Der Engelseher
Der Weiße wagte nicht, sich auch nur für einen Herzschlag lang von seinem Schutzbefohlenen abzuwenden – sein Einfluss war zu einem bloßen Hauch geworden, und wenn er auch diesen noch dem Schwarzen überließ, würde er den Sterblichen verlieren. Er war so jung, keine zwanzig Jahre – so viel war noch übrig, für das es sich zu leben lohnte, aber er wünschte nur den Tod herbei.
Jedem Menschen stehen ab seiner Geburt zwei Engel zur Seite. Die weißen Engel schützen die Menschen vor den düsteren Einflüssen, die danach trachten ihre Seelen in den Abgrund zu ziehen, die schwarzen Engel dagegen heißen sie dort willkommen. Der junge Jeash ist so stark von seinem Todeswunsch getrieben, dass sein weißer Engel Malach versagt und der Junge sich von einem Hochhausdach in die Tiefe stürzt. Da opfert Malach sein Herzblut, um Jeash zu retten und nur Ezariel, Jeashs schwarzer Engel, bleibt als Beschützer des Jungen. Doch Jeash ist kein gewöhnlicher Mensch, denn er vermag, seinen Engel zu sehen. Eine Gabe, die den Menschen normalerweise verwehrt ist.
… den schwarzen Engeln gingen die dunklen Töne na, und es war ihnen nicht gegeben, Farbe in der Welt zu sehen außer Schwarz und Weiß, wo ihre lichten Geschwister sie bunten Reigen sahen. Was also, zum Morgenstern, ging da vor sich? Und noch während er dastand und den Bruder, den er liebte und der die andere Hälfte seines Schicksals war, am liebsten in die Arme schließen wollte, sah er noch etwas anderes.
Mit Der Engelseher legt Jungautorin Laura Flöter einen beeindruckenden Roman weit abseits bekannter Phantastikklischees vor. Zwar verwendet die Autorin allseits bekannte Zutaten der Urban Fantasy (Menschen und Engel, die sich ineinander verlieben), doch steht hier bei Weitem nicht das Liebesglück zwischen zwei Spezies und schon gar keine gemeinsam zu bestehende Abenteuer in Groschenheftmanier im Vordergrund. Obschon Der Engelseher eine Grundstory um die Liebe zwischen Mensch und Engel aufweist, konzentriert sich die Autorin wesentlich stärker auf die zerrissenen und schwermütigen Innenwelten ihrer Figuren.
Die wirkliche, alltägliche Welt kommt in dem Roman so gut wie nicht vor. Viel mehr wirkt die komplette Handlung mit ihrer Handvoll Personen wie in einer fremden Sphäre angesiedelt oder wie aus einer fremden Welt heraus beobachtet. Sehr stark trägt außerdem zu dieser traumhaften Stimmung bei, dass viele Dinge hier scheinbar willkürlich geschehen, ohne recht nachvollziehbar motiviert zu sein.
Die Handlung ist dementsprechend nicht durchgängig entwickelt, sondern springt eher von Szene zu Szene, wo sie dann jeweils verweilt um wiederholt tief und schwer in das Innenleben der Protagonisten einzudringen.
Wer damit leben kann, dass das Geschehen des Öfteren auf der Stelle tritt, wird mit einem außergewöhnlichen, herausfordernden Leseerlebnis belohnt, das Laura Flöter mit ihrem bewusst ausladenden und elegischen Schreibstil hier bietet.
Der Engelseher ist bereits der siebente Beitrag aus Alisha Biondas ARS LITTERAE-Reihe, die für außergewöhnliche Leseerlebnisse in ansehnlicher Aufmachung konzipiert ist. Das Titelbild, wie auch die Innengrafiken, wurde eigens für den Roman von Crossvalley Smith gestaltet und fügt sich samt Titeldesign wieder sehr passend in das schöne Reihenlayout von Atelier Bonzai ein. Insgesamt wirkt das Buch durch das Überformat, die Verarbeitung und das vortreffliche Innere sehr hochwertig.
Fazit:
Herausfordernde Lektüre und ein nicht alltäglichen Leseerlebnis in gewohnt guter Aufmachung.
Copyright © 2012 by Elmar Huber
Laura Flöter
Ars Litterae Band 7
Der Engelseher
(Hrsg. Alisha Bionda)
Fabylon-Verlag
Markt Rettenbach, 2012
TB im Überformat, Phantastik
200 Seiten, 14,90 Euro
ISBN: 9783927071513
Covermotiv von
Crossvalley Smith