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Vom Schneiderlein mit den drei Hunden

Vom Schneiderlein mit den drei Hunden

Ein armes Schneiderlein hatte zu Hause nichts zu verlieren und ging auf Reisen. Da lief ihm mitten im Wald ein großer Hund in den Weg, bot ihm die Zeit und fragte es, ob es ihn nicht mitnehmen wolle.

»Ei, warum nicht, so du mir dienstbar und zu Willen sein willst; lauf du nur in Gottes Namen hinter mir drein!«

Über eine kurze Wegstrecke kam ein zweiter Hund, trug ihm seine Dienste an und wurde des ersten Kamerad, und — es mochte halt ein närrischer Tag sein, – ehe noch der Abend sank, waren es ihrer drei; ob sich gleich unser Schneiderlein den Kopf kraute und die alte Mütze von einem Ohr aufs andere schob, wenn er es bedachte, wie er wohl drei Hunde ernähren möchte, da er sich selbst nur mit Ach und Krach durch die lei­dige Welt schlug. Aber der Hund sah ihn mit so guten Augen wie ein bittend Mägdlein an. Das Schneiderlein hatte ein zu gutes Herz und, das Beste, was ein armer Teufel haben mag, auch ein leichtes, sorgloses Herz, und dachte sich: »Gott wird uns vieren schon weiterhelfen; wer weis, wofür es gut ist.« Nun, dessen sollte er gleich gewahr werden. Es war dunkel worden, Beine und Magen des Schneiderleins waren einer Meinung: es sei Feierabendzeit und recht die Stunde, einen guten Imbiss zu tun. Da war auch schon der Wald zu Ende, ein fettes Dorf lag einladend vor ihnen, und gleich an der Wegecke hinter der Brücke winkte ein stattliches Wirtshaus. Da wurde dem Schneider weh ums Herz; denn es gedachte seines mehr als mageren Beutelchens und der gedeihlichen Sachen, die man da drinnen für gute Batzen haben könnte.

Kaum hatte er es gedacht, sprach der erste Hund: »Kopf hoch, Herrlein, wenn es weiter nichts ist! Geh du nur forsch hinein, bestelle Abendbrot für vier Mann, das Bezahlen lass unsere Sorge sein.«

Des Schneiderleins leichtsinniges Herz war ein gläubiges Herz; so schwang er die Elle wie ein Streiter des Herrn ums Haupt, trat wie ein großmögender, dickbäuchiger Holländer und Kaufherr mit großen Pracht ein, schlug auf den Tisch: »Heda, Wirtschaft!«

Der Wirt kam mit untertänigem Krummbuckel herbeigeeilt, denn so herrisches Gebaren roch nach Dukaten, zog aber den ganz ergebenen Rücken wieder gerade, da er Felleisen, Schere und Elle ge­wahrte; doch der Gast trug eine so ohnegleichen zah­lungsfähige Miene zur Schau, tat so verwöhnt.

»Hat Er was Gescheites, Herr Wirt? Nun, wir wollen es versuchen. Man lernt fürlieb nehmen unterwegs; aber beeil Er sich; und einen guten Trunk, vom Besten, ver­standen?«

So spricht nur ein gespickter Goldsack, dachte der Wirt, und indes der Gast es sich im weichsten Lehnstuhl behaglich machte und die Beine erschreckend lang unter den Tisch streckte, trug der Wirt geschäftig auf, was das Haus vermochte: Gesottenes und Gebratenes, Wein und schäumendes Bier.

»Für vier Personen befehlen der gnädige Herr?«, fragte lächelnd der Gast­wirt. »Ich sehe aber Euer Gnaden allein …«

»Schwatz Er kein Langes und Breites, und tu Er, wie ich befohlen!«, herrschte ihn der Schneider an; denn schlimm läuft es doch ab, dachte er, da will ich mir vor­her doch eine Güte tun und den großen Herrn spielen. Große Herren aber, so viel wusste er doch schon von der Welt, sind grob. Der Wirt gehorchte erschrocken, die Wirtin aber stand dick und breit hinterm Schank­tisch und wartete mit großen, runden Augen, wie das Ding wohl laufen würde; denn der Schneider sah nicht aus wie einer, der für viere aß. Kaum aber, dass auf­getragen war, brachen die drei Hunde herein, sprangen jeder auf einen Stuhl und aßen und tranken mit vielem Anstand, dass die Wirtin ob solchem verständigen Getier mit »Jemine!« und »Was man doch alles er­lebt!« kein Ende fand, der Wirt aber sich scheu an dem Gast vorbeidrückte, den er für einen Hexenmeister hielt. Denn er war, muss man wissen, ein arger Schelm und Betrüger, und darum lebte er in beständiger Angst, einen zu treffen, der noch schlauer und durchtriebener wäre denn er und sein dickes Weib. Die klugen Hunde kannten ihn wohl, und nach dem Essen sprach der erste zu seinem Herrn: »Nimm du jetzt den Weg zwischen die Beine, lass all dein Gepäck hier liegen, ich steh dafür ein; die Zeche bringen wir indes in Ordnung.«

»Ich bin euch verbunden, meine Freunde«, sprach das Schneiderlein, »mir soll es recht sein.« Er stand auf und reckte sich, fing ein freundliches Geplauder mit der Wirtin an, immer mit der Miene eines Gönners und Welt­manns.

»Ein ansehnlich Dörflein, Frau Wirtin.«

»Ei ja, es muss angehen, gnädiger Herr.«

Dann fragte er nach den Erträgnissen des Bodens, ob kein Haus hier zu verkaufen sei; die Gegend dünke ihn lieblich und die Luft gesund. So, so? Am anderen Ende, wo der Wald angrenze? Der Wald? Vortrefflich, das sei ganz so sein Gusto! Schöne Buchen, gelt? Ja, aber das Grundstück werde kaum groß genug sein, fürchte er; er wolle Pfirsiche ziehen und eine ganz edle Kartoffel.

»Ei der tausend!«, staunte die Wirtin.

»Ja, eine Kartoffel, die hier im Land ganz unbekannt, als Spalierobst, muss sie verstehen.«

»Nicht möglich!«

Indes er könne ja zur Verdauung mal das Dorf hinaufgehen und sich Haus und Hof beschauen, auch die Nachbarschaft, denn er sei gar heikel. Dass sie ihm nur gut auf sein Gepäck acht habe!

»Versteht sich, gnädigster Herr!«

»Also bis nachher, Frau Wirtin!«

»Wünsche, wohl gespeist zu haben, gnädiger Herr.«

Damit ging er. So wie die Stube einen Augenblick leer war, fasste jeder der drei Hunde ein Stück des Gepäckes, und weg waren sie.

Der Wirt und seine dicke Frau warten heute noch, dass der gnädige Herr von seinem Verdauungsspaziergang zurückkehre, sind aber beide nicht in sich gegangen, darum, dass ein an­derer mal der Schlauere gewesen war.

Die Hunde aber führten ihren Herrn noch am selben Abend zu einem Schloss im Wald. Da schaute ihn der Erste groß an und wedelte freundlich: »Hast du Wage­lust, Herrlein?«

»Mehr denn Geld.«

»So binde uns an einen Strick und führ uns in das Schloss und verkauf uns den Riesen da drinnen!«

»Hm, Riesen, sagst du?«, meinte das Schneiderlein und kraulte sich hinter den Ohren. »Mit derlei großen Herren soll un­bequem verkehren sein.«

»Sei keine Bangbüchs, Herrlein; dies eine Mal halt die Ohren steif, dann bist du ein gemachter Mann. Guck, hier hast du etwas, was du bei keinem Krämer erhökern kannst. Hiermit getraue ich mich, mitten durch die Hölle zu marschieren.« Da­mit gab ihm der eine Hund ein Salbentöpfchen: »Be- streichst du damit einen Stuhl, so bleibt jeder kleben, der sich daraufsetzt.«

Der Zweite gab ihm ein Haselstöcklein: »Wen du damit vor den Kopf triffst, der tut keinen Pieps mehr!«

Der Dritte gab ihm ein Hörnlein: »Bist du in Not, so blase uns herbei!« Die drei wunderlichen Kleinode hatten sie unter einem großen Wachholderbusch aus dem Boden gescharrt. Es waren eben aus der Maßen kluge Hunde.

»Ja, wenn dem so ist, meine Herren«, sagte der Schneider zu den Hunden, »so will ich es in Gottes Namen wagen.« Zur Probe setzte er das Hörnlein an den Mund. Ach, sein bisschen Atem war so dünn wie ein Zwirnsfaden, aber das klang, als bliese ein stämmiger Erzengel die himmlische Posaune, dass der Schneider deswegen vor sich selbst Hoch­achtung bekam.

Mutig trat er, die Hunde am Seil, ins Riesenschloss, stieg eine breite Marmortreppe hinauf – das heißt: Er stieg nicht, er klomm und turnte mit Händen und Füßen die gewaltigen Stufen, die für ganz andere Beine berechnet waren, mühsam hinauf, kam keuchend und schwitzend vor eine Saaltür, an der die Klinke so hoch saß, dass er sich wie ein kleines Kind mit seinem ganzen Leibesgewicht daran hängen musste; womit nun freilich nicht viel gesagt ist, denn wenn er sich gleich heute Abend plump satt gegessen hatte, es reichte doch nicht! Da hörte er von drinnen eine Stimme, vor deren Drohnen ihm das Haar zu Berge stand: »Krabbelt da eine Ratte an der Saaltür?«

Gleichzeitig flog die Tür nach innen auf, und unser Freund, noch mit einem Arm an der Klinke hängend, wurde in schönem Bogen in den Saal hineingeschwenkt. Brüllendes Gelächter der Riesen, die an einer langen Tafel zechten, begrüßte seinen seltsamen Eingang: »Ein lebendiger Hampel­mann, Bravo!« und sie klatschten, dass von der Luft­erschütterung der Schneider Leibweh bekam. Mit ihm waren die Hunde hineingeschlüpft.

»Mut,« flüsterte der eine, »es steht gut, sie sind betrunken und lachen«.

Da zog der Schneider, der seine Füße wieder gefunden hatte, gar zierlich den Hut, machte einen possierlichen Kratzfuß, und ob die Herren Riesen nicht drei schöne Hunde kaufen täten. Sie beschauten sie rechts und links.

»Gut, Freund«, sprach der Längste, der ein recht fuchsbärtiges Galgenvogelgesicht hatte, »wir wollen sie behalten. Wir sperren sie gleich in den Zwinger unten. Warte du derweil hier, bis wir wiederkommen und dir dein Geld bezahlen.« Dabei kniff er das linke Auge ein und puffte seinen Nachbar in die Seite; der kniff auch das Auge ein und gab den Puff an den Dritten und so fort.

Dass die wüsten Kerle nichts Gutes mit ihrem Gast im Sinn hatten, das zu merken, brauchte es nicht der schweren Menge Witzes, die unser Schneider besaß. Wiehernd polterten sie hinaus.

Pfeift der Wind aus dem Loch?, dachte der Kleine. Hoho, wir sind auch noch da! Kletterte mühsam auf alle Stühle und schmierte sie säuberlich mit seiner Salbe ein. Alsbald tobten die ungeschlachten Kumpane wieder herein und schnoben ihn an: »Du hast uns betrogen, du spinnbeiniger Gauner! Dafür sollst du, so mager du bist, gefressen werden!«

»Wenn die Herren meinen«, sprach der Schneider, und dabei bebte ihm nicht einmal die Stimme. »Warum nicht? Was liegt an mir? Aber, meine Herren, Ordnung ist das halbe Leben: Hübsch nach Urteil und Recht, so gehört sich das. Wenn die werten Herren Platz nehmen wollen. Ich stelle mich dort drü­ben auf und will versuchen, mich kunstgerecht zu ver­teidigen.«

Die Riesen lachten: »Macht ihr Menschengeziefer das so? Gut, lassen wir uns den Spaß mal gefallen.«

Sie nahmen erwartungsvoll und auf­geräumt Platz an der Tafel. Der Schneider nahm einen Schemel, setzte sich ihnen gegenüber, stopfte sich einen Pfeifenstummel und qualmte sie an. »So wird es gemacht, damit ihr es lernt!« Er paffte und paffte.

»Nun, wird’s bald?«, knurrten die Riesen.

»Ei, ich bin schon fertig, ihr Herren, und somit verurteile ich euch allzumal zum Tode.«

Da lachten die Unholde über den spaßhaften kleinen Kerl, dass der Kalk von den Wän­den fiel. Schließlich dauerte ihnen die Sache zu lange, sie wollten aufstehen und das Schneiderlein fassen. Ja, prost die Mahlzeit, da kleben sie alle fest und ver­strickten sich, wie sie dagegen ankämpften, wie in un­sichtbaren Netzen immer fester, bis keiner ein Glied mehr rühren konnte.

Da schlug der Schneider in guter Ruh, während er qualmend und schmauchend die lange Reihe abwandelte, mit seiner Haselgerte einen nach dem anderen vor den Kopf. Da waren sie alle mausetot.

»So, nun wollen wir uns ein wenig verschnaufen«, sagte Schneiderlein – sollt ihm aber nicht vergönnt gewesen sein: Schwere Tritte tappten draußen, und herein trat ein Riese, gegen den die anderen Schneiderleins waren. Das war der Riesenkönig, der heimkam von der Jagd. Er riss die Augen auf und sperrte das Maul auf wie ein Scheunentor, da er die Toten sah.

»Wer tat das?«, donnerte er.

»Ich, halten zu Gnaden«, piepste das Schneiderlein.

Der Riese schaute ihn lange sprachlos an. Endlich packte er ihn bei den Beinen. »Zum Fressen bist du zu kümmerlich, will dich als Spatzenschreck im Garten aufhängen.«

Schon hatte er das Männlein, das sich in seinen Eisenfingern wand, auf einen himmelhohen Ast gesetzt und drehte gerade die Schlinge, da erwischte dies in Todesnöten das Hörnlein und blies, blies, blies, als sollte es platzen. Da fielen die drei Hunde, ihrer Ketten ledig, nunmehr zu riesenhaften Ungeheuern gereckt, über den Riesenkönig her und zerrissen ihn. Vor freudigem Schreck plumpste der Schneider vom Baum, fiel aber weich, da er ein windliches Figürchen war; rappelte sich auf und fiel den Hunden einem nach dem anderen um den Hals. »Jetzt ist das Schloss«, sprach der Erste, »von den tücki­schen, zaubermächtigen Riesen befreit. Nun brauchst du uns drei nur noch die Köpfe abzuschlagen!«

»Lieber sterbe ich!«, schrie der Schneider. »So zerreißen wir dich wie den Riesen, wenn du uns jetzt zu gutem Ende nicht gehorsamen willst. Da liegt des Riesen Jagdmesser – eins – zwei«

»Drei!«, stöhnte der Schneider, mit abgewandtem Gesicht das lange, schwere Messer mit beiden Ärmchen bebend, und schlug zu – und noch einmal – und noch einmal. Dann war alles still.

Totenblass, bebenden Herzens drehte er sich langsam wieder um und sah nichts. Da hörte er mit herz­innigem Lachen seinen Namen hinter sich rufen: Potzblitz, stand da ein stattlicher König nebst zwei bild­hübschen Prinzessinnen!

»Hab die Ehre«, stotterte unser Held und verneigte sich.

»Hab Dank, wackerer Geselle«, erwiderte der König lachend und streckte ihm die Hand hin. »Du hast uns erlöst, wir waren …«

»Doch nicht die drei Hunde? Halten zu Gnaden: die Herren Hunde!«

»So ist es, mein Freund, und des zum Dank gebührt dir eine meiner Töchter als Gattin.«

»Wenn es denn nicht anders sein soll, so bin ich so frei«, sagte der Schneider und ergriff die Hand der Älteren, und sie gingen zum Schloss. Drinnen aber, da der Riesenzauber gelöst war, wimmelte es von edlen Herren und Damen, die alle den Schneider als Erlöser begrüßten. Der Wald rings umher war eine prächtige Stadt ge­worden mit vielen Giebeln, Zinnen, Türmen und Kir­chen, alle Vögel und alles Waldgetier fleißige, fröhliche Menschen. Am folgenden Tag gab es eine Hochzeit – eine Hochzeit! Ja, wer da hätte mittun dürfen!

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