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Die wunderbare und merkwürdige Geschichte vom Zauberer Virgilius … Teil 4

Oskar Ludwig Bernhard Wolff
Die wunderbare und merkwürdige Geschichte vom Zauberer Virgilius,
seinem Leben, seinen Taten und seinem Ende
Volksbücher Nr.46, Verlag Otto Wigand, Leipzig

Wie der Kaiser von Rom den Virgilius in seiner Burg belagert

Als nun das Heer vor des Virgilius Burg gezogen war, schloss er sie vermittelst seiner Kunst dergestalt durch Lust ein, dass keiner sich bewegen und weder vor noch rück­wärts konnte, sondern jeder bleiben musste, wo er war. Darüber verwunderten sie sich nicht gering, und Virgilius sagte nun zu ihnen: »Ihr kommt, mich um das meine zu bringen, aber das werdet Ihr nicht. Wisst, dass Ihr keinen Nutzen haben und nichts ernten werdet, solange ich lebe. Sagt dem Kaiser, ich wolle vier bis fünf Jahre warten, bis er zur Einsicht gekommen ist. Vor den Gerichten will ich nicht klagen, wohl aber werde ich, was mein ist, nehmen, wo ich es finde. Sagt dem Kaiser ferner, ob er mich bekriege oder nicht, das sei mir ganz einerlei, denn anhaben könne er mir doch nichts.«

Darauf ließ er sie stehen, wandte sich um und beschenkte vor ihren sehenden Augen all seine armen Verwandten überreich. Seine Feinde aber wussten nicht, was sie tun sollten. Sie kehrten daher nach Hause zurück und begaben sich zum Kaiser, bei dem sie ihn verklagten und meldeten, was Virgilius gesagt habe; er kümmere sich weder um den Kaiser noch um alles, was der Kaiser gegen ihn unternähme.

Als der Kaiser dieses hörte, ergrimmte er heftig und schwor in seinem Zorn, er wolle alles Eigentum des Virgilius verbrennen, in Feuer und Rauch aufgehen lassen und ihm selbst das Haupt abschlagen. Auch zögerte der Kaiser nicht lange, sondern befahl all seinen Herren und Vasallen, ihre sämtlichen Reisigen aufzubieten und sich an einem bestimmten Tag mit denselben einzustellen. Als nun dieser Tag gekommen war und alle sich eingefunden hatten, wie es der Kaiser befohlen, zogen sie zum Palast des Virgilius, der rund herum mit Mauern gut verwahrt und durch Luft befestigt war. Da nun der Kaiser mit seinem ganzen Heer vor dem Palast eintraf, war es plötzlich wie gefesselt und konnte keiner weder vor noch zurück. Solches hatte Virgilius, der aus seiner Burg gekommen war, durch seine Zauberkunst bewirkt und hatte noch obendrein gemacht und angestellt, dass der Kaiser glaubte, er sei rings herum von einem großen Wasser ein­geschlossen und weder wagte er, sich vorwärts zu begeben, noch zurück. So spielte Virgilius dem Kaiser und dessen ganzem Heer mit. Alsdann aber ging er selbst zu diesem und sagte ihm: «Herr Kaiser, mit Eurer ganzen Macht habt Ihr doch nicht die Gewalt, mir irgendein Leid anzutun und meinem Eigentum auch nicht. Recht wäre es aber, dass Ihr mich zu einem Eurer vornehmsten Großen macht und mich als Euren nächsten Verwandten anerkennt; denn in Zeiten der Not konnte ich Euch mehr nützen als all Eure anderen Herren.«

Darauf antwortete der Kaiser dem Vir­gilius: »Du Betrüger, wenn ich dich einmal in die Hände bekomme, so soll es dir schlecht ergehen und du sollst schon deinen Lohn bekommen, wie du ihn verdienst.«

Hierauf entgegnete Virgilius: »Herr Kaiser, ich fürchte Euch nicht. Glaubt mir, ich werde Euch noch so zahm machen, dass Ihr froh sein werdet, mich als Euren Blutsverwandten anzuerkennen. Ihr wolltet mich um mein Erbe betrügen, das soll Euch nicht gelingen.«

Nun ließ Virgilius viele leckere Speisen auf dem Platz zwischen seinem Haus und dem feindlichen Heer zurichten, sodass der Kaiser und sein Kriegs­volk es gut sehen konnten. Sie bekamen aber nichts davon als den Rauch in die Augen und den Geruch in die Nase, denn sie konnten sich nicht rühren, sondern waren von Luft eingeschlossen und glaubten, es sei ein großes Wasser. So trieb es Virgilius mit dem Kaiser und dessen Heer, und war niemand da, der ein Mittel, um ihnen zu helfen, zu finden wusste.