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Der Welt-Detektiv – Band 11 – 1. Kapitel

Der Welt-Detektiv Nr. 11
Johnson, der Boxerkönig
Verlagshaus für Volksliteratur und Kunst GmbH Berlin

1. Kapitel

Ein geheimnisvolles Verbrechen

Am 3. Juni, nachmittags kurz vor fünf Uhr, wurde plötzlich die Musikübertragung aus dem Prince of Wales-Konzerthaus in Lewisham unterbrochen. Das war umso verwunderlicher, weil es sich um eine ganz beson­ders künstlerische Darbietung handelte, an der nicht nur London, sondern auch ein großer Teil der übrigen engli­schen Sender wie Belfast, Cardiff. Daventry und New­castle teilnahmen. Tausende von Hörern, die gebannt der wundervollen Musik gelauscht hatten, saßen nun vor ihren Empfangsapparaten und schüttelten die Köpfe, gespannt auf die Erklärung wartend, die jeden Augen­blick von der Sendestation aus gegeben werden musste.

Da erklang auch schon das Londoner Rufzeichen.

»Ladies und Gentlemen!«, scholl die Stimme des Spre­chers aus den Lautsprechern. »Die Unterbrechung der Übertragung erfolgt auf eine Weisung hin, die uns so­eben von Scotland Yard zuging. Gemäß dem Inhalt die­ser Meldung geben wir Ihnen Folgendes bekannt: In sei­nem Laboratorium zu Newton wurde heute Mittag der bekannte Erfinder und Konstrukteur James P. Wellington schwerverletzt aufgefunden, die seine sofortige Überfüh­rung in eine Klinik notwendig machte, wo er in bedenkli­chem Zustand darniederliegt.

Mr. Wellington ist wahrscheinlich das Opfer eines von langer Hand vorbereiteten Raubüberfalls geworden, der, wie vermutet wird, von zwei Männern verübt wurde, die am Tage zuvor von mehreren Personen in der Nähe des Wellington’schen Laboratoriums gesehen und wie folgt beschrieben wurden. Der eine etwa 40 Jahre alt, auffal­lend groß und kräftig, Touristenanzug, braune Lederta­sche. Der andere bedeutend kleiner, etwa 1,60 m groß, schmales Gesicht, kleiner dunkler Schnurrbart, schwarzer Anzug, schwarzer Hut, hellbraune Stiefel und Spazier­stock.

Den Tätern sind wahrscheinlich größere Werte in ba­rem Geld und Wertsachen in die Hände gefallen, die Mr. Wellington im Tresor des Laboratoriums aufbewahrte.

Auf die Ergreifung der Verdächtigen ist eine Beloh­nung von 1000 Pfund Sterling ausgesetzt. Zweckdienli­che Mitteilungen, die auf Wunsch streng vertraulich be­handelt werden, sind zu richten an Inspektor Bird von der Mordkommission Scotland Yard oder an Sherlock Hol­mes. Bakerstreet.«

James P. Wellington war ein berühmter Mann, dessen unerschöpflicher Erfindergeist schon mehr als einmal die Welt überrascht hatte. Erst vor wenigen Tagen war durch die Presse bekannt geworden, dass Wellington mit um­wälzenden Neuerungen auf dem Gebiet des Raketenantriebes beschäftigt war, und Eingeweihte wollten wis­sen, dass der Erfinder bereits für den nächsten Monat eine Probefahrt mit dem von ihm erbauten Raketenauto ge­plant habe.

Wohin auch die Ätherwellen die inhaltschwere Kunde trugen, überall rief sie Aufsehen hervor. Auch an Bord der RESOLUTE gab der im Rauchsalon aufgestellte Laut­sprecher die Meldung wieder, obwohl sich der von New­port kommende Schnelldampfer noch zwei Tagesreisen von Southampton, dem englischen Hafen, befand.

Natürlich bedeutete auch hier das an Wellington verüb­te Verbrechen im Augenblick das Hauptgespräch. Da war nicht einer, dessen Blut nicht voller Zorn über die schur­kische Tat in Wallung geraten wäre, und wie einen Trost vernahm man, dass auch Sherlock Holmes die Schuldigen verfolgte.

»Ein Glück, dass Sherlock Holmes in England ist!«

»Sherlock Holmes wird die Halunken schon fassen!«

»Lange werden sich die Täter nicht ihrer Freiheit er­freuen, wenn Sherlock Holmes hinter ihnen her ist!«

So und ähnlich klangen die Rufe durcheinander. Und wie durch einen Zauberschlag stand plötzlich nicht mehr Mr. Wellington, sondern der geniale Weltdetektiv im Mittelpunkt der allgemeinen Unterhaltung.

Plötzlich rief jemand: »Wo ist Mr. Taxon? Er muss uns von seinen Abenteuern erzählen, die er mit Sherlock Holmes erlebt hat!«

Die Worte fanden hundertfältigen Widerhall.

»Mr. Taxon! Mr. Taxon!«, schallte es von allen Seiten. »Hallo, Mr. Taxon, wo stecken Sie?«

Ein jeder wusste, dass sich Harry Taxon, der früher jah­relang an des berühmten Kriminalisten Seite gegen die Verbrecherwelt gekämpft, sich seit einiger Zeit aber als selbständiger Detektiv etabliert hatte, an Bord der RESOLUTE befand. Was er mit dieser Reise über den Ozean bezweckte, war keinem bekannt, nur so viel hatte man erfahren, dass Harry Taxon nach London zu seinem ge­liebten Sherlock Holmes fahren wollte. Ob es sich hierbei nur um einen freundschaftlichen Besuch handelte oder ob ein neuer Fall dahintersteckte – wer konnte das wis­sen? Leute vom Schlag Harry Taxons ließen sich eben nicht in die Karten gucken.

Ein paar Herren machten sich auf, den jungen Detektiv, dessen Namen in den Staaten bereits einen guten Klang besaß, zu suchen. Wo mochte er sich aufhalten? In seiner Kabine? In der Offiziersmesse? Im Schwimmbad? An Deck?

Du liebe Zeit, das Schiff war groß, war ein riesiges schwimmendes Hotel, in dem 1500 Passagiere für die sechstätige Überfahrt Amerika – England Wohnung ge­nommen hatten! Kein Wunder also, dass man eine Stunde vergeblich suchte, um den Ersehnten dann plötzlich im Turnsaal, vergnügt am Reck schwebend, aufzufinden.

Unter indianischem Kriegsgeheul stürmte man auf ihn zu!

»Mitkommen! Mitkommen! Zweihundert Ohren harren Ihrer im Rauchsalon! Man ist schon ganz rebellisch! Vorwärts, Mr. Taxon, sträuben Sie sich nicht!«

Lachend kam Harry von seiner respektablen Höhe her­unter.

»Was ist denn los?, fragte er. »Kann man denn nicht einmal mehr in Ruhe seine täglichen Klimmzüge ma­chen?«

»Holen Sie morgen Ihre Klimmzüge nach, so viel Sie wollen«, erwiderte einer der Herren lustig, aber jetzt ist es aus mit der Turnerei. Man schreit sich heiser nach Ihnen. Sie sollen der Gesellschaft etwas von Sherlock Holmes erzählen! Der Name Ihres fabelhaften Meisters beherrscht nämlich seit einer Stunde das ganze Schiff!«

»Seit einer Stunde?«, wiederholte Harry Taxon verwun­dert. »Wie kommt denn das?«

»Na, das ist doch wirklich kein Wunder! Seit Sherlock Holmes’ Name im Laufe der Radioübertragung aus Lon­don fiel, gibt es …«

»Davon wusste ich ja gar nichts!« Harry Taxon wurde neugierig. »Um was handelt es sich denn?«

»Wissen Sie den noch gar nichts? Sherlock Holmes hat schon wieder einen neuen Sensationsfall übernommen. Es handelt sich um James P. Wellington. Denken Sie nur, man hat auf den Erfinder einen Mordanschlag verübt und nun …«

»Was?« Wie ein Schrei brach das Wort aus Harry Taxons Mund. Er wurde kreideweiß und starrte den Spre­cher sekundenlang wie erstarrt an. Dann packte er ihn aber am Arm und rief: »Wellington, sagen Sie? Der Er­finder James P. Wellington aus Newton?«

»Jawohl, Mr. Taxon. Mein Gott, was haben Sie denn?«

Harry ließ den Mann los. Es war, als habe ihn die Nachricht förmlich gelähmt. Niemand wagte im Saal zu sprechen. Entfernt stehende Gruppen kamen eilig herbei und blickten verwundert auf die seltsame Szene.

Plötzlich kam jedoch Leben in des jungen Detektivs sehnige Gestalt. Er schob die ihn Umdrängenden zur Seite und stürmte davon. An der Treppe, die zum Prome­nadendeck emporführte, prallte er mit dem Zweiten Steu­ermann zusammen. Er packte den Verdutzten an der Schulter und rief erregt: »Haben Sie auch gehört, dass man auf Wellington ei­nen Anschlag verübt hat?«

»Gewiss, Mr. Taxon«, lautete die erstaunte Antwort. Der Londoner Sender gab vor etwa einer Stunde die amt­liche Meldung darüber durch …«

Da jagte Harry Taxon davon. Zwei Minuten später stürmte er in die Station der Telegrafisten.

»Schnell!«, schrie er. »Schnell, schnell! Einer Funkde­pesche an Mr. Holmes! Funken Sie: Nichts unternehmen. Kenne Mörder. Eintreffen übermorgen Mittag. Harry Taxon.

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