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Nick Carter – Band 15 – Ein verbrecherischer Arzt – Kapitel 4

Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Ein verbrecherischer Arzt
Ein Detektivroman

Chick auf der Verfolgung

Ehe sich Nick Carter zu der Abendgesellschaft begab, hatte der Meister seinem Gehilfen von der merkwürdigen Verfolgung durch einen Bewohner des Staples’schen Hauses und durch den Doktor selbst erzählt. Das hatte Chicks Interesse geweckt, und ohne Nicks Wissen war er diesem nach dem Collins’schen Haus gefolgt. Dort hatte er einen Mann herumlungern sehen, auf welchen die von Nick gegebene Beschreibung vortrefflich zu passen schien. Dieser Mann schien Nicks Ankunft erwartet zu haben, denn kaum war der Meister im Haus verschwunden, entfernte sich der auf der Lauer Stehende auch schon von seinem Posten, jedoch nur, um sich tiefer in den dunklen Schatten zurückzuziehen, der von Dr. Parkhursts Kirche ausging.

Wohl eine halbe Stunde verharrte der Mann unbeweglich in seiner Stellung. Dann, stetig von Chick verfolgt, begab er sich zu der Collins’schen Wohnung und zog dort die Glocke. Ganz deutlich hörte der junge Detektiv, wie der seltsame Fremde den öffnenden Diener fragte, ob Dr. Anthony im Haus anwesend sei. Als ihm die Auskunft erteilt wurde, dass eine Person solchen Namens sich nicht unter den Geladenen befinde, nickte der Unbekannte befriedigt, kehrte kurz um und eilte zu der Ecke der 4th Avenue, wo er die nächste nach der oberen Stadt fahrende Straßencar bestieg.

An der 41st Street verließ er die Car wieder und begab sich zu dem dort befindlichen Haus des berühmten Nervenarztes, wo er wieder die Klingel zog, wie der ihm vorsichtig nachfolgende Chick deutlich zu erkennen vermochte.

Von dem gleich darauf öffnenden Mädchen wurde dem späten Besucher eröffnet, dass Dr. Anthony sich zwar zu Hause befinde, aber zu solch vorgerückter Stunde keine Patientenbesuche mehr annehme. Doch um einen solchen schien es dem fremden Mann gar nicht zu tun zu sein, denn augenscheinlich befriedigt wendete er sich vom Haus fort. Dabei war er so schnell in seinen Bewegungen, dass Chick sich noch nicht völlig vor ihm zu verbergen vermocht hatte. Sofort packte ihn der Verfolgte auch schon vorn bei der Brust und rief zornig: »Sie unverschämter Mensch, warum schleichen Sie mir eigentlich nach?«

»Sie üben sich wohl als Straßenräuber?«, gab Chick zurück, indem er den Griff des anderen gleichzeitig abzuschütteln versuchte.

»Ich merke schon die ganze Zeit, dass Sie auf meiner Spur sind!«, ereiferte sich der Fremde, zugleich einen Versuch machend, mit kräftigen Armen den von ihm Gepackten nach dem Lichtbereich der nächsten Laterne zu zerren, um seine Gesichtszüge besser erkennen zu können.

Doch hierbei fand er wenig Gegenliebe bei Chick. Mit einem plötzlichen Ruck machte sich dieser so ungestüm frei, dass der andere einige Schritte zur Seite taumelte und fast auf die Knie gesunken wäre. Ohne sich weiter aufzuhalten, eilte Chick bis zur Ecke der 4th Avenue. Dort verbarg er sich in einer Tornische und veränderte sein Äußeres, sodass er erwarten konnte, von dem Fremden nicht sofort wiedererkannt zu werden. Er hatte mittlerweile seinen Mann auch nicht einen Moment aus den Augen gelassen, und als dieser nun eine nach der unteren Stadt fahrende Car bestieg, wusste er es einzurichten, auf der hinteren Plattform unterzukommen.

Der von ihm Verfolgte hatte im Wageninneren Platz gefunden, und als er nun kurz vor der 22nd Street dem Schaffner ein Zeichen zum Anhalten gab, sprang Chick von der Car und hatte sich zu verstecken gewusst, ehe der andere abstieg. Er sah ihn in die 22nd Street einbiegen und in der Mitte des Blocks in einem Haus verschwinden, welches eine Metallplatte mit der Aufschrift J. Fred Staples, M.D. trug.

Der Zufall wollte, dass gerade ein Policeman seine Runde machte, und so wendete sich Chick an diesen mit der Frage, ob er den unmittelbar zuvor ins Haus Getretenen kenne.

»Gewiss«, erklärte der Beamte, »es ist Dr. Staples.«

Kopfschüttelnd ging Chick nach der Ecke der 4th Avenue zurück; dort wartete er noch auf die nächste Straßencar, als er zu seiner Überraschung aus dem Haus des Doktors plötzlich wieder einen Mann eilen sah, in welchem er beim Näherkommen sofort den Arzt selbst erkannte.

Dr. Staples schien es eilig zu haben, denn er blickte weder nach links noch nach rechts, sondern begab sich mit weitausholenden Schritten zu dem Collins’schen Haus an der 24th Street, wo die Abendgesellschaft sich inzwischen ihrem Ende zuneigte.

Wieder läutete Dr. Staples an der Tür und erteilte dem öffnenden Diener irgendeinen Auftrag, welcher Chick unverständlich blieb, da er sich nicht näher heranwagte, um nicht zum zweiten Mal den Argwohn des Arztes hervorzurufen.

Vielleicht fünf Minuten mochten verstrichen sein, während Dr. Staples ungeduldig gewartet hatte; dann öffnete sich die Haustür wieder, und aus ihr trat eine junge Dame, augenscheinlich im Gesellschaftskleid, doch mit Mantel und Kapuze darüber. Sie wurde höflich von dem Arzt begrüßt; dieser bot ihr den Arm, und beide schritten nebeneinander die Straße hinunter.

Chick bestrebte sich, dem Paare so nahe wie möglich zu kommen, doch was sie miteinander sprachen, konnte er erst hören, als sie an der nächsten Ecke hielten, um das Herankommen einer Straßencar abzuwarten.

»Also, kurz und gut«, hörte er dann den Arzt sagen, »Sie haben nichts herausgebracht?«

»Mr. Carter ist ein sehr verschlagener Mann und immer auf seiner Hut«, lautete die Antwort des Mädchens.

»Kaum glaubhaft!«, meinte der Doktor unverbindlich. »Diese Leute sind Spürhunde gewöhnlicher Natur, denen man viel zu viel Ehre antut. Wirklich, Netta, ich bin überrascht, dass Sie mit Ihren glänzenden Geistesgaben aus diesem armseligen Wicht von einem Detektiv nicht alles herausholen konnten, was Sie nur wünschten!«

»Ja, mein Lieber«, entgegnete die junge Dame in spitzem, beleidigtem Ton, »dann müssen Sie eben in Zukunft jemand Klügeren als mich mit Ihren Ermittlungen beauftragen. Doch ich möchte darauf wetten, dass auch Sie mit all Ihrer Klugheit Schiffbruch erleiden würden, käme es zu einem Wettstreit mit Nick Carter. Dieser Mann ist ein Genie, und wer ihn für einen gewöhnlichen Sterblichen hält, hat hinterher den Schaden!«

In diesem Augenblick kam die erwartete Straßencar heran, und das ungleiche Paar bestieg diese.

Chick machte keinen Versuch, ihnen zu folgen, sondern begab sich auf kürzestem Weg zum Hause des Meisters. Dort traf er den Detektiv noch dabei, sich des unbequemen Gesellschaftsfrackes zu entledigen. Aufmerksam lauschte jener Chicks Bericht, und als dieser ihm eine genaue Beschreibung von Dr. Staples gegeben hatte, meinte er entschieden: »Das ist derselbe Mann, der mich am verflossenen Nachmittag zu verfolgen suchte. Nun möchte ich nur wissen, aus welchem Grund? Warum lag ihm ferner so viel daran, in Erfahrung zu bringen, ob Dr. Anthony sich gleichfalls bei der Abendgesellschaft befand?«

»Hm, wer weiß, dieser Dr. Staples scheint deine Einmischung nicht gerne zu sehen«, bemerkte Chick nach kurzem Nachdenken. »Er befürchtet vielleicht, dass dein von ihm beobachteter Besuch bei Dr. Anthony den Zweck verfolgte, diesen berühmten Fachgelehrten zu einer genauen Beobachtung seines Patienten heranzuziehen.«

»Dieser Gedanke schoss mir auch schon durch den Kopf«, gestand der Detektiv. »Aber weißt du auch, Chick, dass deine Worte diesen Dr. Staples verdächtigen?«

»Gewiss«, erklärte Chick kaltblütig. »Doch Hand aufs Herz, ich müsste dich nicht kennen, trautest du diesem merkwürdigen Arzt, der uns ins Handwerk pfuscht, viel Gutes zu!«

»Erraten«, räumte Nick Carter ein, der sich inzwischen die geliebte Pfeife angezündet und es sich im Lesesessel bequem gemacht hatte. »Ich wittere, dass dieser Arzt etwas zu verbergen hat und dass sein böses Gewissen es war, welches ihn heute Nachmittag und Abend zu solch auffälligem Tun veranlasste. Doch um was es sich handelt, das kann ich nicht einmal vermuten! Ich weiß nur, dass Dr. Staples auf den jungen Collins einen unheimlichen und für diesen schwerlich förderlichen Einfluss ausübt. Höre, Chick, du wirst gut daran tun, bis morgen früh alles über die Person und Verhältnisse dieses Dr. Staples herauszubringen, was dir nicht schwerfallen wird.«

Damit verabschiedeten sich die beiden Detektive voneinander.