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Buffalo Bill Der letzte große Kundschafter – 8. Kapitel

Buffalo Bill
Der letzte große Kundschafter
Ein Lebensbild des Obersten William F. Cody, erzählt von seiner Schwester Helen Cody Wetmore
Meidingers Jugendschriften Verlag, Berlin 1902

Achtes Kapitel

Türks Tod und Begräbnis

Dieser von Willis befehligte Frachtzug nahm nur zwei Monate in Anspruch, doch beteiligte sich Will fast unmittelbar darauf wieder an einer anderen Expedition, deren Ziel die beim Fort Wallace am Cheyennepass gelegene Poststation war.

Mittlerweile hatte die Mutter sich entschlossen, die durch die geographische Lage unseres Besitztums bedingten Vorteile zu benützen und den Gasthof Zum Waldhaus zu erbauen.

Das Gasthaus bot eine herrliche Fernsicht. Zu seinen Füßen lag das schöne Salzflusstal, das seinen Namen von den salzigen Bestandteilen des Flüsschens hatte, dessen kristallklare Fluten in steinigem Bett durchs Tal rauschten und sich dann in den schmutzigen Missouri ergossen. Von unserer Ansiedlung aus glich dieses Flüsschen einem silbernen Faden, der sich durch das üppige Grün des Tales schlängelte. Ringsumher lagen fruchtbare Farmen; von Osten nach Westen lief der von der Regierung benutzte, unter dem Namen der Alte Salzseepfad bekannte Verkehrsweg, und in unserem Rücken erhob sich der nach unserem Vater benannte Codyhügel. Unser Haus stand am Abhang dieses Hügels, an dem die Verkehrsstraße vorüberführte, und zwischen uns und dem Gipfel dieses kleinen Berges lag der Wald, der dem Haus seinen Namen gegeben hatte. Der gegen Osten gelegene sogenannte Government Hill verdeckte uns die Aussicht auf Leawenworth und den Missouri und erreichte im Süden seinen höchsten Punkt in dem ebenfalls von uns aus nicht sichtbaren Pilot Knob, der Anhöhe, wo der Vater seine letzte Ruhestätte gefunden hatte.

Das Aufblühen des Gasthauses rechtfertigte der Mutter Wagnis. Die Ochsenzüge, deren Weg über den eine halbe Meile lang ansteigenden Codyhügel führte, nahmen gerade vor unserem Haus Vorspann. Die steile Anhöhe hinauf mussten die Ochsengespanne verdoppelt werden, und oben angelangt, wurde das zweite Gespann wieder abgeschirrt, den Hügel hinuntergeführt und dann wieder vor einen weiteren Wagen gespannt. Auf diese Weise kam ein Zug, der meistens aus fünfunddreißig Wagen bestand, natürlich erst recht im Schneckengang vorwärts, und das Gasthaus wurde förmlich überflutet von hungrigen Fuhrleuten.

Will, der wohl wusste, dass sein Verdienst der Mutter bei den großen, durch den Bau des Gasthauses verursachten Kosten sehr zu statten kam, beabsichtigte bei Beginn des Winters, wo die Frachtzüge eingestellt wurden, sich an einer Expedition von Pelzjägern zu beteiligen. Gerade im Winter konnte bei diesem Geschäft mehr Geld verdient werden als zu jeder anderen Jahreszeit.

Das Unternehmen wurde mit Erfolg gekrönt und brachte nur ein einziges mit Gefahr verknüpftes Abenteuer. Will jedoch verstand es auch diesmal, durch Kaltblütigkeit und Geistesgegenwart die Gefahr nicht nur zu beseitigen, sondern sogar zu seinem Vorteil zu benutzen.

Eines Morgens, als er zur Besichtigung seiner Fallen auf einem Rundgang begriffen war, tauchten plötzlich drei Indianer vor ihm auf, von denen jeder ein mit Fellen beladenes Pony führte. Einer war mit einer Flinte bewaffnet, die anderen trugen Pfeil und Bogen. Das Verhältnis der Gegner war drei zu eins, wobei der Krieger mit der Flinte mehr ins Gewicht fiel als die beiden anderen.

Der mit der Schusswaffe versehene Indianer ließ sofort den Zügel los und hob seine Flinte, doch noch ehe er sie in Anschlag bringen konnte, hatte Will abgedrückt, und getroffen stürzte der Indianer aufs Gesicht. Seine Gefährten spannten die Bogen, ein Pfeil flog durch Wills Hut, ein anderer drang in seinen Arm. Es war die erste Wunde, die er erhielt. Lebhaft schwang er nun den Hut in der Luft und schrie, als befinde sich eine Schar Freunde in seinem Rücken: »Hierher, hier sind sie!« Dann verwundete er mit einem Pistolenschuss den zweiten Indianer, worauf dieser und sein Gefährte in der Annahme, dass sich feindliche Verstärkungen in der Nähe befinden, die Ponys im Stich ließen und entflohen.

Im Sturmschritt führte Will die beladenen Tiere ins Lager zurück, worauf sich die Pelzjäger entschlossen, sofort ihre Zelte abzubrechen. Die Jagd war ergiebig gewesen, und die wenigen Felle, die unter Umständen noch gewonnen werden konnten, wogen die Gefahr eines etwaigen Indianerangriffs nicht auf. So packten sie ihre Schätze zusammen und begaben sich nach Fort Laramie, wo Will eine hübsche Summe für die eroberten und selbsterlegten Felle erlöste.

Im Fort befanden sich zwei Männer, die voll Ungeduld etwa demselben Reiseziel wie Will zustrebten, und da es auch diesem sehr darum zu tun war, so bald als möglich nach Hause zu kommen, so schloss er sich ihnen an. Lieber wollten sie sich den Gefahren eines Rittes auf Indianerpfaden aussetzen, als auf das ungewisse Eintreffen eines Ochsenzuges warten. Sie kauften drei Pferde und einen Packesel für ihre Zelte und machten sich frischen Mutes auf den Weg.

Obwohl der Jüngste, so war Will doch der erfahrenste Präriekenner der kleinen Gesellschaft und erlahmte keinen Augenblick in seiner scharfen Wachsamkeit. Ohne etwas von Indianern zu bemerken, erreichten sie den Blue River, an dessen jenseitigem Ufer Will jedoch plötzlich eine Schar Rothäute entdeckte. Auch sie hatten die Weißen sofort bemerkt und ließen nun von ihrem begonnenen Jagdvergnügen ab, um sich der aufregenderen Verfolgung einer menschlichen Beute hinzugeben. Doch mussten sie erst das Flüsschen durchqueren, was den Weißen einen guten Vorsprung gab. Die Verfolger kamen trotzdem immer näher und näher, zum Glück aber senkte sich bald die Dämmerung hernieder, und unter ihrem Schutz entkam das Trio glücklich. Sie schlugen ihr Nachtlager in einer kleinen Schlucht auf, in der sie sowohl vor Indianern als auch vor Schneesturm geschützt zu sein hofften.

Eine prüfende Umschau in dieser Schlucht zeigte ihnen eine Höhle, die einen behaglichen Zufluchtsort versprach. Dort breiteten Will und einer seiner Gefährten ihre Decken aus und schliefen ein. Der dritte Mann, dessen Amt es war, das Abendessen zu bereiten, zündete ein Feuer in der Mitte der Höhle an und ging dann wieder hinaus, um noch mehr Brennmaterial herbeizuschaffen. Als er die Höhle wieder betrat, war sie von hellem Feuerschein erleuchtet. Nach einem flüchtigen Blick aber stieß er einen gellenden Schreckensruf aus, ließ das Brennholz fallen und entfloh.

Will und der andere Bursche hatten sich im Nu aufgerichtet und, einen Indianerüberfüll befürchtend, nach ihren Flinten gegriffen. Allein der Anblick, der sich ihnen darbot, war schreckenerregender als tausend Indianer. Etwa ein Dutzend gebleichter, grässlich aussehender Skelette lehnten neben dem Lagerfeuer an der Wand und schienen sich hin und her zu neigen und ihre erfrorenen Knochen der Feuersglut entgegenzustrecken.

So schauerlich es aber auch innerhalb der Höhle aussah, so fand es Will im Freien doch noch unbehaglicher.

»Na, hört mal,« sagte er zu seinen Gefährten, »jene alten toten Knochen tun uns nichts mehr zuleide. Lasst uns lieber wieder hineingehen.«

»Um keinen Preis, mein Söhnchen,« erwiderte der eine der Männer mit Entschiedenheit, und der andere stimmte ihm lebhaft bei, indem er heilig versicherte, er könne sonst acht Tage lang kein Auge mehr schließen. Somit bestieg die Gesellschaft nach flüchtig eingenommenem kalten Mahl wieder die Pferde und jagte davon. Der befürchtete Schneesturm erhob sich wirklich, steigerte sich schließlich zu einem förmlichen Orkan und zwang die Reiter, abzusteigen und auf freier Ebene ihr Lager aufzuschlagen. Dass sie eine recht erbärmliche Nacht verbrachten, lässt sich denken.

Aber auch sie fand ihr Ende, wie alles im Leben. Mit dem anbrechenden Morgen setzten die drei ihren Weg wieder fort und erreichten nach vielen Entbehrungen und Widerwärtigkeiten Marysville.

Von dort aus war die Reise weniger gefährlich, da es in dieser Gegend ziemlich viele Ansiedlungen gab, und so erreichte Will die Heimat ohne weitere Zwischenfälle. Hier fand er dann bei der Freude, der Mutter das viele erworbene Geld einhändigen zu können, reichen Lohn für alle Mühseligkeit. Er hatte das Bewusstsein, ihre Sorgen doch etwas erleichtert zu haben, Sorgen, die ihren Ursprung nur in dem einen Wunsch hatten, die Zukunft ihrer Kinder gesichert zu wissen, falls sie der Tod, der ihre Gesundheit all diese Jahre hindurch bedrohte, ereilen würde.

Es war Anfang März, als Will von seiner Pelzjagd zurückkehrte. Der Mutter Geschäft blühte, obwohl sie selbst mit jedem Tag hinfälliger wurde. Der nun folgende Sommer war für uns alle insofern recht traurig, da er Türks letzte Tage auf Erden brachte. Als er eines Abends friedlich schlummernd im Hof lag, stürzte plötzlich ein fremder Hund zum Tor herein, brachte Türk einen heftigen Biss bei und jagte wieder davon. Wir verbanden die Wunde, ohne ihr große Bedeutung beizumessen, bis einige Reiter heransprengten und riefen: »Habt ihr keinen Hund vorbeilaufen sehen?«

Voll Unwillen antworteten wir, dass allerdings ein fremder Hund vorbeigerast sei und unseren Hund gebissen habe.

»Dann gebt nur Acht auf ihn,« sagten die Männer im Weiterreiten, »der Hund war tollwütig.«

Höchste Bestürzung befiel uns. Der Gedanke, Türk könnte tollwütig werden, er, der Spielgefährte unserer Kindheit, er, der es besser verstanden hatte, sich unsere ganze Liebe zu erwerben, als vielleicht manches menschliche Wesen – der Gedanke war entsetzlich. Die Mutter, die wohl wusste, wie ernst die Sache war, erteilte sofort ihre Befehle. Türk musste eingeschlossen werden, und wir durften ihn längere Zeit nicht einmal besuchen. Noch gaben wir indes die Hoffnung auf seine Genesung nicht auf, bald aber konnte kein Zweifel mehr bestehen, dass das Gift in seinem Blut arbeitete, und dass wir ihm keine größere Wohltat erweisen konnten, als ihn zu töten.

Dies war eine entsetzliche Wahl. Will weigerte sich rundweg, ihn zu erschießen, und so wurde dem Knecht die traurige Verrichtung übertragen, wobei Will zur Bedingung machte, dass keine seiner Waffen gebraucht und ihm erlaubt würde, außer Hörweite zu gehen.

Gegen Abend vor Sonnenuntergang versammelten wir uns in betrübtem Schweigen zum Begräbnis. Auf der höchsten Spitze des Codyhügels war ein tiefes Loch ausgeschaufelt worden, und geschmückt mit schwarzen Bändern stiegen wir mit Türks Leichnam, den wir auf eine mit Moos bedeckte Bahre aus Tannenzweigen gelegt hatten, langsam den steilen Pfad hinan. Den Hut in der Hand, führte Will den Zug an, wobei er hin und wieder mit der geballten Faust nach seinen Augen fasste. Am Grab angekommen, bildeten wir weinend einen Kreis darum, und Will, der mich mit Vorliebe die kleine Predigerin nannte, forderte mich auf, das Vaterunser zu sprechen. Die Sonne ging unter und färbte die sich im Westen auftürmenden Wolken mit feuriger Glut. Wie Seufzen klang es aus den unter uns liegenden Baumkronen, und gedämpft drang der Lärm des Tales zu uns herauf.

»Unser Vater in dem Himmel,« flüsterte ich leise, während alle Kinder den Kopf senkten, »dein Name werde geheiligt, dein Reich komme, dein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel.« Ich hielt inne, und im Chor sprachen die übrigen Kinder den zweiten Teil. Am nächsten Tage verschaffte sich Will einen großen Block Blutstein, der in dieser Gegend massenhaft vorkommt, und ritzte, nachdem er ihn zu einem Viereck behauen hatte, in großen Buchstaben den Namen Türk darauf, worauf er den Block mit unserer Hilfe auf das Grab wälzte.

Wir Kinder hatten durchaus nicht das Gefühl, mit diesem feierlichen Begräbnis eine unpassende Handlung begangen zu haben. Türk hatte für uns getan, was ein Hund nur tun kann, und wir fanden es recht und billig, ihm dafür ein christliches Begräbnis zu teil werden zu lassen. Wahr und tief war unser Kummer; wir hatten einen treuen, aufrichtigen Freund verloren, und noch viele Tage danach schmückten liebevolle Hände sein Grab mit frischen Blumen. Ehre sei deinem Andenken, alter Türk! Möchten alle unsere einer höheren Stufe der Entwicklung angehörenden Freunde ebenso zuverlässig sein als du!

Ein außergewöhnlich tüchtiger Lehrer hatte nun die Schule in unserer Nachbarschaft unter sich, und so ließ sich Will von Neuem bereden, die Pfade des Studiums zu wandeln. Ein Winter voll strenger Arbeit verfloss; als aber der Frühling sich zu regen begann, die Knospen sprangen und das Gras emporsprosste, als die Vögel zurückkehrten und ihr Zirpen und Zwitschern aus tausend Nestern ertönte und die Geister der Prärie verführerisch winkten – da schloss sich Will einer Gesellschaft Goldgräber an, die auf ihrer weiten Reise zum Pikes Peak begriffen waren.

Das Goldfieber hatte seinen Kulminationspunkt im Jahre 1860 bereits überschritten. An unserem Haus war jener historisch gewordene Wagen vorübergefahren, der die stolze Überschrift trug: Pikes Peak oder Krach! Nachdem die Expedition dann nach einer Reihe von Enttäuschungen und Misserfolgen schließlich jämmerlich zu Grunde gegangen war, wurde es sprichwörtlich, jedem mit Humor aufgefassten Misserfolg die Bezeichnung verkracht zu geben.

Will war nun 14 Jahre alt und recht groß für sein Alter, dabei aber doch nicht so kräftig, als man es bei dem rauen Leben, das er führte, hätte erwarten sollen. Dass auch ihn das Goldfieber ergriffen hatte, war nicht allzu verwunderlich, noch weniger, dass die Mutter ihn nur voll Sorge einem neuen, gefahrvollen Leben entgegenziehen ließ. Allein schon in Auraria, dem heutigen Denver, gewann Will die Überzeugung, dass ein Vermögen im Goldland ebenso wenig auf der Straße zu finden sei als woanders.

Die Erfahrung hat die Ansicht bestätigt, dass die Menschen in der Erregung wahnwitziger Goldwut unfähig sind, ihren klaren Verstand walten zu lassen. Zudem ist außer beim Goldsuchen im Sand, das schließlich jeder lernen kann, das Goldgraben eine Kunst. Hin und wieder wird ja wohl ein Goldklumpen, der ein Vermögen wert ist, gefunden, trotzdem aber kann sich der Durchschnittsmensch mit geringerer Mühe einen besseren Lebensunterhalt auf fast jedem anderen Arbeitsgebiet verdienen. Um als Goldgräber reich zu werden, sind genaue Kenntnisse der Erze und des Bergbaues überhaupt unbedingt erforderlich.

Will kam jedoch niemals bis zu den Goldfeldern. Fast der erste Mensch, dem er in den Straßen von Julesburg begegnete, war George Chrisman, der bei Russell, Majors Waddell das Amt eines obersten Wagenmeisters versehen hatte, und mit dem Will bei den verschiedenen Frachtzügen, die er für die Firma mitgemacht hatte, bekannt geworden war.

Dieser Mann wohnte nun in Julesburg und war Direktor einer im Entstehen begriffenen berittenen Expressbriefpost. Diese Postverbindungslinie, die den Namen Pony-Expresslinie führte, war ein Unternehmen des Hauses Russell, Majors Waddell. Herr Russell traf eines Tages in Washington mit dem Senator von Kalifornien zusammen. Dieser Herr wusste, dass das in Leawenworth stationierte Frachtfuhrgeschäft für den Westen täglich eine vierspännige Postkutsche vom Missouri bis Sacramento abgehen ließ, und stellte Russell nun aufs Eindringlichste vor, wie wünschenswert es wäre, auf demselben Weg eine reitende Briefpost einzuführen. Wohl gab es schon eine solche, die unter dem Namen Butterfieldlinie bekannt war, doch ging sie nicht direkt und brauchte mindestens einundzwanzig Tage.

Russel unterbreitete die Angelegenheit seinen Teilhabern, die sich jedoch dagegen erklärten, da sie ein solches Unternehmen für ein verlustbringendes Wagestück hielten. Russel, der älteste Teilhaber, vertrat das Projekt jedoch mit einem solchen Eifer, dass die beiden anderen schließlich in einen Versuch einwilligten, und zwar zum Besten des Landes, ohne auf Gewinn zu rechnen. Die schon bestehenden, für die Frachtzüge eingerichteten Stationen wurden benutzt, und nach Verlauf von zwei Monaten sollte die Pony-Expresslinie bereits in vollem Betrieb sein.

Die Expressreiter erhielten Hundertzwanzig bis Hundertfünfzwanzig Dollar im Monat, ein hoher Lohn, den sie aber auch reichlich verdienten. Um einer solchen Anstellung gewachsen zu sein, waren große Körperkraft und Ausdauer erforderlich; zudem mussten die Reiter kaltblütig, mutig und entschlossen sein. Ihr Leben befand sich in steter Gefahr, auch waren sie verpflichtet, den doppelten Dienst zu tun, falls der Kollege, der sie abzulösen hatte, durch einen Überfall von Meuchelmördern oder Indianern außerstande gesetzt würde, seinen Dienst weiter zu verrichten.

Zweihundertfünfzig Meilen mussten täglich zurückgelegt werden, was einen Durchschnitt von etwas mehr als zehn Meilen in der Stunde ergab. In den Gegenden, wo der Weg besonders uneben und holperig war, konnte dieser Durchschnitt zwar nicht immer eingehalten werden, dafür erwartete man aber von den Reitern, dass sie auf den besseren Stellen des Weges dann fünfundzwanzig Meilen in der Stunde machten.

Bei einem solchen Eilritt war es selbstverständlich, dass die zu befördernde Last aufs Äußerste beschränkt werden musste. Briefe wurden auf das dünnste Postpapier geschrieben, denn das Porto betrug fünf Dollar für eine halbe Unze. Einhundert solcher Briefe ergaben ein Päckchen nicht größer und dicker als ein gewöhnliches Notizbuch.

Das Gewicht der Postsäcke – lederne, wasserdichte Beutel – durfte niemals zwanzig Pfund überschreiten. Sie wurden verschlossen, versiegelt, an den Sattel festgeschnallt und auf dem ganzen Weg von St. Joseph bis Sacramento nicht geöffnet.

Der erste Eilritt nahm zehn Tage in Anspruch, also elf Tage weniger als die kürzeste Reise der Butterfieldpost. Manchmal wurde das Ziel sogar in acht Tagen erreicht, doch blieb der Durchschnitt neun Tage. Die in dieser Zeit zurückgelegte Entfernung betrug neunzehnhundertsechsundsechzig Meilen.

Die letzte von Präsident Buchanan im Dezember 1860 abgeschickte Botschaft wurde in acht Tagen und einigen Stunden befördert; Präsident Lincolns Antrittsrede im darauffolgenden März sogar in sieben Tagen und siebzehn Stunden.

Die Vorteile der Pony-Expresslinie machten sich sofort geltend. Auch ein großer finanzieller Erfolg wäre nicht ausgeblieben, wenn nicht bald darauf eine Telegrafenlinie unter der Leitung Edward Creightons eingerichtet worden wäre. Am 24. Oktober 1861 flog die erste Drahtbotschaft nach dem Westen. Damit hatte sich die Pony-Expresslinie überlebt und wurde auch sofort eingestellt. Dennoch war ihr Hauptzweck erfüllt, der darin bestand, den Beweis zu liefern, dass der Weg das ganze Jahr hindurch als Reisepfad benutzt werden konnte. Die Wagen der Pacific-Eisenbahn sausen nun fast denselben Indianerpfaden entlang, denen in jenen vergangenen stürmischen Zeiten der Grenzstreitigkeiten die kühnen Reiter gefolgt waren.

Chrisman begrüßte Will aufs Herzlichste. Er erklärte seinem jugendlichen Freund die Einrichtung der Expresslinie und sagte, dass die Gesellschaft ihre Anordnungen bereits getroffen habe. Es handle sich nun nur noch um den Einkauf der Pferde und die Auswahl der Expressreiter. Scherzend fügte er hinzu: »Es ist jammerschade, dass du nicht ein paar Jahre älter bist, Billy, dann würde ich dir das Ämtchen eines Pony-Expressreiters übertragen, das bringt ein hübsches Sümmchen ein.«

Will nahm den Gedanken sofort mit Feuereifer auf und bat so dringend, ihn wenigstens einen Versuch machen zu lassen, dass Chrisman schließlich einwilligte, ihn für einen Monat anzustellen. Wenn ihn dann die Arbeit allzu sehr anstrengte, so sollte er nach Ablauf dieser Zeit sein Amt niederlegen. Er hatte eine verhältnismäßig nur kurze, mit drei Vorspannstationen versehene Strecke zurückzulegen und sollte fünfzehn Meilen in der Stunde machen.

Am 3. April 1860 stand Russell bereit, die mit einem New Yorker Schnellzug in St. Joseph angelangte Post in Empfang zu nehmen. Er selbst schnallte in Gegenwart einer erregten Menge den Briefbeutel dem Pferd an. Mehrere berühmte New Yorker Zeitungen hatten zur Feier dieses ersten Eilrittes Extraausgaben auf das dünnste Postpapier drucken lassen. Die Menge riss dem zu diesem Einweihungsritt bestimmten Tier sogar Haare aus dem Schwanz, um sie als bleibendes Andenken an dieses denkwürdige Ereignis aufzubewahren. Der Reiter stieg auf, der Augenblick des Auslaufs nahte heran, das Zeichen wurde gegeben, und fort jagte er wie ein Pfeil.

Im selben Augenblick spielte sich in Sacramento ein ähnlicher Auftritt ab. Auch von dort aus stürmte ein Eilbote auf der zweitausend Meilen weiten Strecke dahin– also einer in westlicher, ein anderer in östlicher Richtung, während den ganzen Weg entlang die verschiedenen anderen Reiter zur Ablösung bereit waren.

Will hatte voll Ungeduld dem Eröffnungstag der Expresslinie entgegengesehen. Als dann auch für ihn die wichtige Stunde herannahte, stand er neben seinem gesattelten Pferd, den Reiter erwartend, dessen Dienst er übernehmen sollte. Da endlich ein Aufschlagen von Hufen, ein Reiter sprang vom Pferd und schleuderte ihm die Posttasche zu. Will fing sie auf, befestigte sie am wartenden Pferd, schwang sich hinauf und sauste mit Windeseile davon.

Die erste Station wurde beizeiten erreicht. Mit kaum einer Sekunde Zeitverlust wechselte er das Pferd, während das schnaubende, dampfende Tier, das er verlassen hatte, der Fürsorge des Posthalters überlassen wurde. Dasselbe Verfahren wiederholte sich nach Zurücklegung der nächsten fünfzehn Meilen, und noch einige Minuten vor der bestimmten Zeit war die letzte Station erreicht. Auch der Rückweg verlief in bester Ordnung, und nun erst schrieb uns Will voller Begeisterung von seiner neuen Tätigkeit.