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Die Virginier Erster Band – 9. Kapitel

William Makepeace Thackeray
Die Virginier
Erster Band
Wurzen, Verlags-Kontor, 1858
9. Kapitel

Gastfreundlichkeiten

Seine Exzellenz der Oberbefehlshaber setzte seinen Besuch bei Madame Esmond mit so viel Glanz und Staat in Szene, wie es der höchsten Persönlichkeit in Seiner Majestät sämt­lichen Kolonien, Plantagen und Besitzungen von Nord­amerika zukam. Seine Garde von Dragonern geleitete ihn aus Williamsburg unter den unaufhörlich gellenden Zurufen einer ergebenen, vorwiegend schwarzen Bevölkerung. Der General fuhr in seiner eigenen Kutsche. Hauptmann Tal­madge, Seiner Exzellenz Stallmeister, erwartete ihn an der Tür des wuchtigen, wappengezierten Vehikels und ritt während der ganzen Fahrt von Williamsburg bis zu Madame Esmonds Haus neben dem Wagen her. Major Danvers, Adjutant, teilte den Rücksitz mit dem kleinen Postdirektor aus Philadelphia, Mr. Franklin. Denn obgleich er nur eines Druckers Gehilfe gewesen, war er doch ein wunderbar schlauer Mensch, wie seine Exzellenz und die Herren seiner Umgebung anerkennen mussten, da er eine Fülle der erstaun­lichsten Kenntnisse hinsichtlich der Kolonie und auch Eng­lands besaß, das Mr. Franklin mehr als einmal besucht hatte.

»Es ist außerordentlich, wie eine Person so niedriger Her­kunft sich ein so vielfältiges Wissen und so artige Manieren erwerben konnte, Mr. Franklin!«, geruhte seine Exzellenz zu bemerken, und der General rückte gnädig seinen Hut gegen den Postmeister.

Der verbeugte sich und erklärte, er hätte zufällig das Glück gehabt, in die Gesellschaft solcher Gentlemen wie seine Exzellenz zu geraten und hätte die Gelegenheit genutzt, ihre Sitten zu studieren und sich ihnen so weit als möglich anzupassen. Was seine Ausbildung beträfe, könnte er nicht sehr damit prunken, da sein Vater in bedrängten Umständen gelebt habe und die Möglichkeiten in seiner Heimat Neu-England nur gering wären. Aber er hätte sich nach besten Kräften bemüht und an Kenntnissen gesammelt, was er konnte – dennoch wüsste er nichts, was den in England verbreiteten Kenntnissen gleichkäme.

Mr. Braddock brach in Gelächter aus und sagte: »Was die Bildung betrifft, da gab es Herren in der Armee, die beim heiligen Georg nicht wussten, ob man Bulle mit zwei B oder mit einem schreibt. Ich habe gehört, dass der Herzog von Marlborough die Feder nicht besonders geschickt führte, aber er prügelte die Franzosen gründlich, obgleich er kein Gelehrter war.«

Mr. Franklin bemerkte, dass er sich dieser beiden Fakten bewusst sei.

»Und mein Herzog ist auch kein Gelehrter«, fuhr Mr. Brad­dock fort. »Aha, Mr. Postmeister, das habt Ihr auch schon gehört, ich sehe es an Eurem Augenzwinkern.«

Mr. Franklin unterdrückte blitzschnell den gehässigen oder spöttischen Augenausdruck und sah mit einem Blick, unschuldig wie ein Baby, dem General in das runde, ver­gnügte Gesicht.

»Er ist kein Gelehrter, aber er ist jedem französischen General gewachsen, der je die Engländer als Fricassée de crapaud verschlingen wollte. Er rettete die Krone für den besten aller Fürsten, seinen Königlichen Vater, Seine Allergnädigste Majestät König Georg.«

Im Nu war Mr. Franklins Hut vom Kopfe herunter, und ein Heiligenschein von Puder stäubte aus seiner großen Lockenperücke.

»Er ist des Soldaten bester Freund und der unversöhnliche Feind all der erbärmlichen, rotstrümpfigen schottischen Rebellen und ränkeschmiedenden römischen Jesuiten, die uns unsere Freiheit und unsere Religion nehmen wollten, beim heiligen Georg! Seine Königliche Hoheit, mein gnädiger Herr, ist wohl kein Gelehrter, aber einer der feinsten Gentlemen der Welt.«

»Ich sah seine Königliche Hoheit zu Pferde, bei einer Parade der Garden im Hyde Park«, sagte Mr. Franklin. »Der Herzog ist wirklich ein sehr schöner Herr hoch zu Ross.«

»Ihr sollt heute auf seine Gesundheit trinken, Postmeister. Er ist der beste Herr, der beste Freund, seinem alten König­lichen Vater der beste Sohn, und der nobelste Edelmann, der je Epauletten trug.«

»Epauletten sind gar nicht mein Fall, Sir«, meinte Mr. Frank­lin. »Ihr wisst, ich lebe in einer Quäkerstadt.«

»Natürlich sind sie nicht Euer Fall, mein guter Freund. Jeder bleibe bei seinem Leisten. Ihr und Gentlemen Eurer Klasse bei Euren Büchern – herzlich gern. Wir verbieten es Euch nicht, wir ermutigen Euch dazu. Unsere Sache ist es, den Feind zu bekämpfen und das Land zu regieren. Nicht wahr, meine Herren? Himmel, was für Straßen ihr in dieser Kolonie habt, und wie die verdammte Kutsche schaukelt! Wer kommt denn da mit den zwei Jungen in Livree? Er reitet einen schönen Wallach!«

»Es ist Mr. Washington«, sagte der Adjutant.

»Ich würde ihn gern als Korporal bei den berittenen Grena­dieren haben«, bemerkte der General. »Er macht gute Figur zu Pferde. Auch er kennt das Land, Mr. Franklin.«

»Ja, wahrhaftig.«

»Und ist ein ungeheuer wohlerzogener junger Mann, wenn man bedenkt, wie wenig Möglichkeiten er gehabt hat! Man könnte fast glauben, er hätte den Schliff aus Europa, bei Gott!«

»Er tut sein Bestes«, erwiderte Mr. Franklin und sah unschuldsvoll den dicken Häuptling an, das Muster eng­lischer Vornehmheit, der dasaß und von einer Seite des Wagens zur anderen schwankte, das Gesicht so scharlachrot wie sein Rock, bei jedem Worte fluchend, unwissend in allem außer Paraden, den Vorzügen der Flasche und einer Frau. Er war nicht von hoher Geburt, doch lächerlich stolz gerade auch darauf, tapfer wie eine Bulldogge, barbarisch, wollüstig, verschwenderisch, großzügig; wenn er in weicher Stimmung war, auch sanft; leichtsinnig im Lieben und Lachen. Dumpfen Geistes und äußerst unbelesen, hielt er sein Land für das erste der Welt und sich selbst für einen so noblen Gentleman wie nur irgendeinen in England. »Ja, er ist mächtig in Ordnung für einen Provinzler, auf Ehre. Er wurde letztes Jahr geschlagen bei Fort – wie nennt ihr es doch – da unten am Thingamy. Wie heißt es doch, Talmadge?«

»Gott weiß es, Sir«, erwiderte Talmadge, »und ich möchte sagen, der Postmeister auch, der uns beide auslacht.«

»Aber Hauptmann!«

»Er wurde in einer regelrechten Falle gefangen. Er hatte ja nur Miliz und Indianer mit. Guten Tag, Mr. Washington. Eine hübsche Mähre, Sir. Das war wohl Euer erstes Schar­mützel letztes Jahr?«

»Das bei Fort Necessity? Ja, Sir«, bestätigte der Gentleman, ernsthaft grüßend, als er heranritt, gefolgt von zwei schmucken schwarzen Reitknechten in schneidiger Livree und samtener Jagdkappe. »Ich hatte keinen guten Start, Sir, da ich bis zu jenem unglücklichen Tag noch nie im Gefecht gestanden.«

»Ihr wart eben alle ungedrillte Rekruten, mein guter Freund. Ihr hättet sehen sollen, wie unsere Miliz vor den Schotten lief, zur Hölle mit ihnen. Ein paar reguläre Trup­pen fehlten Euch dabei.«

»Euer Exzellenz wissen, dass es mein heißer Wunsch ist, bei der Armee zu lernen und zu dienen«, sagte Mr. Washington.

»Beim heiligen Georg, wir werden Euch erproben und zufriedenstellen, Sir«, antwortete der General mit einem seiner üblichen ungeheuerlichen Flüche. Und weiter rollte der Wagen auf Castlewood zu; Mr. Washington bat, voraus­galoppieren zu dürfen, damit er Seiner Exzellenz baldiges Eintreffen der Dame des Hauses ankündige.

Aber der Oberbefehlshaber kam so langsam vorwärts, dass mehrere niedriger stehende Persönlichkeiten, die mit Seiner Exzellenz zusammen eingeladen waren, seine Kutsche erreichten, und da sie den großen Mann nicht gern auf der Straße überholen wollten, förmlich eine Prozession in der staubigen Spur seiner Wagenräder bildeten. Zuvörderst kam Mr. Dinwiddie, der Vizegouverneur von Seiner Majestät Provinz, gefolgt von seinen schwarzen Dienern und begleitet von Pfarrer Broadbent, dem munteren Williamsburger Gottesmann. Diesen beiden gesellte sich bald der kleine Mr. Dempster, der Lehrer der Zwillinge, in seiner prächtigen Ramilliesperücke, die er zu feierlichen Gelegenheiten trug. Danach erschien Mr. Laws, der Richter, mit Madame Laws auf einem Kissen hinter sich, und dem Hausdiener, der auf einem Maulesel ritt und eine Schachtel mit Madames Haube trug. Die Karawane sah so komisch aus, dass Major Danvers und Mr. Franklin, als sie ihnen zu Gesicht kam, laut herauslachten, doch nicht so laut, dass es Seine Exzellenz gestört hätte, die um diese Zeit schlummerte. Sie baten die ganze wunderliche Nachhut, vorzurücken und den Oberbefehls­haber samt seiner Dragonereskorte mit Muße folgen zu lassen.

Es war für alle Platz in Castlewood, als sie kamen. Da gab es Fleisch, Wein und den besten Tabak für Seiner Majestät Soldaten, Lachen und Lustigkeit bei den Schwarzen und eine reichhaltige Begrüßung für ihre Herren. Dem biederen General musste bei Tisch von den meisten Gerichten gereicht werden, und mehr als einmal, und er hielt sein Glas stets zum Trinken bereit; Nathans Sangaree erklärte er für hervorragend und hatte ihm schon bei seiner Ankunft reichlich zugesprochen. Da gab es Cider, Ale, Brandy und viel von dem guten Bordeaux, den Oberst Esmond selbst in die Kolonie mitgebracht hatte. Er war ponteeficis coenis würdig, wie der kleine Mr. Dempster sagte, mit einem Zwinkern zu Mr. Broadbent, dem Kirchenmann des angrenzenden Pfarrsprengels. Mr. Broadbent erwiderte den Wink und nickte und trank den Wein, ohne sich um das Latein zu kümmern, denn wie sollte er auch, da er sich bisher nie um diese Sprache bemüht hatte? Mr. Broadbent war ein spielender, saufender Hahnenkampfpriester, der lange Zeit im Fleetgefängnis, in Newmarket und in Hockley-in-the-Hole zuge­bracht hatte. Und da er alle möglichen Aufträge für seinen Freund, Lord Cinqbars, Lord Ringwoods Sohn erledigt hatte (Mylady Cinqbars’ Kammerfrau war Mr. Broadbents Mutter, und der moderne Leser tut am besten, es mit dem Stamm­baum von Mr. Broadbents Vater nicht zu genau zu nehmen), so war er schließlich auf eine Pfarrstelle nach Virginia geschickt worden. Er und der junge Harry hatten manchen Hahnenkampf zusammen gefochten, manches Reh gemein­sam erlegt, zahllose Mengen von Maifisch und Lachs heraus­geholt, Wildgänse und wilde Schwäne, Tauben und Regen­pfeifer geschossen und Millionen Kanevasenten vernichtet. Neider behaupteten, dass Broadbent der mitternächtliche Wilddieb wäre, auf den Mr. Washington seine Hunde angesetzt und den er am Flussufer bei Mount Vernon ver­prügelt hätte. Der Gefangene entschlüpfte zwar seinem Griff und krabbelte im Dunkel zu seinem Boot, aber Broad­bent war danach zwei Sonntage bettlägerig, und als er wieder ausging, trug er noch deutliche Spuren eines blauen Auges und dazu einen neuen Kragen am Rock. Harry Esmond und Pfarrer Broadbent hatten nicht nur alle Vögel des Himmels, alle Tiere des Waldes und alle Fische der See zusammen gejagt, sondern auch alle Kartenspiele zusammen geübt. Tatsächlich vermute ich, wenn die Jungen zu ihrer Vorlesung bei Mr. Dempster ritten, blieb Harry zurück und nahm Lektionen bei dem anderen Professor europäischer Künste und Wissenschaften, während George seine eigenen Wege ging, seine eigenen Bücher las und natürlich nichts von dem jüngeren Bruder ausplauderte.

All die Vögel der Luft und die Fische der Gewässer Vir­ginias prangten auf Madame Esmonds Tafel, um seine Exzellenz und die übrigen englischen und amerikanischen Gentlemen zu füttern. Das Gumbo wurde für ausgezeichnet erklärt (Mr. Harrys junger schwarzer Diener war nach diesem Gericht genannt – der selige Oberst hatte ihn ein­mal hinter der Tür entdeckt, mit dem Kopf in einer Terrine dieser köstlichen Speise, und ihn grimmig auf der Stelle so getauft). Die Maifische waren fett und frisch und die geschmorten Schildkröten würdig, von Londoner Ratsherrn gespeist zu werden – beim heiligen Georg, der Herzog selbst könnte sie probieren, geruhte Seine Exzellenz zu bemerken; und tatsächlich sind geschmorte Schildkröten jedes Herzogs, selbst eines Kaisers würdig. Die Negerfrauen haben eine geniale Begabung fürs Kochen, und in den Küchen von Castlewood wurden Meister dieser Kunst unter dem scharfen Auge der seligen und der jetzigen Madame Esmond herangebildet. Bestimmte Speisen, beson­ders die Süßigkeiten und die Torten bereitete Madame Esmond selbst sehr geschickt und zierlich und formte ver­schiedene der prächtigsten Stücke eigenhändig nach der freundlich umständlichen Mode der Zeit. Sie schlug die Spitzenmanschetten ihrer Ärmel auf und zeigte die hüb­schesten runden Arme und die niedlichsten Handgelenke, wenn sie diesen altertümlichen Ritus einer Gastfreund­schaft vollzog, die herzlicher war als die unserer Tage. Nach altem Brauch musste die Herrin des Hauses bei Tisch die Gäste mit schicklichem Eifer nötigen, aufpassen, wen sie zu ferneren Genüssen ermuntern könnte, die Geheimnisse der kulinarischen Anatomie kennen und Geflügel, Wild, Fisch und Braten kunstvoll zerlegen. Sie musste ihre Gäste zu neuen Anstrengungen ermutigen, ihrem Nachbarn, Mr. Braddock, zuflüstern: »Ich habe für Eure Exzellenz eigens den Kopf von diesem Salm aufgehoben. Nein, ich nehme keinen Korb an! Mr. Franklin, Ihr trinkt nur Wasser, obgleich unser Keller einen bekömmlichen Wein bietet, der kein Kopfweh macht. Mr. Law, Ihr liebt Schnepfenpastete?«

»Weil ich weiß, wer sie gebacken hat«, erwiderte der Richter mit einer tiefen Verbeugung. »Ich wünschte, Madame, wir hätten den Kniff mit Pastete zu Hause so fein heraus, wie Ihr in Castlewood. Ich sage oft zu meiner Frau: ›Meine Liebe, ich wünschte, du hättest Madame Esmonds Hand‹.«

»Es ist eine reizende Hand, und ich bin sicher, auch andere möchten sie gernhaben«, zwinkerte der Herr Postmeister aus Boston, bei welcher Bemerkung Mr. George Esmond den kleinen Herrn wenig erfreut ansah.

»Eine unvergleichliche Hand für eine lockere Pasteten­kruste«, fuhr der Richter fort, »Euer Wohl, Madame.« Und er glaubte, durch dieses Kompliment müsste die Witwe ge­wonnen sein. Sie antwortete einfach, dass sie es gelernt hätte, als sie zu ihrer Ausbildung daheim in England war; dass es bestimmte Speisen gebe, die ihre Mutter sie zu bereiten lehrte, und die ihr Vater wie ihre Söhne besonders liebten. Sie wäre glücklich, wenn sie auch ihren Gästen gut schmeckten. Mehr solcher Bemerkungen folgten, mehr Schüsseln und Gänge, zehnmal so viel Fleisch als für die Gesellschaft nötig war.

Mr. Washington beteiligte sich nicht viel an der allgemei­nen Unterhaltung, denn er, Mr. Talmadge, Major Danvers und der Postmeister waren in ein Gespräch über Land­straßen, Flüsse, Transporte, Saumpferde und Lafetten ver­tieft. Und der Oberst der Provinzmiliz hatte kleine Brot­stückchen in Abständen vor sich auf den Tisch gelegt und einzelne Stationen mit dem Finger bezeichnet, über die er zu seinem Mit-Adjutanten sprach, bis ein schwarzer Diener, der die Teller wechselte, den Potomac mit einer Serviette wegwischte und den Ohio in einem Löffel fort­trug.

Am Ende des Dinners verließ Mr. Broadbent seinen Platz und trat hinter den Stuhl des Vizegouverneurs, wo er das Dankgebet sprach. Als dieses Werk der Frömmigkeit ver­richtet war, nahm er Messer und Gabel frisch wieder zur Hand, denn nun erschienen die Kuchen und Puddings, von denen ich euch eine Liste geben könnte, wenn ihr wollt. Aber welche junge Dame interessiert sich heute für Puddings, geschweige denn für jene, die vor hundert Jahren verzehrt wurden, von Madame Esmond mit so viel Kunst und Geschick für ihre Gäste zubereitet? Nachdem der Tisch abgeräumt war, stellte Nathan, der die Oberaufsicht an der Tafel hatte, vor jeden ein neues Glas hin und füllte das seiner Herrin. Sie verneigte sich gegen die Gesellschaft und sagte, sie möchte nun einen Trinkspruch ausbringen und wisse, wie herzlich alle anwesenden Herren darin einstimmen würden. Dann rief sie »Seine Majestät«, und verbeugte sich gegen Mr. Braddock, der mit seinen Adjutanten und den Herren der Kolonie treu ergeben den Namen ihres gnä­digen geliebten Herrschers wiederholte. Und hierauf, da sie ihr Glas geleert und die Gesellschaft gegrüßt hatte, zog sich die Witwe zwischen den Reihen der schwarzen Diener zurück und machte an der Tür noch einen ihrer hübschesten Knickse.

Die freundliche Herrin von Castlewood trug mit bewun­dernswerter Laune zur Unterhaltung bei und sah so hübsch und heiter aus und sprach mit so viel Mut und Munterkeit zu ihren Gästen, dass die wenigen Damen, die beim Dinner anwesend waren, Madame Esmond nur zu der Vortrefflich­keit ihres Festes gratulieren konnten und besonders zu ihrer Art und Weise, es zu leiten. Aber kaum hatten die Damen das Wohnzimmer erreicht, als Madame Esmond ihre künstliche Tapferkeit verließ; auf dem Sofa neben Mrs. Laws brach sie in Tränen aus, mitten in einer schmeichelhaften Redewendung dieser Dame. »Ach, Madame!« rief sie. »Es mag eine Ehre sein, wie Ihr sagt, den Repräsentanten des Königs in meinem Haus zu haben, obwohl unsere Familie schon größere Persönlichkeiten als Mr. Braddock empfangen hat. Aber er kommt, um mir einen meiner Söhne zu nehmen. Wer weiß, ob mein Junge zurückkehrt, oder wie? Ich träumte letzte Nacht, er wäre verwundet und ganz bleich, und das Blut strömte ihm aus der Seite. Ich wollte mich nicht so gehen lassen, meinen Kummer vor den Herren zu zeigen; aber meine gute Mrs. Laws, die selbst Kinder verloren und ein besonders mütterliches Herz hat, wird mich nicht weniger schätzen, wenn meines heute so schwer ist.«

Die Damen brachten Tröstungen vor, wie sie für die Gast­geberin geeignet und angenehm schienen; und sie versuchte, ihrer Traurigkeit nicht weiter nachzugeben und erinnerte sich, dass sie noch andere Pflichten zu erfüllen hatte, ehe sie sich ihrer trüben Stimmung überlassen konnte. »Wenn sie fort sind, wird noch Zeit genug sein, zu trauern«, sagte sie zu der Frau des Richters, ihrer guten Nachbarin. »Mein Junge darf mich nicht mit Kummermiene sehen, und ich darf ihm unsere Trennung durch meine Schwäche nicht noch schwerer machen. Es ist nur richtig, dass Herren von seinem Rang und Stand sich bewähren, wenn ihr Land sie ruft. Das ist auch immer die Art der Esmonds gewesen; und ich glaube und bete, dass die Allmacht, die meinen teuren Vater in zwanzig großen Schlachten zu Königin Annas Zeiten gnädig behütete, auch über meinen Sohn wachen wird, da er nun an der Reihe ist, seine Pflicht zu tun.« Und damit, anstatt ihr Schicksal zu beklagen oder weiter darauf anzuspielen, ließ sich die resolute Dame mit ihren Freun­dinnen zu einer Tasse Kaffee und zu einem Kartenspiel nieder, während die Herren in dem angrenzenden Empfangszimmer immer noch bei ihrem Wein saßen und Ihre Trinksprüche ausbrachten. Als eine der Damen bemerkte, dass sie doch etwas sehr lange dabeiblieben, erwi­derte Madame Esmond, es würde ihre Jungen amüsieren und vervollkommnen, mit den englischen Herren zusammen zu sein. Solche Gesellschaft wäre in ihrer entlegenen Provinz selten zu finden; und obgleich ihre Unterhaltung manchmal etwas frei wäre, sei sie doch sicher, dass sie als Gentlemen und Herren von Stand Rücksicht auf die Jugend ihrer Söhne nehmen und nichts vor ihnen aussprechen würden, was junge Leute nicht hören dürften.

Es war offensichtlich, dass die englischen Herren die gute Bewirtung ausgiebig genossen. Indes die Damen noch bei den Karten saßen, kam Nathan herein und flüsterte mit Mrs. Mountain, die zuerst ausrief: »Nein, ich gebe keinen mehr heraus – den gewöhnlichen Bordeaux mögen sie trinken, und herzlich gern, wenn sie noch mehr brauchen – aber ich gebe keinen mehr von Oberst Esmonds.« Es stellte sich heraus, dass ein Dutzend Flaschen von einem ganz besonderen Claret von den Herren bereits ausgetrunken waren. »Außer Ale, Cicler, Burgunder, Portwein und Ma­deira«, zählte Mrs. Mountain die Zufuhren auf.

Aber Madame Esmond wünschte keine Beschränkung in der Gastlichkeit des heutigen Abends. Mrs. Mountain war gezwungen, sich mit ihren Schlüsseln in das geheiligte Gewölbe zu begeben, wo des Obersten erlesener Bordeaux lag und seinen Besitzer überlebte, der auch schon lange unter der Erde ruhte. Als sie sich auf den Weg machten, fragte Mrs. Montain, ob einer der Herren schon zu viel hätte? Nathan meinte, Mister Broadbent wäre beschwipst – er wäre immer beschwipst – und dann der Generalsherr; und dann meinte er, Master George wäre ein klein bisschen betrunken.

»Master George!«, rief Mrs. Mountain. »Wie, der rührt ja tagelang keinen Tropfen an.«

Indessen, Nathan beharrte auf seiner Bemerkung, dass Master George ein klein bisschen betrunken sei. Er hätte immerfort sein Glas gefüllt, hätte geschwatzt, gesungen und Witze gerissen, besonders über Mr. Washington, sodass Mr. Washington ganz rot und wütend geworden sei, erzählte Nathan.

»Gut, gut!«, rief Mrs. Mountain eifrig, »es ist ganz richtig, dass ein Gentleman in guter Gesellschaft lustig ist und mit seinen Freunden die Flasche kreisen lässt.« Und sie trabte nur noch schneller in den abgelegenen Bordeauxkeller.

Der freie und fast unverschämte Ton, den der junge George Esmond in den letzten Tagen gegen Mr. Washington angeschlagen hatte, ärgerte diesen Herrn und verdross ihn tief. Es war kaum ein halbes Dutzend Jahre Unterschied zwischen ihm und den Zwillingen von Castlewood; aber Mr. Washing­ton war immer durch eine Besonnenheit und Würde aufgefallen, die weit über sein Alter hinausging, während die Jungen von Castlewood jünger schienen, als sie waren. Sie hatten bisher stets unter ihrer Mutter besorgter Vormund­schaft gestanden und zu ihrem Nachbarn von Mount Vernon als zu ihrem Führer, Lenker und Freund aufgesehen – wie es tatsächlich fast jeder zu tun schien, der mit diesem schlich­ten, aufrechten jungen Mann in Berührung kam. Da er selbst von peinlichstem Ernst und guter Lebensart war, schien er in seinem Umgang mit anderen Leuten bei ihnen dasselbe Betragen zu erzwingen oder doch zumindest hervorzurufen. Sein Wesen war über Mutwilligkeit und Scherze erhaben – an ihn gerichtet, verloren sie ihre Wirkung. Er verstand sie nur langsam, und sie schlichen sich gleichsam beschämt aus seiner Gesellschaft fort. »Er schien mir immer groß«, schreibt Harry Warrington in einem seiner Briefe viele Jahre später, »und ich stellte ihn mir nie anders denn als Helden vor. Wenn er nach Castlewood kam und uns Jungen die Feldmesskunst lehrte, wenn man ihn mit den Hunden jagen sah, es war immer, als ob er eine Armee befehligte. Wenn er einen Schuss abfeuerte, so müsste, dachte ich, der Vogel mit Sicherheit fallen, und wenn er ein Netz auswarf, so waren bestimmt die größten Fische des Flusses darin. Er machte nie viel Worte, aber sie waren immer weise, nicht unnütz, wie unsere es sind, sondern ernsthaft, nüchtern und kraftvoll und für die jeweilige Gelegenheit geeignet, ihre Schuldigkeit zu tun. Trotz seiner natürlichen Abneigung gegen ihn, achtete und bewunderte mein Bruder den General genauso wie ich selbst – und das heißt, mehr als irgendeinen Sterblichen.«

Mr. Washington verließ als Erster die heitere Gesellschaft, die Madame Esmonds Gastlichkeit so viel Ehre erwies. Der junge George Esmond, der seiner Mutter Platz eingenom­men hatte, war sehr zwanglos mit der Zunge und dem Glas verfahren. Er sagte seinem Gast eine Menge Dinge, die jenen ärgerten und verletzten und auf die Mr. Washington nichts zu erwidern wusste. Wütend über jedes erträgliche Maß hinaus, stand er schließlich von der Tafel auf und trat durch das offene französische Fenster auf die große Veranda oder Loggia, die zu Castlewood wie zu jedem Haus in Vir­ginia gehörte.

Hier bekam Madame Esmond die hohe Gestalt ihres Freun­des zu Gesicht, wie er vor den Fenstern auf und ab schritt; und da der Abend warm war und ihr Spiel gerade vorüber, gab sie die Karten an eine der anderen Damen weiter und schloss sich ihrem würdigen Nachbarn draußen an. Der ver­suchte, seine Züge zu beruhigen, so gut er vermochte – er konnte unmöglich seiner Gastgeberin erklären, warum und auf wen er wütend war.

»Die Herren sitzen lange bei ihrem Wein«, begann sie, »die Gentlemen von der Armee sind ihm immer sehr ergeben.«

»Wenn Trinken den guten Soldaten macht, zeichnen sich einige da drinnen hervorragend aus, Madame«, erwiderte Mr. Washington.

»Und der General ist wohl an der Spitze seiner Truppen?«

»Ohne Zweifel, ohne Zweifel«, erwiderte der Oberst, der die Bemerkungen dieser Dame, ob ernst oder scherzhaft, immer mit besonderer Sanftmut und Freundlichkeit auf­nahm. »Aber der General ist der General, und mir steht es nicht zu, über seiner Exzellenz Taten bei Tisch oder anderswo Glossen zu machen. Ich glaube, es ist höchstwahr­scheinlich ein großer Unterschied zwischen den Herren vom Militär, die zu Hause geboren und erzogen sind, und uns hier in den Kolonien. Bei uns scheint die Sonne so heiß, dass wir den Wein nicht brauchen, um unser Blut zu befeuern, so wie sie. Und Gesundheiten zu trinken, scheint bei ihnen eine Ehrensache zu sein. Talmadge rülpste – ich sollte sagen flüsterte – mir eben jetzt zu, dass ein Offizier das Trinken bei einem solchen Spruch so wenig ablehnen könne wie eine Forderung; und er behauptete, dass er nur mit Widerwillen und größter Mühe gelernt hätte zu trinken. Er hat diese Schwierigkeit mit ungewöhnlicher Entschlossenheit überwunden, das ist sicher!«

»Worüber, frage ich mich, könnt Ihr nur so viele Stunden plaudern?«, sagte die Dame.

»Ich glaube nicht, dass ich Euch alles erzählen könnte, wovon wir sprechen, Madame, und ich darf nicht aus der Schule schwatzen. Wir sprachen über den Krieg, und wie stark Mr. Contrecoeur sein mag, und wie wir ihn besiegen sollten. Der General ist dafür, den Feldzug in seiner Kutsche abzumachen und nimmt ihn, wie auch den Feind, sehr leicht. Dass wir ihn schlagen werden, wenn wir ihn treffen, darüber ist, glaube ich, kein Zweifel.«

»Wie könnte es auch?«, bekräftigte die Dame, deren Vater unter Marlborough gedient hatte.

»Mr. Franklin, obgleich er doch nur aus Neu-England ist«, fuhr der Gentleman fort, »sprach mit großer Vernunft und Einsicht und würde noch mehr gesagt haben, wenn die englischen Herren es zugelassen hätten. Aber sie erwidern unweigerlich, dass wir nur ungeübte Provinzler wären und nicht wüssten, was disziplinierte englische Truppen ausrichten könnten. Sollten sie nicht am besten eilen und Chaus­seen bauen und bequeme Gasthäuser für Seine Exzellenz am Ende des Tagesmarsches bereithalten?«

»Es gibt hier eine Sorte Gasthöfe, glaube ich«, sagte Mr. Danvers, »die nicht so behaglich sind wie unsere in England. Das können wir auch nicht erwarten.«

»Nein, das könnt Ihr nicht erwarten«, bemerkte Mr. Franklin, der eine sehr verschmitzte und witzige Person zu sein scheint. Er trinkt sein Wasser und lacht offenbar im Stillen über die Engländer; doch zweifle ich, ob es fair ist von einem Wassertrinker, die Schwächen der Herren beim Wein aus­zuspähen.«

»Und meine Jungen? Ich hoffe, sie benehmen sich ver­ständig?«, fragte die Witwe, ihre Hand auf den Arm des Gastes legend. »Harry versprach es mir, und wenn er sein Wort gibt, kann ich ihm in allem trauen. Und George ist ja immer mäßig. Warum seht Ihr so ernst aus?«

»Wahrhaftig, um offen mit Euch zu sprechen, ich weiß nicht, was dieser letzten Tage in George gefahren ist«, antwortete Mr. Washington. »Er hat irgendeinen Groll gegen mich, den ich nicht verstehe, und ich mag nicht gern nach dem Grund fragen. Er sprach vor den Herren in einer Weise zu mir, die ihm kaum ziemt. Wir sind im Begriff, zusammen ins Feld zu ziehen, da ist es ein Jammer, dass wir nicht gute Freunde sind.«

»Er war krank. Er ist immer wild und wetterwendisch und schwer zu verstehen. Aber er hat das liebevollste Herz der Welt. Ihr werdet Euch mit ihm vertragen, Ihr werdet ihn beschützen – versprecht es mir.«

»Teure Lady, mit meinem Leben will ich das«, sagte Mr. Washington mit großem Feuer. »Ihr wisst, ich würde es gern für Euch und jeden, den Ihr liebt, opfern.«

»Und die Segenswünsche meines Vaters wie die meinen begleiten Euch, teurer Freund«, rief die Witwe voller Dank und Rührung.

Während ihrer Unterhaltung hatten sie die Veranda ver­lassen, wo ihr Gespräch begonnen wurde, und wo man das Gelächter und die Trinksprüche der Herren beim Wein vernehmen konnte, und nun spazierten sie über den Rasen­platz vor dem Haus. George Warrington konnte von seinem Platz an der Spitze der Tafel im Esszimmer sehen, wie das Paar auf und ab schritt; er hatte schon seit einiger Zeit nur sehr zerstreut auf die Bemerkungen der Herren rundum gehört und geantwortet. Jedoch die waren zu sehr in ihre Unterhaltung, ihre Scherze und Getränke vertieft, um dem Benehmen ihres jungen Wirtes viel Aufmerksam­keit zu widmen. Mr. Braddock liebte ein Lied nach dem anderen, und Mr. Danvers, sein Adjutant, der einen schönen Tenor hatte, entzückte den General eben durch das letzte Chanson aus Marybone Gardens, als George Warrington aufsprang, zum Fenster rannte, dann wieder zurückkam und seinen Bruder Harry am Ärmel zupfte, der mit dem Rücken zum Fenster saß.

»Was ist los?«, fragte Harry, der ebenfalls ganz bezaubert war von dem Lied und dem im Chor gesungenen Refrain.

»Komm«, rief George, mit dem Fuß aufstampfend, und der Jüngere folgte ihm gehorsam.

»Was los ist?«, fuhr George mit einem scharfen Fluch fort. »Siehst du es nicht? Sie haben heute Vormittag geschnäbelt und gegirrt, sie girren und schnäbeln jetzt, ehe sie zu Nest gehen. Sollten wir uns nicht lieber beide in den Garten begeben und Mama und Papa unsere Reverenz erweisen?« Und er deutete auf Mr. Washington, der die Hand der Witwe sehr zärtlich in die seine nahm.

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