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Der wilde Jäger vom Ettersberg Kapitel 1

Sammlung deutscher Drucke
Der wilde Jäger vom Ettersberg
oder: Elternsegen, Himmelsschutz beut1 den Himmelsscharen Trutz
Eine romantische Sage aus der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg
Altötting, Verlag der J. Lutzenberger’schen Buchhandlung

1. Die Rettung

Zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges stand in den Waldungen des Ettersberges ein stattliches Schloss, welches dem Herzog Wilhelm von Sachsen als Jagd­schloss diente. Dort wohnte der alte Erbförster Eg­bert Koch, ein biederer gottesfürchtiger Waidmann, der seine Gattin vor Jahren durch den Tod verloren hatte und nun in seiner einzigen Tochter Kunigunde, die zu der Zeit, wo unsere Erzählung beginnt, eben zur blühenden Jungfrau herangewachsen war, die höch­ste Lebensfreude, den wohltuendsten Trost fand. Wenn sie am Sonntagmorgen mit dem Gebetbuch in der Hand durch den stillen Wald zur Kirche zu Ettersburg hin wandelte, dann folgte ihr aus dem Fenster des Schlosses der Blick des alten Erbförsters voll seliger Wonne nach, dann war es dem alten Vater, den die Fußgicht im Sorgenstuhl festhielt, als zöge sein Schutzengel durch den Wald zu dem Gotteshaus. In solchen Augenblicken der Vaterfreude faltete der alte Erbförster fromm die Hände zum Gebet und flehte tiefgerührt mit Tränen in den Augen den Vater aller Wesen um seinen höchsten Schutz für den Lieb­ling seines Herzens an.

Leider waren die damaligen Zeitverhältnisse keines­wegs beruhigend, und alle Möglichkeiten des wüten­den Krieges bereiteten auch dem grauen Haupt des wackeren Erbförsters Koch manche schwere Sorge. Da erscholl – es war am 12. November 1632 – die Schreckensnachricht von der blutigen Schlacht bei Lützen und alles zitterte vor der Nähe der rohen Kriegsscharen Wallensteins oder der Schweden. Denn die zügellose Soldateska schonte weder Freund noch Feind, weder Mann noch Frau, weder Greis noch Kind; an alles legten die verwilderten Kriegsknechte ihre Hand, und es gewährte ihnen eine teuflische Lust, das fried­liche Glück des Bürgers und Landmannes zu ver­nichten.

Egbert Koch, der alte Erbförster zu Ettersburg, war als ein echter Mann auf den Fall eines krie­gerischen Besuches auch in diesen Gegenden vorberei­tet. Sein geliebtes Töchterchen Kunigunde sollte im Angesicht der drohenden Gefahr in Sicherheit gebracht werden, um nicht der frechen und straflosen Lüstern­heit zum Opfer zu dienen. Er rief daher seinen Jäger­burschen Engelbert zu sich ins Zimmer und trug ihm auf, Kunigunde nach Weimar zu einem seiner alten Freunde zu begleiten, wo die Jungfrau hinter den schützenden Mauern der damals befestigten Stadt sicherer wäre als in dem einsamen Jagdschloss. Er selbst wollte auf der Ettersburg zurückbleiben, um im Fall der Ge­fahr das Gut seines gnädigen Herrn, des Herzog Wilhelm, als ein treuer Diener nach Kräften zu be­schützen. Mit schwerem Herzen und heißen Tränen schied Kunigunde von dem teuren Vater, dem zu ge­horchen sie von Kindheit an als ihre heiligste Pflicht erkannte, und machte sich unter dem Schutz des braven Jägerburschen Engelbert auf den Weg, der durch die Waldungen des Ettersberges nach Weimar führte.

Ungefährdet waren Engelbert und Kunigunde fast bis an das Ende des Ettersberges in den soge­nannten Katzengrund gelangt, als der treue Karo, der vor den beiden Wanderern bisher lustig einher ­gesprungen war, plötzlich stehen blieb und zu wiederholten Malen laut anschlug.

»Willst du wohl schweigen, Bestie?«, rief eine raue Stimme aus dem Gebüsch, und im selben Augenblicke sprangen mehrere Kerle, Nachzügler der schwedischen Armee, auf den Pfad und stellten sich drohend vor Engelbert und Kunigunde hin.

»Mein Gott, was soll das bedeuten?«, jammerte das erschrockene Mädchen und schmiegte sich bebend an die Seite ihres Gefährten.

»Ha, Bursche«, riefen lachend die Soldaten, »du hast da eine schöne Maid, gib sie uns und lass dir das Küssen vergehen!«

»Zurück, ihr Buben!«, rief der Jägerbursche, fest entschlossen, Kunigundes Ehre bis zum letzten Augen­blick seines Lebens zu verteidigen.

Es entspann sich ein heftiger Kampf, in dem Engelbert, wie tapfer er auch focht, der Übermacht unterliegen musste. Die Strolche warfen ihn zu Bo­den und schleppten ihn dann zum Gebüsch, um den Unglücklichen an den Stamm einer Eiche zu binden, während Kunigunde an allen Gliedern zitternd und alle Heiligen um Hilfe anrufend, von einem der We­gelagerer umfasst und nachgeschleppt wurde.

»Lasst ab, ihr Strolche, wenn euch euer Leben lieb ist!«, erscholl nun eine gewaltige Stimme, vollkommen geeignet, den Bösewichtern Einhalt zu gebieten. Der Ruf kam von einem wild aussehenden Mann in der Tracht eines Landsknechts, der eben auf dem Kampfplatz erschien. Um die Stirn hatte er ein breites, rotes Tuch als Binde geschlagen, auf der Schulter trug er eine Ha­kenbüchse und in der Hand einen derben Knotenstock. Die ganze Erscheinung hatte etwas Wildes und auf den ersten Blick erkannte man in dem Mann einen Streifzügler, wie sie in kriegerischen Zeiten häufig das Land durchziehen und mitunter die Wege unsicher machen.

Überrascht durch die unwillkommene und plötzliche Aufforderung hielten die Räuber inne, und beide Teile maßen sich einige Sekunden lang mit misstrauischen Blicken. Bald aber nahm Kuno – so hieß der fremde Landsknecht – das Wort und fragte: »Was macht Ihr da? Was geht hier vor?«

»Vorwitziger, ziehe fürbass und lass uns in Frieden«, erwiderte kühn und mürrisch einer der Strolche, »sonst wollen wir dir einen Denkzettel geben, dass du an uns bis in die Hölle hinein denken sollst.«

Mit dem Ausruf »Ha, ihr Strolche, ich will euch lehren!« schwang Kuno seinen Knüttel und drang auf die Kerle ein, die ihrerseits ebenfalls nicht faul waren und sich dem Angreifenden entgegenstürzten. In dem ungleichen Kampf würde Kuno, so mutig und kraftvoll er auch war, doch unterlegen sein, hätte sich nicht bei dem allgemeinen Tumult Engel­bert aus der Haft der Strolche losgerissen, einem der­selben den Knüttel entwunden und wäre mit auf sie eingedrungen. Kräftig, wie der Landsknecht war, teilte derselbe unter die Strolche gewichtige Schläge aus, sodass diese endlich vom Kampf abließen und flohen.

Herzliche Worte des Dankes richtete Kunigunde an ihren tapferen Retter und ließ nicht ab mit Bitten, bis derselbe endlich einwilligte, die beiden zum Vater zurückzubegleiten.

»Vielleicht dürftet Ihr auch noch meine Hilfe auf dem Heimweg brauchen«, sprach Kuno, der Landsknecht, und folgte ihnen zur Erbförsterei. Sonderbar erschien Engelbert und Kunigunde, was aber von Kuno nicht bemerkt zu werden schien, dass auf diesem Weg eine große Eule, ganz gegen die Gewohnheit dieser Art Nachtvögel, von Ast zu Ast vor den Wanderern her hüpfte und dabei ihr wider­liches, schauerliches Gekrächze vernehmen ließ.

Show 1 footnote

  1. Ältere Form von biete(t), bieten