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Bunte Jugendbücher – Schelmenstreiche – Teil 1

Bunte Jugendbücher
Schelmenstreiche
Aus alten Schwankbüchern von Jörg Wickram, Michael Lindener, Desiderius Erasmus, Ludwig Aurbacher, Johann Peter Hebel und Karl Simrock
Teil 1

Gut gegeben

Von Jörg Wickram

Gen Wasen im Oberland kam gegen Abend ein Reiter ins Wirtshaus. Den ganzen Tag hatte er bei schlechtem Wetter durch den Schmutz reiten müssen, und sein großer zottiger Hühnerhund, der ihn begleitete, war sehr be­schmutzt. Als der Reiter nun zu Nacht aß, warf er seinem

Hund hin und wieder ein Stück Brot oder einen Knochen zu. Das er­zürnte jedoch den Wirt und er dachte bei sich selbst: Warte, ich will dir die Zeche schon machen. Nachdem sie gegessen hatten und der Wirt von jedem Gast die Zeche einnahm, sagte er zu dem Reiter: »Herr Gast, Ihr habt mir zwei Zechen zu zahlen, eine für

Euch und eine für Euren Hund, denn Ihr habt ihm wohl so viel hingeworfen an Brot, Fleisch und anderem.«

Der Reiter er­widerte lächelnd: »Was ich tun muss, das will ich gern tun.« Und zahlte dem Wirt zwei Zechen, vier Schweizer Batzen. Als nun der Wirt einem jeden sein Bett zugewiesen hatte, da führte er den Reiter in eine besonders schöne Schlafkammer, darin zwei gute Betten standen und dachte: Er hat die Zeche richtig bezahlt, da willst du ihm auch eine Ehre antun und ihm ein gutes Bett geben. Darauf wünschte er dem Reiter gute Nacht. Der Reitersmann war nicht faul, sondern rief seinen zottigen, beschmutzten Hund und legte ihn in das eine Bett, weil er dachte: Habe ich die Zeche für dich bezahlen müssen, so sollst du auch dafür in einem guten Bett schlafen. Der Hund zerscharrte nun – nach seiner Ge­wohnheit – das gute Bett und machte sich ein Lager darin.

Am Morgen, als der Reiter aufgestanden war, wollte die Hausmagd die Betten machen. Da fand sie das Bett, in dem der Hund gelegen hatte, arg zugerichtet. Als der Wirt das vernahm, da verklagte er den Reiter bei der Obrigkeit und forderte, er solle ihm das Bett bezahlen. Der Reiter sagte aber vor Gericht: Da er für den Hund eine Zeche von zwei Batzen habe zahlen müssen, so wäre es doch auch recht und billig gewesen, dass er auch wohl ge­bettet schliefe. Die Richter lachten zu dieser Sache und sprachen den Reiter frei. Sie ermahnten daneben den Wirt, dass er keinem Hund mehr in solcher Weise die Zeche machen sollte.

Wie ein Schelm einen anderen hinters Licht führt

Von Jörg Wickram

Es gibt zuweilen beim Kauf und Verkauf listige Leute, die alle Ränke und Vorteile kennen, womit sie andere überlisten mögen. Bisweilen findet aber ein großer Fuchs einen noch grö­ßeren in der Höhle. Also ging es vorzeiten einem listigen Bauern mit einem Landsknecht, der noch listiger war als der Bauer. Dieser Landsknecht kam an einem Feiertag in ein Dorf geritten, woselbst er im Wirtshaus einkehrte. Einem Bauern gefiel das Pferd des Landsknechts über die Maßen wohl, und er fragte den Reiter oft, ob ihm das Pferd nicht feil wäre.

»Nein«, sagte der Landsknecht, »es ist mein Leibross, und ich gäbe es nicht um den zweifachen Wert.«

Als die beiden miteinander tranken, da wusste der Bauer von nichts anderem mehr zu reden als von dem Pferd, und er hörte nicht auf, den Landsknecht zu bitten, ihm das Ross doch zu verkaufen.

Da nun der Landsknecht sah, wie viel dem Bauern an dem Pferd lag, wollte er des Bauern Begehren stillen und sagte: »Ihr habt von Anfang an doch ge­hört, dass mir das Pferd nicht feil sei; außerdem würdet Ihr mir auch nicht so viel zahlen, wie ich dafür fordern müsste.«

Der Bauer jedoch antwortete: »Mein lieber Kriegsmann, meinst du, ich könnte einen solchen Klepper nicht ebenso gut bezahlen wie du? Schlage doch nur eine Kaufsumme vor und versuche, ob ich auf den Kauf nicht eingehe.«

Nun sprach der Landsknecht: »Weil du das Pferd so gerne haben willst, so wisse, dass es nicht unter fünfzig Kronen verkäuflich ist.«

Nun war des Landsknechts Pferd wohl fünfund­zwanzig Kronen wert, wie der Bauer erkannt hatte, darum sagte er zu dem Landsknechte: »Wohlan, mein Brüderlein, damit du meinen Ernst siehst, so will ich das Pferd für fünfundvierzig Kronen kaufen und dir gleich fünfundzwanzig Kronen bezahlen, die übrigen zwanzig aber will ich dir auf St. Nimmerstag geben.«

Da dachte der Landsknecht: Lass sehen, Bauer, wer den anderen betrügt. Dann erwiderte er: »Guter Freund, mir ist nicht so sehr an der Zahlung gelegen, wenn ich nur den Heiligen kennen würde. Steht er denn auch im Kalender?«

»Freilich«, sagte der Bauer, »steht er drin, sonst wäre er ja kein Heiliger.«

»Dann bin ich’s zu­frieden«, entgegnete der Landsknecht, »doch wir wollen lieber eine Verschreibung gegeneinander aufsetzen.«

Darauf ging der Bauer gutwillig ein, und als der Handel geschlossen war, tranken sie den Weinkauf1, den der Bauer halb bezahlen wollte. Aber der Landsknecht sprach: »Nein, Freund, ich habe soeben fünfund­zwanzig Kronen erhalten, da ist es billig, dass ich die Zeche bezahle.«

Dem Bauern gefiel das wohl, und er meinte, er hätte einen Hirsch gefangen, doch war es kaum ein Rehbock. Darauf nahm der Landsknecht seine fünfundzwanzig Kronen nebst der Verschreibung und zog seine Straße.

Der Allerheiligentag kam. Als noch nicht acht Tage danach vergangen waren, da kam der gute Landsknecht wieder in das Wirtshaus und schickte nach dem Bauern wie auch nach den anderen, die bei dem Kauf gewesen waren, und alle kamen herbei. Als der Bauer den Landsknecht sah, begrüßte er ihn freundlich und fragte ihn, was ihn diese Straße zurückführe.

»Das könntet Ihr wohl erraten«, sagte der Kriegsmann, »ich will mein ausständiges Geld einziehen laut Eurer Verschreibung.«

»Hoho!«, sagte der Bauer, »das ist noch nicht fällig, wird auch noch lange nicht fällig sein.«

Darauf erwiderte der Landsknecht: »Mein lieber Bauer, die Sache wird sich wohl etwas anders verhalten. Als wir den Kauf miteinander abschlossen, da habe ich Euch gefragt, ob St. Nimmer auch ein Heiliger sei; da habt Ihr ihn als einen Heiligen aner­kannt und gesagt, dass er auch im Kalender stehe. Ich habe jetzt allenthalben im Kalender gesucht, aber keinen St. Nimmer darin gefunden. Nun ist aber vor acht Tagen Allerheiligen gewesen. Weil nun St. Nimmer auch ein Heiliger ist, so lasse ich mich nicht dadurch irreführen, dass er im Kalender nicht steht; denn es sind viele Heilige, die im Niederland, in Italien und an anderen Orten verehrt werden, ohne dass wir sie in unserm Kalender haben.«

Der Bauer widersprach jedoch, und nachdem sie nun noch mancherlei Rede miteinander gehabt hatten, berief sich der Bauer auf das Urteil des Amtmannes, womit der Landsknecht wohl zufrieden war. So kamen sie vor den Amtmann und klagten. Als dieser nun Klage und Antwort der beiden Parteien gehört hatte, bestimmte er, dass der Bauer an den Landsknecht die zwan­zig Kronen zu zahlen habe nach seiner Verschreibung; außerdem musste der Bauer um seiner Ränke willen noch eine hohe Geld­strafe zahlen. So wurde ein Fuchs von einem anderen gefangen, wie es gut und recht ist.

Untreue schlägt den eigenen Herrn

Von Jörg Wickram

Es wurde jemand vor Gericht verklagt, und er sah wohl ein, dass er ohne Geld nicht davonkommen würde. Das klagte er einem Fürsprecher2.

Der sagte zu ihm: »Ich will dir wohl aus der Sache heraushelfen und dich ohne Kosten und Schaden davon bringen, wenn du mir vier Gulden als Lohn für meine Arbeit geben willst.«

Der Verklagte war so zufrieden und versprach ihm die vier Gulden, sofern er ihm aus der Sache heraushelfe. Also gab der Fürsprecher ihm den Rat, wenn er mit ihm vor das Gericht käme, so sollte er, ganz gleich, was man ihn frage, keine an­dere Antwort geben als das einzige Wörtchen: Blä!

Da sie nun vor das Gericht kamen und der Mann hart verklagt wurde, konnte man kein anderes Wort aus ihm herausbringen als: Blä!

Die Gerichtsherren lachten endlich und sagten zu seinem Fürsprecher: »Was wollt Ihr von seinetwegen antworten?«

Der Fürsprecher zuckte die Achseln und sprach: »Ich kann nichts für ihn reden; denn er ist ein Narr und kann mir auch nichts berichten, was ich reden soll. Es ist nichts mit ihm anzufangen; ich halte es für billig, dass er als Narr bezeichnet und ledig gelassen werde.«

Also wurden die Herren einig und ließen ihn ledig. Danach heischte der Fürsprecher von ihm die vier Gulden. Da sprach dieser: »Blä!« Der Fürsprecher sagte: »Du wirst mir das nicht abbläen; ich will mein Geld haben«, und entbot ihn vor das Gericht.

Und als sie beide vor den Gcrichtsherren standen, sagte der Verklagte wieder nur stets: »Blä!«

Da sprachen die Gerichtsherren zu dem Fürsprecher: »Was wollt Ihr noch von dem Narren? Wisst Ihr nicht, dass er nicht reden kann?«

Also musste der Fürsprecher das Wort »Blä« statt seiner vier Gulden zum Lohn haben, und es traf Untreue ihren eigenen Herrn.

Über den Autor

Jörg Wickram (ca. 1505–1562) war ein bedeutender deutscher Schriftsteller und Dramatiker der Renaissance. Geboren in Kolmar im Elsass (heute Colmar, Frankreich), gilt er als einer der Wegbereiter des deutschsprachigen Romans und als einer der ersten professionellen Autoren in der deutschen Literaturgeschichte.

Wickram war ein vielseitiger Schriftsteller, der sowohl Prosa als auch Lyrik und Theaterstücke verfasste. Er war ein Vertreter der Meistersang-Tradition und Mitglied einer Meistersängerzunft. Eines seiner bekanntesten Werke ist der Rollwagenbüchlein (1555), eine Sammlung von Schwänken, die als früher Vorläufer des deutschen Romans betrachtet wird. In diesem Werk kombinierte er humorvolle Erzählungen mit moralischen Lehren, was seine populäre und unterhaltsame Schreibweise kennzeichnete.

Ein weiteres bedeutendes Werk ist Der Goldfaden (1557), ein moralisch-didaktischer Roman, der als einer der ersten deutschen Bildungsromane gilt. Wickram beschäftigte sich in seinen Werken oft mit Themen wie Liebe, Tugend und menschlichen Schwächen, und er war bestrebt, seine Leser sowohl zu unterhalten als auch zu belehren.

Neben seiner literarischen Arbeit war Wickram auch als Stadtschreiber in seiner Heimatstadt tätig, was ihm Einblicke in das städtische Leben und die Gesellschaft seiner Zeit gab, die sich in seinen Schriften widerspiegeln. Seine Werke waren zu seiner Zeit sehr beliebt und beeinflussten die deutsche Literatur nachhaltig, insbesondere die Entwicklung des Romans und der Unterhaltungsliteratur.

Jörg Wickram starb 1562, vermutlich in Burkheim am Kaiserstuhl, wo er seine letzten Lebensjahre verbrachte. Seine Schriften sind ein bedeutendes Zeugnis der literarischen und kulturellen Entwicklungen der Renaissance im deutschsprachigen Raum.

Show 2 footnotes

  1. Bei geschäftlichen Abschlüssen ist es heute noch vielfach üblich, eine Zeche zu tun.
  2. Rechtsanwalt

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