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Jack – Kapitel IV

Anton von Perfall
Jack
In: Deutsche Jugendbücherei, Nr. 5/6
Hermann Hillger Verlag Berlin – Leipzig

Kapitel IV

Mir war gut abkaufen, auf das erste Angebot schlug ich meiste Ware los. Es blieb immerhin ein anständiger Gewinn und ich beeilte mich, meinen Karren von Neuem zu füllen. Doch mein Geist war nicht mehr bei dem Unternehmen, dessen Erfolg zu sehr hinter meiner hastigen Fantasie einher hinkte. Ich berechnete, dass ich Jahre auf diese Weise durch das Land fahren musste, um nur mit einiger Aussicht auf Erfolg vor den habgierigen Felipe als Werber um seine Tochter treten zu können, und wenn Barbara noch so standhaft war. So lange durfte, konnte ich nicht warten. Wenn an der Geschichte mit dem Goldschatz etwas Wahres wäre! In meiner Angst fing ich selbst an, daran zu glauben.

Ich zerbrach mir den Kopf nach einem Plan, auch die Mine tauchte wieder verlockend auf, das Pocket, das ich schon ver­führerisch blinken sah. Konnte es nicht noch einmal gehen? Es trieb mich nicht mehr die Habsucht, sondern die Liebe! Nur so viel wollte ich gewinnen, um Felipe zu gewinnen, das Bild einiger­maßen zu verwirklichen, das ich entworfen hatte, dann wollte ich ja mein ganzes Leben arbeiten, an kein Gold mehr denken. In dieser Stimmung machte ich meine Einkäufe.

Ich musste lachen, als ich zum Schluss den Plunder sah, der meinen Karren füllte. Nichts als Frauenware! Billiger Schmuck, Halsketten, Ohrringe, Broschen, Armreifen aller Art, Haarnadeln, Nähzeug, bunte Tücher, Küchengerät, Kindertand! Auf allen den Päckchen und Paketen stand sogar eine Wiege, welche ich bei einem Trödler eingehandelt hatte. Sie diente dem für Felipe bestimmten Whiskeyfässchen zum Aufenthalt. Ein Geschäft, das ich für meinen Freund Smith abzumachen hatte, hielt mich etwas länger auf. Nach drei Tagen war ich wieder auf dem Marsch. Demselben die direkte Richtung nach Felipes Rancho zu geben, ging zu meinem Verdruss nicht an. Was wollte ich in dem damals spärlich bewohnten Teil Placer Countys mit meinen Waren machen? So wanderte ich ziellos die Stocton-Landstraße entlang, von da abseits von Farm zu Farm, die Augen immer auf die Bergkette gerichtet, hinter der mein Glück lag, und sorgfältig darauf bedacht, mich nicht zu weit davon zu entfernen.

Es war ein sonderbarer Handel, und die Leute sahen mich oft kopfschüttelnd an. Jeder bessere Gegenstand, der verlangt wurde, schien mir für Barbara vortrefflich geeignet, und es kam oft vor, dass ich mich trotz des verlockendsten Angebotes weigerte, zu verkaufen.

Am sechsten Tag befand ich mich, mit über der Hälfte meiner Waren, auf dem Weg in die Berge. Die Wiege, welche viele Liebhaber gefunden hätte, verkaufte ich nicht, weil sie mir ein so vortrefflicher Platz für das Whiskeyfässchen zu sein schien.

Nie zog Jack so schlecht, ich war ihm stets um hundert Schritte voraus. Endlich öffnete sich das ersehnte Tal, von den letzten Strah­len der hinter den Bergen verschwindenden Sonne beleuchtet. Ich hatte eine Vision: So weit ich sah, wogten schwere Ähren, lauter flüssiges Gold. Der Urwald, die Gehänge schrumpften zusammen zu schlanken, fruchtschweren Rebstöcken, es roch nach Obst und Wein, und dort blitzte ein funkelnagelneues rotes Ziegeldach zwischen den Bäumen hervor, wie ich es einst in einem Traum gesehen habe – die Hazienda!

In der schaukelnden Wiege auf dem Karren zirpte ein schwaches Stimmchen – ich sah wirklich hinein – es war der Whiskey, welcher glucksend gegen die Wände des Fässchens schlug. O ich Narr – ich großer Narr! Aber doch drückte sie mir das Nass in die Augen, die Narrheit, ich musste die Träne mir auswischen, um wieder klar zu sehen, das ungerodete, von Steinrinnen, die von den Bergen herabströmten, zerrissene, ausgetrocknete Feld links und rechts und das zerfallene Abodehaus am Felsen angelehnt. Jack bog ohne Weiteres rechts ein, als sich der Weg in den Rancho abzweigte. Ich griff nach dem Pappdeckel auf meiner Brust.

Was kümmerte mich der Alte, was José – wenn sie mich liebte!

Zwischen Zwergeichen und Sykomoren, welche eine lichte Stelle der Anhöhe bedeckten, erblickte ich einen Reiter, und das Astwerk krachte. Ich griff auf alle Fälle nach meinem Sixshooter im Gürtel. Wenn es José wäre, der zu allem Fähige! Da tauchte der Pferdekopf wieder auf – das Herz pochte mir – dann – ja dann! Barbara stürmte den Berg herab, der rote Rock umzüngelte sie wie eine Flamme, hoch schwang sie den hellgrauen Sombrero, indem sie mir zugleich durch ein Zeichen Schweigen befahl. Der Alte sollte es nicht wissen, dass sie auf dem Lugaus war nach dem elenden Karren mit Jack, nach dem armen Frank Goby!

Dieser Gedanke entlockte mir, trotz des Verbotes, fast einen lauten Freudenschrei.

War es denn möglich, dass ich sie erst zum zweiten Mal sah? Sie eilte heran, helle Freude über mein Kommen strahlte aus ihrem erhitzten Antlitz. Hier unter dem ewig heiteren Himmel Kaliforniens, in der fernen Wildnis gibt es kein Abwägen, kein Zurückdrängen der Gefühle, jedes tritt rücksichtslos unvermittelt zutage – Liebe und Hass!

»Sagen Sie kein Wort, dass Sie mich schon gesehen haben. Der Vater sprach jeden Tag von Ihnen, Ihre Worte von dem Weizen und dem Wein wollen ihm nicht aus dem Kopf; er hat sich heute mit José gestritten. Er glaubt selbst nicht mehr recht an den Schatz.«

Sie riss das Pferd herum. »Gelesen?«, flüsterte sie noch.

Ich schwang triumphierend den Pappendeckel und küsste ihn, da war sie schon wieder hinter den Bäumen verschwunden.

Ich legte mein Gesicht absichtlich in ernste Falten, meine Freude dem Alten nicht zu verraten. Machte ich mich doch aus einen schlechten Empfang gefasst! Doch darin irrte ich mich. Er kam mir sogar ent­gegen, eine Schaufel auf dem Rücken. Von der Arbeit also? Das war schon eine Frucht meiner begeisterten Schilderung von neulich.

»Gute Geschäfte gemacht?«

»Ich bin zufrieden, Señor Felipe.«

»Sie müssen ja dem José begegnet sein?«

»Keinem Menschen bin ich begegnet.«

»José ritt ungefähr vor zwei Stunden nach Sacramento. Es gibt nur einen Weg – das ist aber sonderbar!«

»Er wird sich wohl anders besonnen haben, ein Mann, der so viel im Kopf hat!«, erwiderte ich. »Wie steht es mit dem Schatz? Noch immer nichts?«

»Da – sehen Sie einmal!« Er zog ein Quarzspeziment aus der Tasche und reichte es mir. »Das soll schon ein Teil davon sein, behauptete José. Was halten Sie davon?«

Es war ein Stück harten, weißglänzenden Quarzes mit ziem­lich reichlicher Goldspur. Da es glatt abgeschliffen war, weder derb noch rau noch eckig, konnte es nur sogenanntes Placer Gold sein, welches die Bäche mit sich führen. Von der durch diesen Fund näher gerückten Auffindung einer einst bebauten Mine konnte also nicht die Rede sein. War das Stück in diesen Bergen gefunden, so lieferte es nur den Beweis, dass wirklich Quarz­gold zu finden wäre, es blieb dann die noch immer schwierige Aufgabe eines gewandten, sogenannten Sak Poketminers, das Mutter­stück ausfindig zu machen, dem dieser Goldfindling angehörte. »Meine Aufgabe!«, rief es laut in mir. Die alte Leidenschaft er­wachte.

Ich erklärte Felipe den ganzen Sachverhalt mit dem Speziment. Seine Blicke ruhten gierig darauf, seine groben Finger drückten es, seine Nägel schabten daran, als wollten sie das Ge­heimnis der Geburtsstätte herausholen. Unsere Stimmen wurden flüsternd, unsere erhitzten Gesichter näherten sich über dem beider­seitigen Brennpunkt unseres Verlangens, dem Spezimente.

»Was ist denn das?«, tönte plötzlich Barbaras Stimme in unser eifriges Gespräch.

Ich wandte mich rasch um. Sie stand vor dem Karren und schaukelte die Wiege. »Eine Goldwiege?«

»Eine Kinderwiege, Señora Barbara.«

Sie lächelte schelmisch. »Und die wollen Sie immer mit sich schleppen?«

»Wenn ich sie nicht hierlassen darf?«

Der Alte murmelte einen Fluch über die unliebsame Störung in seinen Bart, packte mich beim Arm und verlangte die Fort­setzung unseres Gespräches. Doch was war jetzt für mich dieses Quarzstückchen, der ganze Berg, dem es angehörte, ich sah nur das mich beglückende Lächeln Barbaras. Sie hob die Wiege mit kräf­tigen Armen vom Karren.

»Was willst du mit dem Zeug?«, rief der Alte.

»Nicht zu früh räsoniert!«, sagte ich, den Inhalt der Wiege, das Whiskeyfässchen, heraushebend. Er wog es schmunzelnd mit beiden Händen. »Na, das ist etwas anderes! Solche Einwohner­schaft lasse ich mir gefallen.«

Dann ging er mit seiner Last sofort dem Haus zu.

Barbara kramte noch mit kindlicher Neugier in den Waren herum und ich hatte die Freude, sie schmücken zu dürfen. Die Korallenohrringe wollten durchaus nicht hängen bleiben, schwarze Löckchen drängten sich immer wieder zwischen meine unsicheren Hände, und die kleinen braunen Ohrläppchen versengten mir fast die Fingerspitzen, dann wurde ein Paket mit buntfarbigen Seidentüchern geöffnet. Barbara schlang sich eins nach dem anderen mit dem malerischen Instinkt ihrer Herkunft um das Haupt, und auch an einem Spiegel fehlte es nicht, ihre harmlose Eitelkeit zu befriedigen. So tändelten wir, als ob es keine ernsten Fragen für uns zu be­sprechen gäbe, und ich, der Wildling in dem verbrauchten Wollhemd, der in allen Farben spielenden hirschledernen Hose, gab ein Urteil über Damentoiletten ab, wie der erfahrenste Dandy New Yorks. Jack wandte unzählige Mal fragend den Kopf, ob wir denn noch nicht zu Ende seien und kaute, über seine Wünsche keinen Zweifel lassend, am Gebiss. Endlich war die Wahl getroffen.

Barbara war königlich geschmückt. Jack wurde ausgespannt und nicht, wie das letzte Mal, in den dumpfen Stall, sondern in den Corral geführt, in welchem sich ein halbes Dutzend Mustangs tummelten. Felipe hatte sie heute erst mit der Hilfe Josés von der Bergweide herabgetrieben, um sie in einigen Tagen auf den Markt nach Yama zu bringen.

Der hohe Zaun, derselbe, den ich vorige Woche überstiegen hatte, war nun sorgfältig ausgebessert und oben mit Stacheldraht versehen, das Tor mit einem massiven Schloss abgesperrt; mein Abenteuer wäre heute nicht mehr möglich gewesen.

Die Pferde drängten sich neugierig um den sonderbaren Gast und beschnupperten ihn; dann nahmen sie, zur Einsicht gelangt, dass Jack doch zu ihrer Verwandtschaft gehöre, den Burschen plötzlich in ihre Mitte, und in sausendem Galopp, in übermütigen Sprüngen ging es ein paar Mal im Corral herum. Es war nun endlich Zeit, dass Barbara Jack in seiner ganzen Größe kennenlernte. Auf einen Ruf kam er gehorsam daher getrottet. Nie arbeitete er so exakt wie heute, als ob er seinen rasch erworbenen Freunden, die das Schauspiel mit weit vorgestrecktem Hals betrachteten, zeigen wollte, dass er ihrer nicht unwürdig sei – und als er auf meine Frage, »Jack, weißt du mir eine reiche Frau?«, ohne Besinnen sich an Bar­bara herandrängte. Da hatte ihre freudige Bewunderung keine Grenzen, und obwohl ihm in diesem Fall keine Wahl blieb und er der heimlichen Direktion meines Stockes gar nicht bedurfte, waren wir doch kindisch genug, einen Orakelspruch darin zu sehen.

»So sehen sie aus, die reichen Frauen!«, schreckte uns Felipes Stimme, der durch einen Spalt im Zaun die Vorstellung mit an­gesehen hatte, gerade noch zur rechten Zeit auf. Die heimliche Ver­lobung hätte sonst unbedingt vor Jack und den Mustangs im Corral stattgefunden.

»Kommen Sie, Señor, ich habe mit Ihnen Wichtiges zu besprechen. Sie haben mir da neulich etwas ins Ohr gesetzt, das nicht mehr heraus will.«

Barbara zupfte mich am Rock, das war ein gutes Zeichen, trotz des Speziments in seiner Tasche dachte er an meinen Plan. »Jetzt soll er mir kommen, der verdammte Greaser1«, bemerkte er noch, als er das Tor sorgfältig schloss. »Heute hätte ich es ihm bequem gemacht, die ganze Schar beisammen. Dass Sie aber dem José nicht begegneten.«

Mich überraschte die Gedankenverbindung. »Er hat Ihnen wohl geholfen, die Pferde einzutreiben?«, fragte ich.

»Ja, das hat er getan, das versteht er! Es ist ein guter Vaquero an ihm verloren gegangen – aber dass Sie ihm nicht begegnet sind!«, setzte er, den Kopf schüttelnd, hinzu.

Ich schwieg und dachte allerlei.

Felipe zeigte mir seinen Besitz, schlechtes Weideland, vernach­lässigte Obstbäume.

»Was wollen Sie denn mit dem ausgedörrten Land machen, selbst wenn …« Er spielte in seiner Tasche mit dem Quarzstück.

»Wasser, das ist alles, was fehlt«, bemerkte ich.

»Wasser! Ja, das ist es eben! In der Regenzeit sind alle Bäche angeschwollen, dass man keine Nacht sicher ist, ob die alte Hütte noch stehen bleibt, und dann haben wir acht Monate nicht so viel, wie in einen hohlen Zahn hineingeht.«

»Also handelt es sich darum, Überfluss und Mangel auszugleichen«, erwiderte ich und begann nun all meine bei meinem Freund Smith erworbenen Kenntnisse der künstlichen Bewässerung auszugraben. Ich war nicht verlegen, zog Gräben und Grübchen, baute dort ein Bassin für Tausende von Gallonen Wasser, pflanzte Obstbäume aller Arten und Klimate, alle Traubensorten des Erd­balls füllten bald das Tal, und die Scheunen fassten nicht mehr die Frucht. Felipe staunte mich an, in Barbaras Augen spiegelte sich eine Begeisterung, die mir selbst Glauben an meine Worte verlieb.

Felipes einzige Einwendung war: »Arbeit! Viel Arbeit! Und die liebt er nicht, der José!«

»Dann lass ihn laufen!«, sagte energisch Barbara.

»Du hast gut reden, das geht nicht so leicht. José ist ein toller Bursche! Nehmen Sie sich in Acht vor ihm«, wandte er sich an mich, »er ist zu allem fähig!«

»Kennen Sie José schon lange?«, fragte ich.

»Erst seit einem Jahr, er arbeitete früher in Sonoma als Miner.«

»Wissen Sie das bestimmt?«

»Von ihm selbst, von wem sonst?«

Ich hielt Felipe reif für die Mitteilung, die ich ihm machen wollte. Barbara war zurückgeblieben.

»Ich sage Ihnen aber, er arbeitete nicht in Soiwmo, sondern in Frisco.«

»In Frisco, wenn er Miner war?«, fragte ungläubig der Alte.

»Ganz richtig, Friscoer Pocketminer!« Dabei machte ich eine deutliche Bewegung mit der Hand an die Tasche.

»Pah, das ist leicht behauptet.«

»Und schwer bewiesen, meinen Sie, Felipe! Wenn ich Ihnen aber sage, dass ich ihn neulich zu Pferde, trotz des veränderten Anzuges, als denselben Bunko-Sharper« – Felipe kannte den Aus­druck wohl – »erkannt habe, der mich in einer verdächtigen Spe­lunke Friscos ausraubte, in die ich mich, aus dem Hospital ent­lassen, verirrt hatte. Er und seine sauberen Kumpane lachten höhnisch, als ich sie für Miner hielt.«

»Und er soll Sie nicht erkannt haben?«, entgegnete noch immer ungläubig Felipe.

»Ich war damals krank und trug keinen Vollbart. Außerdem, wer weiß, wie vielen er es schlimmer oder ebenso gemacht. Dabei verwischen sich die Erinnerungen.«

»Getrauen Sie sich, ihm das im Gesicht zu wiederholen?«

»Gewiss, wenn Sie wollen.«

»Tun Sie es lieber nicht, er würde ja doch leugnen, und, wie gesagt, er ist zu fürchten. Wer ihn zum Feind hat, schläft nicht mehr ruhig.«

Ich sah zur Genüge, dass nur Furcht Felipe abhielt, mit dem Spitzbuben zu brechen, aber gerade diese Furcht konnte das zäheste Hindernis sein, das mir im Wege stand. Am Ende hatte er nicht so unrecht; was vermochten der Greis und das Mädchen gegen diesen Unhold – allein mitten in der Wildnis!

Ich dachte der nächt­lichen Szene vor einigen Wochen, dachte der unheimlichen Akazie, und trotzdem ich gewiss keinen Grund hatte, solch stürmisches Ver­fahren zu rechtfertigen, verweilte ich doch lange bei einem Bild, das in mir aufstieg und in welchem José meine damalige Rolle spielte …

Dieses offene Geständnis wird auch dem Leser dieser Blätter meine rasche Aussöhnung mit Felipe nach seinem unverantwort­lichen Vorgehen gegen mich begreiflich machen.

»Sie wollen also Ihrer Furcht Ihr Kind opfern?«, fragte ich.

»Sprechen Sie mit ihr nicht darüber, es ist noch nicht so weit«, flüsterte er mir zu, da Barbara uns nacheilte.

Die Nacht kommt hierzulande plötzlich und unvermittelt, und es versprach eine dunkle Nacht zu werden. Der Mond ging erst gegen zwei Uhr auf und stand im ersten Viertel. Felipe brachte Jack noch ein Bündel Heu. Der Esel wälzte sich auf dem Rücken, zum Zeichen fernes Wohlbefindens, sodass ich meine ursprüngliche Absicht, ihn des Nachts über doch in den Stall zu sperren, wieder aufgab.

Felipe schloss mit Sorgfalt das Schloss und ließ es sich nicht verdrießen, noch einmal den ganzen Zaun zu umgehen. Keine Handbreit Lücke zeigt sich.

»Ich werde doch froh sein, wenn ich die Pferde in Yama habe«, sagte er. »Aber den möchte ich sehen, der einen Gaul da herausbrächte!«

»Ohne das Tor zu öffnen, unmöglich!«, bemerkte ich.

»Aber dazu gehört doch ein Schlüssel, denke ich«, erwiderte er, sichtlich ärgerlich.

»Allerdings, wenn es ohne Lärm abgehen soll.«

»Also! Da ist der Schlüssel!« Er hielt mir ein Riesenexemplar vor die Nase.

»Wer hat Ihnen denn das Schloss gemacht?«, fragte ich un­beirrt weiter.

»Ich habe es mir besorgen lassen.«

»Von wem?«

Da blieb er stehen und stampfte mit dem Fuß.

»Haben Sie aber eine Fragerei!«

»Von José Sepulveda, nicht wahr?«

»Nun ja, was ist denn dann …«

»Ich meinte bloß! So etwas würde ich selbst besorgen.«

»O, Sie verstehen es, einen anzuschwärzen. Aber diesmal schießen Sie über das Ziel hinaus. Man bestiehlt einen Mann nicht, auf den man seine ganze Hoffnung setzt.«

Ich schwieg und wir gingen dem Haus zu.

»Er kann ja auch einen näheren Weg gemacht haben«, be­gann er nach einer Weile wieder. »Er kennt ja die Berge besser als ich! Er ist ein Leichtfuß, das weiß ich selbst.«

»Leichtfuß nennen Sie ihn? Er ist etwas anderes.«

Barbara hatte unterdessen mit einer für ein spanisches Haus auffallenden Reinlichkeit den Tisch gedeckt.

Ich erzählte von Pierre und wie ich Jack erwarb, von dem Farmer Smith, der auch mit nichts angefangen und nun ein wohl­habender Mann war. Doch Felipe horchte nur mit einem Ohr, das andere lauschte nach außen. Jede Viertelstunde ging er an die Tür, um nach dem Wetter zu sehen, obwohl über dessen guten Bestand kein Zweifel sein konnte, denn die Sterne funkelten in echt kalifornischer Pracht.

Er erklärte, morgen in aller Frühe nach Yama aufbrechen zu wollen, wünschte bald allen Greasern Tod und Teufel auf den Hals, bald schimpfte er über unbegründete Verdächtigungen und zog sich endlich, nachdem er mir mürrisch die Stube als Nacht­quartier angeboten hatte, nach oben zurück.

»Für dich wird es am besten sein, du gehst früh zu Bett, es gibt morgen viel zu tun«, sagte er, sich mit einem mürrischen Seitenblick auf mich an Barbara wendend.

Sie hörte wohl einen Befehl aus diesen Worten heraus, der, nicht befolgt, unangenehme Erörterungen nach sich ziehen konnte, stand schmollend auf, räumte den Rest der Mahlzeit fort und ent­fernte sich, ohne mich anzusehen, ohne mir die Hand zu reichen, mit einem schweren Seufzer. Die Hoffnungslosigkeit, die darin ausgedrückt war, beschlich auch mich.

Als ich zur Ruhe gehen wollte, erblickte ich durch das Fenster ein in der Finsternis wandelndes Licht; wie ein Sternchen gaukelte es am Boden dahin. Ich hatte mir die Richtung des Corrals genau gemerkt, es war Felipe, welcher noch einmal die Runde machte. Das freute mich, der Verdacht saß doch fest. Bald darauf hörte ich wieder die Treppe knarren, er hatte alles in Ordnung befunden. Natürlich mir zuliebe wird der José heute in den Corral einbrechen – was so ein verliebter Narr sich nicht alles in den Kopf setzt!

Und doch löschte ich das Licht, blieb an dem Tisch sitzen und starrte durch das offene Fenster in die Nacht hinaus.

Bald kam ich auf andere Gedanken. Warum kommt Barbara nicht noch einmal herab, wenn sie mich liebt, und spricht mir Mut zu? Ich war jeden Umganges mit dem anderen Geschlecht so entwöhnt, dass ich die Unmöglichkeit eines solchen Beginnens zu solcher Zeit nicht begriff und mich über einen Umstand grämte, der bei mehr Erfahrung mich mit Genugtuung hätte erfüllen müssen.

Es hielt mich nicht im Zimmer. Ich hatte längst vergessen, warum ich das Licht ausgelöscht hatte, nämlich um den Dieb nicht abzuschrecken. Ich eilte ins Freie und umschlich vorsichtig das Haus. Alles dunkel – ich flüsterte ihren Namen – immer lauter – da erschien etwas Weißes in einer leeren Fensterhöhle und verschwand ebenso rasch wieder.

Hatte sie mich gehört und erwartet? O, diese bangen, unver­gesslichen Minuten!

Da legte sich eine Hand auf meine Schultern – Barbara! Wie eine Katze war sie herangeschlichen.

»Warum ließen Sie mich so lange warten?«

Zum Glück konnte sie die Schamröte über mein Ungeschick in Liebesangelegenheiten nicht gewahren.

»Der Vater ist recht böse auf Sie, ich muss morgen in aller Frühe mit nach Yama. Ich glaube, er fürchtet eine Entführung.«

Mein Herz hüpfte vor Freude. »Barbara! Würdest du mir folgen?«

»Ehe ich den José heirate, tue ich alles! Ich kenne den Vater; ist der Elende wieder bei ihm, steht er wieder in seinem Bann, da hilft alles nichts! Er hat ihn verzaubert, sie aßen das Herz eines Bären zusammen. José hat es mir selbst erzählt.«

»So abergläubisch ist meine Barbara? Wollen wir auch ein Bärenherz zusammen essen?«

»Hältst du es noch für nötig?«, fragte sie.

Da flammte der erste Kuss auf ihren Lippen! Dann sprachen wir nicht mehr von Entführung, nicht von Bärenherzen und Ver­zauberungen; unser Liebesgeflüster verschmolz mit den unzähligen geheimnisvollen Lauten der kalifornischen Frühlingsnacht.

Da, mitten in die heilige Stille schmetterte der unvergessliche Ton, der mich vom Tode gerettet – noch greller, furchtbarer als damals, und immer wieder von Neuem ansetzend, wie von un­bändigem Zorn genährt – Jack! Dann ein Aufblitzen im Gehirn, ein Griff nach dem Revolver im Gürtel, und ich flog nur so durch die Finsternis, dem Corral zu.

Jacks immer toller sich erhebendes Geschrei, das in ganz unnatürlichen Lauten sich verlor, ließ mich nicht den geringsten Umweg machen – es galt, das Tor zu gewinnen, das von José geöffnete Tor, darüber war kein Zweifel mehr für mich.

Ein unerklärliches Tosen, Krachen und Splittern mischten sich mit der zornigen Stimme Jacks. Nun unterschied ich die Zäunung – das Tor stand offen, der Schurke war wohl längst entflohen vor dem Alarm Jacks. Nun erkannte ich meinen Freund, die langen Ohren verrieten ihn mir, die silhouettenhaft sich abhoben vom lichten Himmel. Er stand dicht innerhalb des Tores, den Kopf nach innen gewandt, und wohl von diesem nie gehörten unausgesetzten Geschrei zu Tode geängstigt, sausten die Pferde Felipes innerhalb des Corrals wie besessen umher, prallten an die Planke, über­stürzten sich. Ich sah ihre funkelnden Augen, hörte ihren stöhnenden Atem, und dort mitten in dem dämonisch vielhäuptigen verworrenen Knäuel von Pferdeleibern, der sich eben schemenhaft bildete und wieder zerfloss, eine Reiterfigur sich beugend, wieder aufrichtend – klatschende Schläge einer Peitsche auf Pferderücken – sichtlich nach dem Tor hindrängend. Doch sobald der schwarze Klumpen sich Jack näherte und dieser unermüdlich, selbst am ganzen Leib zitternd, seinen Schreckensruf ertönen ließ, da standen sämtliche Pferdeleiber auf den Hinterbeinen, die Mähnen flatterten, der heiße Atem und der Schaum flogen mir in das Gesicht, dann riss sie der panische Schrecken wieder auf die Seite gegen die Planke, die zu bersten drohte. Und mitten unter ihnen der hilflose, gespenstige schwarze Reiter!

Ich vergaß fast über dem dämonischen Anblick, um was es sich handelte – da kam schon Felipe, gefolgt von Bar­bara, mit der Laterne.

»Die Ratte ist gefangen!«, rief ich ihm zu.

Er stieß einen wilden Triumphschrei aus, der zu der ganzen höllischen Szene wohl passte, dann starrte er atemlos, wie eben noch ich, auf das ihm rätselhafte Schauspiel.

»Hier, sehen Sie ihn, den Reiter?«

Der Schein der Laterne spornte diesen zu den unerhörtesten Anstrengungen an. Hoch hob er sich im Sattel, ich machte meinen Revolver bereit – lebend kam er nicht durch.

»Ergib dich!«, schrie ich in den Lärm, »jedes Entrinnen ist unmöglich!«

Ein spanischer Fluch schallte durch die Nacht, ein wilder un­menschlicher Schrei, das Klatschen eines Peitschenschlages, und ein schwarzes Phantom sauste zehn Schritte von uns über die Planke durch die Luft! Dann das Splittern von Holz, ein dumpfer Fall, ein Krachen wie von berstenden Knochen.

Einen Augenblick stand ich wie gebannt von dem Eindruck des Ungeheuerlichen.

Barbaras Antlitz, von der Laterne Schein getroffen, leuchtete kreideweiß, sie schlug ein Kreuz nach dem anderen. Felipe schlot­terten die Knie, doch rasch kam mir das Bewusstsein dessen, was allein geschehen sein konnte! Ich sprang auf das Geräusch des Falles zu – ein Pferd wälzte sich am Boden, fuchtelte mit allen vieren nach aufwärts, und eben jetzt trennte sich in der Finsternis etwas Zweites davon, den Boden entlang kriechend – der Reiter!

Mit einem Satz war ich dort – ein spanischer Fluch, und ich kniete schon am Boden und presste eine röchelnde Gurgel – ein warmer Strom rieselte mir über die Hand. Ich rief nach Felipe – endlich kam er keuchend. Als er die Laterne hob, tönten zwei Schreie, einer der dämonischen Freude, und einer der höchsten Überraschung aus dem Mund Felipes. Josés blutüberströmtes Antlitz lag unter mir! Sein Auge leuchtete grünlich wie das einer Katze. Das Pferd, das sich wohl beide Füße gebrochen hatte, kroch stöhnend in die Finsternis hinaus.

»O du Schuft! Du Lügner! Schlagen Sie ihm den Schädel ein!«, brüllte nun Felipe, außer sich vor Wut.

»Das Gold! Ich weiß das Gold!«, röchelte José, die letzte Hoffnung in der Habsucht Felipes suchend.

»Ein Lügner bist du! Nichts weißt du! Stiehlt man Pferde, wenn man Gold weiß? An die Akazie mit dem Schuft!«

Da trat Barbara vor und flehte für sein Leben. Ich schämte mich meiner gierigen Rachsucht und unterstützte sie.

José stieß nur ein Wort hervor: »Gold – Gold!«

Ich glaube, dass dies auf Felipe mehr Eindruck machte als unsere Fürsprache.

»Bringen wir ihn ins Haus, darin kann er ersticken an seinen Lügen«, polterte Felipe. Dabei fasste er ihn rau an seinen Füßen, mir die Schultern überlassend. José war sichtlich schwer verwundet, das Bewusstsein schwand ihm. Mein Zorn war verraucht, und das Mitleid regte sich. Barbara brach in heftiges Weinen aus, ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt.

Als José in der Stube auf der Bank lag, untersuchte ich seine Kopfwunde. Soviel ich davon verstand, war sie tödlich. Der Schädelknochen bewegte sich und knirschte unter meiner Berührung. Barbara brachte zitternd an allen Gliedern eine Schüssel mit Wasser, die Kälte des aufgedrückten Schwammes erweckte ihn, seine Augen rollten wild umher. Ich untersagte energisch Felipe seine endlosen Schmähungen, mit welchen er den Sterbenden von Neuem überhäufte.

»José Sepulveda! Erkennst du mich nicht? Wir sahen uns früher schon einmal – vor einem Jahr in Frisco!«

Er gab sich sichtlich Mühe, sein Gedächtnis zu sammeln.

»In einer kleinen Kneipe, wir spielten zusammen Monte, dann schlugt Ihr mich zu Boden und raubtet mich aus.«

Er erwiderte nichts, aber in seinem scheuen, ausweichenden Blicke lag die Bestätigung meiner Anklage, an der nun auch Felipe nicht mehr zweifeln konnte. Diesen bewegte jedoch ein anderer Gedanke.

»José«, begann er, »es hilft dir alles nichts, deine Zeit ist aus. Sprich, was ist daran, an dem Gold? Wo hast du das gefunden?« Dabei hielt er ihm das Speziment dicht vor die Augen.

Ein boshaftes Lächeln spielte um die Lippen des Sterbenden, er genoss wenigstens noch eine Rache. Die Habgier Felipes half ihm dazu.

»Wenn du nicht sprichst, hole ich sofort die Nachbarn zusammen, dann weißt du, was kommt – sie haben dir alle den Tod geschworen.«

»Hole sie nur, sie kommen doch zu spät«, ächzte José.

Felipe sah ein, dass diese Drohung hier nicht mehr wirkte, und schlug einen anderen Ton an.

»José, ich bitte dich! Du kannst es doch nicht mit hinüber­nehmen. Sieh, du hast mich armen Mann bestohlen! Zwei Pferde, zehn Schweine! Ich vergebe dir alles, wenn du sprichst! Du wirst vor deinem ewigen Richter stehen in wenigen Augenblicken! José!« Der alte Heuchler, der nun sprach wie ein Prediger, faltete die Hände auf der Brust des Sterbenden. Die qualvollste Unruhe zeigte sich in seinem Antlitz. »Barbara zuliebe sprich! Du hast sie geliebt, ich weiß es …«

Da richtete sich José mühsam auf und blickte starr auf das Mädchen, das sein Gesicht verhüllte. »Das habe ich … ja … das habe ich … aber jetzt hasse ich sie.« Er stieß einen hässlichen Fluch aus und fiel zurück. »O, es ist viel Gold … gutes Gold … Fe­lipe …«

Nun begann ein widerliches Schauspiel. Felipe erschöpfte sich in jämmerlichen Bitten, lächerlichen Drohungen, zuletzt, als ihm keine Erwiderung wurde, packte er in einem Anfall von Wut den Sterbenden, der wohl seine Stimme nicht mehr hörte, mit tierischen Griffen. Da riss ich ihn gewaltsam weg und drohte, ihn aus dem Zimmer zu entfernen. Der Augenblick war gekommen, der unter allen Umständen Ehrfurcht heischt, der Tod lagerte sich aus dem Antlitz Josés, dessen Lächeln plötzlich erstarrte und demselben einen fast milden, friedlichen Ausdruck verlieh.

Barbara flüchtete in meine Arm, Felipe, in dem sich Grau­samkeit, Habsucht, religiöser Fanatismus echt spanisch mischte, kniete nieder und murmelte ein Gebet.

»Felipe, ich bitte dich um deine Tochter, es soll dich nicht ge­reuen.«

Mit diesen Worten trat ich, Barbara an der Hand führend, vor den knienden Alten.

Er warf einen scheuen Seitenblick auf die Leiche, als wollte er sich vergewissern, dass er von dieser Seite nichts mehr zu fürchten und zu hoffen habe, da aber blieb ihm der zur Zusage bereits geöffnete Mund stehen. Es klapperte auf den Steinfliesen, die Türe bewegte sich langsam, wie von Geisterhand, und unter dem Türrahmen erschien Jacks graues Haupt.

In Felipes Antlitz malte sich abergläubische Furcht, stummes Erstaunen, er streckte die Arme aus und winkte uns zu: »Nehmt euch! Was nutzt es mir auch, wenn ich nein sage, der dort setzt es doch durch.«

Und, offen gesagt, es ging mir fast so wie dem Alten, auch ich blickte nun mit einem sonderbaren Gefühl auf Jack, – Pierres Vermächtnis, – den Lenker meines Schicksals!

Show 1 footnote

  1. Kalifornischer Pferdedieb