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Der Detektiv – Band 29 – Nur ein Tintenfleck – Kapitel 2

Walter Kabel
Der Detektiv
Band 29
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Nur ein Tintenfleck
Kapitel 2 – Die Neuseeland-Marke

Der Wagen Trimals war ein leichter Jagdwagen, bespannt mit zwei flinken Halbponys. Durch Zuckerrohr und Betel-Nussbaumplantagen fuhren wir bis zu der Villenvorstadt im Nordwesten. Der Bungalow des Majors lag wie alle Häuser der wohlhabenden Europäer mitten in einem ausgedehnten Garten. Das Grundstück hatte jedoch vor den anderen den großen Vorzug, dass es sich auf der flachen Kuppe eines Hügelrückens hinzog. Nach Bangkok zu hatte man von der vorderen Veranda einen großartigen Fernblick.

Trimal führte uns auf Harsts Bitte sofort in sein Arbeitszimmer und zeigte uns die Briefmarke mit dem lila Tintenfleck. Es war eine Marke von Neuseeland.

Harst setzte sich in den Schreibsessel und rückte die elektrische Stehlampe näher heran.

»Sie müssen mich jetzt eine Weile entschuldigen«, sagte er zu Trimal. »Ich pflege derartige Dinge, die wie diese Marke hier auf besondere Vorfälle hinzudeuten scheinen, in aller Ruhe in Augenschein zu nehmen.«

»Oh – wir werden Sie nicht stören, mein teurer Monsieur Harst«, dienerte der Major fast überhöflich. »Monsieur Schraut und ich können inzwischen das Haus besichtigen.«

»Pardon – mein Freund arbeitet stets mit mir zusammen«, meinte Harst leichthin. »Vielleicht beschäftigen Sie sich indessen mit etwas anderem. Ich weiche ungern von meinen Gewohnheiten ab. Schraut, setz dich zu mir.«

Harsts Benehmen erschien mir etwas seltsam. Ich rückte mir also einen Stuhl an den Schreibtisch. Trimal stellte sich neben uns.

»Stört es Sie, Monsieur Harst, wenn ich einmal einen berühmten Detektiv bei der Arbeit beobachte?«, fragte er.

»Oh, nicht im Geringsten. Ich fürchte nur, Sie werden enttäuscht sein. Ich äußere mich nie sofort über das, was ich vielleicht entdecke. Immerhin können Sie das eine lernen, nämlich aus winzigen Kleinigkeiten Schlüsse zu ziehen. Sie sind noch nicht lange Briefmarkensammler, Monsieur Trimal. Dieser jetzt tintenbeklecksten Neuseeland-Marke fehlen drei Zacken des perforierten Randes. Eine solche Marke kauft kein langjähriger Sammler, da sie infolge dieser kleinen Beschädigung als minderwertig gilt.«

Harst hatte sich in dem Schreibsessel zurückgelehnt und schaute zu Trimal auf. Dieser nickte lächelnd. »Ganz recht, ich betreibe diesen Sammelsport erst seit einem Jahr. Ich will Ihnen ehrlich sagen: Ich habe die Sammlung nämlich von meinem Onkel Malcapier, einem Bruder meiner Mutter geerbt und bin da erst auf den Gedanken gekommen, selbst den Sammler zu spielen.«

Zum ersten Mal hörten wir nun den Namen Malcapier. Wie oft geschah es später noch. Viel zu oft für meine Vorliebe für ein friedfertiges Dasein!

Harst beugte sich nun wieder über die Briefmarke, die er mit einer Pinzette in der linken Hand hielt.

»Da sind Sie allerdings billig zu Ihren wertvollen Stücken gekommen«, meinte er. »Übrigens – zeigen Sie mir bitte genau die Stelle, wo die Marke auf dem Löschblatt und wo dieses wieder hier auf der Schreibtischplatte lag, Monsieur Trimal.«

Der Major tat es. Das Löschblatt hatte genau vor dem Onyxschreibzeug und die Marke mitten auf dem Löschblatt gelegen.

Das Löschblatt war ein gewöhnliches dickes weißes Löschpapier in Quartblattgröße. Harst nahm es nun auf und besah es sich von beiden Seiten. Es war tadellos sauber und hatte nur in der Mitte eine gewölbte Stelle. Hier hatte offenbar die feuchte Marke die Unebenheiten des Papiers hervorgerufen.

»Wo kaufen Sie diese Löschblätter?«, fragte Harst nun und hob wieder die Marke mit der Pinzette an und drehte sie um.

»In Bangkok in einem Papiergeschäft gegenüber der Pagode Wat Tscheng. Nicht wahr, es ist ein sehr gutes Löschblatt?«

»Vorzüglich ist es. Offenbar ein einheimisches Fabrikat.«

»Wahrscheinlich.«

Harst griff nun nach einem Vergrößerungsglas, das neben dem Schreibzeug lag. Nachdem er die Marke mithilfe dieser starken Linse eine Weile betrachtet hatte, reichte er sie mir samt der Pinzette und schob mir auch das Vergrößerungsglas hin, worauf er sich erhob und zu Trimal sagte: »Kann ich einmal Ihren geheimen Tresor sehen?«

»Bitte sehr. Treten Sie dort vor jenes Sportbild, Monsieur Harst.«

Ich hatte inzwischen die Marke in Augenschein genommen. Der lila Tintenfleck war nach der rechten Ecke der Marke zu etwas verlaufen und hatte sogar die Zähne des perforierten Randes lila gefärbt. Die Rückseite der Marke schimmerte leicht gelblich, vermutlich infolge der Einwirkung des ursprünglichen, nun aber abgewaschenen Klebstoffs. Der Fleck selbst war dick und auf der Oberfläche etwas rissig.

Das war alles, was ich feststellen konnte. Ich legte Marke, Pinzette und Vergrößerungsglas auf das Löschblatt und stand auf.

Harst und der Major sprachen nun über die Markensammlung die Trimal aus dem Wandfach herausgenommen und auf den Mitteltisch gelegt hatte. Es waren drei dicke Bücher, gebunden in bräunliches Leder. Harst blätterte darin und bewies durch feine Bemerkungen über einzelne Marken, dass er von diesen weit mehr verstand als Trimal.

Dann schloss der Major die Bände wieder weg und fragte, ob Harst noch irgendetwas hier zur Aufklärung des Tintenflecks zu besichtigen wünsche.

»Danke«, erklärte Harst darauf. »Ich bin bereits zu einer ganz bestimmten Ansicht gelangt. Sie können überzeugt sein, Monsieur Trimal, dass der lila Tintenfleck aus einem Federhalter ohne Wissen des Eigentümers des Halters auf die Marke herabgetropft ist, als der Betreffende hier vor Ihrem Schreibtisch aufrecht dastand und sich irgendwelche Notizen in sein Taschenbuch machte. Es ist also jemand in der verflossenen Nacht in dieses Zimmer eingedrungen, jemand, der vielleicht zu Ihren näheren Bekannten gehört und so Gelegenheit hatte, einen Wachsabdruck von dem Schlüssel der Tür dieses Zimmers zu nehmen. Haben Sie einen größeren Umgangskreis? Wer geht hier bei Ihnen zwanglos aus und ein?«

Trimal nötigte uns in die bequemen Lederklubsessel und erwiderte, indem er auf den Knopf der elektrischen Glocke neben der Tür drückte: »Ja – das ist ja gerade das Seltsame: Ich habe hier eigentlich nur eine einzige nähere Bekannte, meine Landsmännin Sarah Pordepierre. Ich lebe sehr zurückgezogen. Meine kleinen Neigungen, so besonders meine Beschäftigung mit der Dressur von Affen, füllt meine Zeit voll aus. Nein, Monsieur Harst, ein Bekannter von mir kommt hier nicht infrage. Denn Madame Pordepierre ist über jeden Verdacht erhaben. Gut – aus einem Füllfederhalter mag der lila Tropfen herabgefallen sein. Aber dessen Besitzer muss ein mir fremder Mensch sein.«

»Selbst den werden wir finden«, sagte Harst gelassen. »Wenn wir in Bangkok in den einschlägigen Geschäften nachfragen, wer regelmäßig lila Tinte kauft, dann wird der Kreis der in Betracht kommenden Personen sich schon wesentlich verengen.«

Ein chinesischer Diener trat mit einem Teebrett ein und stellte eisgekühlte Getränke und mehrere Kisten Zigarren auf den Tisch. Das ganze Königreich Siam ist von Chinesen überschwemmt. In Bangkok allein gibt es bei etwa 400.000 Einwohnern über 150.000 Chinesen.

Als der Diener wieder draußen war, erklärte Harst weiter: »Ich gebe Ihnen den Rat, die nächsten Nächte hier zu schlafen, Monsieur Trimal. Oder aber doch wenigstens diese Nacht. Morgen lassen Sie dann ein anderes Patentschloss in die Tür einsetzen. Ich hoffe Ihnen in zwei bis drei Tagen den Menschen nennen zu können, der die Neuseeland-Marke unabsichtlich verdorben hat. Sie waren früher wohl in der Kolonialarmee, Monsieur Trimal? Die Waffensammlung dort an der Wand verrät, dass Sie zumindest in Madagaskar längere Zeit gelebt haben. Diese Schwerter mit dem kurzen Griff und der Sichelklinge sind fraglos altmadagassische Arbeit.«

Das Gespräch lenkte so auf die Waffen der Naturvölker über. Nach zehn Minuten erschien ungerufen der chinesische Diener abermals und meldete dem Major, dass die beiden Halbponys plötzlich unter schweren Kolikerscheinungen erkrankt seien.

Trimal entschuldigte sich und eilte in den Stall. Als wir nun allein waren, sprach Harst mit allem Eifer weiter über Zuluspeere, malaiische Dolche, tibetanische Doppelgriffschwerter und ähnliche charakteristische Waffen. Ich hatte dabei das deutliche Gefühl, dass hinter diesem mit so merkwürdigem Eifer behandelten Thema eine bestimmte Absicht stecken müsste.

Trimal kehrte sehr bald zurück.

»Es tut mir außerordentlich leid«, meinte er, »dass ich Sie beide jetzt nicht in meinem Wagen zur Stadt zurückbringen kann. Die Pferde sind zurzeit jedoch nicht zu benutzen. Ich habe daher schon nach der Stadt telefoniert und zwei Rikschas hierher bestellt.«

Wir blieben bis gegen elf Uhr bei Trimal. Er begleitete uns noch bis vor das Gartentor, reichte uns die Hand, dankte Harst wortreich für den Besuch und erklärte, er würde sich freuen, wenn wir uns morgen Vormittag seine dressierten Affen ansehen würden, in die er offenbar ganz verliebt war. Harst sagte zu, machte noch einen Scherz über die Affensprache, an deren Bestehen Trimal fest glaubte, und rief dann seinem Rikschakuli den Befehl zur Abfahrt zu.

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