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Die Gespenster – Vierter Teil – 21. Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Vierter Teil

Einundzwanzigste Erzählung

Das Gespenst an Bord eines Schiffs, durch dessen Erscheinung ein Verständiger blödsin­nig wird

Im Junius des Jahres 1734, lag Herr Walker mir seinem Schiff, ELISABETH genannt, im Hafen zu Cadix vor Anker und hatte Herrn Burnet, einen Irländer, der als Mediziner in sein Vaterland zurückzukehren im Begriff war, an Bord. Walker stand mit dem Letzten in einer vertrauten Bekanntschaft und liebte ihn ungemein, weil er ein sehr vernünftiger Mann und im Umgang angenehm lebhaft war. Einst war die Rede von Erscheinungen abgeschiedener Freunde. Der Irländer schien stark daran zu glauben; wenigstens erzählte er eine Menge wunderbarer Geschichten, wel­che diesen Glauben zu rechtfertigen schienen. Wal­ker hingegen, der sich selbst nicht einmal von der

Möglichkeit übernatürlicher Erscheinungen überzeugen konnte, bewies seinem Freund das Lächer­liche und Ungenügende dieser Erzählungen und versicherte, dass nichts in der Welt imstande sein würde, ihm auf Kosten seiner Vernunft andere Überzeugungen beizubringen und ihn zum Glau­ben an übernatürliche Erscheinungen zu bekehren.

Diese vielleicht unüberlegte Vermessenheit ver­anlasste Herrn Burnet, seinem Freund wenig­stens an anderen zu zeigen, wie tyrannisch unsre Vernunft – durch die Natur der Menschheit, noch mehr aber durch Erziehung und Vorurteil an die Sklavenketten der Einbildungskraft geschmiedet –von dieser oft misshandelt werde.

Als sie zu Mittag mit Niederen von der Schiffsgesellschaft in der Gegend des Vorderkastells auf dem Verdeck des Schiffes standen und zusahen, wie die Wachboote des Gouverneurs an dem Ankerpfahl eines Schiffes in der Bucht anlegten, tat Herr Burnet, der für einen außerordentlich guten Schwimmer bekannt war, den Vorschlag, ob man mit ihm eine Wette eingehen wolle. So wolle er von der Kammer des Schiffs ins Wasser sprin­gen und von da an bis an jene Boote ganz un­ter dem Wasser zu schwimmen, bei den Booten aber plötzlich als eine Wassernixe aus dem

Wasser hervorspringen, um so die wachhabenden Leute auf denselben als ein Wassergespenst zu erschrecken.

Die Wette wurde eingegangen, Burnet zog sich aus, sprang ins Wasser, tauchte unter und verlor sich ganz aus dem Blickfeld. Das Schiffsvolk drängte sich vorwärts, und alles sah unverrückten Blickes auf die Wachboote, um ihn da hervorspringen zu sehen; allein man harrte vergebens dar­auf. Er kam nicht wieder zum Vorschein, denn er hatte zu viel unternommen. Die Zeit der Hoffnung für die teilnehmende Erwartung aller war längst gänzlich verflossen. Kein menschliches Auge erblickte ihn; er musste ertrunken sein. Ein jeder befand sich in der äußersten Unruhe und Be­stürzung, vorzüglich aber diejenigen, welche gewettet hatten, und nun durch den Gedanken beunruhigt wurden, dass sie gewissermaßen Mit­schuldige seines Todes wären.

Als der Abend anbrach und die ganze Schiffs­gesellschaft über diesen Zufall sehr schwermütig war, begab sich Herr Walker mit einigen guten Freunden in seine Kajüte, wo noch immer das traurige Schicksal und der Verlust ihres gemeinschaftlichen Freundes und angenehmen Gesellschafters der einzige, nichts weniger als erheiternde Gegenstand ihrer Unterhaltung war.

Beim Einbruch der Nacht verließ die Gesell­schaft Herrn Walker. Er selbst legte sich mit niedergeschlagenem Gemüt zu Bett, konnte aber im tiefen Nachdenken über den Verlust seines ihm so lieben Gefährten lange die erwünschte Ruhe nicht finden. Der Mond schien gerade durch seine Fenster in die Kammer, als er gewahr wurde, dass die Tür derselben aufging. Er starrte dahin und erblickte dort ein Etwas, das ihn notwendig in Verwunderung setzen musste, weil er sich einbildete, es stelle eine menschliche Gestalt vor. Zudem er sich aber eines Besseren besann und so gern sich selbst überredet hätte, dass dies alles nur ein Werk seiner beunruhigten Fantasie sei, wandte er das Gesicht weg. Unwillkürlich aber kehrten seine Blicke bald wieder zu dem vorigen Gegenstand zurück, den er nun auf das Deutlichste langsam auf sich zu schweben sah und in welchem er ganz zweifellos das Bild seines abgeschiedenen Freundes wiedererkannte.

Unseres Sehers bemächtigte sich in diesem Au­genblick ein Entsetzen, welches das Innerste seiner Seele erschütterte und aus der Tiefe seiner Brust ei­nige unwillkürliche Töne der Angst hervorpresste.

Der Maat, der sonst nahe am Steuer hinter der Kajüte zu liegen pflegte, war noch nicht zu Bett und hörte mit lauter und beunruhigter Stimme ausrufen: »Wer seid Ihr!«

Er lief den Augenblick mit einem Licht hinzu, als er aber Burnets Geist im leinenen Schlafrock antraf, stürzte er besinnungslos zu Boden, ohne einen einzigen Laut von sich zu geben.

Nun zeigte sich der Geist als eine sehr mitleidige, menschenfreundlich tätige Seele, denn er äußerte von diesem Augenblick an, die ängstlichsten Besorgnisse für die Gesundheit und das Leben des vom Entsetzen halb getöteten Maats.

Die Schlafrockerscheinung lief nach einer Flasche mit Spiritus, welche wie sie wusste, im Fenster stand. Diesen hielt sie dem ohnmächtigen Mann vor die Nase und bestrich ihm damit die Schläfe. Als Herr Walker, der zitternd am ganzen Leib noch immer im Bette lag, sah, dass der Geist so gut­mütig-geschäftig war, fing er an, sich von seinem Schrecken zu erholen.

Der vermeinte Geist aber – kein anderer als der noch lebende Herr Burnet selbst – verminderte vollends sein Erstaunen und seine Verwirrung wie er, ohne jedoch den scheintoten Maat einen Augenblick außer Acht zu lassen. Herrn Walker zurief: »Freund, ich muss Sie um Verzeihung bitten; ich fürchte, ich habe den Scherz zu weit getrieben. Ich schwamm um das Schiff herum und kam unbemerkt zum Kajütfenster wieder in dasselbe hinein. Diesen Erfolg hatte ich nicht berechnet, denn meine Absicht war bloß, Sie von der natürlichen Furcht zu überzeugen, welche sich bei dergleichen Erscheinungen auch des Kühnsten zu bemeistern pflegt. Hoffentlich sind Sie jetzt von dieser oft bestrittenen Wahrheit völlig überzeugt.«

Herr Walker war hoch erfreut, aus seinem schrecklichen Traum erweckt zu sein und seinen totgeglaubten Freund noch am Leben zu wissen. Aber indem er gern gestand, dass er überwunden und völlig überzeugt sei, war auch ihm für den gegenwärtigen Augenblick nichts wichtiger, als seinem gleichsam vom Tod auferstandenen Freund – diesen Arzt – den armen Maat bestens zu empfehlen, damit er spukend nicht im Ernst den Tod unter sie bringen könnte.

Herrn Burnets Bemühungen, dem noch immer ohnmächtigen Maat zu helfen, waren nicht fruchtlos; allein als dieser Letztgenannte endlich wieder zur Besinnung kam und Herrn Burnet diesen vermeinten Geist, der unvorsichtigerweise gerade vor ihm stand, ansichtig wurde, so fiel er, wegen des abermaligen Entsetzens, augenblicklich in den vorigen besinnungslosen Zustand zurück. Herr Burnet ent­fernte sich nun aus der Kajüte und rief andere Leute zur Rettung des Verunglückten herbei. Da­durch ging indessen viel Zeit verloren; denn ein jeg­licher, zu dem Herr Burnet kam, geriet durch den unvermuteten Anblick des vermeintlich Ertrun­kenen mehr oder minder in Schrecken, und es kostete viel Mühe und ganz eigene Künste der Überredung, um die Erstaunten zu überzeugen, dass er – Burnet – es wirklich sei.

Nie erlangte der unglückliche Maat den völligen Gebrauch seiner Sinne wieder. Die Na­tur hatte zu starke Erschütterungen erlitten und die Vernunft war gleichsam auf immer aus ihrem Sitz vertrieben worden. Der Kranke kehrte endlich zwar äußerlich ins Leben zurück; allein seine Seele blieb von dieser unglücklichen Stunde an in einer immerwährenden Dummheit, und nie konnte er wieder dahin gebracht werden, Herrn Burnet direkt ins Gesicht zu sehen, ob er gleich zuvor einer der bravsten Männer war und in mancher See­gefahr dem Tod selbst kühn ins Auge gesehen hatte.

So endete Burnets Versuch im Erforschen, wie leicht die Einbildungskraft eines Un­gläubigen hintergangen werden könnte, und wie weit die einem jeden natürliche Furcht ihre Herrschaft über die so leicht getauschten Sinne erstrecke.

So lehrt er uns aber auch zugleich, dass es nach Umständen gefährlich werden könne, die Vernunft überzeugen zu wollen, indem man die Einbildungskraft angreift; dass es wenig menschenfreundliches Zartgefühl verrate, so aus bloßer Neubegierde, die Seele eines Freundes gleich­sam zu zergliedern; und dass es unverzeihliche Verwegenheit und Prahlerei sei, sich bei all sei­nen richtigen Einsichten und begründeten Überzeu­gungen in Hinsicht auf das Gespensterwesen, je­der Prüfung preiszugeben, durch welche die menschliche Erfindungskraft ihn und seine Herzhaftigkeit auf harte Proben zu stellen vermag.