste und größte am Hof, und Graf Henry Surrey gehört zu ihren edelsten Vertretern! Wir haben also jetzt schon eine mächtige Partei am Hof, eine Partei, welche nur das heilige und hohe Ziel vor Augen hat, der heiligen Kirche wiederum zu ihrem Sieg zu verhelfen, und welche still und verschwiegen nur dahin trachtet, den König wieder mit dem Papst zu versöhnen! Henry Howard, Graf von Surrey, ist gleich seinem Vater, dem Herzog von Norfolk, ein guter Katholik, wie es seine Nichte, Catharine Parr war; nur dass sie nebst Gott und der Kirche noch ein wenig allzu sehr die Ebenbilder Gottes, die hübschen Männer liebte! Das war es, was der anderen Partei den Sieg verschaffte, und welches machte, dass der ketzerischen Hofpartei noch einmal die katholische unterliegen musste! Ja, für den Augenblick hat Cranmer mit Catharine uns besiegt, aber bald wird Gardiner mit Jane Douglas die Ketzer besiegen und auf das Blutgerüst führen! Das ist unser Plan, und wir werden, so Gott will, ihn vollführen!«

»Aber es wird ein schwieriges Werk sein!«, sagte Lady Jane seufzend. »Die Königin ist eine reine, klare Seele, sie hat einen klugen Kopf und einen klaren Blick! Sie ist zudem unschuldsvoll in ihren Gedanken und bebt mit wahrhaft jungfräulichem Zagen vor jeder Sünde zurück!«

»Man muss ihr dieses Zagen abgewöhnen, und das ist deine Aufgabe, Jane! Du musst ihr diese strengen Tugendbegriffe rauben, du musst mit schmeichelnder Stimme ihr Herz umgarnen und es verlocken zu der Sünde!«

»Oh, das ist ein infernalischer Plan!«, erwiderte Lady Jane erblassend. »Das wäre ein Verbrechen, mein Vater, denn das hieße, nicht bloß ihr irdisches Glück zerstören, sondern auch ihre Seele gefährden! Ich soll sie zum Verbrechen verlocken, das ist Euer schmachvolles Begehren? Aber ich werde Euch nicht gehorchen! Es ist wahr, ich hasse sie, denn sie steht meinem Ehrgeiz im Wege; es ist wahr, ich will sie verderben, denn sie trägt die Krone, welche ich besitzen will; aber niemals werde ich so schmachvoll sein, das Gift selbst in ihr Herz zu gießen, an welchem sie zu Grunde gehen soll! Mag sie selbst das Gift sich suchen, ich werde ihre Hand nicht zurückhalten, ich werde sie nicht warnen! Mag sie selbst die Wege der Sünde suchen, ich werde ihr nicht sagen, dass sie sich verirrt hat, sondern ich werde von fern ihr nachschleichen und jeden ihrer Schritte ausspähen und jedes Wort und jeden Seufzer belauschen, und wenn sie ein Verbrechen begangen hat, dann werde ich sie verraten und sie ihren Richtern übergeben! Das ist es, was ich tun kann und tun werde! Ich will der Dämon sein, welcher sie im Namen Gottes aus dem Paradies vertreibt, aber nicht die Schlange, welche sie im Namen des Teufels zur Sünde verlockt!«

Sie schwieg und lehnte sich hochatmend zurück in die Kissen; aber nun legte sich die Hand ihres Vaters mit krampfhaftem Griff auf ihre Schulter, und mit zornblitzenden Augen, bleich vor Wuth starrte er sie an.

Lady Jane stieß einen Schrei des Entsetzens aus!

Sie, welche ihren Vater immer nur lächelnd und gütig gesehen hatte, sie kannte kaum dieses von Wut entstellte Angesicht, sie konnte sich kaum überzeugen, dass dieser Mann mit den feuersprühenden Augen, den finsteren Augenbrauen, den vor Zorn bebenden Lippen wirklich ihr Vater sei!

»Du willst nicht?«, rief er mit dumpfer, drohender Stimme. »Du wagst es, dich aufzulehnen gegen die heiligen Gebote der Kirche? Hast du also vergessen, was du den heiligen Vätern gelobt hast, deren Schülerin du bist? Hast du vergessen, dass die Brüder und Schwestern des heiligen Bundes keinen anderen Willen haben dürfen als den ihres Meisters? Hast du vergessen des erhabenen Gelübdes, welches du unserem Meister Ignatius von Loyola gegeben hast? Antworte mir, ungetreue und ungehorsame Tochter der Kirche! Wiederhole mir den Schwur, welchen du geleistet, als er dich aufnahm in die heilige Gesellschaft der Jünger Jesu! Wiederhole deinen Schwur, sage, ich!«

Jane war, wie von unsichtbarer Macht gezwungen, aufgestanden und stand nun, die Hände über die Brust gefaltet, demutsvoll und zitternd vor ihrem Vater da, dessen hochaufgerichtete, erhabene und zürnende Gestalt sie überragte.

»Ich habe geschworen«, sagte sie, »mein eigenes Denken und Wollen, mein Leben und Streben gehorsam unterzuordnen dem Willen der heiligen Väter! Ich habe geschworen, ein blindes Werkzeug zu sein in der Hand meiner Meister, und nur das zu tun, was sie mir befehlen und gebieten werden! Ich habe gelobt, der heiligen und alleinseligmachenden Kirche zu dienen, auf jede Weise und mit allen zu Gebote stehenden Mitteln, deren ich keines verschmähen, keines zu gering halten, keines verachten will, vorausgesetzt, dass es zum Ziel führt! Denn die Zwecke heiligen die Mittel, und nichts ist Verbrechen, was geschieht zur Ehre Gottes und der Kirche!«

»Ad majorem Dei gloriam!«, sagte ihr Vater mit frommem Händefalten. »Und weißt du, was deiner harrt, wenn du deinen Schwur brichst?«

»Es harrt meiner die irdische Schmach und das ewige Verderben! Es harrt meiner der Fluch all meiner Brüder und Schwestern, es harrt meiner die ewige Verdammnis und die Strafe der Hölle! Unter tausend Martern und Folterqualen werden sie mich hinrichten, die heiligen Väter, und indem sie meinen Leib töten und ihn den Raubtieren zum Fraß hinwerfen, werden sie meine Seele verfluchen und sie dem Fegefeuer überantworten.«

»Und was harrt deiner, wenn du deinem Schwur getreu bleibst, und den Befehlen gehorchst, welche man dir geben wird?«

»Ehre und Glanz auf Erden und die ewige Seligkeit im Himmel!«

»Du wirst alsdann eine Königin auf Erden und eine Königin im Himmel sein! Du kennst also die heiligen Gesetze der Gesellschaft und erinnerst dich deines Schwures?«

»Ich erinnere mich!«

»Und du weißt, dass der heilige Loyola, bevor er uns verließ, der Gesellschaft Jesu in England einen Herrn und General gegeben hat, dem alle Brüder und Schwestern dienen und sich unterordnen müssen, dem sie blinden Gehorsam und wortlose Dienstbarkeit schuldig sind?«

»Ich weiß es!«

»Und du weißt auch, an welchem Zeichen die Bundesglieder den General erkennen können?«

»An dem Ring des Loyola, den er an dem Vorfinger seiner rechten Hand trägt!«

»Sieh ihn hier, diesen Ring!«, sagte der Graf, indem er die Hand aus seinem Wams hervorzog.

Lady Jane stieß einen Schrei aus und sank fast besinnungslos zu seinen Füßen nieder.

Lord Douglas zog sie mit einem gütigen Lächeln in seine Arme empor. »Du siehst, Jane, ich bin nicht bloß dein Vater, sondern auch dein Meister! Und du wirst mir gehorchen, nicht wahr?«

»Ich werde gehorchen!« sagte sie tonlos, indem sie die Hand mit dem verhängnisvollen Ringe küsste.

»Du wirst für Catharine Parr, wie du es ausdrückst, die Schlange sein, welche sie zur Sünde verführt?«

»Ich werde es sein!«

»Du wirst sie zur Sünde verleiten und sie zu einer Liebe verlocken, welche sie ins Verderben führen muss?«

»Ich werde es tun, mein Vater!«

»Ich werde dir jetzt denjenigen nennen, welchen sie lieben, und der das Werkzeug ihres Verderbens sein soll! Du wirst die Königin dahin führen, dass sie Henry Howard, Graf von Surrey liebt!«

Jane stieß einen Schrei aus und hielt sich an der Lehne eines Stuhls fest, um nicht umzusinken.

Ihr Vater betrachtete sie mit durchbohrenden, zornigen Blicken. »Was bedeutet dieser Schrei? Warum überrascht dich diese Wahl?«, fragte er.

Lady Jane hatte schon ihre Fassung wiedergewonnen. »Sie überrascht mich«, sagte sie, »weil der Graf verlobt ist!«

Ein seltsames Lächeln umspielte die Lippen des Grafen. »Es ist nicht das erste Mal«, sagte er, »dass ein sogar schon vermählter Mann dem Herzen einer Frau gefährlich geworden ist, und oft hat gerade diese Unmöglichkeit des Besitzes den Flammen der Liebe neue Nahrung gegeben! Die Herzen der Frauen sind so voll Eigensinn und Widerspruch.«

Lady Jane schlug die Augen nieder und erwiderte nichts. Sie fühlte die stechenden und durchbohrenden Blicke ihres Vaters auf ihrem Antlitz ruhen, sie wusste, dass er soeben in ihrer Seele las, wenn sie auch ihn nicht anblickte.

»Du weigerst dich also nicht mehr?«, fragte er endlich, »du wirst der jungen Königin diese Liebe zu Graf Surrey einflößen?«

»Ich werde versuchen, es zu tun, mein Vater!«

»Wenn du es mit dem rechten und tatkräftigen Willen des Erfolges versuchst, so wird es dir gelingen. Denn, wie du sagst, ist der Königin Herz noch frei; es ist also wie ein fruchtbarer Boden, der nur erwartet, dass man das Saatkorn in ihn ausstreue, damit er Blüten und Früchte treibe! Catharine Parr liebt den König nicht, du wirst sie also lehren, den Grafen Henry Howard zu lieben!

Aber ohne Zweifel wäre dazu das Haupterfordernis, dass der Graf zuerst sie liebe! Denn die Königin besitzt eine stolze Seele, und sie wird niemals so sehr ihre Würde vergessen, um einen Mann zu lieben, der nicht in heißer Leidenschaft für sie entbrannt wäre. Der Graf besitzt aber nicht bloß eine Braut, sondern wie man, sagt, auch eine Geliebte!

Ah, du hältst es also doch eines Weibes vollkommen unwürdig, einen Mann zu lieben, von welchen sie nicht angebetet wird?«, fragte der Graf mit bedeutungsvollem Ton. »Es freut mich, dies von meiner Tochter zu hören, und also gewiss zu sein, dass sie den Grafen von Surrey, den man sonst überall den Frauenbezwinger nennt, nicht lieben wird. Und wenn du also auf so erstaunliche Art dich von den Privatverhältnissen des Grafen unterrichtet hast, so geschah das ohne Zweifel nur, weil dein kluger und feiner Kopf schon erraten hatte, welchen Auftrag ich dir in Betreff des Grafen machen wollte! Übrigens, meine Tochter, bist du in einem Irrtum, und wenn eine gewisse hohe aber nichtsdestoweniger sehr unglückliche Dame den Grafen Surrey vielleicht wirklich lieben sollte, so wird ihr Los hier, wie vielleicht überall das sein: Resignation zu üben!«

Ein Ausdruck freudiger Überraschung überflog, während ihr Vater so sprach, Lady Janes Angesicht, aber er musste sofort einer tödlichen Blässe weichen, als der Graf hinzusetzte: »Graf Henry Howard ist für Catharine Parr bestimmt, und du sollst ihr helfen, diesen stolzen schönen Grafen, welcher ein treuer Diener der alleinseligmachenden Kirche ist, so heiß zu lieben, dass sie darüber aller Rücksichten und aller Gefahren vergisst!«

Lady Jane wagte noch einen Einwand. Sie hing sich mit Begierde an ihres Vaters Worte, um noch einmal einen Ausweg zu suchen!

»Ihr nennt den Grafen einen treuen Diener unserer Kirche«, sagte sie,» und doch wollt Ihr ihn in Euren gefahrvollen Plan mit hineinziehen? Ihr habt also nicht bedacht, mein Vater, dass es ebenso unheilvoll ist, die Königin zu lieben, als von ihr geliebt zu werden? Und wenn ohne Zweifel die Liebe zu Graf Surrey die Königin auf das Blutgerüst führen kann, so wird sie doch zugleich auch das Haupt des Grafen fällen, gleichviel ob er ihre Liebe erwidert oder nicht!«

Der Graf zuckte die Achseln. »Wenn es sich um das Wohl der Kirche und der heiligen Religion handelt, darf uns die Gefahr, welche vielleicht einen der unseren dabei bedroht, nicht zurückschrecken! Der heiligen Sache müssen immer auch heilige Opfer dargebracht werden! Möge also das Haupt des Grafen immerhin fallen, vorausgesetzt, dass die alleinseligmachende Kirche von diesem Märtyrerblut neue Lebenskraft gewinne! Aber sieh, Jane, der Morgen beginnt schon heraufzudämmern. Und ich muss eilen, dich zu verlassen, damit nicht diese stets verleumderischen Hofleute etwa gar den Vater für einen Liebhaber ansehen und die reine Tugend meiner Jane verdächtigen! Lebe also wohl, meine Tochter! Wir kennen jetzt beide unsere Rollen und werden bemüht sein, sie mit Glück zu spielen! Du bist die Freundin und Vertraute der Königin, und ich der harmlose Hofmann, welcher es versucht, seinem König zuweilen mit irgendeinem lustigen Spaß ein Lächeln abzugewinnen! Das ist alles. Guten Morgen, also, Jane, und Gute Nacht! Denn du musst schlafen, mein Kind, damit deine Wangen frisch und deine Augen glänzend bleiben! Der König hasst die schmachtenden Bleichgesichter! Schlafe also, zukünftige Königin von England!«

Er küsste sie leicht auf die Stirn und verließ schleichenden Trittes das Gemach.

Lady Jane stand und lauschte auf seine verhallenden Schritte. Dann aber sank sie ganz zerbrochen, ganz betäubt auf ihre Knie nieder.

»Mein Gott, mein Gott«, murmelte sie, während Ströme von Tränen ihr Gesicht überfluteten, »ich soll der Königin Liebe einflößen zu Graf Surrey, und ich, ich liebe ihn!«