Download-Tipp
Sir Henry Morgan

Heftroman der Woche

Archive

Manitoba – Band 1 Kapitel 2

Kendall Kane
MANITOBA
Band 1
Ein Greenhorn namens Callaway

Kapitel 2

Wilbur Parker hatte in seiner bisherigen Dienstzeit als Kommandeur von Fort Pitt schon etliche Winter erlebt, aber so wie dieses Mal hatte es ihn noch nie erwischt. Sicher, es gab in der kalten Jahreszeit öfter einmal den einen oder anderen Mounty, dem Fieber, Gliederschmerzen und eine triefende Nase so zusetzten, dass er seinen Dienst nicht mehr ausüben konnte. Aber nach ein, zwei Tagen Bettruhe und der Hühnersuppe von Dubois war derjenige meistens wieder über dem Berg.

Aber nicht in diesem Jahr und nicht in diesem Winter, der scheinbar nicht enden wollte. Mit Ausnahme des Scouts lagen er und alle seine Männer nun schon über eine Woche im Bett. Acht Tage, an denen es in seinem gesamten Bezirk niemanden gab, der Recht und Gesetz aufrechterhielt. Vor vier Tagen hatte er dann all seine Kraft zusammengenommen und war mehr gekrochen als gelaufen, um in seinem Büro nach Winnipeg zu telegrafieren und Unterstützung anzufordern.

Doch was war passiert?

Parker hatte Mühe, vor lauter Wut über die Entscheidung aus Winnipeg nicht laut loszubrüllen. Obwohl man im Hauptquartier genau wusste, dass Fort Pitt hoffnungslos unterbesetzt war, hatte man ihm nur einen Mounty geschickt. Einen einzigen Mounty und der war auch noch ein Greenhorn.

Jetzt war ein Mord geschehen und außer diesem Callaway, der von Dienstvorschriften viel, vom wirklichen Leben hier draußen so gut wie keine Ahnung hatte, war Frenchy seine einzige Chance.

»Ihr zwei seid die Einzigen, die noch dienstfähig sind. Wenn wir jetzt da draußen keine Präsenz zeigen, herrscht spätestens nächste Woche im gesamten Bezirk Anarchie. Also geht raus und findet den Kerl.«

Einen Moment lang lehnte sich Parker schwer atmend zurück, dann heftete er seinen Blick beinahe flehentlich auf den Scout.

»Ich zähle dabei vor allem auf dich, Frenchy. Erkläre unserem neuen Constable, wie es hier läuft, denn ihr seid da draußen aufeinander angewiesen und der Weg nach Haskett ist verdammt lang.«

Parker sah, wie Henri Dubois, den alle in Fort Pitt nur Frenchy nannten, zu seinen Worten zwar nickte, er sah aber auch, dass der Scout dabei ein Gesicht zog, als hätte er einen Wurm im Mund.

»Heißt das, dass ich Kindermädchen für dieses Greenhorn spielen soll?«

Obwohl er durch seine verstopfte Nase kaum Luft bekam und ihm die Kopfschmerzen schier unerträglich waren, konnte sich Parker ein Grinsen nicht verkneifen.

»Tut mir leid, Frenchy, aber ich glaube, darauf läuft es wohl hinaus.«

Der Scout machte daraufhin ein Gesicht, als hätte er jetzt massenhaft Würmer im Mund.

»Sie halten wohl nicht viel von mir?«

Frenchy, der mit Callaway auf dem Weg zu der Scheune war, in der Dickens und der Büffeljäger den Toten abgelegt hatten, blieb abrupt stehen. Sein Gesicht wirkte ernst, fast abweisend, als er in Callaways fragende Augen blickte.

»Wollen Sie eine höfliche oder eine ehrliche Antwort?«

»Eine ehrliche! Wir haben den Auftrag, einen Mörder zu fangen, aber das geht nur, wenn wir zusammenarbeiten. Deshalb sollten wir von Anfang an klare Verhältnisse zwischen uns schaffen.«

»Also gut, wenn Sie es so genau wissen wollen, ich halte Sie, mit Verlaub gesagt, für unfähig, in dieser Provinz den Dienst als Constable auszuüben. Sie haben von diesem Land und dem Leben hier so viel Ahnung wie eine Kuh vom Sonntag.«

John Callaway fühlte, wie sich alles in ihm plötzlich spannte. Aus seinem Gesicht wich alle Farbe und er starrte den Scout an, als würde ein Geist vor ihm stehen. Er kannte den Scout inzwischen gut genug und war deshalb auf einige Spitzfindigkeiten gefasst, aber nicht auf solch eine Ansage. Er hatte das Gefühl, als hätte ihm jemand in den Bauch getreten. Einen Moment lang war er unfähig etwas zu sagen, dann ballte er seine Hände zu Fäusten.

»Sie wissen sehr wohl, Mister Dubois, dass ich Sie für diese Aussagen vor ein Kriegsgericht bringen kann«, sagte Callaway mit einer Stimme, die vor Wut zitterte.

Doch in den Augen des Scouts lag nur Spott, als er ihm antwortete: »Was für Aussagen, Constable Callaway? Haben Sie irgendeinen Zeugen, der Ihre Behauptung bestätigen kann?«

Callaway platzte schier vor Wut, am liebsten hätte er seine Faust in das Gesicht des Scouts gesetzt, aber er wusste genau, dass Dubois recht hatte. Was er ihm auch an den Kopf warf, es gab keine Zeugen, es stand bei einer Anhörung Wort gegen Wort und Callaway hatte so seine Zweifel, auf wessen Seite der Sergeant Mayor stehen würde, wenn es hart auf hart kam.

Eine Weile standen sich die beiden Männer schweigend gegenüber, bis sich der Constable schließlich einen Ruck gab.

»Okay, ich habe jetzt vernommen, wie Sie über mich denken. Aber Beleidigungen aussprechen kann jeder, das ist einfach. Liefern Sie mir Beweise für meine angebliche Unfähigkeit, dann lasse ich vielleicht mit mir reden.«

Frenchy starrte den Constable aus schmalen Augen an.

»Okay, wie Sie wollen. Dann fangen wir gleich mit Ihrer Uniform an.«

»Was ist damit? Jeder Mann in Kanada wäre stolz darauf, wenn er sie tragen könnte.«

»Das glaube ich kaum, weil jeder weiß, dass man in Manitoba in diesen bunten Fetzen im Winter spätestens nach vierundzwanzig Stunden erfroren wäre. Und jetzt sagen Sie nicht, das stimmt nicht«, behauptete der Scout. »Ich habe nämlich gesehen, wie Sie sich in Ihrem Rotrock in der kurzen Zeit, in der Sie im Hof herumstanden, fast den Arsch abgefroren haben.«

Callaway schluckte trocken. Auch wenn er sich einen Moment lang weigerte, diese Aussage zu akzeptieren, wusste er doch tief in seinem Innern, dass Frenchy recht hatte.

»Gut«, erwiderte er schließlich zerknirscht. »Was noch?«

»Ihre Waffen.«

»Was ist damit? Mein Snider Enfield Karabiner ist ein ausgezeichnetes Gewehr, genauso wie mein Deane & Adams, der als Revolver wohl zum Besten gehört, was es derzeit auf dem Markt gibt.«

»Ich lach mich gleich tot«, erwiderte der Scout höhnisch. »Verdammt Constable, verabschieden Sie sich endlich von Winnipeg und den hochgestochenen Idealen, die man Ihnen dort eingetrichtert hat, und kommen Sie in der Wirklichkeit an. Das Hauptquartier hat sechsunddreißig Planstellen für Fort Pitt vorgesehen, die Wirklichkeit aber ist, dass wir einschließlich Ihnen gerade mal neun Männer sind, die einen zweihundertfünfzig Meilen breiten Grenzstreifen zu den Vereinigten Staaten zu kontrollieren haben, in dem Dutzende von Whiskyschmugglern und Waffenhändlern leben, die mehr als tausend unzufriedene und hungernde Indianer mit Schnaps und Waffen versorgen.«

In Callaways Gesicht begann es nervös zu zucken, während er Frenchy ungläubig musterte.

Von was zum Teufel redet er da?, durchzuckte es ihn. Aus dem Mund seiner Vorgesetzten im Hauptquartier hatte die Stellenbeschreibung in Fort Pitt doch ganz anders geklungen.

Der Scout gab ihm keine Möglichkeit, weiter über seine Worte nachzudenken, sondern er redete einfach munter weiter.

»Fast jeder dieser Verbrecher und auch der Großteil der Indianer ist mit Winchester Gewehren ausgerüstet, mit denen man sieben Kugeln hintereinander abfeuern kann, ohne nachzuladen. Was wollen Sie gegen diese Männer mit ihrem einschüssigen Karabiner ausrichten? Sie zum Lachen bringen? Oder was machen Sie, wenn Sie auf einem Patrouillenritt von drei Wölfen gleichzeitig angegriffen werden, aber nur eine Kugel im Lauf steckt? Sich selbst erschießen? Mann, Callaway, wachen Sie endlich auf!«

Dubois beendete seinen Redefluss mit einem Fluch und stemmte dann beide Hände schnaubend in die Hüften. Er hatte sich so in Rage geredet, dass sein Gesicht wie eine zu heiß gewordene Herdplatte glühte, im Gegensatz zu dem des Constables, der bei jedem seiner Worte immer blasser geworden war.

»Können Sie überhaupt Spuren lesen? Können Sie unterscheiden, ob ein friedliebender Cree oder ein skalphungriger Kainahindianer vor Ihnen steht, oder ob der Mann zu den verzweifelten Sioux gehört, die von den Staaten aus zu uns geflüchtet sind, um ihrer Gefangenschaft zu entgehen?«

»Ich … ich …«

»Nein, können Sie nicht. Wissen Sie was, Callaway, so langsam frage ich mich, wie Sie überhaupt lebend nach Fort Pitt gekommen sind.«

Callaways Gesicht war jetzt so bleich wie der Schnee, der das Land bedeckte. Er musste erst mehrmals schlucken, bevor er antworten konnte. Die Standpauke des Scouts hatte ihn offensichtlich hart getroffen.

»Okay«, sagte er schließlich so leise, dass ihn selbst Frenchy nicht verstehen konnte, obwohl der Scout Ohren wie ein Luchs hatte. »Wir reden nachher noch einmal miteinander, jetzt möchte ich mir erst den Toten ansehen.«

Danach drehte er sich um und ging los. Frenchy nickte und setzte sich ebenfalls in Bewegung. Sie betraten die Scheune dann beinahe gleichzeitig. Callaway ging schon mal voraus, während der Scout hinter ihm das Tor zuschob, um die Kälte auszusperren. Aber er kam nicht weit. Er hatte noch keine drei Yards hinter sich gebracht, als er so abrupt stehen blieb, als wäre er gegen eine unsichtbare Wand gelaufen.

Sein Puls begann zu rasen und seine Augen wurden so groß wie Spiegeleier.

Überall war Blut, auf dem Boden, an den Wänden, an der Decke. Es sah aus, als hätte jemand einen Eimer mit roter Farbe in die Scheune geworfen.

»Was zur Hölle ist das?«

»Was?«, fragte Frenchy, der inzwischen neben ihn getreten war.

»Na das!«, sagte Callaway und deutete zuerst auf den Boden vor ihnen, der fast gänzlich mit Blutspritzern überzogen war, und dann auf die Holzwände links und rechts, die ebenfalls mit unzähligen roten Flecken übersät waren. Frenchy sagte zunächst nichts, bis er wieder in jener unverschämten Art zu grinsen begann, die Callaway schon beim ersten Mal, als sie sich begegneten, sauer aufgestoßen war.

»Ach so, nein, keine Angst, das ist nur Hühnerblut. Eine der beiden Hennen, die ich vorhin geschlachtet habe, ist doch tatsächlich noch durch den Stall geflattert, obwohl ich ihr bereits den Kopf abgeschlagen hatte. Schien wohl noch nicht bereit zu sein, vor ihren Schöpfer zu treten.«

Callaway nickte wissend. Sein Großvater in England hatte auf seinem Hof auch Hühner gehalten, ihm war dasselbe auch schon passiert. Allerdings mit einem Hahn.

Der Constable schüttelte sich kurz und wandte sich dann wieder dem eigentlichen Grund ihres Besuches der Scheune zu. Der Tote, den der Büffeljäger hergebracht hatte, lag im hinteren Ende der Scheune vor einer offenen Holzkiste, deren Boden daumendick mit Staub, Dreck, Spinnweben und den Überresten irgendwelcher vertrockneter Blätter und Zweige bedeckt war.

Callaway schloss den Deckel, rüttelte kurz an der Kiste und trat dagegen.

»Okay«, sagte er dann und nickte zufrieden. »Das Ding scheint ziemlich stabil zu sein. Also los, fassen Sie kurz mit an, damit wir ihn auf die Kiste legen können.«

Ohne auf eine Reaktion des Scouts zu warten, bückte sich Callaway, packte den Erschossenen mit beiden Händen an den Schultern und versuchte ihn anheben. Doch es blieb bei dem Versuch, denn obwohl er ein großer und kräftiger Mann war, konnte er den Toten kaum von der Stelle bewegen. Der Mann war gut und gerne einhundertsechzig Pfund schwer und steifgefroren wie ein Brett. Da war nichts an ihm, was Callaway behilflich war, um ihn auf die Kiste zu legen, sondern nur eine schwere, mehr als zweieinhalb Zentner unbewegliche Masse, die wie ein Felsblock vor ihm lag.

»Was ist, Frenchy?«, fragte er in einem Anflug von Ärger, nachdem der Scout keinerlei Anstalten machte, ihm zu helfen. »Warum packen Sie nicht mit an? So steifgefroren, wie der ist, kann ich ihn allein nicht auf die Kiste legen.«

»Warum sollen wir ihn auf die Kiste legen? Der Mann ist tot, Constable, dem ist es egal, ob er auf dem Boden liegt oder auf der Kiste.«

»Ihm vielleicht, aber mir nicht. Je höher er liegt, umso besser kann ich ihn nachher untersuchen.«

»Was zur Hölle gibt es da noch zu untersuchen?«, erwiderte Frenchy erstaunt. »Der Mann ist erschossen worden, fertig. Das sieht doch ein Blinder. Warum sich noch zusätzlich Arbeit machen?«

Callaway wurde augenblicklich ernst. »Sergeant Mayor Parker hat mir den Fall übertragen, richtig?«

Frenchy nickte zögerlich.

»Gut. Und da ich bisher jede mir übertragene Aufgabe erfolgreich zu Ende gebracht habe, werde ich auch diese erledigen. Aber auf meine Art!«, sagte Callaway mit einer Stimme, die mit jedem Wort energischer wurde. »Also packen Sie jetzt gefälligst mit an, damit wir ihn auf die Kiste legen können.«

Der Scout verzog zwar kurz das Gesicht, kam dann aber der Aufforderung nach. Obwohl zu zweit, hatten sie dennoch einige Mühe, die steifgefrorene Leiche auf die Kiste zu legen.

»Puh«, sagte Frenchy anschließend und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. »Hätte nicht gedacht, dass der Kerl so schwer ist.«

»Das haben Tote so an sich. Sie hochzuheben ist immer schwierig, vor allem, wenn sie auch noch gefroren sind. Es ist, als ob man einen Felsblock stemmt.«

»So hat sich der Kerl auch angefühlt«, sagte Frenchy und wollte sich gerade abwenden, als er aus den Augenwinkeln heraus bemerkte, wie der Constable die Leiche, so gut es ging, hin und her bewegte und dabei immer wieder den Oberkörper abtastete.

»Alles okay?«

»Ja, ich habe mir nur die Schusswunden angesehen. Er wurde einmal in den Schädel getroffen und einmal in die Brust. Wie ich sehen konnte, trat die Kugel, die sein Gehirn durch die Gegend hat spritzen lassen, am Hinterkopf wieder aus. Aber die andere muss noch in seinem Körper stecken. Jedenfalls konnte ich keine Austrittwunde erkennen.«

»Schön, aber was bringt Ihnen das?«

»Sehr viel«, sagte Callaway, dessen Augen plötzlich in einer seltsamen Art zu glänzen begannen.  »Mit dieser Kugel könnte ich den Kreis der Verdächtigen deutlich eingrenzen.«

»Aha und wie soll das gehen?«

»Erst einmal müssen wir den Toten warmhalten, am besten legen wir Pferdedecken über ihn. Wenn er dann morgen früh aufgetaut ist, kann ich ihm die Kugel herausschneiden und dann, so Gott will, das Kaliber und letztendlich auch die Waffe, aus der geschossen wurde, bestimmen.«

»Und dann?«

»Die Anzahl der Menschen, die in dieser Provinz leben, ist im Gegensatz zu den Bezirken um Winnipeg oder Brandon überschaubar. Da es sich aller Wahrscheinlichkeit nach bei dem Mörder um einen Mann handelt, verringert sich die Anzahl der verdächtigen Personen automatisch auf ein paar Hundert. Wie Sie mir gesagt haben, ist die große Mehrheit dieser Männer mit einer Winchester bewaffnet. Wenn die Kugel also aus einem anderen Gewehr stammt, dürfte die Zahl der Verdächtigen wohl bis auf wenige Dutzend schrumpfen. Wenn wir dann noch herausbekommen, wer solch ein Gewehr benutzt und wer der unbekannte Tote ist, müsste es meiner Ansicht nach doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir den Kerl nicht ausfindig machen können, der das getan hat.«

»Wollen Sie damit sagen, dass Sie anhand einer abgefeuerten Kugel feststellen können, aus was für einer Waffe das Blei stammt?«

»Ja, durchaus. Es ist eben nicht alles Unsinn, was man uns in Winnipeg beigebracht hat, auch wenn manche Personen hier in Fort Pitt immer noch anderer Meinung sind.«

Frenchy sagte nichts, aber er grinste auch nicht mehr. Callaway glaubte, stattdessen so etwas wie den Anflug von Respekt in seinen Augen zu sehen.

Tiefe Stille lag über dem Wald, der bis weit nach Nordosten den größten Teil der Provinz bedeckte. Dennoch war Leben unter den Wipfeln der tiefverschneiten Bäume. Kurz vor der Dämmerung entstand im Unterholz, unweit der Stelle, an der man George Wheelmann erschossen hatte, plötzlich Bewegung. Ein kleiner Schneefußhase, kaum größer als ein halber Yard, bahnte sich dort vorsichtig einen Weg durch das verwachsene Gehölz.

Seine Blicke galten dabei einer vor ihm liegenden Lichtung, auf der sich eine kleine Gruppe junger Kiefern um einen schroffen Felsblock scharte. Ihre weiche Rinde würde endlich den Hunger stillen, der schon seit Sonnenaufgang in seinem Bauch wütete. Obwohl beim Anblick der jungen Bäume sein Verlangen nach Nahrung mit jeder Minute größer wurde, blieb das Tier vorsichtig. Zu groß war die Angst vor Eulen, Mardern und Wölfen, die der scheinbar nicht endend wollende Winter auf der Suche nach Beute Tag und Nacht durch das Land streifen ließ.

Bevor sich der kleine Hase daran machte, zu den Kiefern hinüberzuhoppeln, verharrte er deshalb noch geraume Zeit in einer Bodenkuhle, die durch die tief hängenden Zweige eines winterharten Dornenbusches vor neugierigen Blicken geschützt war, und spähte auf die Lichtung hinaus. Irgendwann, nachdem sich immer noch nichts gerührt hatte, erhob sich der Hase wieder und wollte sich auf den Weg zu den jungen Bäumen machen, als genau in diesem Augenblick links von ihm, am Rand der Lichtung, Bewegung entstand. Sofort blickte er in jene Richtung und sah, wie ein großes, graues Etwas hinter dem schroffen Felsblock verschwand. In panischem Schrecken duckte er sich flach auf den Boden der Kuhle, denn dieses graue Etwas war nichts anderes als einer seiner schlimmsten Feinde: ein Wolf.

Mit vor Entsetzen geweiteten Augen beobachtete der Hase, wie sich das Raubtier hinter dem Felsen in Stellung brachte. Seine ganze Aufmerksamkeit galt jetzt dem Wolf.

Ein Fehler, der letzte in seinem Leben, denn plötzlich begann es hinter ihm im Unterholz zu rascheln. Er drehte den Kopf, sah drei Indianer durch das Gehölz springen und verspürte im gleichen Moment, wie sich die rasiermesserscharf zugeschliffene Stahlspitze eines Kainahpfeiles wie ein glühender Dolch in seinen Rumpf bohrte.

Sein Tod rettete aber auch ein Leben, denn jener kurze Augenblick, in dem die Indianer sich über den Anblick des toten Hasen erfreuten, genügte dem Wolf, sich mit weiten Sätzen im Wald in Sicherheit zu bringen.

Mit einem leisen Fluch wandte sich der größte der drei Kainah ab, um dem Raubtier zu folgen, als ihn der Krieger, der neben ihm stand, mit seiner Rechten an der Schulter festhielt, während er ihm mit der linken in Zeichensprache zu verstehen gab, das außerhalb des Waldes Reiter zu hören waren. Binnen kürzester Zeit hielten alle drei Krieger Bogen und Pfeil in den Händen und hasteten fast lautlos zum Rand des Waldes.

Als sie zwischen den letzten Bäumen zum Stehen gekommen waren, deutete der Kainah, der den Hasen erlegt hatte, mit dem Zeigefinger seiner ausgestreckten Hand auf die beiden dunkle Punkte auf dem Overlandtrail, die rasch auf den Wald zukamen.

»Weißaugen!«, stieß der Krieger hervor, der dem Wolf folgen wollte. »Was sollen wir tun?«

Der andere ließ seinen ausgestreckten Arm sinken und blickte ihn grinsend an.

»Sie sind nur zu zweit und sie haben Gewehre und Pferde. Warten wir ab, bis die Dämmerung hereingebrochen ist, dann holen wir uns die Waffen und die Tiere.«

Er wartete einen Moment, um seinen Worten mehr an Gewicht zu verleihen, und sagte dann: »Und ihre Skalpe.«

Fortsetzung folgt …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert