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Der mysteriöse Doktor Cornelius – Band 1 – Episode 3 – Kapitel 7

Gustave Le Rouge
Der mysteriöse Doktor Cornelius
La Maison du Livre, Paris, 1912 – 1913
Dritte Episode
Der Bildhauer von Menschenfleisch

Kapitel 7

Der Brand in der 30th Avenue

Bis zu dem Tag, an dem sein Sohn Joë entführt und wahrscheinlich von den Landstreichern der Roten Hand ermordet wurde, hätte William Dorgan als einer der glücklichsten Milliardäre in allen Staaten der Union gelten können.

Sehr vorsichtig, hatte er sich in der großen Schlacht um die Dollars nur auf sichere Geschäfte eingelassen, und sein Vermögen wuchs Jahr für Jahr stetig und ohne Erschütterungen, mit kluger Langsamkeit. Es reichte, dass er sich für ein Unternehmen interessierte, um dessen Erfolg zu sichern. Er war auch im Familienleben so glücklich wie in geschäftlichen Angelegenheiten. Seine beiden Söhne bereiteten ihm vollste Zufriedenheit. Er konnte sicher sein, Erben zu hinterlassen, die seinerseits würdig seiner Reichtümer und seines guten Rufes waren.

William Dorgan war englischer Herkunft und liebte als solcher den Komfort und gutes Essen. Er gehörte nicht zu den Milliardären, die sechzehn oder achtzehn Stunden am Tag arbeiten, sich keinerlei Ablenkung gönnen und elender leben als der letzte ihrer Angestellten. Er war fleißig, aber in vernünftigem Maße, und es hätte schon eine außergewöhnliche Katastrophe eintreten müssen, um ihn dazu zu zwingen, sein Abendessen zu verschieben. Sein Koch war berühmt, und alle, die die Ehre hatten, an seinem Tisch zu sitzen, erklärten, dass William Dorgan ein Genießer, ein treuer Gefährte und ein hervorragender Mensch war.

Äußerlich bot der Milliardär einen fröhlichen Anblick: ein breites, rotwangiges Gesicht, umrahmt von weißen, lockigen Haaren. Seine Züge strahlten Güte aus, und ein ewiges Lächeln lag auf seinen vollen Lippen. Freundlichkeit blitzte in seinen hellgrauen Augen, die ebenso lebhaft und glänzend waren wie die eines schelmischen Schuljungen. Sehr schlicht in seinen Manieren, sehr großzügig und sehr fröhlich, zog William Dorgan unweigerlich die Sympathien der Menschen an, die mit ihm zu tun hatten.

Das Verschwinden von Joë hatte wie ein Blitz eingeschlagen.

Innerhalb weniger Tage hatte William Dorgan den Appetit verloren, war abgemagert, vernachlässigte seine Geschäfte, und nichts interessierte ihn mehr. Doch ein Funke Hoffnung blieb ihm: Dass der Ingenieur Harry seinen Bruder finden würde.

Tatsächlich ließ sich Harry, trotz der erfolglosen Suche, nicht entmutigen. An der Spitze einer Eliteeinheit durchkämmte er weiterhin die Schluchten und Höhlen des Gebirges, die gewöhnlichen Zufluchtsorte der Landstreicher. Wie er seinem Vater erklärt hatte, schien es ihm undenkbar, dass so intelligente und praktisch veranlagte Banditen wie die Mitglieder der Roten Hand einen Mann dumm ermordet haben sollten, dessen Lösegeld einen enormen Wert darstellte.

Schließlich teilte auch William Dorgan die Überzeugung des Ingenieurs. Er hatte sogar in allen Zeitungen bekannt gemacht, dass er jede Summe zu zahlen bereit sei, solange ihm sein Sohn zurückgegeben werde. Doch weder diese Versprechen noch die Durchsuchungen von Harry Dorgan führten zu Ergebnissen.

Die Zeit verging, ohne dass sich etwas Neues ereignete. William Dorgan verfiel in einen Zustand von Neurasthenie oder, wie man früher sagte, in lähmenden Weltschmerz. Er ging nicht mehr aus, wanderte die Nächte hindurch in seinem Arbeitszimmer auf und ab, wie ein Raubtier in seinem Käfig.

Die Residenz des Milliardärs, in der 30th Avenue Nr. 299, war ein luxuriöses Gebäude in prunkvoller Architektur, das den Stil einiger südenglischer Schlösser nachahmte, die zur Zeit von Elisabeth I. erbaut wurden. Überall fanden sich Türmchen, Glockentürmchen und mit Skulpturen verzierte Arkaden. William Dorgan liebte dieses Haus so sehr, dass er es nie hatte verlassen wollen, obwohl es in einer der weniger aristokratischen Gegenden lag. Tatsächlich war es auf drei Seiten von riesigen Docks umgeben, in denen Ballen mit Baumwolle und Bauholz lagerten, die verschiedenen Trusts gehörten.

Nachts wurden diese Docks von sechs Wächtern überwacht, die sich stündlich bei ihren Kontrollgängen abwechselten. An jenem Abend jedoch – es war ein Samstag, und die Arbeiter hatten sehr früh Feierabend gemacht – traten gegen zehn Uhr zwei der Wächter, die gerade an der Reihe waren, aus der Hütte, die sie im Hof der Docks bewohnten. Sie betraten das Baumwolllager, ausgestattet mit einer vergitterten Laterne und jeweils bewaffnet mit einem Browning.

In tiefem Schweigen bewegten sich die beiden Männer bis zur Mitte des riesigen Lagers vor. Um sie herum bildeten die Baumwollballen regelmäßige Würfel, zwischen denen enge Gänge frei gelassen waren.
»Ich glaube, Slugh«, sagte plötzlich einer der Männer leise, »es wird heute passieren.«

»Glaubst du?«, fragte der andere mit einem seltsamen Lächeln.

»Ja, ich habe so eine Vorahnung, außerdem gibt es bestimmte Anzeichen …«

»Deine Vorahnung hat dich nicht getäuscht, schau.«

Und er zog aus seiner Tasche einen Zettel hervor, auf dem ein paar Zeilen in hieroglyphischen Schriftzeichen gekritzelt waren, unterzeichnet von einer grob in roter Tinte gezeichneten Hand.

Es herrschte einige Augenblicke lang Stille.

»Das ist erstaunlich«, murmelte der erste Gesprächspartner mit unsicherer Stimme, »ich wäre lieber in der Wüste des Black-Canyons, mit meiner Karabiner im Anschlag, zusammen mit unseren Freunden, den Landstreichern, als den Job zu machen, den man uns hier machen lässt.«

»Was willst du, ich bin deiner Meinung, aber vor allem muss man den Anführern gehorchen. Außerdem habe ich genaue Anweisungen erhalten; wir sind in keiner Gefahr.«

»Sind die Kanister da?«

»Ja, seit gestern; die Rote Hand hat sie hierhergebracht, ohne dass es jemand bemerkt hat. Ich selbst wäre ziemlich ratlos zu sagen, wie. Und jetzt, an die Arbeit, zehn Minuten Verzögerung könnten alles gefährden.«

Slugh – der Anführer der Landstreicher, die Joë Dorgans Eskorte ermordet hatten – beugte sich hinunter; er verschob einige Baumwollballen und legte etwa ein Dutzend Kanister frei, ähnlich denen, die man zur Aufbewahrung von Petroleum benutzt.

»Siehst du«, sagte Slugh, »alles, was wir tun müssen, ist, den Inhalt dieser Kanister über die Ballen zu gießen …«

»Und dann sie anzuzünden?«

»Keineswegs … Das wird von selbst brennen.«

»Nicht möglich!«

»Mir wurde erklärt, dass es eine chemische Mischung ist, die Phosphor enthält. Sobald die Flüssigkeit verdunstet ist, brennt alles!«

»Das ist schrecklich, beeilen wir uns, ich habe das Gefühl, dass wir lebendig verbrannt werden.«

Slugh antwortete nicht, sondern begann, die Baumwollballen mit der Flüssigkeit aus den Kanistern zu besprühen, in einer Eile, die bewies, dass er die Ängste seines Komplizen teilte.

Innerhalb von weniger als einer Viertelstunde hatten die beiden Banditen ihr kriminelles Werk vollendet. Sie schlichen dann hastig aus den Docks, überquerten in einem Atemzug den Hof und erreichten die Straße, nicht ohne die Vorsichtsmaßnahme, das äußere Tor hinter sich zu schließen.

»Puh!«, sagte Slugh, sobald sie draußen waren, »ich bin froh, dass das vorbei ist. Ich mag solche Machenschaften nicht. Ich würde lieber gegen zehn berittene Polizisten kämpfen, als das zu wiederholen, was wir gerade getan haben.«

»Wohin gehen wir?«

»Folge mir, man erwartet uns. Wir müssen Bericht über unsere Unternehmung erstatten.«

Die beiden Banditen, die anscheinend darauf bedacht waren, sich vom Schauplatz ihrer Taten zu entfernen, liefen im Laufschritt in Richtung Stadtzentrum und verschwanden bald in der Menge der Nachtschwärmer des Samstags.

In dem Moment, als die Landstreicher den letzten Kanister der Brandflüssigkeit auf die Baumwollballen entleerten, ging William Dorgan aufgewühlt in seinem Schlafzimmer auf und ab, das sich im zweiten Stock des Hotels befand. Er hielt einen Brief in der Hand, den er eine Stunde zuvor von seinem Sohn, dem Ingenieur Harry, erhalten hatte.

Der junge Mann teilte seinem Vater mit, dass die Ermittlungen keinen Schritt weitergekommen waren, obwohl die Durchsuchungen der berittenen Polizisten bis zur mexikanischen Grenze ausgedehnt worden waren. Keine ernsthafte Spur hatte sich finden lassen, trotz des mit vollen Händen verteilten Goldes. Der Ton des Briefes drückte tiefe Entmutigung aus.

»Ich bin verzweifelt«, murmelte der Milliardär niedergeschlagen; »wenn sogar mein Sohn Harry jede Hoffnung verliert, dann gibt es keine Rettung mehr. Armer Joë …!«

Der alte Mann konnte ein langes Schluchzen nicht unterdrücken; der Brief des Ingenieurs entglitt seinen Händen.

Ein Diener war leise eingetreten und hatte auf einem Beistelltisch einen Stapel Korrespondenz und Telegramme abgelegt. William Dorgan hatte dies nur mit einem zerstreuten, fast abwesenden Blick zur Kenntnis genommen.

»Gibt es Post aus dem Staat San Francisco?«, fragte er besorgt.

»Nein, Sir, Sie haben einen Brief von Mr. Harry bei der letzten Zustellung erhalten, es kann heute keinen weiteren geben.«

Der Milliardär entließ den Mann mit einer vagen Geste und versank erneut in seine melancholischen Gedanken.

»Mein armer Joë, mein armes Kind«, stammelte er, die Kehle vor Angst zugeschnürt.

Die unterdrückten Schluchzer drohten ihn zu ersticken. Er trat ans Fenster, öffnete es weit und atmete erleichtert die kalte Nachtluft ein.

Vor ihm breitete sich New York unter dem Himmel aus, der von den gnadenlosen Strahlen der Elektrizität überflutet war, mit seinen monströsen Aussichten auf riesige Brücken und Wolkenkratzer von dreißig und vierzig Stockwerken; ein drohendes Murmeln, wie das ferne Grollen tausender wilder Bestien, stieg aus der riesigen Stadt empor.

William Dorgan blieb unbeweglich, trotz seiner Trauer von dem Anblick des gewaltigen Panoramas menschlicher Aktivität abgelenkt.

»Wozu dieser monströse materielle Fortschritt?«, seufzte er. »Wird man jemals ein Mittel finden, den Menschen von seinem Leid zu befreien …«

Doch sein Satz endete in einem Schrei der Verblüffung und des Entsetzens.

Plötzlich, mit der Heftigkeit einer Explosion, schoss eine riesige Flamme empor, bis zu den Wolken reichend, und erhellte mit einem heftigen Schein einen weiten Horizont aus Gebäuden und Häusern.

»Feuer in den Docks!«, schrie der Milliardär entsetzt.

Doch fast im selben Moment stieg eine zweite Flammensäule, ebenso hoch wie die erste, zum Himmel empor.

In der nächsten Sekunde brach ein drittes Feuer aus, mit derselben Plötzlichkeit, derselben unerklärlichen Gewalt. Es war jetzt ein regelrechtes Meer aus Flammen, mit rötlichen Wellen und einer Gischt aus rötlichem Rauch, das sich bedrohlich im Abendwind kräuselte, und das Hotel des Milliardärs, von allen Seiten umzingelt, war wie ein Riff, verloren inmitten dieses lodernden Ozeans. Die gotischen Türmchen und die geschnitzten Balkone hoben sich scharf gegen einen apokalyptischen Hintergrund ab. Kaum eine Minute hatte gereicht, um den Kataklysmus zu entfesseln. Es war ein ganzer Häuserblock, ein ganzes Viertel, das brannte.

William Dorgan trat von dem Fenster zurück, zurückgeworfen von der glühenden Hitze des Feuers; schon zersprangen die Fensterscheiben des Hotels mit einem trockenen Knistern, das Gebälk brannte bereits.

Mit völlig verwirrtem Kopf, eher einem Instinkt wie ein verstörtes Tier folgend als einem rationalen Gedanken, stürzte der Milliardär aus dem Zimmer. Die Treppe war bereits von Rauch erfüllt, und der Aufzugsschacht glich dem gähnenden Rachen eines glühenden Ofens.

»Hilfe!«, rief er mit einer Stimme, die einem Aufschrei glich. »Hilfe! Hilfe!«

Aber beißender Rauch griff ihn an der Kehle, und er musste sich in das Zimmer zurückziehen, dessen Tapeten unter der Hitzeeinwirkung knackten und abblätterten und dessen zerbrochener Boden bereits dünne Dampffahnen freigab.

Er war von der Reflexion der Flammen geblendet, halb erstickt von der brennenden Atmosphäre, die die ganze Umgebung des Zimmers einhüllte, um nach einem Ausweg zu suchen. Er begriff, dass er verloren war.

In der Zwischenzeit erhob sich ein riesiges Klagegeschrei aus der großen Stadt, deren Vergnügungen durch den glühenden Schrecken des Feuers, das man zehn Meilen auf See erblickte, unterbrochen worden waren. Dutzende dampfbetriebener Löschfahrzeuge eilten zur Brandstelle, bahnten sich mühsam einen Weg durch die Menge, die zwei Bataillone berittener Polizisten nur schwerlich in Zaum halten konnten.

Aber bald wurde klar, dass alle Bemühungen vergeblich sein würden, um die in so großem Maßstab wütende Plage zu bannen. Man hätte einen ganzen Fluss auf diesen Brandherd gießen müssen, der von Millionen Quintalen ultraleicht brennbarer Stoffe genährt wurde. Fünfzehnstöckige Wolkenkratzer brannten, und die Strahlen der leistungsstärksten Pumpen konnten nicht über das achte Stockwerk hinausreichen. Die Retter dachten nur noch an eines: das Feuer zu begrenzen, das angegriffene Viertel vollständig zu opfern, um die anderen zu schützen; doch selbst diese Aufgabe schien mit unüberwindlichen Schwierigkeiten gespickt zu sein.

Bald machte ein unheilvolles Gerücht die Runde in der Menge.

»Die Rote Hand! Es ist die Rote Hand, die das Feuer gelegt hat!«

»Ganz New York wird brennen …!«

»Man sagt, zwei Banken wurden geplündert.«

»Die Polizei steckt mit den Banditen unter einer Decke …!. Wir sind verloren …!«

Es kam zu einer Panik, viele eilten nach Hause, und die Bewohner eines Hauses schlossen sich zu Gruppen zusammen, bewaffnet mit Revolvern und Knüppeln, um ihre Häuser gegen die Brandstifter zu verteidigen.

Überall stürzten mutige Retter in die Flammen, um Frauen, Kinder und Kranke zu retten. Die Menge feuerte sie mit donnerndem Jubel an.

Erst am nächsten Tag stellte man fest, dass alle Häuser, die von diesen furchtlosen Bürgern besucht worden waren, vollständig ausgeraubt worden waren.

An anderen Orten hatte die Panik zu schrecklichen Gedränge geführt; Zuschauer, vor allem Frauen, waren niedergetrampelt und zu Tode getreten worden. Die vielen Leichen, die man am nächsten Tag fand, waren alle ihrer Schmuckstücke und Wertsachen beraubt worden.

Vor dem Hotel von William Dorgan strömten die Schaulustigen zusammen. Es ist kein alltäglicher Anblick, einen Milliardär bei lebendigem Leib in seinem Palast verbrennen zu sehen; jeder wollte einem solchen Schauspiel beiwohnen.

Viele Freunde von William Dorgan waren mit Gelenkleitern und anderen Rettungsgeräten herbeigeeilt, doch niemand wagte es, sich in den Ofen zu wagen. Außerdem war man sich nicht sicher, ob der Milliardär nicht bereits ums Leben gekommen war.

Plötzlich drängte sich eine Gruppe Männer durch die Menge; unter ihnen waren Dr. Cornelius Kramm, sein Bruder Fritz und ein junger Mann, der in heftiger Erregung zu sein schien.

Diese drei Personen schienen große Autorität über die Menge zu haben.

In wenigen Minuten wurde unter ihrer Leitung eine große Eisenleiter an die Fassade des Hotels angelegt, dessen Fenster jetzt Rauchströme, vermischt mit kleinen Flammen, ausstießen.

Der junge Mann rang verzweifelt die Hände.

»Mein Gott!«, wiederholte er, »beeilt euch! Hoffentlich ist es nicht zu spät …!«

Und er stimulierte den Eifer aller um ihn herum, indem er unachtsam Geldscheine verteilte.

Schnell zog er einen feuerfesten Anzug aus Asbest an. Er setzte sich einen dieser Helme auf, die mit Glimmerplatten anstelle der Augen versehen sind und von Feuerwehrleuten in einigen Städten Amerikas verwendet werden.

Dann drückte er den Brüdern Kramm die Hand und stieg die Eisenleiter hinauf.

Mit wenigen Schritten erreichte er einen der Balkone des Hotels, und indem er das Fenster mit einem Faustschlag aufstieß, drang er in den Flammenofen ein.

Die Menge stieß einen langen Schrei der Bewunderung und des Entsetzens aus, dann verstummte sie wieder. Alle Herzen pochten in gleicher Angst.

Eine Minute verging, lang wie ein Jahrhundert. Der junge Mann erschien nicht wieder.

»Ich fürchte«, murmelte Fritz seinem Bruder ins Ohr, »wir haben zu lange gewartet.«

»Nein«, antwortete der Arzt, »ich habe alle Vorkehrungen getroffen, ich garantiere den Erfolg …«

Sobald er den Balkon erreicht hatte, ging der geheimnisvolle Retter, der das Hotel von William Dorgan offenbar gut kannte, direkt auf das Schlafzimmer zu.

Er kam gerade in dem Moment an, als der verwirrte Milliardär, mit verbrannten Haaren und halb erstickt, sich in ein angrenzendes Kabinett geflüchtet hatte, das – durch einen Zufall, der später als schicksalhaft erschien – erst vor kurzem vollständig mit dicken Blechen verkleidet worden war, da dort eine Vielzahl wichtiger Dokumente aufbewahrt wurden. William Dorgan befand sich dort, als wäre er im Inneren eines riesigen Tresors. Von nun an lief er nicht mehr Gefahr, lebendig verbrannt zu werden, aber es würde nur sehr wenig Zeit vergehen, bevor er vollständig erstickt wäre.

Der in Asbest gekleidete Mann öffnete die Tür des Kabinetts, ergriff den alten Mann in seinen Armen und trug ihn bis zu dem Balkon, an den die Eisenleiter angelehnt war.

Dort atmete er auf; das Schwierigste der Aufgabe war erledigt.

»Wer sind Sie?«, stammelte der Milliardär mit schwacher Stimme.

Der Unbekannte hob die Asbestmaske an, die sein Gesicht bedeckte.

»Mein Sohn! Mein lieber Joë!«, stotterte der Milliardär.

Doch nach so vielen heftigen Emotionen war der Schock zu groß, und William Dorgan fiel in den Armen dieses Sohnes in Ohnmacht, der so wundersam aus seiner Gefangenschaft entkommen war, um ihn zu retten.

Die Menge brach in langen Beifall aus, zitternd vor dem Drama, das sich in wenigen Minuten vor ihren Augen abgespielt hatte.

Währenddessen hatte Joë Dorgan seinen Vater mit einem stabilen Seil unter den Armen festgebunden, und so wurde der bewusstlose alte Mann vorsichtig bis auf die Straße hinuntergelassen.

Er hatte kaum den Boden erreicht, als mit einer dumpfen Explosion das Hotel in den Flammen zusammenbrach.

Als William Dorgan wieder zu sich kam, befand er sich in einem der komfortabelsten Zimmer des Atlantic-Hotels. Dr. Cornelius und Joë Dorgan tupften ihm die Stirn mit einem belebenden Wasser ab und ließen ihn an Riechsalz schnuppern.

Beim Öffnen der Augen traf sein erster Blick auf den seines Sohnes, und sofort erhellte sich sein Gesicht mit einem Lächeln. Zufriedenheit ist das stärkste Heilmittel; einen Augenblick später war er in der Lage zu sprechen.

»Mein Joë ist wieder da«, rief er aus, »alles andere ist mir egal. Komm in meine Arme, mein Sohn, lass mich dich an mein Herz drücken.«

»Vater«, murmelte der junge Mann zutiefst bewegt, »ich bin froh, rechtzeitig gekommen zu sein, um dich dem Tod zu entreißen!«

Vater und Sohn umarmten sich liebevoll.

»Mein armer Junge«, wiederholte der Milliardär, »wenn du wüsstest, wie sehr wir um dich geweint haben. Dein Bruder Harry war bewundernswert. Zu dieser Stunde sucht er immer noch in den wilden Schluchten der Sierra Mexicana nach dir.«

»Dieser liebe Harry, wie glücklich wird er sein, mich heil und gesund wiederzusehen!«

»Du wirst uns deine Abenteuer erzählen, aber vielleicht sollten wir Maßnahmen ergreifen, damit das, was vom Hotel übrig ist, nicht geplündert wird.«

»Mach dir keine Sorgen darüber. Mr. Fritz Kramm hat sich bereit erklärt, alles Notwendige zu veranlassen. Die Ruinen des Hotels sollten zu dieser Zeit von einer Kette von Polizisten umgeben sein, die niemanden heranlassen werden. Um sicherzustellen, dass sie wachsam bleiben, habe ich jedem Mann fünfzig Dollar gegeben und ihnen für morgen die gleiche Summe versprochen.«

»Dann ist alles zum Besten«, erwiderte der Milliardär. »Meine wichtigsten Unterlagen befinden sich in gepanzerten Kisten, die dem Feuer nichts anhaben können. Mein Vermögen ist bei der Staatsbank hinterlegt. Was den Verlust des Hotels betrifft, so betrachte ich ihn als unbedeutend. Ich werde einfach ein noch luxuriöseres bauen lassen. Lassen wir uns also nur über deine Rückkehr freuen; lass uns eine Flasche alten Portwein kommen und während wir ihn genießen, erzählst du uns von deinen Abenteuern; das interessiert mich im Moment am meisten.«

Joë Dorgan – oder vielmehr Baruch Jorgell, verkleidet als Joë Dorgan – begann dann einen Bericht, dessen kleinste Details sorgfältig zwischen ihm und seinen beiden Komplizen abgestimmt worden waren.

»Du erinnerst dich, Vater«, sagte er, »dass ich auf meiner jährlichen Rundreise in deinen kalifornischen Besitzungen eine beträchtliche Summe mitnehmen sollte, die besonders schwierig zu transportieren war in einer Region ohne Straßen und Polizei, da sie hauptsächlich aus Piastres und Silberbarren bestand. Nach deiner Empfehlung hatte ich mich von einer Gruppe von zwölf berittenen Polizisten begleiten lassen.«

»Das war nicht ausreichend«, unterbrach Dr. Cornelius Kramm.

»Das stimmt«, sagte der Erzähler, »aber das war alles, was verfügbar war, und mir wurde versichert, dass die Region seit vielen Monaten ruhig war. Während meiner gesamten Rundreise bemerkte ich nichts Besorgniserregendes; wie man mir gesagt hatte, schien das Gebiet absolut sicher zu sein. Erst als wir den unheilvollen Engpass des Black-Cañon durchquerten, wurde mir, als es zu spät zum Umkehren war, bewusst, wie schwer mein Fehler war. Mitten in der Nacht, bei einem heftigen Gewitter, blieb der Wagen mit dem Geld in einer engen Passage stecken, die von allen Seiten von Felswänden umgeben war, von denen aus ein einzelner Mann fast den Durchgang einer ganzen Armee hätte verhindern können. Es war ein idealer Ort für einen Hinterhalt. Die Tramps, die uns dort seit mehreren Tagen beobachtet haben mussten, töteten einen nach dem anderen all meine Männer mit Gewehrschüssen. Bald fand ich mich trotz verzweifeltem Widerstand allein wieder. Die Banditen fesselten mich, dann plötzlich roch ich den beißenden Geruch von Chloroform, ein kalter Tupfer wurde auf meine Nasenlöcher gedrückt und ich verlor das Bewusstsein. Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich in einer trostlosen Schlucht, die von allen Seiten von Abgründen umgeben war und die der Krater eines erloschenen Vulkans gewesen sein musste. Man ließ mich ein wenig gegrilltes Fleisch essen und einen Schluck Whisky trinken, dann wurde ich wieder auf ein Pferd gebunden und wir setzten den Marsch fort …«

»Wie kommt es«, fragte William Dorgan plötzlich, »dass die Nachforschungen deines Bruders Harry, der ein ganzes weites Gebiet Strauch für Strauch durchkämmt hat, zu keinem Ergebnis geführt haben? Das kann ich mir nicht erklären.«

»Im Gegenteil, das ist sehr gut erklärbar. Meine Gefängniswärter schienen hervorragend informiert zu sein. Während mein Bruder Harry seine Suche auf das Gebiet um den Black-Cañon beschränkte, hatten die Tramps im Eilmarsch mehrere hundert Meilen nach Norden zurückgelegt, indem sie entlang der Rocky Mountains zogen, wo sie im Falle eines Alarms immer eine Zuflucht finden können. Bei diesem erzwungenen Marsch konnte ich mich von der Macht der Roten Hand überzeugen. Überall fanden die Tramps Nahrung, Führer, und manchmal erhielten wir sogar in scheinbar sehr anständigen Bauernhöfen Unterkunft. Schließlich machten wir in einem bewaldeten Tal halt, das nur über einen schmalen Pfad zugänglich war, der zu einem wilden Bach führte, über den ein Tannenstamm als Brücke gelegt war.«

William Dorgan lauschte dieser fantastischen Erzählung mit gespitzten Ohren.

»Aber wie bist du schließlich entkommen?«, fragte er ungeduldig.

»Ich komme darauf. Der Anführer der Tramps, ein alter Bandit, der mehrfach zum Tode verurteilt worden war, hatte beschlossen, dass ich Ihnen selbst schreiben würde, um Sie zu bitten, hunderttausend Dollar Lösegeld zu zahlen.«

»Du hättest schreiben sollen.«

»Niemals! Die Tramps hätten ihre Forderungen verdoppelt und mich nicht freigelassen, nachdem sie das Geld eingestrichen hätten; zudem liegt es nicht in meinem Wesen, einer Drohung nachzugeben, egal welcher Art sie ist! Wütend über diese Weigerung beschlossen die Tramps, mich durch Hunger gefügig zu machen. Sie setzten mich auf eine Diät aus trockenem Zwieback und Wasser, während sie sich neben mir ungeniert mit Rind- und Hammelfleisch vollstopften, das sie den Squatters aus der Prärie gestohlen hatten, und dazu reichlich Whisky und sogar Wein tranken. Oftmals, wenn der Duft von gegrilltem Fleisch meine Nase kitzelte, war ich kurz davor, nachzugeben.«

»Mein lieber Joë«, rief der Alte aus, »du hast dich auf bewundernswerte Weise verhalten!«

Gerührt von diesem Heldentum ergriff er die Hand dessen, den er für seinen Sohn hielt, und drückte sie emotional.

»Doch«, fuhr Baruch fort, »die Banditen gerieten in Streit. Nach dem klassischen Vorgehen wollten einige mir die Ohren abschneiden, um sie Ihnen anstelle eines Briefes zu schicken und so die Überweisung der Gelder zu beschleunigen; andere zogen es vor, noch abzuwarten. Dies führte zu zahlreichen Kämpfen mit Brownings und Bowie-Messern. Während einer dieser blutigen Auseinandersetzungen gelang es mir, unbemerkt meine Fesseln zu durchtrennen. Als die Nacht hereinbrach, überquerte ich die Fußgängerbrücke, nicht ohne vorher dafür zu sorgen, dass sie in den Fluss stürzte. Die Banditen konnten mich nicht weiter verfolgen. Ich hörte ihre Wutschreie, die Kugeln ihrer Gewehre pfiffen an meinen Ohren vorbei. Schließlich erreichte ich unversehrt die Lichtung, wo die Pferde der Bande weideten; ich sprang auf das beste von ihnen, nachdem ich die anderen ins Innere des Waldes getrieben hatte, und erreichte nach drei Tagen wilden Galopps eine kleine, abgelegene Station mitten in der Prärie. Dort sprang ich in den ersten Zug nach New York. Zwei Herren, die mein Bild in den Zeitungen gesehen hatten, gaben mir großzügig genug Geld, um mein Ticket zu bezahlen und etwas im Speisewagen zu essen. An einer Station, an der der Zug lange genug hielt, schickte ich Ihnen ein Telegramm.«

»Ich muss es erhalten haben«, murmelte der Milliardär, »aber ich war in einem solchen Zustand von Kummer und Niedergeschlagenheit, dass ich nicht den Mut hatte, die Briefe und Telegramme zu öffnen, die kurz vor dem Ausbruch des Feuers bei mir eingegangen sind.«

»Das ist unwichtig, denn hier bin ich; als ich in New York ankam, sprang ich in ein Taxi und kam genau in dem Moment an, als das Hotel in einem Flammenmeer stand. Den Rest kennen Sie, aber ich muss zugeben, dass ich es Fritz und Cornelius Kramm zu verdanken habe, dass ich so schnell die notwendigen Rettungsgeräte beschaffen konnte. Ich kannte sie kaum, hatte sie nur früher einmal in den Salons von Fred Jorgell getroffen; aber sie erinnerten sich an mich und stellten sich mir mit echter Hingabe zur Verfügung.«

Der Milliardär bedankte sich herzlich beim Doktor und versicherte ihm, dass er von nun an keinen anderen Arzt mehr haben wolle.

Baruch Jorgell strahlte vor Freude, und seine Bewunderung für diesen Cornelius, dessen gehorsames Werkzeug er bisher gewesen war, wuchs. Dank der geschickten Inszenierung des Brandes war es nun unmöglich, dass William Dorgan nicht fest davon überzeugt war, seinen Sohn Joë wiedergefunden zu haben.

Während der echte Joë im Irrenhaus dahinvegetierte, würden der Mörder von M. de Maubreuil und seine Komplizen in der Lage sein, sich die Milliarden von William Dorgan zu teilen.

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